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review-corner, 1.6k

Geronimo:

»Glut und Asche.
Reflexionen zur Politik der autonomen Bewegung«

UNRAST-Verlag, Münster 1997, 245 S.

, 0.0k

„Antagonistische Praxis, die sich selbst nicht diskutiert, hat keine Chance, die gesellschaftliche Isolation zu durchbrechen. Wo nur begriffslose Zerstörung stattfindet, ist der faktischen Entwaffnung die politische vorausgegangen.“

Zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung des ersten Teils von Feuer und Flamme hat Geronimo geschrieben: „Was wir brauchen, ist die unbeugsame rebellische Subjektivität von vielen großzügigen und zugleich liebenswürdigen Tätern und Täterinnen ihrer eigenen selbstbewußt gemachten Geschichte.“ Im zweiten Teil hat er versucht, die Vision eines reichen, generationsübergreifend bewegten Alltag von kontinuierlichen Neuanfängen zu skizzieren, die frei von allen Formen des Zynismus sind. Rund ein halbes Jahrzehnt später möchte er diesen naiven Bemerkungen die Bekräftigung des Wunsches nach Gesellschaftsveränderung sowie den brisanten Gedanken hinzufügen, daß es in unserer tätigen Lebenspraxis darauf ankommt, einen Kampf für weltweit egalitäre Verhältnisse zu führen, in denen mann und frau, und damit ein konkretes, nicht „vermanschtes“ wir endlich frei von Furcht, verschieden und doch glücklich miteinander sein können. Dieses Buch „Glut und Asche“ ist sowohl als Fortsetzung wie auch als eine Art Abschluß der beiden von Geronimo in den Jahren 1992 und 90 publizierten Feuer und Flamme Bände zu verstehen. Es geht ihm nicht mehr um Überlegungen zu einer ‘Geschichte der Autonomen’, sondern um den Begriff einer auf die Gegenwart und Zukunft gerichteten Politik einer autonomen Bewegung, die sich gegen die Trübsal der herrschenden Verhältnisse auf den Weg ins 21. Jahrhundert macht. Als Voraussetzung dafür stellt Geronimo die Trennung zwischen Privatheit und Öffentlichkeit konstitutiv für die Verfaßtheit der bürgerlichen Gesellschaft dar. Auf keinen Fall ist die ‘Privatheit’ im Kapitalismus eigentlich ‘frei’, sondern sie ist als ‘Eigentumschutzsphäre’ oder ‘Konsumsphäre’ politökonomisch überformt von den staatlich regulierten Reproduktionsbedingungen des Kapitals. Auf der anderen Seite werden Leute, politisch betrachtet, von der Öffentlichkeit in die Privatheit abgedrängt, um sie öffentlich mundtot zu machen, d.h. politisch unwirksam zu machen. Um weiterführenden Abhandlungen jedoch zu entgehen, komme ich jetzt zu den einzeln behandelten Themen des Buches. Diese Themen reichen von der NOlympia-Kampagne, der politischen Relevanz von Bad Kleinen über den Tod des Faschisten Kaindl und der darauffolgenden Solikampagnen zum Herzstück des Buches über den Autonomie Kongress.
cover, 9.7k Zur NOlympia-Bewegung will ich nur auf den zukunftsweisenden Verdienst für sich selbst und den in Berlin lebenden Menschen verweisen. Laut Geronimo wurde damit der Brutalisierungsschub der Stadtentwicklung für den Rest dieses Jahrtausends in einem wichtigen Punkt ausgebremst und so in seiner Wucht abgemildert. Womit allerdings nur eine Verzögerung der Entwicklung erreicht wurde. Es drängt also auch weiterhin nach innovativer, zukunftsweisender Arbeit von Autonomen. Besagte Arbeit steht und fällt schlicht mit der Fähigkeit von Autonomen, sich in Zukunft in dem, was sie denken und tun erneut zu einer radikalen praktischen Kritik an den herrschenden Vorstellungen der Lohnarbeit, des Zeitregimes, des Kultur-, des Raum- und des Körperverständnisses durchzubeißen.
Zur politischen Relevanz von dem Ereignis in Bad Kleinen möchte ich lediglich zitieren: „...erhielt deshalb eine ganz andere Relevanz, weil sie zu diesem Zeitpunkt in keinen gesellschaftlichen Erwartungshorizont mehr hinein paßten.“, mehr ist, finde ich, nicht dazu zu sagen. Ganz anders jedoch die politische Auswirkung durch den Tod des Faschisten Kaindl auf die autonome Bewegung, welche durch den Vorwurf des Mordes hochstilisiert werden konnte. Geronimo führt den Beweis, nach dem es offenkundig ist, daß mit dem Vorwurf des Mordes gegenüber AntifaschistInnen der ganzen Bewegung die Legitimtät ihres Anliegens abgesprochen werden sollte, da sie insgesamt eine potentielle Mörderbande sei, im Sinne der bürgerlichen Gleichung: „Linksextremismus gleich Rechtsextremismus“. Zum Abschluß dieser Rezension möchte ich noch einige Abschnitte zum Autonomie-Kongress partiell erwähnen. Zum Disfunktion des Kiezes-Thema beleuchtet der Autor, Bezug nehmend auf die Organisation des Kongresses, das Paradox eines Kiezes, á la „Ab irgendwann wurde, vielleicht auch durch Einfluß der Massenmedien, so etwas wie ein ‘Mythos Kiez’ komponiert, was immer auch eine Enteignung direkter Kommunikation und den Entzug von direkten Resonanzen zur Folge hat. Der ‘Kiez’ war plötzlich bei allen ‘Themen’ vorausgesetzt. Was einmal ein banaler lokaler Ausgangspunkt war, um in die Gesellschaft einzugreifen, wurde so zu einem bereits vorausgesetzten Endpunkt gesellschaftlicher Veränderung.“
Für erwähnenswert halte ich auch noch Geronimos Überlegungen zur Sexismusdebatte auf dem Autonomiekongress. Das Problem ist die unterschiedliche, geschlechtsspezifische Auslegung einer Mann-Frau (bzw. Frau-Mann) Beziehung. Der Wunsch nach dem Ausleben auch sexueller Begierden mit dem anderen Geschlecht ist nicht allein deshalb „verwerflich“, weil in der Tat unter den gegebenen verkehrten Verhältnissen zu vermuten steht, daß die Praxis der Sexualität eher zur patriarchalen Okkupation tendiert, als zu einer in jeder Hinsicht wilden erotischen Überraschung. Der Gegenbegriff zur Brutalität des Sexismus ist aber nur in der bloßen Notwehr der Begriff des Anti-Sexismus, in der Perspektive der Emanzipation heißt er Liebe und Respekt. Die Zuspitzung dieser Herangehensweise endet mit dem Satz: „Sofern die getrennte Geschlechter-Organisierung nicht als eine absolut vorübergehende Notwehrorganisierung verstanden wird, wird sie in eine in jeder Hinsicht antiemanzipatorische Identitätspolitik münden.“, d.h. es ist notwendig, sich als eine Geschlechtergruppe auf Notwehr zu berufen, ansonsten vermutet Geronimo eine Sackgasse in der Privatheit. Stellt sich die Frage, ob es sich bei den Begriffen ‘Anti-Sexismus’ und ‘Liebe’ überhaupt um politische Kategorien handelt? Das alles machts sowohl spannend als auch zuweilen hochdramatisch, was doch eigentlich bei längerem Nachdenken in einem ersten Vorgriff auf die Perspektive einer befreiten Gesellschaft nur inspirierend und herausfordernd sein kann. Poldi


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last modified: 28.3.2007