Solingen, Mai 1993 |
Rückblick
Schon während der ersten Pogromwelle im wiedervereinten Deutschland, als
militante Nazibanden die xenophobe Grundstimmung der Bevölkerungsmehrheit
um eine aktivistische und oft tödliche Komponente - den rassistisch
motivierten Überfall - ergänzten, versuchten sich die Medien, aber
gleichermaßen auch Politiker, Soziologen und Juristen erfolgreich daran,
bei der Ursachenforschung zu den Gründen der ausufernden
Gewalt vom Wesentlichen abzulenken. Nur in den seltensten Fällen
wurde nach den rassistischen und faschistischen Einstellungen der Täter
gefragt und schon gar nicht nach deren Kontinuitäten und eliminatorischen
Spezifika im Land des Nationalsozialismus. Vielmehr bemühte sich ein
interdisziplinärer Zusammenschluß von Entschuldungstheoretikern bei
der Heranziehung unpolitischer und ahistorischer Erklärungsmuster. Das
dabei gezeigte Engagement, entsprang es auch noch so tief empfundener
moralischer Betroffenheit, offenbarte schnell den
gesellschafts-funktionalistischen Charakter, sah man es denn im Zusammenhang
mit der konservativen Wende in der BRD als ein weiteres Element zu den
nationalen Identitätsdiskursen, zum biederen Wohlstandschauvinismus und zu
den wiedererwachten Großmachtambitionen. Der Welt und vor allem sich
selbst galt es zu beweisen, daß man trotz der in Hoyerswerda, Rostock,
Mölln und Solingen sichtbar werdenden Barbarei, Mitglied einer nach
45 gründlich zivilisierten - und nach 89 endlich auch geeinten
- Nation sei.
So bedurfte es der Anstrengung aus den rassisitischen Klatschern am Rande der
Aggressionsorgien, also aus den Prototypen der deutschen Normalbürger, die
zu recht empörten Protestler zu machen, denen es angesichts der sich
abzeichnenden sozialen Restriktionen in einem der reichsten Länder der
Welt nicht zuzumuten ist, daß sich ihre Frustrationen am
Anblick wirklich ökonomisch und politisch marginalisierter Menschen weiter
aufbauschen. Die haben hingemacht, wo sie gingen und standen,
berichtete empört eine Anwohnerin des Flüchtlingsheims in Rostock und
Monate vor dem Ausbruch der rassistischen Gewalt häuften sich im Senat der
Hansestadt die Beschwerden über Bettelei, Dreck, Diebstahl und Krach. Auch
Intellektuellen-Magazine wie der Spiegel nahmen die Klischees
begiehrig auf und reproduzierten sie bildreich wieder: Roma lagerten
lärmend vor dem Tor, plünderten Obstbäume in Vorgärten und
hinterließen ihren Unrat.
Der Unterschied zur Nationalzeitung bestand meistens nur in der Wortwahl und
der Radikalität der politischen Intention, die hinter der
Berichterstattung stand. Die deutsche Perspektive, das
Asylantenproblem, war gemeinsamer Ausgangspunkt aller weiteren
Interpretationen.
Das größere Kunststück bestand aber darin, die mit
Molotowcocktails und Eisenstangen agierenden Nazis vom Vorwurf des Nazismus
freizusprechen. Der Einfallsreichtum dabei kannte keine Grenzen. So wurde in
den Medien der faschistische Mob zu einer halbwegs akzeptierten, politischen
Avantgarde, jedenfalls so lange es keine Toten gab, die auf ihre Weise
Probleme löste, die von den Politikern zu Tode geredet
wurden. Ergänzt um die Jammerei von den Zuständen im Osten, der
Tristesse, der schmerzlich empfundenen sozialen Verunsicherung und
der deshalb verständlichen Wut der Einheitsopfer, redete man
den Nazis das Wort und machte sich mit ihnen mehr gemein als mit deren Opfern.
Die Sozialwissenschaftler, besonders der in diesem Kontext mit Vorliebe
bemühten Heitmeyer-Schule, gingen entsprechend ihrer formalen
Qualifikation etwas weitschweifiger an das Thema heran und erzeugten die
subtileren Entlastungsstrategien. Die rechtsextremen Orientierungen
ließen sich ihrer Meinung nach auf ökonomische Ängste,
psychosoziale Probleme im Zuge der Auflösung gewachsener Milieus und des
familiären Halts und auf das Gefühl einer globalen Bedrohung durch
ökologische Katastrophen zurückführen. Das Ergebnis war in der
Essenz das gleiche: Die Täter sind die eigentlichen Opfer. Das praktisch
verwirklichte Ressentiment gegenüber Minderheiten entspringt
verständniserregenden Motiven. Solidarisierungen sind somit möglich.
Die Justiz griff die hinreichend entpolitisierten und enthistorisierten
Entlastungsansätze auf, verstärkte je nach Straftatbestand in den
Urteilsbegründungen für die in der Regel milden Strafen die
individuell-pathologische Komponente und schickte die Täter in die
Hände der akzeptierenden Jugendsozialarbeiter. Diese bauten dann mit ihnen
zusammen ein weiteres regionales Nazi-Jugendzentrum aus, fuhren gemeinsam in
den Abenteuerurlaub oder gar - im Höchstfall politischer
Pietätlosigkeit - nach Israel.
AusblickNachdem es mit Hilfe der Asylgesetzgebung gelang, die ärgsten
Ausläufer der rassistischen Pogromwelle wieder in ordnungsstaatliche
Bahnen zu lenken, schwand auch der Bedarf an den öffentlich vorgetragenen
Entlastungsstrategien. Der in Deutschland grassierende Rassismus war jetzt ein
Stück mehr institutionalisiert und gesetzlich abgesichert. Die meisten
Flüchtlinge sterben jetzt nicht mehr in brenenden Massenunterkünften,
sondern bereits an den hochgerüsteten Grenzen der BRD. Der
München, März 1996
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Erklärungsbedarf dafür hält sich - ein nur für eine
Minderheit augenscheinliches Zeichen für die Zustände in diesem Land
- in Grenzen. Das Schema aber, wie sich Medien, Wissenschaft und Staat bei der
Entpolitisierung faschistischer und rassistischer Gewalt gegenseitig geschickt
soufflieren, ist jederzeit abrufbar. Sollte sich die Prognose bestätigen,
daß die gegenwärtige Arbeit zuerst für
Deutsche-Kampagne, an der nicht nur Neonazis, sondern auch ein
Großteil der Gewerkschaftler, Journalisten und Politiker in trauter
Gemeinschaftlichkeit beteiligt sind, das erneute Ansteigen rassistischer
Attacken über das normale Niveau im Gepäck führt,
wird das bewährte Muster auch wieder breitere Beanspruchung finden.
Nichtsdestotrotz bemüht man es ab und zu, denn nicht jede der derzeitigen
gewaltsamen Naziaktivitäten läßt sich durch die gängige
Klassifizierungs- und Ermittlungspraxis der Polizei, für die Angriffe
rechter Schläger, Ausdruck rivalisierender Jugendbanden sind
und Brandanschläge ihre Ursache in defekten Kochplatten oder
fremdländisch ausgetragenen Familienzwistigkeiten haben, von
vornherein vertuschen.
EinblickIm März 97 berichtet der Spiegel über den Prozeß gegen
den Neonazi Thomas Lemke. Der Angeklagte wird wegen Mordes in drei Fällen,
Vergewaltigung und versuchter Vergewaltigung zu lebenslanger Freiheitsstrafe
bei anschließender Sicherheitsverwahrung in einem psychatrischen
Krankenhaus verurteilt. Die für die Gerichtsreportage verantwortliche
Redakteurin, Gisela Friedrichsen, bekannt bereits durch ihre Porträts von
jugendlichen Faschos, die in Hoyerswerda und Rostock agierten, begründet
auch in diesem Falle mit viel und regelrecht mitfühlender Phantasie, warum
der Mörder Lemke - obwohl als Mitglied der rechten Szene einschlägig
überführt - eigentlich kein Nazi, sondern ein Opfer familierer
Mißstände, mithin ein Mensch mit schweren seelischen Defekten ist.
Lemke macht es ihr nicht einfach, verkündet er auch noch während der
Bekanntgabe der Strafe lauthals: Damit haben die Juden ihren Willen
bekommen. Teile des anwesenden Publikums, seine Kameraden aus dem Essener
Raum quittierens prompt mit Beifall. Trotzdem, Lemke bleibt der
pathologische Einzeltäter. Mit Begeisterung für die geistige
Verwandschaft mit dem Vorsitzenden Richter zitiert Friedrichsen aus dessen
Urteilsbegründung als Bestätigung ihrer eigenen These: Die
Kammer muß mit großem Bedauern konstatieren, daß sie die
höchstmögliche Strafe gegen Herrn Lemke verhängt hat. Sein
Verhalten in der Hauptverhandlung war dafür nicht ursächlich. Es war
geprägt von Haß auf sein letztes Opfer, Haß, der sich in fast
archaischer Weise auf dessen Familie ausdehnte... Er ist ein in der Seele
schwer gestörter Mensch. Das macht es uns erträglicher. Auch wenn er
Schreckliches getan hat - er gehört zu uns allen... Und hier
schwingt schon fast alles mit, was eine gute Entlastungstheorie braucht. Ja
noch mehr, man grämt sich gar, in an Auffälligkeit kaum zu
überbietender Weise, einen bekennenden Nazi hinter Gitter bringen zu
müssen, wäre er doch bei etwas unauffälligerer Verwirklichung
seiner Herrenmenschenideologie und darauf beruhten letztendlich alle seine
Taten, für diese Gesellschaft noch zu retten gewesen. Von ähnlichem
Mitgefühl bei der Verurteilung von Mitgliedern der RAF - auch wenn der
Vergleich in mancherlei Hinsicht hinkt, so wurde hier jedenfalls knallhart
politisch geurteilt - ist nichts bekannt. Aber Lemke war ja nur krank,
angesteckt von quasi-natürlichem Haß. Als gelte es zu beweisen,
daß sich Sadismus und rechte Ideologie ausschließen, werden die
praktischen Details der von Lemke verübten Morde und seine
diesbezüglichen Selbstdarstellungen ausgewalzt, um dann aus der sich
aufzeigenden Differenz den Schluß zu ziehen, es handle sich bei dem
Täter um einen nicht zurechnungsfähigen, also auch in gewissem Sinne
unschuldigen Menschen: Wenn Lemke über seine Taten spricht, so
scheint es, als genieße er es, besonders böse und gemein zu wirken
und Reaktionen des Entsetzens auszulösen. So erging er sich in der
Befragung durch die psychologische Sachverständige... in der Schilderung,
wie aus dem Bauch seines letzten Opfers die Därme hervorquollen. Doch
tatsächlich hatte er Martin Kemming in die Brust geschossen.
Thomas Lemke | Die ständigen Selbstbezichtigungen Lemkes - er selber streitet nie ab,
Protagonist der nationalsozialistischen Ideologie zu sein - wertet die
Journalistin um so mehr als eine Strategie des Angeklagten, seine schwere
Krankheit zu verbergen. Diese resultiere aus der schmerzhaften Erfahrung der
Vaterlosigkeit. Und so sei seine Zuwendung zu alten und neuen Nazis - Lemke
verbindet ein enges Verhältnis zu A.N. Luisetti, einem ehemaligen
Waffen-SSler und jetzigen Schatzmeister der NPD in Bottrop, und er war
Mitglied der mittlerweile verbotenen Wiking-Jugend - nur die Wiederspiegelung
seines Wunsches nach einer Vaterbeziehung. Da diese Kontakte auf nichts anderes
als einen faschistischen Überzeugungstäter hindeuten, wird der
Altnazi Luisetti auch gleich zu einem Opfer... einer rechtsgerichteten
Bewegung..., der er sich ebenfalls im Alter von 14 schon angeschlossen
hatte. Auch Luisetti, der über ein halbes Jahrhundert die Ziele des
Nationalsozialismus propagierte, wird bei Friedrichsen zum bemitleidenswerten
Menschen, der seine persönlichen Defizite hinter einer
faschistischen Ideologie versteckt. Bei soviel Interpretationsvermögen
spielt es dann wahrlich keine Rolle mehr, daß das zweite Opfer Lemkes
aufgrund eines Gegen Nazis-Aufnähers umgebracht wurde und der
Mörder dies mit den Worten kommentierte: Linke haben kein Recht zu
leben. Die politische Dimension der Taten Lemkes wird konsequent
ausgeblendet, denn diese wäre nur der Vordergrund, die Tarnung, die
Maske, hinter der sich eine gescheiterte Kindheit und Jugend verberge.
Das letzte Opfer des Nazi-Killers, Martin Kemming, war einer seiner Kameraden.
Spätestens damit müßte doch klar werden, daß Lemke nicht
aus politischen Motiven gehandelt haben kann. Die Fakten sprechen aber auch
hier für das genaue Gegenteil. Denn Lemke saß wegen einer Aussage
Kemmings zwei Jahre im Knast. Das war Verrat. Und das ist das
Niederträchtigste, was man tun kann, schrie der Angeklagte der
Mutter Kemmings während der Verhandlung ins Gesicht. Ein Tor, wer hier die
Kontinuität des faschistischen Ehrenkodex wiederentdeckt und sich an von
der SS aufgenknüpfte Wehrmachtssoldaten und Zivilisten erinnert, denen man
noch ein Schild mit der Aufschrift Verräter um den Hals
gebunden hatte. Das Fazit der Berichterstattung von Frierichsen u.a. ist,
daß so lange Entlastungsstrategien aneinandergereiht werden, bis kein
Täter mehr übrig bleibt, sondern nur noch ein Patient. Im selben
Duktus sekundierte der Vorsitzende Richter: Es kann aber sein, daß
er (Lemke) sich eines Tages zu einem Menschen entwickelt, der therapierbar
ist. Nun, bei etwas intensiveren Engagement solcher Führsprecher
braucht Lemke nicht mehr viel dazutun, er sollte so bleiben wie er ist, und
müßte trotzdem nicht mehr lange auf seine Rehabilitation warten. ulle
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