Worte, welche Hörempfindungen beschreiben sollen,
bergen das Problem in sich, daß sie nur für einen involviereten
Kreis eindeutig nachvollziehbae sind, der zumindestens annähernd die
gleichen Hörgewohnheiten teilt und somit in den semantischen Spielereien
jeweils die eigenen Gefühlsregungen bestätigt findet. Gerade in bezug
auf Long Fin Killie ist die Basis der Hörgewohnheiten eines potentiellen
Publikums jedoch schwer bestimmbar. Die Leute, die früher straighte
Indie-Fans waren, dürften sich mittlerweile auf die innovativeren
Herausforderungen wie Hip Hop, Jungle, Elektronic Listening etc. mehr oder
weniger eingestellt haben und das Vertreter der Techno-Generation sich nicht
großartig für Rock-Bands interessieren, ist nicht verwunderlich. Und
trotzdem taucht ab und zu ein ein Projekt auf, welches zumindestens in
Kritikerkreisen auf breite Zustimmung stößt, weil es etwas
altes, z.B. den Anspruch Independent oder handgemachte
Musik, Live-Intensität etc. mit etwas neuem, besser gesagt
zeitgemäßerem konfrontiert, den Seitenblick auf den
Entwicklungsstand elektronischer Musik nicht scheut und damit letztendlich ein
Ergebnis produziert, welches sich gut und unnostalgisch anhört. Was hier
für Tortoise im Großen gilt, kann in einem etwas anderem
Maßstab sicherlich auch für Long Fin Killie beansprucht werden.
Stellt der akustische Raum, der Sound anderer, schon älterer Too
Pure-Signings ein relatives Neuland dar, so zwängt sich beim
unvoreingenommenen oder eher unwissenden Hören der Long Fin Killie-Alben
Houdini (95) und Valentino (96) der Eindruck auf,
Mitendecker einer neuen Sound- und Rhythmus-Ästhetik zu sein. Das Erlebnis
unkonventioneller Rhythmen, die miteinander konkurrieren, nebeneinander stehen,
sich dann mit fast technoider Perfektion ineinander verspinnen; der Verzicht
auf die Variationsmöglichkeiten herkömmlicher und historischer
Instrumente (Gitarre, Bass, Schlagzeug meets Mandoline, Geige, Flöte
u.v.m.), deren Beharren auf immer wiederkehrenden Tönen, die sich erst
kurz bevor es langweilig werden könnte, in einen neuen Melodielauf
fügen, macht die beiden Veröffentlichungen wirklich zu etwas, wie
einem erweiterten Horizont von Rockmusik. Die Beschreibung der Songs als
ein psychoakustisches extrem sensitives Zusammenspiel jenseits des
Popsongs und diesseits freier Improvisation (Spex), was auch einer
Tortoise-Charakterisierung nahe kommen könnte, muß aber gerade wegen
des möglichen Vergleichs um einige Essentials erweitert werden. Nicht nur
eine andersartige Instrumentierung und verschiedene Tempi- und
Rythmuspraktiken, sondern vor allem das Festhalten, ja extravagante Betonen von
Long Fin Killie an Lyrics und die durch sie transportierten sozialen
Bezüge machen den großen Unterschied aus. Dieser Schritt bleibt dann
zwar auch in einer anderen musikalischen Vergangenheit verankert,
läßt aber demzufolge die Band weniger künstlerisch
(als Tortoise) und technisch (als z.B. die Label-Kollegen Mouse on
Mars) erscheinen. Mit einer teilweise extrem wütenden Kopfstimme, die
anderenfalls genauso die Ohren mit lieblichen spoken words umsäuseln kann,
erzählt der Sänger (Luke Shaterland) Geschichten, die mehr als einmal
vom Schwulsein handeln. Doch es folgen keine eindeutigen Anklagen, keine
Kampfansagen oder zukunftsorientierten Entwürfe.
Too Pure
Schon im Februar 94 fand sich im Spex ein
Feature über das britische Label, weil es die Indie-Rock-Ethik mit
den Errungenschaften von Ambient, Krautrock und Techno kurzschließen
könnte. Neben Long Fin Killie und Mouse on Mars, den derzeit wohl
bekanntesten Too Pure-Acts befinden sich unter den Fittichen der Label-Macher
zum Beispiel noch Laika, Pram, Minxus, um nur einige zu nennen. Das Geld
für die Label-Gründung bekamen Paul und Richard logischerweise nur
durch ihr besonderes musikalisches Gespühr zusammen, in dem sie sich
nämlich für eine der ersten PJ Harvey- und
Stereolab-Veröffentlichungen verantwortlich zeigten, die dann auch promt
in die Indie-Charts einstiegen und die nötigen Finanzen herbeischaffte.
Theoretischer Ausgangspunkt ihrer Label-Politik ist die Frage, ob Rockmusik in
Europa überleben kann. Das heißt aber nicht, daß hier
realitätsblinde Nostalgiger am Werk sind, vielmehr gehören sie zu den
wenigen, die noch innovative Indie-Veröffentlichungen herausbringen und
erst vor einiger Zeit mit dem signing von Mouse on Mars zeigten, daß sie
die Erweiterung von musikalischen Horizonten akzeptieren und
unterstützten. Eine offene Feindschaft zur Dance-Szene kann ihnen
ebenfalls nicht vorgeworfen werden. Im Gegenteil, gewissen Dance-Labels wird
als eine Art funktionierende Indie-Labels Respekt gezollt und das
schnelle Auf- und Abtauchen von Dance-Acts finden sie auch irgendwie
Indie: Bloß das Herz, wenn es um die Musik geht, ist
einfach nicht dabei. Es liegt bei ihnen nach eigenen Angaben irgendwo in
den späten Siebzigern, frühen Achzigern. Ihrem Anspruch an eine gute
Platte - Sie sollte etwas von dir verlangen, dich verändern wollen,
dich zwingen zuzuhören. - kann jedenfalls (abgesehen von eins, zwei
hedonistischen Aspekten) nicht mehr viel zugefügt werden. |
In dem er sich in Opfer-
und Täterrollen versetzt, von verschiedenen Handlungs- und
Empfindungsinstanzen aus spricht, stellt er auf filigrane Art und Weise - nicht
aber ohne eine immerwährende Abstinenz von Leidenschaft und Zorn -
Homophobie und Sexismus bloß. Blöde wird es für die Rezipienten
dann, wenn die eigene Rolle bei der Verbreitung von Stereotypen (Schwule als
sensitive boys) und Schlimmeres gewahr wird. Die spezielle Art der
Thematisierung macht es aber fast zu leicht, mit der erzeugten Betroffenheit
incl. Schuldeingeständnis umzugehen und es bietet sich regelrecht an jenes
Konzept als pädagogisch clever zu loben, um sich somit auch gleich wieder
ein bißchen vor persönlichen Konsequenzen zu drücken. Noch viel
grundlegender ist aber die Frage, mit welcher Legitimation hier überhaupt
Wertungen vorgenommen werden können, fehlt doch - abgesehen von einer
kleinen Debatte um schwulen Sex im Klaro Fix - der Rahmen für einen
offenen und produktiven Diskurs. So bleibt der Besuch eines Long Fin
Killie-Konzerts neben einer geschmacksspezifischen Entscheidung nicht mehr und
auch nicht weniger als ein politisches Statement, welches zumindestens
signalisieren kann, nicht zum Großteil der Ignoranten zu gehören. |