Deutsche Täter_innen sind keine Opfer. Naziaufmärsche verhindern!
Aufruf zu antifaschistischen Aktionen am 13. und 14. Februar 2009 in
Dresden.
Hätte es die Bombardierung Dresdens nicht gegeben die Deutschen
hätten sie erfunden. Der Bezug auf die Bombardierung Dresdens am 13.
Februar 1945 ist heute, über sechzig Jahre danach, aus dem deutschen
Selbstbewusstsein nicht mehr wegzudenken. Das in der sächsischen
Landeshauptstadt alljährlich zelebrierte Gedenken an die Toten der
Bombardierung ist dabei weit mehr als die Erinnerung an ein historisches
Ereignis. In der Woche um den 13. Februar herum trifft sich die kollektive
Trauer deutscher Bürger_innen um sogenannte deutsche Opfer mit dem
zur Zeit größten Nazi-Aufmarsch Europas. Beide vereint die Suche
nach kollektiver Identität, die nach 1945 in Deutschland jedoch nicht mehr
umstandslos zu haben ist. Die einzige vernünftige Konsequenz aus der
deutschen Geschichte bleibt der bedingungs- und kompromisslose Bruch mit ihr.
Wer ihn nicht vollziehen will, kommt um eine umfassende Revision und
Verfälschung dieser Geschichte nicht herum ganz gleich ob als
subtile Akzentverschiebung oder als raubeinige Lüge. Nicht nur in Dresden
mündet daher die Rekonstruktion deutscher Identität in die
Verdrängung der geschichtlichen Wirklichkeit durch einen Mythos. Die
untereinander konkurrierenden Strömungen des Dresdner Gedenkens schreiben
die deutsche Ideologie fort und stellen sich damit in die Tradition der
deutschen Täter_innen. Der notwendige Bruch mit der deutschen
Vergangenheit dagegen impliziert die unnachgiebige Kritik des Dresdner
Trauerspektakels in allen seinen Gestalten. Dies kann nur bedeuten, die
geschichtsrevisionistischen Manifestationen der deutschen Ideologie an den
beiden Tagen des 13. und 14. Februars 2009 mit der bitter nötigen Kritik
zu konfrontieren. Eine Versöhnung mit Deutschland ist unmöglich.
Die Inszenierung des Mythos
Die alliierten Luftstreitkräfte flogen von Oktober 1944 bis April 1945
insgesamt acht Angriffe auf Dresden. Doch nur die Angriffe vom 13. und 14.
Februar 1945 durch die Royal Air Force prägen das kollektive
Gedächtnis bis heute. Der in diesem Zusammenhang entstandeneMythos um
Dresden ist dabei weniger auf die Bombardierung als solche zurück zu
führen, als vielmehr auf die Propaganda der Nazis. Die NS-Führung
entschied sich für eine Kampagne zur Stärkung des Volkssturms im
Inneren und für die Diskreditierung der Alliierten im neutralen Ausland.
So wurde Dresden bald international zum Symbol für eine sinnlose
Zerstörung von Kunst- und Kulturschätzen kurz vor Ende des Krieges,
der angeblich hunderttausende Menschen zum Opfer fielen. Das kollektive
Gedächtnis, die Koordinaten der heutigen Erinnerungskultur in der Stadt
und die Auseinandersetzung um das Gedenken an den 13. Februar sind über
sechzig Jahre hinweg davon bestimmt worden. Dass die Dresdner Bevölkerung
ebenso zum Gelingen des mörderischen NS-Regimes beigetragen hatte und
Dresden keine unschuldige Kunst- und Kulturstadt war, dass die Nazi-Propaganda
die Totenzahlen verzehnfachte und die deutsche Bevölkerung sich im letzten
Akt des Krieges im Volkssturm sammelte um Volksgemeinschaft und Vaterland zu
verteidigen, wurde und wird in dieser Erzählung komplett außer Acht
gelassen, ebenso z. B. dass Dresden die zweitgrößte Garnisonsstadt
des Dritten Reiches und wichtiger Standort der Rüstungsproduktion war.
Im Zentrum der Mythenbildung um Dresden stand seit 1945 die Frage nach der Zahl
der Toten. Angesichts dieses Jahrzehnte währenden Streits setzte die Stadt
2004 die Historikerkommission ein, um die Totenzahl endgültig zu
bestimmen. Nicht nur widerlegte die Kommission den beliebten Dresdner Mythos
der Tieffliegerangriffe am Elbufer, sondern zeigte auch, dass die Zahl der
Toten weit niedriger lag als offiziell verbreitet, nämlich bei
höchstens 25 000. Aber nicht nur das. Es wurde aus Archivmaterial
nachgewiesen, dass schon die Nazis sehr gut über diese Zahl informiert
waren; verschiedene zeitnahe Abschätzungen der Totenzahlen wiesen bereits
auf eine ähnliche Größenordnung hin. Die Einsetzung der
Historikerkommission kann unter diesen Umständen durchaus als
strategischer Coup gewertet werden, mit dem die Lüge über die
Totenzahlen der letzten sechzig Jahre als bloße Unwissenheit
verschleiert wird. Nichtsdestotrotz zeigt sich die Konfrontation mit der
historischen Realität für das Dresdner Gedenken als ein schwerer
Schlag; denn nunmehr ist unbegründet, warum gerade Dresden diese
Sonderstellung in der sogenannten deutschen Gedenkkultur besitzen soll. Die
neue Rechtfertigung lautet nun, dass Dresden eine traditionsreiche und
vielfältige Erinnerungskultur besäße.
Gewandelter Geschichtsrevisionismus. Der Kontext der Bombardierungen.
War das Gedenken an den 13. Februar in Dresden nach 1989 lange Zeit eine recht
durchsichtige, revisionistische und revanchistische Veranstaltung, so bezieht
das aktuelle Gedenken sein Selbstbewusstsein perfiderweise gerade daraus, dass
es behauptet, im eigenen Trauern den Nationalsozialismus abzulehnen und der
deutschen Geschichte vollständig Rechnung zu tragen; eine Behauptung, die
von den meisten Verteidiger_innen wie auch den Kritiker_innen des Gedenkens,
gerade in der Linken, praktisch unbesehen übernommen wurde. Damit war
für die bisherige Kritik in der Regel der Punkt erreicht, an dem sie
kapitulierte; sei es als beschämter Friedensschluss mit der neuen (und
damit auch der alten) deutschen Ideologie oder als Rückzug in die
selbstgenügsame Wiederholung leerer Phrasen. Dafür gibt es jedoch
keinen Anlass. Dem modernisierten 13. Februar-Gedenken gelingt es nur durch
einen äußerst problematischen Umgang mit geschichtlicher Erfahrung,
einerseits den deutschen Nationalsozialismus abzulehnen und zugleich der
deutschen Täter_innen zu gedenken, die für ihn verantwortlich waren.
Von der deutschen Geschichte bleibt dabei nur noch ein abstrakter Mythos
übrig.
Die Ablehnung des deutschen Nationalsozialismus im gewandelten Dresden-Gedenken
erfolgt nicht durch die Konfrontation des eigenen Tuns mit der geschichtlichen
Erfahrung, sondern allein dadurch, dass zum Gedenkritual die deutsche
Geschichte hinzuaddiert wird. In der beliebten, und von vielen Linken
unkritisch übernommenen, Sprache des Gedenkens verkommt die Geschichte des
deutschen Nationalsozialismus zur Vorgeschichte oder zum
Hintergrund der Bombardierung deutscher Städte. Sie bildet den
Kontext, der an jeder passenden und unpassenden Stelle mitgenannt wird.
Die Hierarchie ist von vornherein festgelegt: im Zentrum stehen die
deutschen Opfer und obendrauf oder untendrunter, davor oder dahinter
muss zwanghaft der Kontext beschworen werden. Ganz folgerichtig
trägt der 2005 veröffentlichte fundamentale Text des modernisierten
Gedenkens den Titel Rahmen für das Erinnern.
Die einschneidende geschichtliche Erfahrung der deutschen Barbarei wird darauf
reduziert, als Kontext im Zuge des eigenen Gedenkens mit genannt oder
erinnert zu werden. Hierbei handelt es sich nicht allein um eine
fragwürdige Prioritätensetzung, sondern um eine inhaltliche
Verschiebung der Geschichte. Denn die geschichtliche Erfahrung des
Nationalsozialismus lässt sich nicht bloß mit der Trauer um
getötete Deutsche nicht vereinen, sie verbietet jeden solchen positiven
Bezug auf die deutschen Täter_innen. Zur Legitimation des Gedenkens ist
eine grundlegende Revision dieser Geschichte notwendig; damit um die
getöteten Deutschen als abstrakte Individuen getrauert werden kann, muss
ihre Verwicklung in die Geschichte des Nationalsozialismus geleugnet oder
ausgeblendet werden. Die Reduktion von Geschichte auf einen Kontext
zeigt sich als ein Manöver, um von der individuellen Ebene komplett zu
abstrahieren. Die als Kontext so leicht daher erzählbare Geschichte
des Nationalsozialismus ist nicht mehr als eine schlechte Sammlung von
Schulbuchfakten, in der menschliche Individuen überhaupt nicht mehr
vorkommen. Der eigentliche Gehalt der geschichtlichen Erfahrung wird damit
vollständig abgewehrt.
Deutsche Schuld
Das jede Grenze übersteigende Ausmaß der nationalsozialistischen
Barbarei lässt sich allein dadurch begreifen, dass diese Barbarei von den
Individuen, den Deutschen, nicht nur mitgetragen wurde, sondern sie die
Verwirklichung derselben als ihr ureigenstes Projekt betrachteten. Zwar
wären die von den Deutschen begangenen Verbrechen ohne die
Machtübernahme der NSDAP nicht denkbar gewesen; denn erst mit der
Herstellung einer übergreifenden gesellschaftspolitischen Konstellation
wurde die Mobilisierung und Koordinierung der antisemitischen Massen
möglich. Doch die Verwirklichung von Judenmord, Volksgemeinschaft und
totalem Krieg war kein Geheimprojekt einer Clique von Parteinazis. Es
war das öffentlich formulierte und unter allgemeiner Zustimmung und
Beteiligung vorangetriebene Projekt einer ganzen Gesellschaft. Die Bereitschaft
ganz normaler Deutscher zur aktiven Beteiligung an Mord und Grausamkeit
gegen Jüdinnen und Juden ist empirisch umfassend belegt; anders als durch
ihre Mitwirkung wäre das deutsche Vernichtungsprojekt nicht in dem
Ausmaß möglich gewesen.
Die Deutschen haben nach 1945 fast einstimmig behauptet, von nichts gewusst zu
haben und an nichts beteiligt gewesen zu sein. Die Frage der individuellen
Schuld lässt sich nicht abstrakt beantworten, jedes derartige Denken dient
bloß der Schuldabwehr. Die Grenzen zwischen aktiven Mörder_innen und
an Gewalttaten nicht unmittelbar beteiligten Deutschen dürfen nicht
verwischt werden. Die Behauptung jedoch, dass man 1945 in Deutschland
unwissend, unschuldig und unbeteiligt hätte leben können, lässt
sich empirisch widerlegen.
Um das Unbegreifbare zu begreifen ist die unnachgiebige Wendung aufs
Subjekt (Adorno) notwendig; d. h., es muss der Frage nachgegangen werden, wie
es dazu kommen kann, dass das einzelne menschliche Individuum zur Teilnahme an
einem ideologisch motivierten Mordprojekt unfassbaren Ausmaßes fähig
wird. Die nationalsozialistische Ideologie wie auch die mörderische Praxis
der Gewalt gegen Andere fanden in der deutschen Bevölkerung praktisch
keinen Widerspruch, weil sie mit der Konstitution der Individuen in der
modernen Gesellschaft korrespondierten. Die wahrgenommene äußere
Gesellschaftlichkeit stimmt nicht mit dem, was diese Gesellschaft selbst zu
sein behauptet, überein. Doch das Resultat ist nicht die begriffliche
Anstrengung und Reflexion, sondern die Ideologiebildung. Die Widersprüche
der unbegriffenen kapitalistischen Vergesellschaftung werden von Individuen,
die sich an die Anforderungen der Aufklärung nie gewagt haben, auf andere
projiziert: die Juden sollen an allem schuld sein. Während man sich selbst
als Opfer geriert, wird der Hass auf Jüdinnen und Juden zum integralen
Bestandteil des falschen Bewusstseins.
Dass die, derer am 13. Februar gedacht wird, nachgewiesenermaßen
Anhänger_innen eines eliminatorischen Antisemitismus (Goldhagen)
waren, kommt im handlichen Kontext dieses Gedenkens
selbstverständlich nicht vor. Schon die Erwähnung der ideologischen
Motivation im Antisemitismus enthält den Verweis darauf, dass die
Deutschen ihre Taten freiwillig und ohne äußeren Zwang begingen und
stört das falsche Bedürfnis nach Trauer. Zur Rechtfertigung muss der
Freispruch der Betrauerten erfolgen, und dies geschieht heute durch die
Reduktion der Geschichte auf einen Kontext, in welchem die individuelle
Beteiligung gar nicht mehr formulierbar ist; übrig bleibt Geschichte als
leicht greifbarer Mythos, der so nie hätte Wirklichkeit sein
können.
Geschichtliche Erfahrung konstruktiv ins eigene Handeln in der Gegenwart
einzubringen, würde hier gerade bedeuten, die Identität derer, um die
getrauert wird, zu beleuchten: wer sie waren und was sie taten. Dieses Wissen
lässt nur eine Schlussfolgerung zu: jede Trauer um die zu Opfern
umgelogenen deutschen Täter_innen ist abzulehnen, da ein positiver Bezug
auf sie nicht möglich ist. Die Trauer um getötete Deutsche, egal in
welcher Form, wird unweigerlich zur politischen und geschichtsrevisionistischen
Kundgebung.
Deutsche Identität
Es gibt keinen vernünftigen Grund, am 13. Februar um getötete
Deutsche zu trauern. Das, was am 13. Februar alljährlich geschieht, ist
keine unpolitische Erinnerungsarbeit, sondern ein kollektives Ritual.
Gedenken kann und muss man dem mit der Bombardierung verbundenen Tod und Leid
der wirklichen Opfer: der Zwangsarbeiter_innen, der Jüdinnen und Juden,
aber auch der Kinder. Sie alle werden zwar oft für die Rechtfertigung des
Gedenkspektakels missbraucht, aber um sie geht es im Gedenken überhaupt
nicht. Die Gemeinsamkeit aller bunten und abstrusen Geschichtsverzerrungen
zeigt sich darin, dass für den 13. Februar 1945 eine im Kern unschuldige
und unbeteiligte, wenn nicht gar widerständische deutsche (und
natürlich erwachsene) Zivilbevölkerung konstruiert wird, mit der die
eigene Identifikation möglich ist. Zentral für diese Identifikation
ist die Ausschaltung aller Reflexion und Bewusstseinsanstrengung; die
organisierte Gedenk-Show bewegt sich vollständig auf der Ebene von
unmittelbaren Affekten. Abstrakt betrachtet wird der Kontext, bestehend
aus den deutschen Verbrechen; doch gerade wie sie in einer mythologischen
Ausdrucksweise einfach benennbar sind, entziehen sie sich der realen
Vorstellungskraft der Zuhörer_innen, werden entwirklicht. Der
obligatorische Absatz zur Vorgeschichte erfüllt in der pathetischen
Gedenkrede die Aufgabe des notwendigen Spannungsbogens für den
eigentlichen Höhepunkt, der sich auf der rein emotionalen Ebene bewegt:
die falsche Identifikation mit der individuellen Erlebnis- und
Leidensgeschichte. Hier erst kommen die vorher ausgeblendeten Deutschen als
Individuen ins Spiel: als individuelle Opfer. Ihre dramatischen
Zeitzeugnisse sind für den gesunden Menschenverstand der
Trauerbürger_innen, die genau eine solche emotionale Show erwarten, leicht
greifbar. In der Ausschaltung jeder geschichtlichen Reflexion wird das Gedenken
zur billigen Propaganda-Kundgebung. Wollte man der tatsächlichen Opfer
gedenken, so müsste mit jedem positiven Bezug, jeder Identifikation mit
den für den Nationalsozialismus verantwortlichen Deutschen gebrochen
werden. Gegen das eigene falsche Bedürfnis nach Empathie angesichts der
nicht zu leugnenden Leiden der Deutschen ist die aus dem Begriff des
geschichtlichen Zusammenhangs entspringende Kälte des Verstandes
notwendig; nur sie kann die ungebrochene Erinnerung an die Opfer des
Nationalsozialismus bewahren. An keinem Punkt des Dresdner Gedenkspektakels und
des zugehörigen Diskurses findet der Bruch mit dem falschen Bedürfnis
nach Einfühlung und Identifikation statt. Jeder am 13. Februar verlesene
dramatische Zeitzeug_innenbericht von deutschen Opfern ist ein
handfestes Stück Geschichtsrevisionismus.
Die Verkehrung der deutschen Täter_innen zu Opfern ist ein nicht
wegzudenkendes Moment in der Herstellung nationaler Identität. Wie alle
Identitäten ideologische Gebilde sind, müssen sie sich als ewig und
unveränderlich darstellen, was hier allein dadurch gelingt, dass selbst in
der dunklen Zeit des Nationalsozialismus ein positiver Anknüpfungspunkt
ausgemacht wird, an dem sich das falsche Bewusstsein festhalten kann: die
unschuldige deutsche Zivilbevölkerung als eine Summe von
individuellen Opfern, die nicht bloß das bessere, sondern
schlechthin das gute Deutschland verkörpern soll. Für die eigene
Identität wird dabei nicht nur die historische Kontinuität
hergestellt, sondern aus der mythologisierten Geschichte des
Nationalsozialismus soll gerade die Abhebung der eigenen Identität von den
Anderen, die eigene Besonderheit also gezogen werden. Die untilgbare deutsche
Schuld wird in einen positiven Auftrag umgedeutet, in die eigene
Verantwortung für die Gestaltung einer menschenwürdigen,
demokratischen und friedlichen Gesellschaft (Rahmen für das Erinnern). In
der Identifikation mit dieser aus der eigenen Geschichte angeblich
entspringenden Verantwortung liegt aber keine Belastung, sondern ein
greifbarer Vorteil für die Individuen, nämlich die selbst erteilte
Bescheinigung, die Vergangenheit aufgearbeitet zu haben und selbst
geläutert zu sein, mit dieser also in keiner Verbindung mehr zu stehen.
Dementsprechend ungehalten reagiert man in Deutschland, wenn die Expert_innen
in Sachen Vergangenheitsbewältigung an deutsche Schuld erinnert
oder mit den Forderungen von Zwangsarbeiter_innen nach Entschädigung
konfrontiert werden. Die Verkehrung von Geschichte in Verantwortung ist
lediglich eine weitere Variante des angeblich berechtigten Schlussstriches
unter die deutsche Vergangenheit. Derartige Reden sind nicht neu, sie datieren
in wandelnden Formen bis in die Jahre nach 1945 zurück, kommen aber ohne
die Betonung des angeblich Neuen gar nicht aus, gleichwohl sie nicht
sagen können, worin dieses eigentlich liegt. Die nicht enden wollende Flut
an leeren Phrasen und Beweisen der eigenen Läuterung und
angeblichen Versöhnung verweist darauf, dass diese keinerlei realen
Kern besitzen, eben wie die angestrebte Auslöschung des Geschehenen
unmöglich ist. Die eigene falsche Identität kann überhaupt nicht
verwirklicht werden, und ist gerade deshalb ein Ritual, welches unendlich
wiederholt werden muss und nie zur Ruhe kommen kann. Es ist die Suche nach
nationaler Identität, die am 13. Februar tausende deutsche
Bürger_innen in Dresden zum geschichtsrevisionistischen Gedenken an
deutsche Opfer auf die Straße treibt.
Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.
Wie in den vergangenen Jahren wird es auch am Freitag, den 13. Februar 2009 in
Dresden verschiedene bürgerliche öffentliche
Trauerveranstaltungen geben. Für den Abend des 13. Februars ruft das
Nazi-Bündnis Gegen das Vergessen zu einem Fackelumzug auf, zu dem
über 1000 Nazis aus dem Spektrum der Freien Kräfte zu erwarten
sind. Am 14. Februar 2009 ist ein europaweiter Trauermarsch für die
deutschen Opfer der Bombardierung geplant. Im vergangenen Jahr war
dieser Trauermarsch mit über 5000 Teilnehmer_innen der
größte Naziaufmarsch Europas.
Auch wenn man nach wie vor am gleichen Tag um die gleichen Opfer trauert: zum
modernisierten Dresdner Gedenken gehört auch die Abgrenzung von den Nazis.
Die Auseinandersetzung mit ihnen findet aber nicht als kritische Reflexion des
eigenen Tuns am 13. Februar statt, sondern kommt im Gegenteil als verlogene
Abwehr einer den Rechtsextremisten vorgeworfenen Vereinnahmung
des Gedenkens daher. Durch diese Vereinnahmung, das Polizeiaufgebot und
natürlich die linken Gegendemonstrant_innen sehen sich die Dresdner_innen
um die Freude am Trauern gebracht.
Die Auseinandersetzung mit dem historischen deutschen Nationalsozialismus und
den aktuellen Nazis scheitert, wenn diese verklärt werden. Die Ideologie
der Nazis steht nicht nur in Kontinuität mit den Ressentiments praktisch
aller Schichten der deutschen Gesellschaft, sondern auch ihre
demokratisch-zivilgesellschaftlichen Gegner_innen im Geh-Denken-Bündnis
von der am rechten Rand fischenden CDU ganz zu schweigen benutzen
explizit Versatzstücke derselben. Wenn zu den Unterstützer_innen des
Aufrufs aus Dresden ein Franz Müntefering zählt, der die
antisemitische Heuschrecken-Metapher im deutschen Sprachraum wieder etablierte
und auf der Website ein Peter Sodann mit dem Statement der Bombenangriff
auf Dresden war das Ergebnis einer langen Herrschaft von Menschen, die es nicht
wert waren, das deutsche Volk zu regieren zitiert wird, ist die
Auseinandersetzung mit den Nazis bereits verloren. Die Sammlung unter den
Fahnen von Meinungsfreiheit und Demokratie wird zur Lüge, wenn sie nur
dazu dient, die geläuterte eigene Nationalidentität gegen die
Bedrohung von rechts zu festigen. Die Rede von der notwendigen
Verteidigung der Demokratie gegen die mit Diktatur identifizierten Nazis hat
zwar noch immer die größten Mobilisierungserfolge im
bürgerlichen Lager, doch sie verzerrt ihren Gegenstand; als ob der NS kein
Volksstaat (Götz Aly) gewesen wäre und die NPD in der Lage
wäre, eine faschistische Diktatur zu installieren. Nein, der
Nationalsozialismus lebt fort nicht nur gegen die Demokratie, sondern ebenso in
derselben, als akzeptierte Meinungsäußerung. Wenn die fortlebenden
und neu produzierten Ideologien und die falschen Identitäten in den
Köpfen der Menschen nicht reflektiert und konfrontiert werden, nimmt die
Auseinandersetzung mit rechts selbst ideologische Züge an.
Naziaufmärsche verhindern, Trauerritual stören!
Die Großaufmärsche der Nazis am 13. und 14. Februar 2009 und die
geschichtsrevisionistische deutsche Trauershow am 13. Februar haben festen
Anteil am Fortbestehen derselben deutschen Ideologie, die für den
Nationalsozialismus verantwortlich war. Sie wird an diesen beiden Tagen
öffentlich reproduziert und in den Köpfen der Menschen verfestigt.
Diese deutsche Ideologie birgt in sich Ausgrenzung, Rassismus, Antisemitismus
und den Hass auf die Anderen. Sie verwirklicht sich in
Brandanschlägen, in Gewalt und Mord durch Nazis und durch ganz
normale Deutsche sowie im kollektiven oder individuellen Wegsehen und der
Toleranz demgegenüber; in Hakenkreuzschmierereien an Synagogen, in
rassistischen Gesetzgebungen und in Polizeiübergriffen. Sie ist eine
Bedrohung für andere Menschen und uns selbst.
Es ist daher unser erklärtes Ziel, die Nazi-Aufmärsche am 13. und 14.
Februar 2009 zu verhindern, sowie das geschichtsrevisionistische
Trauerspektakel am 13. Februar zu stören und durch kreative Aktionen mit
unserer Kritik zu konfrontieren.
2006 gelang es erstmals, durch eine Blockade der Dresdner Augustusbrücke
den Nazi-Großaufmarsch zur Umkehr zu zwingen. Im Jahr darauf musste er
aufgrund antifaschistischer Blockaden eine verkürzte Route wählen. Am
16. Februar 2008 versuchte die Stadt Dresden, antifaschistischen Protest in der
Innenstadt durch ein Verbot der angemeldeten Demonstration zu verhindern und
die Nazis ungestört marschieren zu lassen. Trotzdem gelang es den 1200
anwesenden Antifaschist_innen, von einer Kundgebung ausgehend eine
Spontandemonstration durchzusetzen, und die ursprüngliche Naziroute zu
blockieren. Dadurch konnte verhindert werden, dass die Nazis an der Dresdner
Synagoge vorbeimarschierten. Nichtsdestotrotz konnten sie nach dieser
Routenänderung ihren Aufmarsch unter Polizeischutz weitestgehend
ungestört zu Ende führen.
In diesem Jahr wollen wir mehr. Wir rufen deshalb alle Menschen auf, an diesen
beiden Tagen nach Dresden zu kommen und uns zu unterstützen!
Deutsche Täter_innen sind keine Opfer. Naziaufmärsche verhindern.
Geschichtsrevisionismus angreifen. Keine Versöhnung mit Deutschland.
venceremos
|