home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[18][<<][>>]

Der erste Kriegswinter

Ute's ehrliches Tagebuch

Irgendwie fand ich es ja schon damals toll, als mir der Udo im Staubitzbad so selbstsicher den Arsch tätschelte und während er mich dann im Schatten seiner naturgeformten Männlichkeit zur Bar schleppte, da bestätigte sich, was die fünf armdicken Finger bereits auf meinem Hinterteil angedeutet hatten: Das ist er!
Ein bißchen überrascht war ich am Anfang. Immerhin gab es nicht so viele Jungs in meinem Bekanntenkreis, die freiwillig zum Bund gingen. Aber spätestens als Udo so lustig über die Pißpottschrubber erzählte, wußte ich, daß die schnuggeligen Zivis auf der Station weltfremde Drückeberger sind, mit denen man ganz gut schwatzen kann, die aber keinen hochkriegen und nur vom Labern wird eben nichts.

flugzeug, 3.1k
„Mittelmacht mit weltweiten Interessen.“ (Naumann, Bundeswehr-Generalinspekteur)

Der Rest ging dann ziemlich schnell, war ja auch relativ einfach, und es war auch gar nicht so schlimm, wenn ich den Schatzi bloß am Wochenende sah. Der Udo hat sich ganz doll verändert, seit er bei den Soldaten ist. Am Anfang erzählte er öfter interessante Geschichten aus dem Kraftraum und was da alles für verrückte Maschinen drinne stehen und sein Bizeps wuchs auch wirklich von Woche zu Woche. Doch irgendwann wollte er wissen, ob denn mein Opa auch gedient hätte und ob man den mal nicht besuchen könne, weil der bestimmt ein paar interessante Geschichten auf Lager hat. Naja, das war leider nicht mehr möglich, denn olle Heinrich ging 44 in der Festung Breslau vor die Hunde, wie Oma zu sagen pflegte und da könne man ihn auch nicht besuchen, denn da sind immer noch die Russen (oder warn’s die Polen?). Der Udo wurde dann auch richtig traurig, was wirklich selten vorkam, er ist ja eher eine Frohnatur. Außer wenn wir zusammen Nachrichten schauten, da war er manchmal fast nicht wiederzuerkennen. Aber ich weiß auch warum. Weil die serbischen Faschisten dort unten auf dem Balkan einfach so Völker schlachten und Frauen vergewaltigen, daß find ich nämlich auch Scheiße. Und wenn’s in Sarajevo aussieht, wie in Fleischerei Haeders Abfallkübel, muß einem doch das Kotzen kommen. Deshalb fand ich es nicht schlimm, daß die Zuckerschnecke mit der Faust auf den Glastisch kloppte, der war nur gebraucht. Nur, daß er immer mit vollem Mund schrie, daß man die Serben alle erschlagen müsse, und das ganze Bier auf die neue Plüschcautch sabberte, fand ich nicht so erotisch. Trotzdem, recht hatte er ja und außerdem trug einer von den Schieberschnuggis auf Station oft so ein T-Shirt, da stand drauf ‘Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!’, und der las ziemlich viel, der mußte es ja wissen.

flugzeug im schnee, 8.6k
„Ja, Verantwortung. Ja, Tapferkeit. Ja, Dienen.“ (Slogan der Bundeswehr, Mai, 1994)

Aber, daß sich der Udo deswegen gleich freiwillig für diesen Einsatz melden mußte, um diese Schweine eigenhändig fertig zu machen, empfand ich schon als eine schwere Belastung für unser junges Glück. Nicht, daß ich ihm das nicht zugetraut hätte, nein, der Udo ist echt ein Hammer, aber die Trennung! Doch all meine Gegenwehr zerbrach an seinem harten Willen, und er war ja auch so glaubwürdig. Man müsse nämlich Verantwortung beweisen, wenn es einem in Deutschland so gut gehe, und tapfer sei er ja auch. Außerdem sollte ich auch mal an den Opa denken, hätte der nicht sein Leben so mutig eingesetzt, hätten die Russen vielleicht zu dem Bauernhof auch noch das Fuhrwerk mit der schönen Kommode und die Oma obendrauf weggenommen und was die Russen mit Frauen machen, das würden deren slawische Stammesbrüder in Bosnien zeigen und deshalb müßte er dorthin. Das hab’ ich natürlich eingesehen, vorallem wegen der Oma, wenn die nämlich die Russen..., was wäre da mit mir und wer wäre mit Udo...? Also ich war einverstanden, nur Schatzimaus war noch nicht vollkommen überzeugt von meiner Überzeugung (manchmal hab ich das Gefühl, er hält mich für blöde) und deshalb mußte ich zu diesem Zapfenstreich, weil man das bei so etwas richtig verstehen würde, und außerdem könnte ich gleich mal die Truppe kennenlernen, die seien nämlich ziemlich dufte Kameraden.

kaputtes flugzeug, 4.3k
„Aggressor mit einer fanatisch-kommunistischen Heerführung.“ (Schwarz-Schilling, CDU)

Ach, es war auch wirklich wunderbar.
Die Jungs standen alle in Reih und Glied, der Fackelschein beleuchtete ihre Gesichter, die sahen richtig gut aus, und irgendein hohes Tier hat ganz mitreißend erzählt, daß die Bundeswehr Teil des Volkes ist und in seine Mitte gehört. Da hab’ ich gemerkt, daß der Udo und ich auch ein Teil davon sind und irgendwie war das, wie in einer großen Familie und das war schön.
Ein Anderer sprach dann von einer Mittelmacht mit weltweiten Interessen und vom Ende der Zeit, in der man im zweiten Glied steht, ein bißchen erregt hat mich das schon, bloß verstanden hab’ ich’s nicht so richtig. Einmal wurde es sogar gruselig, als so ein alter Haudegen, wie Udo immer sagt, von der Feuerprobe und militärischem Risiko redete und der Schnuggi guckte mir von weitem ganz ernst in die Augen, da wurde mir richtig Angst und Bange. Zum Glück spielte dann die Blasmusikkapelle und die Soldaten sangen mit ihren schönen tiefen Stimmen (mir hat ja auch schon damals gefallen, wenn die FDJ’ler im Chor ganz tief ‘Freundschaft’ gerufen haben, um die Schulleitung zu begrüßen). Die sangen auch gar nicht solchen Soldaten-Kitsch, sondern ‘Ich bete an die Macht der Liebe’ und das ging viel tiefer rein als diese Affenmugge im Staupitzbad, da lief mir vor lauter Stolz ein kalter Schauer den Rücken herunter. Den konnte ich aber gar nicht voll auskosten, weil als der bei der Schlüpfer ankam, merkte ich, daß der Feuerzauber ein bißchen Tribut verlangt hatte, zum Glück war’s ja im Freien und es klebte auch gar nicht so dolle, aber ich war ein bißchen wütend auf mich, weil das mit der Selbstbeherrschung noch nicht so gut klappt, wie bei Opa und Udo.

zerbombte stadt, 8.8k
„Es wäre unmoralisch, sich hier zu verweigern.“ (Volker Rühe)

Der Schnurzelpurzel kam danach gleich zu mir und sagte, daß ich jetzt keine normale Frau mehr wäre, deren Mann auf Montage ist oder so, sondern die Angetraute eines deutschen Soldaten im Kriegseinsatz, die Vorbild sein müsse, da hat’s dann doch ganz schön gejuckt. Der Udo denkt aber an alles, der gab mir nämlich Termine für den Soldatenmütter-und Frauen-Club, da kann man über alles reden.
Leider war der Udo dann ziemlich schnell weg, dafür bekam der Briefkasten eine völlig neue Bedeutung für mich. Zu Oma gehe ich auch öfter, die ist richtig aufgelebt in letzter Zeit. Neulich hat sie mich gefragt, ob sie schon ihre Sachen packen solle, doch da mußte ich ersteinmal den Udo fragen, verstehen kann ich’s ja schon, wenn sie vor lauter Heimweh keine ruige Minute mehr hat. Sie ist so durcheinander, daß sie ieden Tag fragt, ob’s was neues mit der Feldpost gab. Ich hab ihr schon erklärt, daß das jetzt Bundespost heißt, sie kommt aber nun mal vom Lande. Stricken wollte sie mir auch lernen, aber das ist nicht notwendig, hat der Mausi geschrieben. Sie hätten alles in Hülle und Fülle, das beste Zeugs, nur an Weibern fehle es. Der Schelm, so war er schon immer. Aber das ist es nicht, was ihn so stört, sondern, daß sie noch nicht so richtig losschlagen dürfen, obwohl doch diese fanatischen kommunistisch-faschistischen Wichser weiterhin ihr Unwesen treiben, und wenn sie schon dort unten sind, dann wollen sie bitte schön auch kämpfen. Ein Offizier hat den Udo dann aber beruigt und gesagt, helfen wollen, heißt,kämpfen müssen. Der Oma hat das auch geholfen, die war verunsichert, weil die in letzter Zeit viel vom Frieden geredet haben, und sie sah dann auch gar nicht mehr so glücklich aus, wenn sie vom Packen sprach.

erschiessungskommando, 7.9k
„Kämpfen-Können und Helfen-Wollen“ (General de Maiziere)

Naja, seit gestern gehts der Oma wieder besser und dem Udo machts bestimmt auch wieder mehr Spaß. Von wegen der Tornado hätte den jugoslawischen Luftraum verletzt, da lachen ja die Hühner. Das weiß ja sogar ich, daß es den nicht mehr gibt. Und die Jungs waren doch noch so jung, aber gut sahen sie nicht mehr aus. Wie das ganze stumpfe Holz durch die Kombi gehen konnte? Ist wirklich eine Schweinerei die über’ nem Waldstück abzuschießen, und das die Fallschirme nicht funktionierten, war bestimmt Sabotage.
Natürlich freue ich mich für die Beiden, bloß mir gehts nicht so richtig gut. Die sprechen in den Nachrichten immer noch von vereinzelter Gegenwehr und Widerstandsnestern und wenn die Bilder zeigen, wie da alles explodiert und der ganze Rauch, da erkennt man ja keine Sau und wenn der Udo mal wieder zu weit vorne ist, wie bei der Saalkloppe, weil er doch solche Wut hat und die dann vielleicht von hinten oder von oben...? Wir hatten noch so viel vor.

ortsschild stalingrad, 4.3k
„Ernsthaft und besonnen werden unsere Soldaten dort hingehen.“ (Kossendy, CDU)

Auch wenn’s der Udo etwas voreilig finden würde, ich hab’ gleich nachdem die im Fernsehen gezeigt haben, wie sie die zwei Jungs zurückgebracht haben, bei der Psycholgin vom Club angerufen und gefragt, ob sie sich, wenn dem Udo was passiert, auch so viel Mühe geben würden und ob sie auch so eine schöne Fahne über den Sarg legen würden, wenn der Udo nicht mehr so gut aussieht. Sie hat mir das auch alles versprochen, auch das die vielen Leute am Flughafen genau so traurig gucken würden und Rotz und Wasser heulen. Nur dem Vogel, der auf den vielen Fahnen drauf ist, noch ne Trähne unters Auge zu mahlen, konnte sie mir nicht versprechen. Aber an den Fahnen wird sowieso noch gearbeitet, da wäre noch nicht das letzte Wort gesprochen.
Jetzt muß ich aber erst mal auf’s Klo, ja ich dachte auch es wäre überwunden. Vielleicht liegt’s aber diesmal an den Spinnern von Nebenan, die mich so wütend machen. Seit Gestern hören die noch schlimmere Affenmugge, als die vom Staupitzbad und grölen total laut Serbien muß sterbien, prusten dann los und klopfen sich auf die Schenkel. Ich glaube die meinen das nicht so ernst, wie die Jungs vom Zapfenstreich und traurig sind die schon gar nicht.
Wenn der Udo das miterleben würde, bräuchte ich einen neuen Glastisch. Deine U.

„Das Bewußtsein schicksalshafter Verbundenheit von Regierung und Regierten, wenn immer es um den Einsatz militärischer Mittel geht“ (FAZ)

„Die Zeit ist vorbei, in der Deutschland versteckt im zweiten Glied mit einer dazu passenden Auslegung des Grundgesetzes ausharren konnte.“ (Georg Leber, SPD)


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[18][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007