home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[37][<<][>>]

Die Dekade Napalm Death.

Es ist ziemlich genau zehn Jahre her, als in der britischen Hardcore-Szene eine neue Musik entstand. Die Fusion zwischen extrem schnellem Grindcore mit seiner anarchistischen Attitüde und dem oft nicht weniger temporeichen, jedoch sehr viel düsteren Death Metal mit seinen inhaltlichen Bezügen zu Splatter, Tod und Teufel, führte zu einem Ergebnis auf das sich in vielen Fällen Metaller und Coreler einigen konnten. Zur Institution, ja Definition jener „Novelty Sounds“ wurde und wird auch heute noch - nachdem der Stillstand auch in diesem Musikbereich dem anfänglichen Innovationsschub folgte - Napalm Death erklärt.

napalm death, 8.4k
Sie wurden einst als schnellste Band der Welt gehandelt und der dieser Art oft kolportierte sensationelle Anschein trug nicht wenig zu ihrem Erfolg bei.
Napalm Death waren schneller groß als gedacht – glaubten doch auch die fanatischsten Liebhaber eine an sich nicht goutierbare Musik zu hören. Doch auch ihr Weg führte von der Peel-Session über das britische NME in alle anderen renomierten Popmagazine, auch in die Spex und natürlich in den Rock Hard etc. (und somit sukkzessive zu einer breiteren Käuferschicht). Und trotzdem läßt sich der Erfolg der Band gerade in der Metal-Szene am Ende nur als verzerrte und beschränkte Wahrnehmung verstehen. Selbiges gilt für eine ganze Reihe von Grindcore-Legenden, die im Sog von Napalm Death auch noch im letzten deutschen Kuhdorf rezipiert wurden, sich zwar oft auch über musikalische Anleihen hinaus an Metalbands orientierten, immer aber aus einem politischen Anarcho-Indie-Kontext heraus agierten. Im Spex feierte man die angebliche „Verbindung aus der proletarischen, oft hoffnunglosen, eskapistischen und zuweilen reaktionären Erfahrung des Metals und dessen Radikalisierung im Laufe der letzten Jahre mit der kleinbürgerlichen, ökologischen, feministischen, linken Erfahrung des fortgeschrittensten, britischen Hardcore anarchovegetarischer Prägung in der siebten bis neunten Generation.“ Euphorisch analysierte der Autor, Diedrich Diederichsen, damals (1989) einen neuen „Ort/Stil/Punkt (...,) von wo aus (...) die Herrschaft der Vernunft auf die krassest denkbare Weise“ attackiert werden könnte und sah aus der zugespitzten Grindcore/Death-Metal-Entwicklung den „wichtigsten Wert jeder „heutigen Jugend“ – „Unversöhnlichkeit“ – aufs neue entstehen. Zwei Jahre später standen in Deutschland neben Faschoglatzen und Rassisten ohne besondere Kennzeichen auch auffallend viele Metaller vor brennenden Flüchtlingsheimen und als unversöhnlich erwies sich in dieser Zeit nur ihr Rassismus. Bands wie Carcass, Electro Hippies, Terrorizer, ja selbst Sore Throat, alle mit eindeutig linker Attitüde und linkem Backround konnten auch in diesen Kreisen ohne weitere Identifikationsprobleme weiter gemocht werden. Und auch Napalm Deaths Coverversion von „Nazi Punks Fuck Off“ ließ die Band keinesfalls für rechte Jugendliche mit Vorliebe für harte, schnelle Musik ungenießbar werden. Daß die Band mit der Morrisound-Produktion von „Harmony-Corruption“ (1990) mehr in Richtung Death Metal tendierte, damit für eine Szene relevanter wurde, die statt eindeutiger politischer Codierung sowieso esoterisches Gedankengut bis hin zur faschistoiden Provokation verbreitete und es das Metal-Magazin „Rock Hard“ hierzulande immer sehr erfolgreich schaffte, den Kontext von Bands und ihrer Musik auf oberflächliche Stil-Fragen zu reduzieren, mag ein Teil der Erklärung sein. Generell jedoch verloren Bedeutungen und Symbole der Jugendkultur im Schein der Flammen von Rostock-Lichtenhagen ihren bis dahin quasi-automatisch attestierten Hauch von Dissidenz und Subversivität. Der mit dem „Ich bin stolz Deutscher zu sein“-Aufnäher geschmückte Metal-Fan, der bei den Reaktionskonzerten Einlaß begehrt – einer Konzertreihe, die von Leipziger Anarchos organisiert wurde und die mit ihren Veranstaltungsflyern, ihren vor den Konzerten stattfindenden Ansprachen, der Auswahl der Bands usw. von schon fast übercodiert „links“ wirkte – war da nur ein weiteres Mosaiksteinchen in den unzähligen Beobachtungen, die den „Zusammenbruch aller Ideen von Rebellion und Dissidenz, so wie sie in Jugendkulturen aufgehoben waren“ (Diederichsen, 1993) signalisierten.
Während sich in der Wahrnehmung und Bedeutung von Musikstilen allerhand änderte, blieb bei Napalm Death eher alles beim alten. Abgesehen von innovativen Projekten (Carcass, Scorn, Godflesh), die von ehemaligen Bandmitgliedern mitgetragen wurden, passierte da nicht mehr viel aufsehenerregendes. Sie verblieben bei ihrem alten und ersten Label „Earache“ und ihren explizit politischen Texten, sie veröffentlichten Platten, die die Gratwanderung zwischen Death-Metal und Grindcore, wie sie ihn mit ihren ersten LPs (Scum, 1987/ From Enslavement to Obliteration, 1988) prägten. Sie sind die Legende, die es versäumt hat abzutreten und sich deswegen praktischerweise ein Revival erspart. Ihre Epigonen tingeln heute noch durch die letzten autonomen Jugendzentren.
Die linke Utopie, die auch von ihnen so energisch transportiert wird, ist schon lange dem „Mainstream der Minderheiten“ und hierzulande besonders den Nazis zum Opfer gefallen. Das Original verteidigt seinen Ruf, obwohl es das schon lange nicht mehr müßte, bei uns. ulle


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[37][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007