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es geht voran, 1.0k

Teil 1


Subkulturen sind immer wieder Grund zur Auseinandersetzung um ihre Entstehung und gesellschaftliche Relevanz. Der folgende Beitrag beschäftigt sich im ersten Teil mit der Geschichte der Subkulturen und ihrer Affinität zur Bohème.

Um eine Erklärung für das Entstehen von Subkulturen zu finden, bedarf es eines geschichtlichen Rückblickes, der darlegen soll, welche Verschiebungen es im Sujet der Codierungen gegeben hat. Das die Politisierung im ästhetischen Gleichlauf verlief, sei hier als grundlegend verstanden.
So vollzog sich der Schritt aus der vereinzelten, introvertierten Attitüde der individualisierten Künstlerpersönlichkeit vor und um die Jahrhundertwende hin zum individuellen Betroffenheitsgestus unter dem Eindruck des 1. Weltkrieges.
Das bohemistische Umfeld der Expressionisten erzeugte erstmals einen Kontext, in dem Gestus und Sprache gruppendynamisch ein Gegensteuern praktizierten. Dabei verstand sich die Rezeptionsästhetik als Ausdruck des gruppenintern definierten Zeitgeistes. Mit dem dadaistischen Konzeptionen kam es zu einer Zuspitzung der Provokation, die nicht mehr explizit auf die Vermittelbarkeit setzte. Das Spiel mit den Werten kollidierte mit dem Traditionalismus der Nationalkulturen. Es entwickelte sich eine Bohème, die im Zuge der Nachkriegszeit auf Desillusionierung fußte.
Weltwirtschaftskrise und Zuspitzung der Ideologieauseinandersetzung bewirkten eine splittende Positionierung: Hinwendung zum Anarchistischen oder Kommunistischen auf der einen, Rückzug auf l’art pour l’art auf der anderen Seite.
Die Verdichtung der Realität durch übersteigerte Auflösung, hin zum Absurden. Das war die Antwort der Surrealisten auf die sich verschärfenden Klassen-Antagonismen. In ihrem Umfeld blühte die Künstler-Bohème in den Metropolen und trieb die Fülle künstlerischer Instrumentarien zu einem Konglomerat, das sich mit Multi-Media-Begriffen zum Glück nicht fassen läßt. Der überwiegende Teil der Bohemiens betrachtete nämlich seinen ausschweifenden, ungeregelten Lebenswandel als bewußte Abgrenzung und Bedingung einer kreativen Existenz.

the who, 3.8k
the who setzten dem ganzen die krone auf

Dabei spielte die Musik, mit heutigen Maßstäben gemessen, eine eher untergeordnete Rolle. Die Ausschließlichkeit des Kompositorisch-Experimentellen machte eine Rezeption in größeren Relationen unmöglich. Die Beeinflussung durch Jazz und Swing erfolgte nur zögerlich, und wenn, dann künstlerisch dermaßen überhöht, daß die Loslösung von „schwarzen“ Werten und Wurzeln gar zur Bedingung der Musikübernahme wurde. Innerhalb der Bohème erfolgte der Bruch mit der üblichen Kleiderordnung so gut wie gar nicht. Überhaupt ist es bezeichnend, daß es keine gesellschaftliche Gruppe der damaligen Zeit wagte, das Kleider- und Frisuren-Tabu zu brechen. Aus dem Rahmen fielen nur die Wandervogel-Bewegung und die Nudisten (hier mal vereinfacht als FKK-ler erklärt). Zwei Gruppen also, die sich der Schönheit der Natur verbunden fühlten.
Unter den Nazis war bekanntlich die „Arisierung“ des „Volkskörpers“ der Todesstoß für eine freie Entfaltung der Bohemiens. Innere Emigration oder Flucht war für viele Aktivisten der einzige Ausweg.
Trotzdem darf nicht unerwähnt bleiben, daß es in einigen Städten vereinzelt Gruppen der sogenannten Swing-Jugend gab, die sich intensiv mit dem Hören und Intonieren von Swing und Jazz beschäftigten. Ihre Ausstrahlung belief sich jedoch gen null, denn ihre Meetings mußten sie incognito organisieren und abhalten.
Mit der Annexion Europas durch Deutschland kam es in allen okkupierten Ländern zur Verteidigung der eigenen Nationalkultur und -werte. Somit spielte die Bohème eine sehr untergeordnete Rolle.
In den USA wurde durch die rassistische Handhabung der Auftrittslizensierungen für Schwarze bewußt auf die Trennung „schwarzer“ Kultur vom „weißen“ Establishment gesetzt. Jazz und Swing konnten so erst durch die Abtrennung von den „schwarzen“ Ursprüngen öffentlich rezipiert und der Verweis auf das Von-Unten-Kommende dieser Musik kaschiert werden.

sid vicious, 4.0k
doch der punk kam, sah und zerschlug

Nach 1945 konfrontierte man die deutsche Bevölkerung mit dem „amerikanischen Lebensgefühl“, auch, wenn die alliierten Soldaten anfänglich den Kontakt mit der deutschen Bevölkerung meiden sollten, so etablierte sich doch via Rundfunk und Tanzveranstaltungen eine lebendige Rezeption des Swing und Jazz. Daß die Deutschen ohne Schwierigkeiten in diesen Frohsinn hineintaumelten, lag nicht zuletzt am Willen, ihre Schuldigkeit zu verdrängen.
In den 50ern erlebte dann Elvis seinen Zenit und mit ihm die Teddy Boys als erste so zu bezeichnende subkulturelle Jugend-Bewegung. Erstmalig brach man mit dem Tragen auffallend anderer Frisuren und Klamotten (Lederjacke, Jeans) das Kleider-Tabu gegenüber den Eltern.
Trotz oder im Einklang mit dieser Jugendbewegung zerstörten die Beatniks die Wertemodelle der vorangegangenen Generation. Mit ihnen feierte die Bohème in der Nachkriegszeit fröhliche Wiederkehr. Befördert durch Wirtschaftswunder und einziehendem Wohlstand fanden sie genügend Nischen für ihren exzessiven Lebenswandel: Die Coolness fand ihre Inkarnation.
Mit Elvis Presley („Könnte ich einen Weißen finden, der den Neger-Sound und das Neger-Feeling besitzt, dann könnte ich eine Milliarde Dollar machen“ Sam Phillips) setzten sich die ökonomischen Pop-Mechanismen in Gang, die über Werden und Fall eines Pop-Produktes entscheiden sollten. So verschliß man den ersten Pop-Star und aus den Teddy-Boys entwickelten sich die Mods und Rocker, die ihre Konsumfreudigkeit in teuren Klamotten und Gefährten (Mods) und Karren (Rocker) kanalisierten. Ihre Rebellion galt den Eltern und ihrem spartanischen Leben.
Die Bohème der Beatniks verschwand über die Hipster in die Universität, wo die Jugend gelandet war, die durch Bildung ein besseres Leben als die Kriegsgeneration haben sollte. So gehörte das Gleichnis der „Straße“ den Subkulturellen als Herd des Populären. Auch die Beat-Generation konnte diese Entwicklung nicht überdecken. Das Lesen von Ginsberg, Bukowski und Kerouac bildete zwar ein Fundament, verselbstständigte sich aber im Musik-Biz und durch dessen Anhänger. Das subversive Element, das Beatles und Stones und deren Nachkommen innewohnte, richtete sich immer noch gegen die Eltern, die das gesellschaftliche Establishment repräsentierten. The Who setzten dem Ganzen dann die Krone auf.

johnny rotten, 5.3k
zerstörung der allmacht des kunstbegriffes

Bis in die Hippie-Ära kollidierte die Kleiderordnung trotz aller provokanten Elemente niemals so stark, daß die Dinge vom Fuß auf den Kopf gestellt wurden. Erst die Hippies wagten den völligen Bruch der Traditionen, in dem sie sich aber gleichzeitig auf die Einheit mit der Natur bezogen, die vorangegangene Generationen durch Krieg zerstörten. Im Angesicht des Vietnam-Krieges galt die „Liebe“ als Allheilmittel.
Daß mit Woodstock alles kaputt gehen mußte und die Ernüchterung äußerst deprimierend war, läßt sich aus heutiger Sicht gar nicht anders einordnen. Mit dem Ende von Woodstock kam auch der Rückzug in die Kunsthochschulen, aus denen eine Elite erwuchs, die Pop-Art für sich vereinnahmte und um Kunst-Begriffe feilschte, die der Bohème ziemliches Oberwasser gegenüber zurechtgestutzten Subkulturen einräumte.
Doch der Punk kam, sah und zerschlug. Auch wenn die Sexpistols in die Annalen als Experiment Malcolm Mc Larens eingingen, so zerstörte der Punk den Glauben an die Allmacht des Kunstbegriffes, den Beuys verschuldet hatte. Die Zweckentfremdung des Equipments der Bombast-Rocker Anfang der 70er strafte all jene Lügen, die dachten, die Allegorie der „Straße“ sei eine Sackgasse. Die sogenannten Kraut-und „Kopf“-Rocker wurden weggefegt. Es entstand eine Subkultur in Aversion gegen die Hippies. Doch die Marktmechanismen des Pop schliffen die Rohheit der ersten Tage schnell ab und es entwickelte sich die dezentere New Wave und experimentellere No-Wave. Daraus folgte der Gitarren-Pop, die NWOBHM (New Wave Of British Heavy Metal), der Hardcore und alles, was Mitte/Ende der Achtziger so kam. Das Modell der autarken Labels (Indies) war spätestens mit Grunge und Rave am Auslaufen.
Diese Geschichtsschreibung grenzt die Subkulturen so ein, wie sie definitiv als solche gelten können. Jazz, Soul, R’n’B, Reggae, Funk, Disco, Hip Hop, House/Techno gelten im Verständnis des Autors nicht als Subkulturen, weil die „schwarze“ Kultur, die diese Musiken hervorgebracht hat, in ihrer Entwicklung nicht mit den Begrifflichkeiten einer „weiß“ geprägten bohemistischen und subkulturellen Zuordnung zu erfassen ist. Das traditionelle Pop-Verständnis begreift zwar die Zugriffe auf „schwarze“ Kultur historisch als Respekt zollend. Sie ist aber eine Geschichte weißer Mittelklasse. Insofern läßt sich die Determination von Bohème oder Subkultur nur aus der eigenen Tradition erklären.
So sind alle „schwarzen“ Musiken erst dann subkulturell greifbar, wenn sie sich aus den selbstgewählten, rassifizierten Zuschreibungen in einen anderen Kontext modifiziert haben, der beispielsweise Termini wie „Sprachrohr der Schwarzen“ in einen anderen Status überführt. Daß dies in den 70ern, 80ern und 90ern häufig der Fall war und ist, soll hier nicht bestritten werden. Die Begriffsbestimmungen wie Bohème oder Subkultur haben nur ihre Grenzen, die mit dieser historischen Betrachtung erklärbar werden sollen. Ralf



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last modified: 28.3.2007