Thomas Schultze und Almut Gross waren und fühlen
sich immer noch der autonomen Szene zugehörig. Daß sie mit dem
vorliegenden Buch ihre Diplomarbeit zur Veröffentlichung bringen, sagt
schon einiges über den Stand der Bewegung, die in den 70er Jahren mit
radikalem Gestus gegen die bürgerlichen Werte und einiges mehr
aufgebrochen ist. Die Deskription der Autonomen im universitären Rahmen
ist ganz nebenbei ein Hinweis darauf, daß mit deren politischer
Interventionsfähigkeit auch die Attraktivität zur Neige gegangen ist,
innerhalb autonomer Strukturen seines Lebens zu fristen.
Der Schatten des Leichenbeschauers lauert jedoch bereits seit Thomas Lecorte
(Wir Tanzen bis zum Ende) und Geronimo (Feuer und
Flamme) hinter den publizistischen Einordnungsversuchen der Autonomen
durch Autonome, der Vorwurf hier nun seien Renegaten am Werk, dürfte
deshalb nur den Selbstbestimmten über die Lippen gehen, die sich seit
Jahren anspruchlos in den staatlich tolerierten Nischen mit Kleinkunst (ehemals
Subkultur) und Hobbygärtnerei beschäftigen, den Blick für
gesellschaftliche Realiäten schon lange aber verloren haben.
Wahrscheinlich wird es so weit gar nicht kommen, denn die ausgesprochene
Theoriefeindlichkeit innerhalb der autonomen Szene schützt das Buch vor
deren Kritik. Dabei geben sich die AutorInnen alle erdenkliche Mühe, den
akademischen Srachstil (jedenfalls für die Buchausgabe) nicht zu
übertreiben, formulieren leider aber auch simpel und fade wie ein
Flugblatt der AA/BO. Dagegen läßt sich zurecht einwenden, daß
es nicht in ihrem Sinn stand, Lyrik oder Pop zu liefern, und wer
regelmäßig kluge Gedanken entsprechend serviert haben möchte,
kann sich zum Glück weiterhin bei Gremlizas konkret entschädigen.
Die hier besprochenen Bücher/Hefte/Reader sind im Infoladen
im Conne Island zur Einsicht/Ausleihe erhältlich. |
Schultze/Gross enthalten sich erfrischender Argumentation und Polemik. Sie
liefern stattdessen eine zweifellos fleißig zusammengetragene Geschichte
der Autonomen, mit dem Ziel, eine kritische und reflektierte
Auseinandersetzung zu ermöglichen. Ihr offenner Versuch,
das Politikverständnis der Autonomen zu hinterfragen, ihre Theorien,
Strategien, Aktionen und Utopien zu beschreiben und zu analysieren, ist nach
eigenem Bekunden kein akademischer Abgesang, sondern Bestandteil eines
ambitionierten politischen Projekts. Mit der Vermittlung von
Erkenntnissen an jüngere Generationen ließe sich der
Widerstand entwickeln und konsolidieren und mittelfristig die
vielbeschworene rechte, kulturelle Hegemonie - forciert in den Medien, getragen
von einem völkischen Konsens und auf der Straße ausgedrückt in
rassistischen und sexistischen Attacken und Pogromen - brechen und ein Gegenpol
setzen. Woher das mittelfristig angesichts der richtigen
Analyse des völkischen Konsens, die unter anderem auch besagt, daß
sich kaum jemand, geschweige denn ganze jüngere Generationen, für die
Geschichten von alternden Linksradikalen begeistert, seine Substanz bezieht,
bleibt an dieser Stelle schleierhaft, erschließt sich dann aber schnell
aus der weiteren Lektüre. Über deren gesamten Umfang illuminieren die
AutorInnen der autonomen Bewegung eine gesellschaftliche Relevanz, die dieser
selbst in ihren Hochzeiten niemals gebürte - nichtsdestotrotz um so
ausgiebiger sich selbst aber suggerierte.
Dies geschieht im Buch keinesfalls gewollt, auch die AutorInnen bemühen
sich um die Unterscheidung von Anspruch und Wirklichkeit, sondern die
Überbewertung erfolgt über den Umweg der leider nur viel zu sanft und
spärlich angebrachten Kritik und der einseitigen Herkunft der Quellen. Der
Rückblick auf die Autonomen wird anhand ihrer eigenen Publikationen
geführt und speist sich auch aus den persönlichen Erfahrungen der
AutorInnen, was natürlich nicht völlig falsch ist, aber zu kurz
greift, möchte man wie Schultze/Gross auch Praxis, Theorien und Strategien
der autonomen Bewegung kritisieren und nicht nur beschreiben. So ist der
vorherrschende Bezugspunkt, an dem die Bewertung ansetzt, das
Selbstverständis der Autonomen und ihre Abgrenzung zu anderen Teilen der
Linken in der BRD. Dies führt unter anderem dazu, daß der Szene
aufgrund der Mobilisierungen nach Wurzen (hier schönt man in der
Chronologie, welche ein Kapitel des Buches bildet, die Teilnehmerzahl auf
8000), Gorleben und Hellersdorf eine Lebendigkeit attestiert wird, die nichts
über die realen Erfolge des politischen Engagements aussagt. Damit
unterläuft Schultze/Gross ein Lapsus, den sie ihrem
Untersuchungsgegenstand an einer Stelle des Buches selbst als
autistisches Gruppenverhalten fernab der gesellschaftlichen Realität
bei gleichzeitiger Fehleinschätzung der Relevanz, Akzeptanz oder
Richtigkeit der eigenen Meinungen vorwerfen.
Die immer sehr solidarisch gehaltene Betrachtung der Autonomen ist
auch in sich widersprüchlich und dies verwundert um so mehr, als
Schultze/Gross in einer Serie über die Autonomen in der Zeitschrift
17Cdeg. ihre Kritik prononcierter vortrugen. Zwar wird auch im vorliegenden
Buch die Unfähigkeit der Autonomen auf den nationalen und rassistischen
Konsens im wiedervereinten Deutschland zu reagieren, ihn überhaupt als
solchen zur Kenntnis zu nehmen, diskutiert, jedoch fürchtet man sich
irgenwie, zu des Pudels Kern zu kommen und dichtet gar den rassistischen
Pogromen revoltierende Momente an. Wenigstens läßt man
sich nicht herab, eine der taktischen Quintessenzen, welche Autonome z.B.
nach den rassistischen Angriffen auf Flüchtlinge in Mannheim
parolengeübt so formulierten - Ausländer sind die falsche
Adresse, haut den Politikern auf die Fresse in aller Konsequenz zu
wiederholen. Nein, auch für Schultze/Gross verbietet sich irgendwie
sozialrevolutionäre Agitation in Bezug auf rassistische Attacken des Mobs.
Die Abgrenzung bleibt aber uneindeutig und scheint nur für die schlimmste
Zeit der Pogromwelle zu gelten. Früher zum Beispiel, als die Volksmassen
in der BRD angeblich weniger rassistisch waren, scheiterten die (im Buch sehr
ausführlich und hervorragend nachvollziehbar dargesetellten) Revolten- und
Revolutionskonzepte der Autonomen auch nur an deren schlechter Vermittlung und
der einseitigen Konzentration der Autonomen auf Militanz und Subkultur. Und wie
gesagt, ist es verblüffend, daß sich in der Artikelserie der
Zeitschrift 17Cdeg. die Bewertung jenes Komplexes anders ließt: Wer
einmal die Ebene der individuellen Erinnerung an diese oder jene halbwegs
staatsgefährdente Aktion verläßt (daß es immer besser
war/ist, am Bauzaun zu rütteln, statt Petitionen an den Bundestag zu
schicken versteht sich von selbst) und sich an eine Kritik der ideologischen
Positionen der Autonomen versucht, wird rasch zu dem Ergebnis
kommen, daß es die in der Szene populären selbstverwirklichenden und
sozialrevolutionären Ansätze waren/sind, die den notwendigen
Widerstand gegen die germanische Wiedervereinigung unmöglich
machten. Der militante Reformismus versagte, als es darauf ankam, dem
Volk die Feindschaft zu erklären. Real zu tun mit den
Massen hatte die autonome Bewegung eigentlich nie. Sie zog (und
ihre Reste ziehen mehrheitlich immer noch) ihr Durchhaltevermögen jedoch
wesentlich aus der Vorstellung, im Grunde das gleiche zu wollen wie Millionen
Ausgebeutete und Beleidigte - nur eben konsequenter und militanter.
Einigermaßen unverständlich bleibt nach dem Genuß jener
Zeilen, wie im Schlußkapitel des Buches (Autonome - quo
vadis) von den selben AutorInnen ein neues sozialrevolutionäres
Konzept eingefordert wird, welches sich nun am Staat orientieren soll, um
seine nationalen und internationalen Strukturen und Funktionsweisen
herausarbeiten, um seine Anknüpfungspunkte für einen neuen Widerstand
und eine neue revolutionäre Politik entwickeln zu können. Um so
mehr als einige Seiten davor den Autonomen richtigerweise noch ihre
Staatsfixiertheit, ihre simpel-dumme Schweinesystem-BRD-Faschistenstaat-Analyse
vorgeworfen wurde, die nicht selten ausblendete, daß es unabhängig
vom staatlichen und ökonomischen Interessen eine rassistische und
antisemitische Grundlatenz in der BRD-Bevölkerung (vor und nach der
Vereinigung) gibt, die den Sozialcharakter vieler Deutscher
prägt. Man wird aus den Analysen und besonders aus den
darausfolgenden Schlüssen von Schultze/Gross nicht immer richtig schlau.
Ab und zu beschleicht einen das Gefühl, einen von Alt-Autonomen und
Antinationalen fabrizierten Sammelband zu lesen, nicht aber eine inhaltlich geschlossene Monographie.
Und auch wenn durch diesen diffusen Charakter kein einziger Mythos der
autonomen Szene so auseinandergenommen wird, wie es ihm gebührt, weder der
von der Revolution, auch nicht der vom Viertel und der von der Militanz gleich
gar nicht, läßt sich das Buch trotzdem mit Gewinn goutieren - als
Nachschlagewerk für Zonen-Autonome zum Beispiel, die immer schon mal
wissen wollten, in welche linke Tradition sie sich nach 89 begeben haben. So
ziemlich von jeder theoretischen Auseinandersetzung, die innerhalb der
autonomen Bewegung geführt wurde, vom Jobber-Ansatz der Zeitschrift
Wildcat bis zur Organisierungsdebatte innerhalb der autonomen
Antifa, werden im Buch die Grundpossitionen und der Verlauf der Diskussionen
dargestellt. Ein eigenständiges Kapitel am Ende über autonome Frauen
und Frauen/Lesben beschreibt die Organisierungsversuche, die sich gegen die
Männerdominanz innerhalb der Neuen Sozialen Bewegungen und auch in der
autonomen gemischten Szene wendeten. Auch hier werden theoretische
Grundpositionen, Diskussionen und Aktionsformen referiert, das Resümee,
daß die autonome kleine Frauenbewegung relativ bedeutungslos
war und ist, läuft auch nicht wie im gemischten Teil des Buches der vorausgehenden Analyse davon.
Alles im allen eine empfehlenswerte Ergänzung zu Geronimo. Weniger
plakativ, aber gleichfalls streitbar. Für Linke mit Wissens- oder/und
Erinnerungslücken und dem Wunsch nach einer Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. ulle
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