Wir demonstrieren heute in Leipzig, um unsere Wut und
Trauer über den gemeinen Mord zweier junger normaler deutscher Rassisten
an dem 30jährigen syrischen Asylbewerber Achmed Bachir deutlich zu machen.
Wo wir jetzt stehen, fand gestern die schreckliche Bluttat statt. Unsere
Solidarität und unser Mitgefühl gilt den Angehörigen und
Freunden des Ermordeten in Syrien und hier in Leipzig. Unsere Wut und unser
Haß gelten den Tätern und allen, die ähnliche Taten begehen
oder solche Taten stillschweigend dulden oder sie bejubeln. Unsere Verachtung
denen, die immer erst dann entsetzt sind, wenn dabei tatsächlich einmal
ein Mensch ums Leben kommt, die aber immer wegsehen, wenn in ihrer eigenen
Umgebung Menschen anderer Herkunft bedroht oder diskriminiert werden. Es gibt
einen unlösbaren Zusammenhang zwischen dem alltäglichen Rassismus der
Stammtische und Morden wie diesem!
Die Tat.
Am Mittwochabend kurz nach Ladenschluß stürmten die zwei deutschen
Rassisten Daniel Z. und Norman E. den Gemüseladen Frupa. Sie
randalierten, warfen Obstkisten um und bedrohten zwei Verkäuferinnen, die
sie als Türkenweiber beschimpften. Achmed Bachir ging
dazwischen und wollte die Situation deeskalieren. Er und die beiden Rassisten
verließen den Laden; kurz darauf stachen sie ihn nieder. Eine halbe
Stunde später verstarb Achmed Bachir am Tatort. Die beiden Mörder
konnten kurz darauf festgenommen werden. Ladenbesitzer Schahim hatte seinen
besten Freund verloren, die Verkäuferinnen erlitten einen schweren Schock.
Achmed Bachir war der älteste Sohn einer mittellosen in Damaskus lebenden
Familie.
Die Täter.
Seit zwei Tagen ist die lokale Presse voll von diesem Mord. Selten aber ein
Wort dazu, daß dies nicht irgendein Mord war, auch wenn ein solcher Mord
in Deutschland schon ein ganz normaler Mord ist. Dabei ist der rassistische
Hintergrund der Tat nicht zu übersehen. Kein normaler Einkäufer
stürmt nach Ladenschluß in ein Geschäft und beschimpft die
anwesenden Verkäuferinnen als Türkenweiber. Auch
gehört es nicht zum Verhalten eines normalen Einkäufers, einen
weiteren Anwesenden anschließend mit einem 30 cm langen Messer
niederzustechen. Dies sind im Gegenteil Verhaltensweisen eines normalen jungen
deutschen Rassisten. Der beiden jungen deutschen Rassisten, die und deren
Auftreten in diesem Land schon normal geworden sind.
Seit 1990 ist Rassismus zum Alltag geworden. Zu spüren bekommen ihn nicht
die, die plötzliche Betroffenheit äußern, ansonsten aber immer
wegsehen. Zu spüren bekommen die ihn, die als Flüchtlinge nach
Deutschland kamen, um hier Schutz zu suchen. Sofern sie seit 1993
überhaupt noch in dieses Land hineinkommen, dessen Regierung durch die
faktische Abschaffung des Asylrechtes den Druck des immer stärkeren
rassistischen Mobs ausnutzte - bestehend aus ganz normalen unorganisierten
Deutschen. Die Zeitungen leugnen eine rechtsradikale Organisierung der beiden
Täter. Damit mögen sie recht haben. Die beiden jungen deutschen
Rassisten sind bestimmt nicht in der verbotenen FAP, der Nationalistischen
Front, Wiking-Jugend oder anderen unter Beobachtung staatlicher Behörden
stehender neonazistischer Gruppen organisiert. Sie sind organisiert im
organisierten Deutschtum, das keine festeren Strukturen braucht als den
allgemein verbreiteten rassistischen Normalkonsens in dieser normalen deutschen
Bevölkerung, aus der heraus seit 6 Jahren ganz normalerweise solche Taten
begangen werden.
Die Situation.
Für Leipzig vermeldet die Polizei, erstaunlich genug, allein im 1.
Halbjahr 1996 fünf Körperverletzungen mit rechtsextremem
Hintergrund. Erstaunlich ist nicht die gemeldete Anzahl solcher Delikte,
höchstens, daß sie nach oben korrigiert werden muß -
erstaunlich ist aber, daß staatliche Behörden in diesen Fällen
einen rechtsextremen Hintergrund als Tatmotiv angeben. Denn normalerweise
werden solche Fälle - wie jüngst in Brandenburg - als die Taten
verwirrter Einzeltäter präsentiert, die im übrigen
lediglich durch etwas zu hohen vorhergegangenen Alkoholkonsum zustandegekommen
seien. Auch in diesem Fall streitet die ermittelnde Leipziger
Staatsanwaltschaft einen rechtsextremen Hintergrund der Bluttat ab. Zitat:
Aus irgendeinem ausländerfeindlichen Ausdruck könne man
nicht auf eine ausländerfeindliche Grundhaltung schließen, so der
Sprecher der Staatsanwaltschaft. Sollte ein Gerichtsverfahren überhaupt
zustandekommen und nicht im Vorhinein mit der Begründung eingestellt
werden, die beiden normalen jungen deutschen Männer hätten nur in
Notwehr gegen Achmed Bachir gehandelt - wird es auch in diesem weiteren Falle
von explodierendem überall vorhandenen Ausländerhaß nicht um
die Klärung der heutigen deutschen Normalität gehen, wird auch dieses
weitere Mal nicht die Anklage gegen den ganz normalen alltäglichen
Rassismus mit Todesfolgen auf allen Ebenen dieses Staates erhoben werden.
Wieder einmal werden zwei deutsche normale Rassisten als Einzeltäter
verurteilt werden, wieder einmal wird eine Akte Erledigte
Fälle beim Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Aylbewerber geschlossen werden und das wars
dann. Bis zum nächsten Mord, zum nächsten Anschlag, zum nächsten
diskriminierenden Ausländersondergesetz mit Todesfolge, bis zum
nächsten Gerichtsverfahren gegen Opfer und nicht die Täter eines
Nazianschlages.
Spätestens seit 1993 ist das Leben eines Flüchtlinges in diesem Lande
nicht mehr viel wert. Geschützt wird nicht er, sondern immer nur die
Täter und die verschworene deutsche Volksgemeinschaft, die deckend hinter
ihm steht. Seine Tat kommt aus der Mitte der Gesellschaft, ob er nun
organisierter Nazi oder nur organisierter Deutscher ist. Das
Verfahren, das in Lübeck nicht gegen drei dringend tatverdächtige
Nazis aus Grevesmühlen, sondern gegen eines der Opfer, Safwan Eid,
geführt wird, spricht ebenso Bände wie die nicht zu
überhörende Erleichterung, die durch das deutsche Volk ging, als
angeblich nicht ein Deutscher, sondern ein Asylbewerber den bisher
schrecklichsten Anschlag auf ein Asylbewerberheim verübt haben sollte.
Sollte ein Asylbewerber einen solchen Anschlag überleben, droht ihm meist
schon gleich die Abschiebung, der Fall Lübeck zeigt es ganz deutlich. Doch
selbst eine harte Bestrafung der Täter, selbst eine in diesem Zusammenhang
vom Gericht mitverantwortlich gemachte deutsche Volksgemeinschaft - all dies
brächte Achmed Bachir nicht wieder zum Leben. Er starb als ein weiteres
der vielen Opfer des alltäglichen mörderischen Rassismus.
Betroffenheit und Mitgefühl, auch als Ausdruck ehrlicher Anteilnahme, kann
diese Morde nicht verhindern. Nur entschlossenes Entgegentreten gegen alle
Formen des Rassismus, sei es nun die Anmache in der Straßenbahn, sei es
die offensichtliche Diskriminierung ausländischer Menschen in
öffentlichen Gebäuden wie der Universität Leipzig, seien es
spezielle Sondergesetze gegen ausländische Straftäter, seien es die
zahlreichen Prozesse gegen die Opfer statt gegen die Täter rassistischer
Anschläge, seien es die menschenunwürdigen Bedingungen und
Behandlungen, denen Asylbewerber in diesem Lande ausgesetzt sind, seien es die
unmöglichen Arbeitsbedingungen, unter denen ausländische Arbeitnehmer
hier oft arbeiten müssen.
Es gibt nur eine Entscheidung, nie aber eine
Entschuldigung oder gar einen Grund für Rassismus. Es gibt nur eine
Entscheidung, nie aber eine Entschuldigung oder gar einen Grund für
Morden. Denn Rassismus tötet schon da, wo er noch nicht das Messer
gezückt hat, wo er noch ganz normal ist.
eine antirassistische Initiative Leipzig |