Fussnoten:
- (1)
- vergleiche dazu: Roland Merten: Jugend im
Kontext von Gewalt, Rassismus und Rechtsextremismus, in: Jugendhilfe 4/1993. Er
schreibt dort: Jugendgewalt, verstanden als körperliche Form der
Regulierung sozialer Konflikte, ist in der Bundesrepublik kein neues
Phänomen. Es ließe sich geradezu eine Genealogie der Gewalt von den
Halbstarken-Krawallen der 50er Jahre bis zu den rechtsextremen Übergriffen
in den 90er Jahren zeichnen, ohne daß diese Phänomene jeweils
inhaltlich ineinander übergehen. Es deutet sich hier an, daß
offensichtlich zu allen Zeiten der bundesdeutschen Geschichte der
(männlichen) Jugend ein bestimmtes Maß an Devianz gesellschaftlich
zugebilligt wird, daß körperliche Formen sozialer
Konfliktregulierung jugendtypisch sind. Gleichwohl scheinen sich die
gewaltförmigen Äußerungen der frühen 90er Jahre, wie sie
sich zur Zeit abspielen, systematisch von früheren Formen zu unterscheiden
und somit die Schwelle der gesellschaftlich tolerierten Devianz zu
überschreiten. Das historisch Neue an der jetzigen Gewaltwelle ist
einerseits ihr geradezu exzessiver Charakter, andererseits ihr serieller
Verlauf. Dieses Phänomen bedarf der sozialwissenschaftlich geleiteten
Aufklärung, um dann in einem zweiten Schritt zu problemadäquaten
Handlungsstrategien zu gelangen.
- (2)
- Wichtig ist dabei das Erklärungsmuster. Bei allen
genannten Autoren ist dieses gleichlautend. Heitmeyer z.B. macht das angebliche
Fehlen sozialer Beziehungen unter Jugendlichen dafür verantwortlich,
daß sie auf surrogathafte kollektive Identitäten
setzten. Diese Erkenntnis verbinden Heitmeyer und Co. mit einer prinzipiellen
Offenheit der jeweiligen Lebensläufe. Daraus folgt unisono der
Schluß, die Jugendlichen seien durch entsprechende Jugendarbeit intensiv
beeinflußbar.
- (3)
- wunderbar veranschaulicht ist dies im drei Bände
umfassenden Standartwerk von Uwe Backes/Eckhard Jesse, Politischer
Extremismus in der Bundesrepublik Deuschland, Köln 1989
Im weiteren bezieht sich insbesondere Heitmeyer außerdem auf Ulrich
Becks Risikogesellschaft. Beck sieht diese als reflexive
Modernisierung, die durch Enttraditionalisierung vollzogen
werde.
vergleiche Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere
Moderne., Frankfurt/Main, 1986
- (4)
- Das Gespenst der akzeptierenden
Jugendarbeit stammt im O-Ton aus dem Aufruf zur Antifa-Demonstration am
16. November in Wurzen.
vergl. dazu: Wilhelm Heitmeyer, Rechtsextremistische Orientierungen
bei Jugendlichen. Empirische Ergebnisse und Erklärungsmuster einer
Untersuchung zur politischen Sozialisation. Weinheim/München
1987
Wilhelm Heitmeyer/Kurt Möller/Heinz Sünker (Hg), Jugend -
Staat - Gewalt. Politische Sozialisation von Jugendlichen, Jugendpolitik und
politische Bildung, Weinheim/München 1989
W. Heitmeyer, Jugend und Rechtsextremismus Von der
ökonomisch-sozialen Alltagserfahrung zur rechtsextremistisch motivierten
Gewalt-Eskalation, in: Gerhard Paul (Hg), Hitlers Schatten
verblaßt, Bonn 1990
Wilhelm Heitmeyer, Rechtsextremismus: Warum handeln Menschen
gegen ihre eigenen Interessen? Materialien zur Auseinandersetzung mit
Ursachen, Köln 1991
Wilhelm Heitmeyer: Die Widerspiegelung von
Modernisierungsrückständen im Rechtsextremismus, in: Karl-Heinz
Heinemann/Wilfried Schubarth, Der antifaschistische Staat
entläßt seine Kinder, Köln 1992
Wilhelm Heitmeyer, Heike Buhse, Joachim Liebe-Freund, Kurt Möller,
Joachim Müller, Helmut Ritz, Gertrud Siller, Johannes Vossen, Die
Bielefelder Rechtextremismus-Studie. Erste Langzeituntersuchung zur politischen
Sozialisation männlicher Jugendlicher. Weinheim/München 1992
- (5)
- vergl. dazu Kasten Essentials der
akzeptierenden Jugendarbeit auf diesen Seiten.
Roland Merten schreibt zur Definition des Begriffes:
Akzeptierende Jugendarbeit, ein Begriff, der sich in diesem
Zusammenhang mit dieser Form von Jugendarbeit etabliert hat, beansprucht nicht
mehr, als die Jugendlichen in ihrer schwierigen gesellschaftlichen und
biographischen Situation als Person anzunehmen, ohne deshalb ihre politischen
Überzeugungen zu teilen, das ist die professionelle Gratwanderung. Den
Jugendlichen muß ersteinmal ein - im konkreten Sinne des Begriffes -
sozialer Raum geboten werden, innerhalb dessen sie sich austauschen und
entfalten können. In: Jugendhilfe 4/1993, Jugend im Kontext
von Gewalt, Rassismus und Rechtsextremismus
- (6)
- zitiert aus uni-konkret 1/94, Birgit Rommelspacher,
Die Opfer bleiben draußen
Besonders heftig wurde sie von Richard Stöss attackiert. Er schreibt:
Der Vorwurf des Verwechselns (von Tätern und Opfern - R.) trifft
vielmehr Rommelspacher selbst. Sie bringt ständig die unterschiedlichen
Dimensionen des Rechtsextremismus durcheinander, wenn sie beispielsweise die
jugendlichen Gewalttäter, die Wähler, die organisierten
Rechtsextremisten und die rechtsextrem eingestellten Personen über einen
Kamm schert und Untersuchungsergebnisse, die sich auf ein spezifisches Segment
des Rechtsextremismus beziehen, ungeprüft verallgemeinert. So gelangt sie
auf methodisch zweifelhaftem Weg zu der These, daß ökonomische
Ängste, psychosoziale Probleme im Zuge des Verlusts von sozialen Netzen,
Milieus und familiären Halt und schließlich ...
globalperspektivischen Risiken für den Erfolg von Rechtsextremismus
bedeutungslos seien. Diese These ist nicht nur wegen ihrer Pauschalität
unhaltbar. Sie verkennt die Bedeutung von sozialem Wandel und technologischer
Modernisierung für den neuerlichen Aufschwung des Rechtsextremismus. Im
übrigen scheint mir die Täter-Opfer-Debatte am Problem
vorbeizuzielen, solange nicht Verharmlosungsabsichten zweifelsfrei nachgewisen
werden. (Aus: Richard Stöss, Forschungs - und
Erklärungsansätze - ein Überblick. In: Wolfgang Kowalsky,
Wolfgang Schröder (Hg), Rechtsextremismus. Eiinführung und
Forschungsbilanz, Opladen 1994.)
Wie sehr Rommelpachers Kritik an der ausschließlichen
Männerfixierung berechtigt ist, läßt sich an folgendem
Beispiel sehr schön nachvollziehen. So schreibt K. Möller in
Jugendarbeit und Rechtsextremismus (aus: Franz Josef Krafeld u.a.,
Jugendarbeit in rechten Szenen. Ansätze - Erfahrungen -
Perspektiven, Bremen 1993): Wenn es ein Arbeitsfeld gibt, auf dem
Jungenarbeit heute aktuell gefordert ist, dann ist es gerade die Arbeit mit
rechtsextrem orientierten Jugendlichen, denn sie sind in ihrer
erdrückenden Mehrzahl männlich. Dies ist kein Zufall, sondern hat mit
den Schwierigkeiten des Aufbaus von männlicher Identität und den
Verunsicherungen der Jungen- und Männerrolle zu tun, die die
Modernisierung unserer Gesellschaft und die ihrer Geschlechterverhältnisse
im Schlepptau nach sich zieht. Literatur von Birgit Rommelspacher:
Rechtsextreme als Opfer der Risikogesellschaft. Zur
Täterentlastung in den Sozialwissenschaften, in: 1999, 6. Jg., Heft 2, 1991
Rechtsextremismus und Dominanzkultur, in: Rassismus -
Nationalismus - Sexismus, Duisburg 1992
Männliche Jugendliche als Projektionsfiguren gesellschaftlicher
Gewaltphantasien. Rassismus im Selbstverständnis der
Mehrheitskultur., in: W. Breyvogel (Hg.), Lust auf Randale.
Jugendliche Gewalt gegen Fremde, Bonn 1993
Dominanzkultur. Texte zu Fremdheit und Macht, Berlin 1995
- (7)
- aus: Richard Stöss, Forschungs- und
Erklärungsansätze - ein Überblick, in: Wolfgang Kowalsky,
Wolfgang Schröder (Hg), Rechtsextremismus. Einführung und
Forschungsbilanz, Opladen 1994
- (8)
- dazu eine längere Passage aus Roland Merten,
Jugend im Kontext von Gewalt, Rassismus und Rechtsextremismus, in:
Jugendhilfe 4/1993: Jugendgewalt ist hier also, und dies muß
nochmals deutlich betont werden, ein Gruppennphänomen. Die Gruppen
definieren Anlässe für Aggression und liefern gleichzeitig die
Legitimationsmuster für die Gewalt. Reste moralischer Hemmungen zu
gewalttätigen Übergriffen werden durch die klassische Einstiegsdroge
dieser Gruppen, Bier, abgebaut, wobei Alkohol bewußt in dieser Funktion
zu sich genommen wird, so daß die (rassistischen) Gewalttaten als
instrumentelle, und nicht als programmatische Akte (fester
rechtsextremistischer oder neonazistischer Orientierungen) verstanden werden
müssen.
Die De-Thematisierung von Jugend und ihrer Probleme im Zusammenwachsen der
beiden deutschen Staaten hat dazu geführt, daß sie in ihren
Bedürfnissen und Erwartungen nicht ernstgenommen wurden. Politik hat
für sie keine Plattform bereitgestellt, auf der sie ihre berechtigten
Forderungen hätten artikulieren und im politischen
Entscheidungsprozeß umsetzen können. Auf diese Weise sind sie zu
einem Neben-Objekt der offiziellen Politik geworden. Erst durch die Reaktion
der offiziellen Politik auf die gewalttätigen Exzesse und rassistischen
Übergriffe auf Ausländer ist es ihnen gelungen, sich - wenngleich
auch nur für kurze Zeit - ins Zentrum der öffentlichen
Aufmerksamkeit zu stellen, sich zum Subjekt ihrer eigenen politischen
Ansprüche und Anforderungen zu machen. Die offizielle Politik hat keine
Integrationsleistungen für die Jugendlichen bereitgestellt, sie hat erst
auf die Segregationstendenzen durch Jugendliche reagiert.
- (9)
- vergleiche dazu: Kurt Möller, Jugendarbeit
und Rechtsextremismus - gängige Verständnisse bröckeln
weiter, in: Franz Josef Krafeld u.a., Jugendarbeit in rechten
Szenen. Ansätze - Erfahrungen - Perspektiven, Bremen 1993
- (10)
- beispielsweise Gunter Hofmann in: Die Zeit Nr.1/1993:
Kulturkampf gegen die Kulturrevolutionäre. Er fragt dort
bejahend u.a.: Anklage von rechts: Gehört die 68er-Generation mit
ihren Tabubrüchen zu den Urhebern der Welle von Gewalt und
Fremdenhaß in Deutschland?
oder auch Dieter Rucht in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, 4.
Jahrgang, Heft 2, 1991,Das Kräftefeld soziale Bewegungen,
Gegenbewegungen und Staat: Einführende Bemerkungen. Er schreibt dort
u.a.: In diesem Sinne könnte man den Aufschwung der Neuen Rechten in
den achtziger Jahren als eine mittelbare Reaktion auf den kulturellen
Liberalisierungsschub seit Mitte/ Ende der 1960er Jahre sowie auf die
Entfaltung und den Einfluß der neuen sozialen Bewegungen in vielen
westlichen Industrieländern interpretieren.
- (11)
- So schreibt beispielsweise Kurt Möller in
Jugendarbeit und Rechtsextremismus - Gängige Verständnisse
bröckeln weiter: Die DDR-spezifische Verordnung des
Antifaschismus konnte dem Schwenk nach rechts offenbar wenig entgegensetzen.
Seine Ineffektivität, ja Kontraproduktivität lag dabei sowohl in
seiner Ritualisierung, die ihn für die nachwachsende Generation oftmals
zur Pflichtübung degradierte als auch in seiner theoretischen
Fundierung.
Ein wichtiger Verweis sei hier noch gestattet. Jürgen Elsässer
(junge Welt, konkret) vertritt die nach meinem Verständnis einzig richtige
These im Bezug auf den DDR-Antifaschismus. Er stellt fest, daß es in der
DDR nicht zu viel Antifaschismus gab, sondern zu wenig.
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