In Boston bin ich anders und dadurch besonders. In Dresden bin ich fremd und dadurch in Gefahr.
(Duy-An Grace Tran - sie verbrachte als amerikanische Studentin das Sommersemester 1996 in Dresden.) |
Es gibt für uns keine Alternative dazu, Dinge zu
bennenen, die wir als Mosaiksteine eines großen Ganzen betrachten. Dieses
Ganze ist der Zustand in diesem Land, der sich immer und immer wieder durch
einzelne Beispiele bestätigen läßt.
Wenn wir in der Ankündigung zu dieser Veranstaltung von Leipziger
Verhältnissen als deutsche Verhältnisse schreiben, so meinen wir
damit die Gegenwart als von allen akzeptierte Normalität. Diese bestimmt
den Alltag in Leipzig genauso, wie an jedem anderen Ort in Deutschland. Es sei
deshalb ausdrücklich darauf verwiesen, daß mit dem folgenden
keineswegs der Nachweis einer besonderen Situation in Leipzig erbracht werden
soll. Was sich uns hier offenbart, bestätigt unsere theoretischen
Überlegungen, unter welchen Bedingungen es zu rassistischen Morden
überhaupt kommen kann. Die Vermutung, die folgenden Beispiele erheben
einen Anspruch auf Vollständigkeit, muß von uns strikt verneint
werden. Es sind tatsächlich wahllos herausgepickte Fälle - mit der
Einschränkung, uns bis auf wenige Ausnahmen auf diejenigen Leipziger
Kreise konzentriert zu haben, die ein besonderes soziales Engagement, ein
linkes Verständnis, alternatives Leben, Minderheitenpositionen oder
Fremden-Freundlichkeit für sich in Anspruch nehmen. Kurzum, all
diejenigen, die in ihrer Lesart das bessere Deutschland verkörpern wollen.
Somit finden nachfolgend weder die zahlreichen rassistischen und
antisemitischen Überfälle, Anschläge und ähnliches in
Leipzig Erwähnung, auch nicht die stark entwickelte Nazi-Szene dieser
Stadt, noch die rassistische Asylpolitik der staatlichen b.z.w. kommunalen
Behörden und die damit einhergehenden Diskriminierungen, Schikanen und
Deportationen von Flüchtlingen. Ebensowenig wird über die
übergroße Mehrheit der Leipziger Bevölkerung gesagt, deren
rassistische Sicht- und Denkweise nur dann für uns öffentlich zutage
tritt, wenn mal wieder irgendein Bürgerforum zu irgendeinem Scheiß
stattfindet, man durch Zufall einen Stammtisch belauscht oder in
öffentlichen Verkehrsmitteln einem abgehaltenem Dialog Gehör schenkt.
Werfen wir zu Beginn einen Blick in die kommunalen Vorgaben, wie das Fremde in
dieser Stadt zur Wahrnehmbarkeit konstruiert wird. Der Kulturentwicklungsplan
dieser Stadt verweist da unter dem Stichwort interkulturelle Arbeit
auf das Kulturamts-Sachgebiet Interkultur - vor einigen Jahren vom
ürsprünglichen Sachgebiet Multikulturelle Angelegenheiten
in ebenjenes umbenannt. Dort heißt es: So sind alle
Tätigkeitsfelder darauf gerichtet, ausländische Mitbürger beim
Bewahren ihrer eigenen kulturellen Identität wie auch beim Hineinwachsen
in die bisher fremde deutsche Kultur zu unterstützen (...) sowie den oft
benachteiligten AusländerInnen die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben
ohne Aufgabe der eigenen Identität zu ermöglichen. An die
Adresse der MigrantInnen heißt das im Klartext: Wir raten euch, macht
euch so fremd, wie es nur irgendgeht, sonst nehmen wir euch nicht wahr. Seid so
folkloristisch, wie ihr könnt, preist uns gegenüber euer Anderssein.
Zieht euch auf Eure Herkunft zurück und verharrt dort gefälligst.
Verdeutlicht uns, wie fremd euch die deutsche Kultur ist, damit wir euch
gnädigerweise in unserem Kulturkreis gewähren lassen.
Im Gegenzug ein Blick in den Jugendhilfeplan der Stadt - gemacht für die
deutsche Jugend und seine BetreuerInnen. Unter dem Stichwort
internationale Jugendarbeit ergeht dort folgende Weisung an alle,
die von der öffentlichen Hand gefördert werden möchten:
Internationale Jugendarbeit muß so gestaltet werden, daß
Jugendliche kulturelle Unterschiede wahrnehmen und verstehen, eine Akzeptanz
gegenüber den kulturellen Eigenarten, Werten und Normen aufbauen,
unterschiedliche politische, gesellschaftliche und kulturelle Gegebenheiten
erkennen. Führwahr läßt sich davon ausgehen, daß
die Mörder von Achmed Bachir all dies beherzigt haben und genau daraus die
Konsequenz ableiteten, die kulturelle Eigenart ihres Opfers habe hier nichts verloren.
Umso unverhohlener sich in dieser Stadt mittels geschichtsträchtiger Orte
und Persönlichkeiten in eine historische Kontinuität gestellt wird,
desto intensiver ignoriert und verschweigt man die daraus entspringende
Kontinuität im alltäglichen Leben - macht sie also durch
Herausfilterung störender, imageschädigender Aspekte geschichtslos.
Das war zu DDR-Zeiten in dieser Stadt nicht anders. Niemand etwa nahm
Anstoß an einer Fichte-Straße, einer Friedrich-Ludwig-Jahn-Allee
oder einer Arndt-Straße, die natürlich alle auch heute noch so
heißen. Kaum anders ging es zu, als das ehemalige Reichsgericht wieder in
Reichsgericht umbenannt wurde. Niemand störte sich auch in diesem Fall
daran, daß sich ohne Umschweife dieser unsäglichen Tradition bedient
wurde. Man sollte eigentlich annehmen, der Auftritt Freislers gegen Dimitroff
hätte dies für alle Zeit unmöglich gemacht und man hätte
gar vermuten können, daß Dimitroff dem Image der Stadt gar eher
zuträglich wäre. Aber nichts dergleichen ist eingetreten. Dafür aber das:
Der völkische Nationalist und strikte Antisemit, Carl Friedrich Goerdeler,
Ehrenbürger der Stadt, genießt in der Leipziger Bevölkerung als
Beispiel für einen moralisch sauberen Deutschen ungetrübtes Ansehen.
So auch in weiten Kreisen der hiesigen PDS-Anhängerschaft, die
darüberhinaus lediglich zu den Goerdeler-Gedenk-Ritualen dieser Stadt ein
eher taktisches Verhältnis entwickelt hatte, um damit die Umbennenung des
Georgi-Dimitroff-Platzes als Symbol des zu DDR-Zeiten übergestülpten
Antifaschismus zu verhindern. Wie auch kaum anders zu erwarten, mißlang
dieses Pokerspiel zum Glück gänzlich, so daß Georgi Dimitroff
posthum erspart bleibt, seinen Namen als Vorhof-Kennzeichnung des Reichsgerichtes wiederzufinden.
Schmerzlich ist das vor allem für die staatsverliebten demokratischen
SozialistInnen, die wieder ein Stückchen DDR flöten gehen sehen und
ihren praktischen Antifaschismus allzugerne in derlei sozialistischem
Monopoly-Spielchen um Straßennamen und Namensschilder erschöpft
sähen. Geblieben aber ist der Fakt, einen - bei aller angebrachten Kritik
der Dimitroffschen Faschismusdefinition - Antifaschisten gegen einen
widerlichen Antisemiten aufzurechnen, und dabei um die Gunst zu buhlen, wenn
schon AntisemitInnen geehrt werden, auch AntifaschistInnen nicht zu kurz kommen zu lassen.
In diesen Kontext stellt sich dann auch, was sich in der PDS-nahen Zeitung
Leipzigs Neue lesen lassen muß. Anläßlich eines
Antifa-Wochenendes in Leipzig 1994 steht dort als Motiv für
Antifa-Aktionen folgendes Ziel formuliert: Handelnde für ein
sauberes Deutschland, ein Deutschland, dessen wir Deutschen uns nicht
schämen müssen. Ungefähr ein Jahr später
erläutert die Landtagsabgeordnete der PDS, Monika Runge, in demselben
Blatt anläßlich einer Antifa-Demo in Wurzen, daß
wirksamer Antifaschismus sich nicht auf leere, kontraidentische, Gegen- bzw.
Anti-Haltungen reduzieren lassen darf. Was mit dem Topos
kontraidentisch gemeint ist, erläuterte dann der Historiker
Prof. Werner Bramke auf einer Diskussionsveranstaltung in Grimma wegen der
Auseinandersetzungen um eine Antifa-Demo in Wurzen. In Leipzigs Neue
stand das so: Werner Bramke, Mitglied des Landtages, betonte
ausdrücklich, für antifaschistische Demonstrationen zu sein,
allerdings: Wer Nazis Raus rufe, der sei sprachlich nicht weit von
der Forderung nach einem judenfreien Deutschland entfernt.
natürliches Gesetz in Deutschland sich des Fremden vergewissern BILD vom 23.09.1997 |
Scheinbar beflügelt von Victor Klemperers LTI paart sich die
unendliche Suche nach einem Antifaschismus ohne Antihaltung mit der direkten
Denunziation antifaschistischer Aktivitäten. Denn was da nach wie vor im
Kopf rumspukt, ist die Ursächlichkeit von Rassimus als Folge sozialer
Verelendung; nach dem Motto: Mehr Arbeitsplätze und mehr Jugendclubs
lassen den Rassimus und die Nazis verschwinden. Schade nur, daß diese
Auffassung inzwischen selbst durch den Sächsischen Innenmimister Hardraht
konterkariert wird. Der nämlich offenbarte vor einigen Wochen seine
Erleuchtungen der Öffentlichkeit: Nur 16% der jungen Nazis hätten
keine Arbeit, Lehrstelle oder gingen nicht zur Schule, Geldmangel würden
sie so gut wie gar nicht kennen und überhaupt, so haben es seine
kompetenten MitarbeiterInnen im Ministerium herausgefunden, hätte
Rechtsextremismus nichts mit Arbeitslosigkeit zu tun.
Ei pardauz, wer hätte das gedacht, selbst der Spiegel haut da in
dieselbe Kerbe. Die notorische Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen nahm sich
auch des Vorfalles in Detmold mitte März dieses Jahres an. Dort hatten
Bundeswehrsoldaten eine Hatz auf alles Nicht-Deutsche gestartet. Mitgemischt
hat auch Mirko aus Leipzig. Als einziger trägt er eine Art
Irokesen-Haarschnitt, in seiner Heimat ein Signal für Punker. Zu
seiner politischen Einstellung sagt er: Zu Hause hatte ich Probleme mit
Rechtsradikalen. Daher habe ich mich eher links eingeschätzt. Er
hängt gern mit Grufties rum, beschäftigt sich mit Tod,
Jenseits, Magie. Müßig zu spekulieren, welch
Hirngespinste das alljährlich in Leipzig stattfindende Wave- und
Gothiktreffen tausender Gruftis aus ganz Europa bei Mirko hervorgerufen
hat. Tatsache jedoch ist, daß sich dort alljährlich in großer
Anzahl neuheidnische, Germanen-verliebte, vermeintlich neurechte
Ethnopluralisten und selbst offene AntisemitInnen und RassistInnen
nicht nur zur Schau stellen, sondern fett ihren Scheiß propagieren.
Anstoß nimmt daran niemand. Und so tönt es dann auch unisono vom
Nazi-Blatt Junge Freiheit über Leipzigs Neue bis zur
meistgelesensten Leipziger Volkszeitung, was für eine tolle
schräge Jugendkultur das doch sei.
Der sicherheitspolitische Sprecher der Sächsischen PDS-Landtagsfraktion,
Hans Jürgen Mertha, läßt sich natürlich ebenfalls nicht
beirren. So stellt er dann auch fest: Die Hinwendung zu rechten
Ideologien und autoritären Haltungen kann als eine Kompensation von
Verlusten und als Antwort auf Desintegrationsprozesse begriffen werden.
So ist das nun mal, werden die Bielefelder Jugendforscher um
Wilhelm Heitmeyer angesichts solcher Zeilen frohlocken, schließlich haben
sie schon vor einigen Jahren ausgetüftelt, was landauf-landab zur hohen
Schule der Sozialarbeit erklärt wird - die akzeptierende
Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen. In Leipzig insbesondere für
die Plattenbau-Jugend von Grünau angewandt. Im dortigen Freizeitzentrum
Kirschberghaus tummeln sich dann auch die jungen Nazis - inmitten
freundlicher Nazi-Propaganda an den Wänden. Die guten staatskonformen,
antitotalitär geschulten SozialarbeiterInnen des Freizeitzentrums
erklären das wie folgt: Ziel des Projektes zur Betreuung dieser
rechten Cliquen ist es, eine allgemeine Ausgrenzung dieser
Jugendlichen zu verhindern, selbst Toleranz zu praktizieren und damit auch bei
den Jugendlichen Toleranz zu fördern und Radikalismus
entgegenzuwirken. Auch im nahegelegenen Jugendclub
Völkerfreundschaft - welch wirklich toller Name mit Bestand
seit DDR-Zeiten - preist die Leiterin der kommunalen Einrichtung, Elisabeth
Luboch, die Nazi-Hofiererei: Unter anderem konnten wir gewaltbereite
rechtsgerichtete Jugendliche in unsere Projekte integrieren. Die können
unsere Proberäume uneingeschränkt nutzen, selbst Instrumente haben
wir hier. Das Szenario ist in beiden Fällen dasselbe. Getreu dem
akzeptierenden Ansatz kitzelt man auch noch beim letzten
schwankenden Kid die rechte Einstellung heraus, um sie zu akzeptieren. Dann
läßt man sie wachsen und gedeihen bis die Nazis bestenfalls
feststellen, daß es auch ohne Partei und andere Organisationen Spaß
macht, Nazi zu sein und schon gehören sie nicht mehr zur - wie sie sagen -
rechten Szene, sondern sind gereifte deutsche
Persönlichkeiten. So bekämpft man eben den sogenannten
Rechtsextremismus, den der Ausländerbeauftragte dieser Stadt,
Stojan Gugutschkow, erst gar nicht wahrnimmt. Gegenüber dem Neuen
Deutschland erklärt er auf Anfrage anläßlich des Mordes an
Achmed Bachir, es existiere glücklicherweise keine nennenswerte
rechtsextremistische Szene und auf das Opfer des rassistischen Mordes bezogen:
Es hätte auch irgendeinen Deutschen treffen können. Sein
Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube, bei dem Gugutschkow in Lohn und
Brot steht, ergänzt ihn dann anläßlich des geplanten
Naziaufmarsches am ersten Mai gegenüber der Leipziger Volkszeitung:
Ein rechtsextremes Potential ist mir hier nie begegnet. Diese Stadt hat
eine ausgesprochen weltläufige und demokratische Atmosphäre.
Wohl wahr, die herrscht hier tatsächlich. Auch die linke Zeitung
Leipzigs Neue geht bei soviel Weltbürgerlichkeit in die
Grätsche. Einzig und allein ihrem Leserklientel verpflichtet, wagt sie in
einer 95er Ausgabe einen selbst so betitelten Spagatversuch, um,
wie sie schreibt, junge und ältere Linke für eine gemeinsame
Sicherheitspolitik zu gewinnen. Und das liest sich dann so: Aber
wie viele, auch linke Mitbürger, zucken allein schon zusammen bei dem
Begriff alternatives Wohnen. Sie sehen Chaoten, die womöglich
ihre Lebensmittel zusammenklauen, die in zerrissenen Jeans, mit verwegenen
Frisuren und Silberknöpfen in der Backe herumlaufen - und dann auch noch
die schönen frischgetünchten Häuser mit ihren Krakeln
vollsprühen. Kurz - mancher Mitbürger fordert mehr
Polizeipräsenz, um dem Spuk eine Ende zu machen. Aber nicht alle
appellieren an das staatliche Gewaltmonopol. Als zum Beispiel zwei Punks in
einer Schülerzeitung die Zustände in ihrer Schule, dem
Brockhaus-Gymnasium im Stadtteil Mockau, bennenen und auf den dortigen Terror
der Nazi-SchülerInnen verweisen, greift der Schul-Direktor Otto durch.
Nein, nicht gegen die Nazis - er verbietet kurzerhand die betreffende Ausgabe
der Schülerzeitung. Wie soll er auch zulassen, daß diese
lächerliche Minderheit von Punks eine ganz normale, ordentlich
funktionierende Schule in Mißkredit bringt. Als im Vorfeld des ersten Mai
dieses Jahres PDS-MitgliederInnen im Stadtteil Reudnitz Plakate mit der
Aufschrift Hier ist kein Platz für Nazis kleben und dabei von
mehreren Nazis mit Baseballschlägern zusammengeschlagen werden, ermittelt
die Polizei großspurig, um dann der Öffentlichkeit mitzuteilen,
daß der brutale Überfall - wie sie in solchen Fällen immer zu
sagen pflegen - keinen rechtsextremistischen Hintergrund hatte. Was
tut es da schon zur Sache, wie die Opfer den Angriff erlebten. Die nämlich
behaupten das genaue Gegenteil.
Und überhaupt, mit den Opfern hier, das ist so eine Sache. Als am 8. Mai
1996 - welch zufälliges Datum wahrscheinlich - Bernd G. an der
Bushaltestelle in Leipzig-Wahren auf die Weisung Hau ab, du schwule
Ratte, dreier wohlerzogener Deutscher nicht reagiert, muß er dies
mit dem Tod bezahlen. Selbst als die BILD ihre Leser aufklärt -
Sie schlugen ihn tot - weil er schwul war - passiert nichts in der
Öffentlichkeit. Niemand äußert sich dazu. Warum, das gab
bereits vor Jahren der zuständige Kommissar Schmidt vom Dezernat Raub
bekannt: Schwule leben von Haus aus gefährlich und das Motiv
der Täter, die, wie es so heißt, Schwule klatschen
gehen, ist sowieso nur Geld. Wer es also bisher noch nicht gewußt hat, wo
das meiste Geld zirkuliert, jetzt wissen wirs.
Eine Koryphäe unter den Leipziger demokratischen Linken ist Maxi
Wartelsteiner. 1995 veröffentlichte sie ein Buch über Walter S., der
aufgrund seines Schwulseins von den Deutschen ins KZ gesteckt wurde. Auch sie
verkündet dort ihr Verständnis von Differenz zwischen den
Normalen und den Andersgearteten: Das Schwulsein, meint
Frau Wartelsteiner ist ganz einfach eine erotische, genetisch bedingte
Veranlagung. Und überhaupt schöpft Frau W. aus dem reichen
Fundus deutscher Sekundärtugenden. Auf einer Veranstaltung
anläßlich der Veröffentlichung ihres Buches wollte ein Gast von
ihr wissen, ob in der DDR alle ehemaligen KZ-Häftlinge eine Ehrenpension
erhalten hätten. Darauf Frau Wartelsteiner: Ja, aber was die
Kriminellen angeht, die mit dem grünen Winkel, da will ich doch hoffen,
daß sich da nicht einer durchgemogelt hat.
Mit Vorliebe gedenkt man in Leipzig der von den Deutschen ermordeten Juden mit
Kerzen in der Hand. Welche Symbolkraft man daraus zieht, mit brennenden Kerzen
von der Nikolaikirche aus kommend vor einer der niedergebrannten Synagogen in
der Gottschedstraße zu verharren, bleibt uns nicht verborgen. Die Rituale
der deutschen abendländischen Kultur offenbarten auch seinerzeit
genügend Toleranz, als die Leipziger Juden zur Deportation und
anschließenden Vernichtung im Flußbett der Parthe zusammengetrieben
wurden. Heutzutage vermißt man die Juden in Leipzig. Das führende
Stadtmagazin Kreuzer weiß beispielhaft, warum. In der 95er
Januar-Ausgabe reicht das sogar zum Titelthema Das Leben im
Abendland. In Leipzig, nach dem Willen der
Stadtväter eine weltoffene Stadt ohne spießiges
Provinzlertum, wäre es sicher auch angemessen, an die Eröffnung eines
jüdischen Restaurants oder mehrerer koscherer Läden zu denken.
Die Begründung folgt auf dem Fuß: Der Stadt ist das schlechte
Gewissen abhanden gekommen. Und so ergründet die Autorin Ulrike
Dannert ohne Umschweife, welchen Nutzen die Juden aus dem Osten, aus
Kiew, St.Petersburg, Moskau und Tadschikistan, wie sie schreibt, für
die deutsche Volksgemeinschaft haben könnten. Die Ballettmeister,
Optiker, Uhrmacher, die jüngeren Leute mit Doktorgrad und
Informatikkenntnissen könnten doch, weil sie Juden
seien, ebenjene jüdischen Gatsttätten und Läden eröffnen:
So könnte vielleicht das Arbeitsplatzproblem für einige
sinnvoll gelöst werden. Damit aber ja kein Zweifel aufkommt, was in
den Gehirnen der Juden herumspukt, endet der Beitrag so: Rolf
Isaacsohn, Mitglied der winzig kleinen jüdischen Gemeinde in Leipzig, wird
von der Autorin danach befragt, wie er sich denn das denkt mit jüdischen
Läden und Gaststätten in Leipzig. Und um ja allen Assoziationen
freien Lauf zu lassen, schreibt die Kreuzer-Journalistin dann:
Herr Isaacsohn lächelt auf eine diesbezügliche Frage und tut
diesen Gedanken mit einem einzigen Wort ab: Geld. Ja, so wird
das wohl gewesen sein im Interview.
Noch einen Zacken direkter brachte es der Leipziger
Sozial-Pädagogikstudent und Tierschützer Ray H. auf den Punkt. Er
schrieb an den Zentralrat der Juden in Deutschland, was er über
die Juden weiß und denkt: Quälen und
Schächten der Tiere grenzt an mittelalterliche Barbarei. Man will
quälen, ergötzt sich an der Qual wehrloser Geschöpfe. Ob
er das wortwörtlich aus NS-Propagandamaterial abgeschrieben hat, entzieht
sich leider unserer Kenntnis. Der Sprachduktus jedenfalls ist wahrlich mehr als
adäquat. Aber Ray H. meint es ja sicherlich nur gut - für die Natur
und seine Wesen. Genauso, wie die Leipziger alternativen
AuenwaldschützerInnen, die desöfteren unter Tränen
zusammenbrechen, wenn sie gemeinsam das Lied vom toten Baum als Freund
intonieren. Dann schaukeln sie sich gegenseitig wieder hoch, veranstalten
Fahrradtouren der Betroffenheit und erklären der
Öffentlichkeit, welch hohes Maß an Lebensqualität und
Identität mit dem deutschen Wald verbunden werden kann. Mit Verlaub,
eine Straße durch den Auenwald würde die Anfahrtszeit zum Schutz des
Grünauer Flüchlingsheimes vor Angriffen des deutschen Mobs immens
verkürzen - also nichts wie her mit der neuen Straße!
Aber mit der Umwelt hat man es auch in Leipzigs linker Alternativ-Szene dicke.
Das reicht von der Organisation der alljährlichen Ostermärsche als
Spazierfahrten durch unsere schöne Heimat bis zu den
regelmäßigen Anti-Atomstestdemos mit großem Zuspruch. Bei
letzteren kommt es auch schon mal vor, Jaques Chirac frankophob als den
Wahnsinnigen von Paris zu bezeichnen oder daß sich Leipzigs
Grünen-Youngsters kollektiv am Eingang zum französischen Konsulat
festketten und Märtyrer für die Natur spielen. Ein als natürlich
begriffenes Gesetz in Deutschland ist auch, sich des Fremden zu vergewissern,
um eine Halluzination von einer eigenen deutschen Identität zu bekommen.
In Leipzig gibt es da so einige der Volks-Gemeinschaft nützende Vereine.
Gebündelt treten diese immer zu den alljährlichen
interkulturellen Wochen an. Und zufälligerweis beginnen diese
Heute, am Tag unserer Veranstaltung. Im Veranstaltungsprogramm weist dann der
OB Lehmann-Grube zusammen mit dem Supterintendenten Johannes Richter nochmals
für alle Fälle die Richtung. Die Kenntnis von fremden
Kulturen, so schreiben sie, müsse als Zeichen dieser Art
erkennbar werden und sichtbar bleiben. Auf die Fahnen geschrieben haben
sich das so einige. Beispielsweise der World Family e.V.. In einer
Selbstdarstellung heißt es: World Family vereint 120 Studenten und
ausländische Mibürger aus rund 20 Ländern, deren Kultur in
Liedern und Tänzen in jahrelanger fleißiger Arbeit von den
Ensemblemitgliedern gepflegt wird. Auch eine Regionalgruppe der
Gesellschaft für bedrohte Völker e.V. existiert in
Leipzig. Die Gesellschaft für das bedroht Völkische, wie unsereins
diesen Kriegshetzer-Verein nennt, stellt sich selbst so dar: Die Gesellschaft
ist die einzige Menschenrechtsorganisation im deutschen Sprachgebiet, die
für die Rechte von ethnischen Gruppen und religiösen Minderheiten
eintritt. Sie bekämpft kulturellen (Ethnozid) und physischen
Völkermord (Genozid).
Im Mai 1992, als die Pogromstimmung der Deutschen etwas ungeregelt daherkam,
veröffentlicht der damalige Kolumnist des Stadmagazins Kreuzer,
Nikolaus Schneider, einige Gedanken, die der Leserschaft des Kreuzers in
keinsterweise Unbehagen bereiteten. So schreibt er: So wie der Mensch
konstruiert ist, muß das massenhafte Zerstören von Vertrautem hier
wie da zu Ablehnung und Mißtrauen führen. Was wir also
gegenwärtig erleben, daß die Menschen ihnen Fremdes ablehnen, ist
normal und hätte eigentlich vorausgesehen werden können. Hier sollte
angefangen werden: Beim Bewahren dessen, worauf sich ein gesundes
Selbstbewußtsein gründet. Solchen Dreck hätte vermutlich
Goebbels nicht besser formulieren können. Doch Anstoß, wie schon
gesagt, hat daran niemand genommen. Schließlich finden sich in dem
Stadtmagazin beispielsweise genügend Inserate von Kneipen, Clubs und
Gaststätten, in denen der Einlaß nur Deutschen gewährt wird.
Das fand man erst letztlich in einer gemeinsamen Aktion von Ordnungsamt und
Referat ausländischer Studierender heraus. Ergebnis: In jeder
fünften Kneipe gewährt man ausschließlich Deutschen
Einlaß. Getrieben wurde das Unterfangen, wie so immer, einzig und allein
von der Sorge um das Image der weltoffenen Messestadt. Um die Opfer
von derlei Türpolitik schert man sich letztlich einen Dreck.
Das alles funktioniert dank eines praktizierten Wechselspiels von
Kontinuität und Geschichtlsosigkeit. Und so freut sich auch die
Leipziger Volkszeitung auf ein in zwei Jahren eröffnendes Museum
über die DDR folgendermaßen: So wie vor einem halben Jahr
Dokumente über Wehrmachtsverbrechen München in helle Aufregung
versetzten, so konfrontiert in Leipzig künftig das Museum über die
DDR seine Besucher mit unbequemen Ansichten der eigenen Vergangenheit.
Erstaunlich ist, wie sehr man in einem solchen Fall auf geschichtsträchtig
macht. Als 1994 in Leipzig das Pilotprojekt zur Zwangsarbeit als Arbeit
statt Sozialhilfe gestartet wurde, gab es nicht eine Stimme, die eine
Parallele zum Reichsarbeitsdienst ausgemacht hätte. Dabei
heißt es in einem von der Stadt Leipzig herausgegebenen Faltblatt zur
Anpreisung des Zwangsarbeitprojektes u.a.: Arbeiten statt einfach nur
Sozialhilfe zu beziehen, denn, Arbeiten ist mehr als Geldverdienen. Arbeit
stellt für Menschen mehr als nur die Grundlage für die
Erwirtschaftung ihrer existentiellen Grundbedürfnisse oder sogar eines
gewissen Wohlstandes dar. Ja, und das mit der Fetischisierung der Arbeit
haben auch die Aktivisten des zum Verständnis zwischen Deutschen und
Ausländern arbeitetenden Projektes Felsenblume
begriffen. Die Ausländer, so meinen sie, seien
ausschließlich tüchtige Leute und sie wollen lernen, arbeiten
und zum Wohl der Gemeinde tätig sein. Wehe ihnen aber, sie sind es
nicht. Wie die Serben zum Beispiel. Dann kündigt man ihnen die
Freundschaft und ruft stattdessen zu eindrucksvollen Mahnwachen.
Wie der Leipziger Flüchtlingsrat im Sommer 1995. Zusammen mit
Flüchtlingen aus Ex-Jugoslawien, die sich selbst als Bosnier begreifen,
wetterte man an diesem Tag gegen die serbische Aggression und
moniert das hilflose Zusehen der internationalen Gemeinschaft.
Diese Aktion des Flüchtlingsrates e.V jedoch ist folgerichtig. In ihrer
Satzung steht es schwarz auf weiß: Zweck des Vereins ist die
Förderung der Völkerverständigung.
Das alternative Reinheitsgebot für ein Leben in der
vermeintlichen Nische verzückt so manchen Ex-Revoluzzer auf der Scholle
Connewitz. Dort lassen sich dann so allerlei Nettigkeiten organisieren:
folkloristische Reggae-Partys und Benefiz-Konzerte oder Musik-Sampler für
die Zapatistische Armee der nationalen Befreiung zusammenstellen.
Diese vermeintlich linke Szene ist tatsächlich nicht mehr in der Lage, das
Ausmaß der hiesigen rassistischen Zustände wahrzunehmen. Vielmehr
fördert sie diese durch Passivität und Anerkennung.
Auch die Linksradikalen Leipzigs fühlen sich dort wohl. Deren notorische
Reflexe auf antinationale Positionen sollen hier nicht unerwähnt bleiben.
In der autonomen Szenezeitschrift Klarofix vermerkt ein A.R. zum
Stichwort deutsche Sonderrolle: Sonderrolle - wir deutschen
Linken sind also etwas besonderes! Er nennt es weiter hinten in seinem
Artikel Germanozentrismus, was von antinationaler Seite
festgestellt wird. Und so motiviert schwingt der Autor sich auf, jegliche
konstruierten Kollektiv-Identitäten zu verteidigen: Und dieses
Wir-Gruppen-Bewußtsein ist nicht nebensächlich oder eine
Konzession an verirrte Völkerschaften, die für sich das
Selbstbestimmungsrecht a la UNO-Charta einklagen, sondern ein
zentraler Aspekt, wenn wir z.B. über bosnische Muslime sprechen.
1993 machte in Leipzig das Polit-Kultur-Spektakel Etwas besseres als die
Nation halt. Anläßlich dieser Veranstaltung
äußerten sich auch Gruppen und Einzelpersonen aus Leipzig, die sich
eher als linksradikal begreifen. So Hanna Kahina in ihrem Beitrag
autonome Flüchlingshilfe. Sie begegnet aller antinationalen
Postionierung wie folgt: Welche/r den grünen Paß als
unerträgliche Bürde empfindet, sollte ihn abgeben und sich einreihen
in das Heer von staatenlosen PalästinenserInnen, KurdInnen,
AlbanerInnen und sonstigen, denen bisher jegliche Staatsbürgerschaft
verwehrt oder die einfach irgendwo ausgebürgert wurden.
Auch die Projektgruppe DRUCK macht in ihrem Papier mit dem
Titel: Differenzen positiv bewerten deutlich, wie sehr die
Volksverliebtheit verinnerlicht wurde: Da wir der Idee einer
revolutionären Elite sehr skeptisch gegenüberstehen, ist es
essentiell, daß wir für breite Bevölkerungsschichten
transparent und zumindest potentiell offen bleiben. Reine Opposition
erfüllt zwar dieses Kriterium, ist aber weder befriedigend noch eine
Alternative zur faschistischen Bewegung. In einem weiteren Text mit dem
Titel Wir vermissen Lösungsansätze wird man dann noch
etwas deutlicher: Wenn unsere Initiativen und Projekte direkt ins
öffentliche Leben eingreifen und Positives bewirken, dann könnten
gerade hier im Osten ziemlich starke linke Aktivitäten entstehen, denn die
linken Utopien stecken noch in vielen Leuten.
Mit diesen Utopien wollen wir jedoch dann lieber nichts zu tun haben. Den Muff
von tausend Jahren, den die DDR ungestört fortleben lassen konnte,
brauchen wir ebensowenig wie die anbiedernde Volksoption. Der deutsche Konsens
besteht bei allen erwähnten Beispielen in der konstruierten
Identität, daß das Fremde zur Konstituierung eigener, deutscher
Kollektivität benötigt. Daraus entspringt der mörderische
Wahnsinn, ohne den Achmed Bachir heute noch leben würde. Deshalb zum
Abschluß nochmal an alle vorgehend Zitierten und Erwähnten: Ohne
Euch wär das nicht passiert! Antinationale Gruppe Leipzig |