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Der ist doch sonst ganz nett...

Dies ist der zweite Teil (Erster Teil im CEE IEH #155) einer Auseinandersetzung mit Frauenverachtung in nah und fern – von mehr oder weniger religiös begründeter Moralapostelei der Tugendterroristen und islamistischen Ballermänner, bis hin zu gewaltphantasierenden Freiheits-, Gleichheits- und Konkurrenz-Apologeten der durchsexualisierten europäischen Hegemonie. Sie soll nicht unpolemisch sein. Von mfg(1).

Chinesische Banknote, 75.0k

2. Entblößung: Pornographie
    „Nichts ist weniger natürlich als Sexualität.“ (Alice Schwarzer)
We shall overcome

Oft geschieht es, dass anschließend an die Diskussion über das harte Los der muslimischen Frau ein Loblied auf die Existenzbedingungen von Frauen in der westlichen Welt gesungen wird – auf das schier unglaubliche Bündel von Möglichkeiten und Freiheiten, das sich über ihren Köpfen versammle und ihnen ein Leben voll Glück, Autonomie und Selbstverwirklichung beschere. Solche Schwarzweißmalerei, der man in antideutschen Kreisen ebenso begegnet wie in naiv-bürgerlichen, kann natürlich der Wahrheit nicht gerecht werden – richtet sie doch einen ideologisch arg verzerrten Blick auf die tatsächliche Lage, der einerseits Männer verleitet, spezifische Probleme von Frauen im Hier und Jetzt zu verharmlosen, und andererseits Frauen, sich in diesen ihren Problematiken selbst nicht ernst zu nehmen.
Abgesehen davon, dass die westliche längst nicht die gute Gesellschaft ist, die unbegrenzte Glücksquanta für alle bietet, sondern lediglich Häppchen von Freiheit in kleinen Luftballons verkauft, halten wir es für falsch, feministische Anliegen als einen ausgetrockneten Nebenarm gesellschaftskritischen Engagements abzutun oder gar ad acta zu legen. Rechtliche Gleichstellung, eine Überzahl weiblicher Studierender, Frauenquoten in Unternehmen und Merkel an der Staatsspitze können das Maß der Frauenunterdrückung in den Ländern Europas und Nordamerikas nicht auf ein Level schrumpfen lassen, das es erlauben würde, den Feminismus achselzuckend zu begraben. Reformen, die diese Erscheinungen herbeiführen, verbessern zwar die gesellschaftliche Stellung der Frauen, ändern jedoch nichts an der patriarchalen Verfasstheit der Gesellschaft.
Ohne die Situation von Musliminnen relativieren zu wollen, möchten wir daher in diesem Artikel die patriarchale Benachteiligung anreißen, mit der Frauen hierzulande zu kämpfen haben. Dass die Kritik des einen weiblichen Rollenverständnisses sich mit der des anderen überschneidet, nämlich an dem Punkt, an dem die Frau als Objekt des Mannes auftritt; dass sich hierin ein sexistisches Grundmuster ergibt, aus dem heraus die beiden Verständnisse wieder vergleichbar werden, das pointiert Alice Schwarzer im oben angeführten Zitat aus Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz, nach welchem die islamische Frau durch Verhüllung zum verfügbaren Eigentum wird und die westliche durch Entblößung.
Daher soll es im Folgenden um Entblößung gehen – speziell um Pornographie. Jedoch wollen wir nicht ausschließlich Pornographie im strengen Sinne analysieren, also als kulturindustrielle Verbreitung zumeist frauenverachtender Sexualpraktiken zum Zwecke der Aufgeilung zuvörderst von Männern, sondern genauso Sexualisierung als allergewöhnlichstes Alltagsphänomen beleuchten, dessen letzte Zuspitzung und Konsequenz die besagten Konsumprodukte darstellen.

Vorangestellt sei die Anmerkung, dass, wenn von Frauen einerseits und Männern andererseits die Rede ist, wir nicht davon ausgehen, die Menschheit sei säuberlich in zwei Hälften teilbar, je nachdem, ob sie als Babys rosa oder hellblaue Socken getragen haben.
Das Geschlechtersystem ist ein System, in dem die Individuen nicht aufgehen – obwohl jedes einzelne bis ins Innerste von ihm geprägt ist. Jedes Subjekt, überall auf der Welt, ist determiniert durch die geschlechtsspezifische Sozialisation, die man ihm hat angedeihen lassen; jede moderne menschliche Identität ist geschlechtlich, ist als Mann angelegt oder als Frau.(2) Diese grundlegende Einteilung realisiert sich von Mensch zu Mensch jedoch stark verschieden. Sie hängt ab von der Insistenz der gesellschaftlichen Anforderungen, als Junge oder Mädchen zu agieren, von der Stellung in Familie und Peergroup und auch davon, ob dem Individuum ökonomisch und intellektuell die Möglichkeit gegeben ist, über seine Sexualität zu reflektieren, sich gar an Dekonstruktion zu wagen, um sich bewusst einigen Zumutungen der Geschlechterzuschreibung zu verweigern.
Die emanzipatorische Kritik am Zustand der Geschlechter soll der Wohlfahrt aller Menschen dienen, denn das binäre Geschlechtermodell zwängt jede und jeden in ein enges Korsett aus Verhaltensweisen, die Gedankenwelt, Emotionalität und Sexualität gleichermaßen beschneiden: Es schränkt Männer und Frauen ein ebenso wie Menschen, die sich als keines von beidem bezeichnen können oder wollen. Besonders aber liegt eine solche Kritik im Interesse von Frauen, weil sie in der Hierarchie der beiden Geschlechter untereinander, die untrennbar mit der Einteilung der Menschheit in Männer und Frauen verbunden ist, die Unterlegenen darstellen.
Eine Gesellschaft als Patriarchat bzw. als durchzogen von patriarchalen Strukturen zu konstatieren, heißt jedoch nicht, zu erklären, dass einfach die männliche Hälfte dieser Gesellschaft die weibliche unterdrücke. Das Phänomen Patriarchat ist sehr viel abstrakter zu begreifen – als ein Strukturelement von vielen, die eine Gesellschaft konstituieren, und kann sich, in Korrespondenz oder Konkurrenz mit anderen Ausgrenzungsmechanismen – z. B. Rassismus, Antisemitismus – indirekt und vermittelt äußern.(3)
Auch feministische Kritik muss sich vor allzu starker Personalisierung hüten: Es soll nicht einfach behauptet werden, dass Männer raumgreifend, herrschaftssüchtig und böse sind; sondern wir möchten männliches raumgreifendes, herrschaftssüchtiges und böses Tun als Resultat der Strukturen charakterisieren, die den Mann als solchen determinieren (ohne ihn aus der Verantwortung für sein Handeln zu entlassen). Auch die westlichen Länder stellen ein Modell von Gesellschaft dar, worin Frauen, ebenso wie Behinderte, Transgender und Migranten beiderlei Geschlechter, tendenziell die Arschkarte gezogen haben. Grad und Gestalt der sexistischen Benachteiligung, der die Einzelne ausgesetzt ist, variieren von Frau zu Frau.
Insofern sind die Frauen und Männer in unserem Artikel eher proto- oder idealtypisch zu sehen, nicht als absolutes Destillat des Weiblichen und Männlichen, in dem der Leser und vor allem die Leserin sich in allen empirischen Einzelheiten wiederfinden sollen. Das tun wir auch nicht.

Verdinglichung (Frau als Körper)

Pornographie, betrachtet als Ware, bedeutet erst einmal, dass Menschen ihre Arbeitskraft in Form ihres sich sexuell betätigenden Körpers verkaufen, um damit die Herstellung „den Sexualtrieb aufstachelnde[r]“(4) Produkte zu ermöglichen; und dass andere Menschen diese Produkte kaufen und konsumieren. Das klingt nach schnödem kapitalistischem Alltag; nach nichts anderem, als wenn Menschen ins Büro arbeiten gehen und danach ihre Freizeit mit Filmgucken, Computerspielen und Sudokurätseln totschlagen. Pornodarstellerinnen, wie alle Frauen in westlichen Gesellschaften, sind, im Gegensatz zur nahezu rechtlosen Einwohnerin des muslimischen Gottesstaats, prinzipiell doppelt freie Lohnarbeiterinnen und ebenso freie Konsumentinnen.(5) Doch darauf lässt sich das Phänomen Porno nicht reduzieren. Auch wenn die Tätigkeit der Pornodarstellerin auf der Ebene der Arbeitskraftverwertung mit der der Bäckerin gleichzusetzen ist, beinhaltet das Feilbieten des eigenen Körpers und der eigenen Sexualität eine zusätzliche, einzigartige Qualität der Unterdrückung.

In der kapitalistischen Moderne ist es unumgänglich, den eigenen Körper als zu beherrschenden, zu formenden sowie gewinnbringend zu verwertenden Besitz zu betrachten; ein solches Körperverständnis geht notwendig einher mit der Herausbildung des Subjekts.(6) Das moderne Subjekt setzt sich von frühester Kindheit an in ein verdinglichtes Verhältnis zu seinem Körper, es kann nicht ganzheitlich als Körper, Psyche und Geist gleichermaßen existieren. Der Körper, als Objekt des Geistes, wird zum Naturverhafteten, über das der Geist solcherart verfügen kann und muss, wie am besten Kapital aus jenem zu schlagen ist. Dieses gewaltvolle Selbstverhältnis des Individuums aber ist gesondert bei der Konstitution von weiblichen Subjekten zu betrachten, in denen die Verdinglichung in einem noch viel konsequenteren Ausmaß vonstatten geht als in männlichen.
Das Konzept vom Menschen als Subjekt ist in seinen Ursprüngen auf den Mann zugeschnitten; es ist ideelle Geburt eines Patriarchats, wie es sich vor ca. 2500 Jahren im antiken Griechenland herausbildete, unter den Bedingungen einer verstädterten, Handel treibenden Polisgesellschaft.(7) Der griechische Bürger, so lautete das Ideal, agierte aus der Vernunft heraus; in vernünftiger Entscheidung, die jähe körperliche Regungen negierte, machte er Geschäfte, gründete seine Familie, traf politische Entscheidungen und pflegte die Künste. Frauen hatten ausschließlich praktisch-ästhetische Funktion: Kinder gebären und aufziehen, den Haushalt versorgen und dekorativ aussehen.
Seit der europäischen Aufklärung gab es Ansätze, dass Frauen in westlichen Ländern auch Subjekte sein dürfen, seit dem 20. Jh. sind sie es rechtlich ebenso gut wie die Männer; aber trotz der mannigfaltigen Transformation der gesellschaftlichen Stellung der Frau über die Jahrhunderte hinweg sind die Forderungen, die das männliche Subjekt an den weiblichen Körper stellt, insgesamt nicht geringer geworden. Die bürgerliche Frau hat nie aufgehört, in erster Linie Körper zu sein; und Körper-Sein bedeutet, als Sexualobjekt des Mannes und Austrägerin seiner Nachkommenschaft zu fungieren.

Dies bildet die fatale Grundlage für eine besonders zwanghafte Einstellung der Frau zu ihrem Körper. Mädchen bekommen sie quasi mit der Muttermilch eingeflößt. Von klein auf lernen sie, ihren Körper nach den Parametern von Schönheit, Schlankheit und Weiblichkeit – ergo sexueller Attraktivität – abzurichten.
Man sehe sich nur einmal um, was weibliche Sozialisation nach wie vor anrichtet. Das fängt an bei den Dutzenden niedlichen rosa Kleidchen auf einem einzigen Spielplatz – während die Jungs natürlich Hosen tragen, in kräftigen Farben und von robusterem Schnitt –, geht weiter bei den langen, mit Spängchen verzierten Zöpfchen und erreicht seinen Höhepunkt in der ausufernden Puppenspielerei, die via Übernahme der Mutterrolle das gesamte Repertoire weiblicher Tugenden vermittelt; allen voran der Sexismus in Spielzeuggestalt, die Barbiepuppe. (Dass dieser Motor für Mädchenkrankheiten bzw. -normalitäten und Selbstzweifel immerhin das meistzerstörte Mädchenspielzeug darstellt, mag als Zeichen der Hoffnung interpretiert werden, wie frustriert viele Mädchen von der ihnen aufgezwungenen Rolle sind.)
Körperliche Bedürfnisse zügeln und sich beherrschen lernen müssen auch Jungen; aber bei ihnen handelt es sich dabei um Sekundärtugenden, nicht um den alles entscheidenden Maßstab.(8)
Von Anbeginn wird Frauen vermittelt, dass sie auf der Welt sind, um mithilfe ihres weiblichen Körpers zum Erfolg zu gelangen und dem Bild eines möglichst perfekten Körpers alles andere unterzuordnen. Dass lange Haare (bzw. eine feminine Kurzhaarfrisur mit frisch geföntem Schwung und akzentuierenden Strähnchen) unpraktisch sind und eine Menge Zeit kosten, kann jede Frau bestätigen; trotzdem gilt es gemeinhin als Signal einer radikalen Lebenswende, mindestens einer dramatischen Partnerschaftskrise, wenn eine Frau die Friseurin ihres Vertrauens zur Schere greifen lässt.

Ihr Körper, das ist für viele Frauen: eine störrische Masse Fleisch, Haut, Haar und Knochen, aus der mit viel harter Arbeit und Selbstdisziplin eine annehmbare weibliche Identität erst zurechtgezimmert werden muss. Angesichts einer solch komplexbeladenen und selbstzerstörerischen Grundeinstellung zum Körper – die unterschwellig sehr vielen Gesprächen von Frauen zugrunde liegt –, zu postulieren, die westliche Frau sei frei, in einem ungetrübt lustvollen Verhältnis zu ihrer Sexualität zu handeln, zeugt nicht von tiefschürfender Auseinandersetzung mit den Bedingungen weiblicher Subjektbildung.

Weibliche Selbstsicht, weiblicher Sexismus

In demokratischen Gesellschaften mit zumindest juristischer Gleichstellung der Geschlechter haben Frauen – im Rahmen staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten – eine Menge Möglichkeiten, ihre Arbeitskraft zu Markte zu tragen, theoretisch können sie jeden Beruf ergreifen; doch es gibt wenige Wahlmöglichkeiten, in denen sie sich nicht auch als sexuelles Objekt zur Geltung bringen müssen. Der gesellschaftliche Wertmaßstab, an dem der Erfolg der einzelnen Bürgerin gemessen wird, ist männlich. Das verrät sich daran, dass dieser Maßstab nicht nur betrachtet, ob die fragliche Frau ordentlich Geld verdient und nebenbei Familie und Haushalt versorgt, sondern ebenso, ob sie bei diesen Tätigkeiten auch gut aussieht (und nicht etwa nach der zweiten Schwangerschaft aus dem Leim geht). Dem überarbeiteten Geschäftsmann werden Ruppigkeit, zerknitterter Anzug und übel riechende Fast-Food-Reste am Arbeitsplatz leichter verziehen als seiner ebenso gestressten Kollegin, wenn sie sich gehen lässt.

Diese frauenfeindliche Werteskala wird, das ist das speziell Perfide daran, von Frauen, die sie ja verdinglicht und damit entwürdigt, ebenso reproduziert wie von Männern: Man denke nur an die überaus beliebte Lästerei „unter Frauen“, die sich genau solchen Punkten widmet, nämlich den Speckröllchen von Anna, dem Männerverschleiß von Berta und der – politisch gänzlich belanglosen – Frisur der Kanzlerin. Solch weiblicher Sexismus zeugt von der traurigen Tatsache, dass allzu viele Frauen (leider auch die meisten jungen) von den Feministinnen der 70er und 80er nichts übernommen haben. Jene als schwanzabschneidende Latzhosenträgerinnen verspottend(9), statt sie als Vorkämpferinnen (ihrer Zeit gemäß) anzuerkennen, beugen sie sich im Umgang mit ihrer Weiblichkeit heute mehr denn je einem Diktat, das sie nicht willens sind, als frauenverachtend zu entlarven. Dies wiederum zeugt von großer Dummheit. Es deprimiert, auf abendlichen Tanzveranstaltungen die jungen Hüpfer zu beobachten, die das pailettenglitzernde Playboy-Bunny quer über der Brust als ebensolches ausweist, wie sie im Engtanz mit der besten Freundin versuchen, die Aufmerksamkeit eines mackernden Jünglings mit viel zu großer Hose auf sich zu ziehen. Mit solch unreflektierter Übersexualisierung ihres Körpers machen sich Frauen zum Konsumprodukt, dem Resultat der Verdinglichung unter kapitalistischen Vorzeichen: Sie konkurrieren auf dem Abschleppmarkt, beziehen daraus ihr Selbstbewusstsein, werden mit dreißig entsorgt bzw. entsorgen sich selbst in Selbstmitleid und Depressionen.

Weibliches Selbstbewusstsein, im Westen wie im Islam, bedeutet nicht: Ich pfeife drauf, was andere von mir denken. Weibliches Selbstbewusstsein hier bedeutet: zu wissen, als Frau die aktuellen Schönheits- und Attraktivitätsmerkmale in genügender Anzahl aufzuweisen; also begehrenswert zu sein; also sich eine gewisse Immunität gegenüber Kritik leisten zu können, die Männer und andere Frauen an der Weiblichkeit der Betreffenden üben könnten. Auf der zwischenmenschlichen Ebene bedeutet dies, dass Frauen ihren Wert als Mitglied der Gesellschaft relativ zu dem der Männer definieren, die sie um den Finger wickeln können – sei es als Liebhaberin, als Angestellte, als Popsternchen oder Fernsehmoderatorin.
Der Blick in aktuelle Frauenzeitschriften bestätigt diesen Wertmaßstab. Nimmt man das Frauenbild, das dort für Frauen von Frauen – unter männlicher Chefredakteursleitung, versteht sich – entworfen wird, bezeichnend für die Sicht aller Marion Mustermanns aus nah und fern, so wird die Frage, ob dem Feminismus nur noch aus historischem Interesse Aufmerksamkeit gebühre, fast grotesk: Neben Themenseiten zu Liebe, Sex und Zärtlichkeit (meist eher seicht-unterhaltsamen als informativen Charakters, denn Frauen fühlen sich nun einmal mit leichter, anschaulicher Lektüre am wohlsten) und neuen Fotos der Caroline von Monaco und Knut dem Eisbären enthalten sie vor allem Mode- und Diätratschläge. Auch wenn sich Beiträge gegen das grassierende Schlankheitsideal wenden – Motto: Frauen, ist das noch schön? – zielen sie nicht darauf ab, ihren Leserinnen ein aufgeklärt-kritisches Verhältnis zu ihrer Körperlichkeit und der dazugehörigen Sozialisation ans Herz zu legen, sondern trösten: Du bist attraktiv trotz deiner Rettungsringe, weil neuere Untersuchungen ergeben haben, dass es auf das prozentuale Verhältnis von Taille zu Hüfte ankommt, nicht auf den absoluten Taillenumfang. – Beleuchtet werden Ausstrahlung, Körperhaltung und Flirtbereitschaft beim Smalltalk im Büro, auf Singlereisen und Spaziergängen mit dem Hund – alle Lebensbereiche gelten nur unter dem Aspekt des ersehnten Begehrt-Werdens. Selbst Lebenserfahrung, wie sie sich in grauen Strähnen und Gesichtsfältchen äußert, wird zuerst zum Attraktivitätsfaktor umgemünzt: Keine Sorge, der ältere Herr weiß Natürlichkeit, sofern gekleidet in schmeichelnde Herbstfarben, zu schätzen …
Solche Versicherungen, wie lächerlich und schwachsinnig sie sich nüchtern betrachtet auch ausnehmen, sind wesentlicher Bestandteil weiblicher Selbstsicht unter den ideologischen Bedingungen einer modernen patriarchalen Blickweise.
(Dass dieses Brigitte-Konstrukt weiblicher Subjektivität nur innerhalb einer heterosexuellen Matrix aufgeht, in der weibliches Begehren auf männliches antwortet, liegt nahe. In den meisten Frauenzeitschriften gibt es keine Lesben außer vielleicht der taffen Ulrike Folkerts, die zeigt, dass man lesbisch und attraktiv zugleich sein kann, wenn man tüchtig joggen geht, und dem maliziös belächelten Clown Hella von Sinnen. Und Schwule findet frau halt irgendwie kurios, vor allem, wenn sie sich auch für Anziehsachen interessieren oder wenigstens lustige Haustiere haben, die man abbilden kann, wie die Daisy vom Mooshammer.)

Porno als Spiegel der Geschlechterhierarchie

Dieselbe Verdinglichung, dasselbe Zum-Objekt-Herabwürdigen des weiblich determinierten Körpers findet seine letzte Konsequenz im Porno – und zwar im Gros der handelsüblichen pornographischen Produkte. Pornos, die aus diesem Mainstream-Rahmen fallen, sollen hier nicht diskutiert werden. Dazu zählen einerseits solche mit nichtheterosexuellen Inhalten, aber auch Pornos, die BDSM- oder andere vermeintliche Minderheiten-Neigungen bedienen bis hin zu Pädophilie und Sex mit Tieren; als Extrem seien so genannte Snuff-Pornos angeführt, für die Menschen tatsächlich getötet werden. Teils bedarf ihr offensichtlich menschenverachtender Charakter keiner feministischen Analyse, teils erfordert die darin thematisierte Konstellation oder Vorliebe eine Diskussion unter anderen Kritikpunkten, wie im Homoporno, der durch die darin nicht auftauchende Konstellation Mann-Frau der Problematik entgeht, sich in der Darstellung sexueller Akte zu geschlechtsspezifischen Herrschaftsverhältnissen zu positionieren, wie es Hetenpornos notwendig tun. Auch Experimente wie die der dänischen Produktionsfirma Zentropa, Pornos „for women and couples“ zu drehen, wobei versucht wird, Sex auf eine Frauen ansprechende Weise und aus der Sicht einer weiblichen Hauptfigur filmisch umzusetzen, bleiben Ausnahmen.
Zudem möchten wir einer Position entgegenwirken, die mit der Suche nach multiplen Karrieremöglichkeiten für Pornodarstellerinnen in westlichen Gesellschaften wirbt und Fakten wie den gestiegenen Pornokonsum von 13-jährigen und die Präsenz von per Handy gefilmtem Gangbang negieren will, denn es geht um eine gesamtgesellschaftliche Tendenz, die sich überall – latent oder offensiv – in sehr vielen Mainstream-Pornos, aber auch in einigen sogenannten Frauenpornos darstellt.

Wie bereits ausgeführt, sind die Individuen der modernen westlichen Welt, gleich den Menschen in allen anderen Kulturkreisen, in ihrer Sexualität geprägt durch Geschlechtervorstellungen und sich daraus ergebende Begehrensformen, die während der Sozialisation verinnerlicht werden. Im Normalfall wird Sexualität zeitlebens im Rahmen des Paradigmas der Zweigeschlechtlichkeit, bestehend aus Geschlechtsidentität und dem Begehren des jeweils komplementären Geschlechts, erlebt.
Da es sich beim herrschenden Geschlechterverhältnis um ein hierarchisches handelt, muss die Beziehung zwischen den beiden Geschlechtern, in die es die Menschen einteilt, gewaltförmig vermittelt sein. In der die Sexualität strukturierenden patriarchalen Logik von Oben und Unten(10) tendiert die Sozialisation des Sexualtriebs bei Männern, denen Superiorität zufällt, zum Sadismus und bei Frauen, die seit je die Unterlegenen sind, zum Masochismus. Diese Verhaltensweisen durchziehen das gesamte Rollenbild der jeweiligen Geschlechter. Im einzelnen Subjekt werden die Muster jedoch am deutlichsten in der Sexualität sichtbar, einem Bereich der Persönlichkeit, der in frühster Kindheit determiniert und späterer Beeinflussung, z. B. durch gegenteilige Erfahrung oder kritische Hinterfragung eigener Verhaltens- und Empfindungsweisen, nur schwer zugänglich ist.

Mainstream-Pornos präsentieren die traditionelle Rollenverteilung der Geschlechter in größtmöglicher Überspitzung. Die Frau fungiert als Duldende, als Hingebende, aber auch als Lockende und Gierige; der Mann tritt auf als Fordernder, Bearbeitender, aber auch als Vernunftbegabter, der sein Begehren kontrolliert, während sie um Befriedigung (die sie nur durch ihn empfangen kann) bettelt. Dem binären, heterosexuellen Geschlechtersystem der patriarchalen abendländischen Kultur entsprechend, dessen theoretische Apologien sich von Aristoteles über Rousseau bis zur trivialen Farce der Eva Herman fortsetzen, bestätigt die pornographische Choreographie die ewiggleichen Zuschreibungen: Sie ist Natur, Trieb, Passivität, Abhängigkeit; er ist Kultur, Ratio, Aktivität und Macht.
Pornoschauspielerinnen dieser Branche sind Karikaturen gesellschaftlicher Schönheits- und Attraktivitätsvorstellungen: groß und schlank bis auf die silikonprallen Brüste, langhaarig, schmollmündig – und sie sind nackt, also Körper und nichts als Körper, die durch das voyeuristische Auge der Kamera, das ihnen in die Geschlechtsöffnungen hineinleuchtet, allgemein verfügbar werden. In auffallendem Gegensatz dazu stehen die dargestellten Männer, die, abgesehen von häufig riesigen Penissen, keineswegs Adoniskörper aufweisen müssen; wahrscheinlich, um den Zuschauern eine möglichst breite Identifikationsfläche zu bieten. Es gehört nicht eben viel dazu, um so’n paar Schlampen flachlegen zu können, schlussfolgert der zufriedene Konsument. – Zudem gehören weibliche oder schwule Konsumenten, die Wert auf Männerschönheit legen könnten, nicht zur Zielgruppe, denn Pornos sind nach wie vor eine Männerangelegenheit.

Es liegt nahe, dass Pornographie in Verbindung mit einer gemeinhin immer noch patriarchal strukturierten Sexualität fast zwangsläufig frauenverachtend sein und Gewalt gegen Frauen verherrlichen muss. Man überschaue nur einmal, was an Porno-Spam täglich im Postfach landet – ein buntes Potpourri an Ekelhaftigkeiten, die jedes finstere Emanzen-Vorurteil bestätigen: „Enormous dick in tight Lolita slut – Berry fucks his heavy cock brutal into her mouth – She chokes but she really likes to be owned …!“ – Und dies ist nicht einmal ein besonders abschreckender Klappentext, sondern laues Durchschnittsbeispiel, wie potenziellen Kunden der Mund wässrig gemacht wird.
Wenn zum Standard gehört, dass Männer in Pornofilmen die Position des Strafenden einnehmen, der Frauen durch möglichst harte Penetration züchtigt, weil sie’s nicht anders verdienen, und der Schmerz der gevögelten Frau als Lustreiz fungiert nicht nur in Machwerken, die explizit auf SM-Vorlieben ausgerichtet sind (EMMA 5/2007) – dann sind die sadistischen Anklänge nicht zu übersehen und die Grenzen zwischen Lust und Qual fließend.

Der Annahme, dass Pornographie als Ware den Bedürfnissen der Käufer entsprechend gestaltet wird, folgt nun, dass das Gros der Porno-Konsumenten vom sexistischen Inhalt dieser Ware die gewünschte sexuelle Stimulation erfährt. Das wiederum zeigt, dass sie ein Geschlechtermodell, das solch widerwärtigen Sexismus hervorbringt, tief internalisiert haben müssen. Pornos, als ein Spiegelbild der gesellschaftlich fortlebenden Herrschaftsverhältnisse, führen vor, dass die Macht des Mannes und die Unterwürfigkeit der Frau erotisch besetzt sind (Nussbaum 2002); grade in Zeiten, da es mit der Gleichberechtigung und Auflösung der Geschlechterrollen scheinbar vorwärts geht, immerhin in einem Maße, dass Feminismus – zumindest in seinen klassischen Anliegen – vielen Menschen zum toten Hund geworden ist.
Unter der Oberfläche der scheinbar gleichberechtigten westlichen Gesellschaft gärt eine Misogynie, die jede Frau, die nur ein bisschen feministisch sensibilisiert ist, täglich zu spüren bekommt.

Porno als Opium des Mannsvolks

In den 70ern begannen, pünktlich zu den ersten Erfolgen der zweiten, „neuen“ Frauenbewegung(11), die Rufe nach einer Enttabuisierung der Pornographie. Die freie Liebe, die ein paar Jahre zuvor propagiert worden war, sollte nun auch medial zugänglich sein, wer Bedenken hatte, galt als prüde, lustfeindlich und spießbürgerlich. Symptomatisch sei aufgeführt der bekannte 68er-Kommunenspruch: „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment.“
Dass die von einer breiten Öffentlichkeit diskutierte Front zur Legalisierung und gesellschaftlichen Akzeptanz von immer mehr und immer härteren Pornofilmen zeitlich mit einem wachsenden Selbstbewusstsein und selbständigen Engagement von Frauen korrelierte – und eben jener Frauen, deren Genossen ständig von sexueller Befreiung und wildem Ficken geschwafelt hatten –, ist kein Zufall. Der Schluss liegt nahe, dass zwischen beiden gesellschaftlichen Entwicklungen ein enger Zusammenhang besteht.
Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist eine ähnlich paradoxe Situation zu beobachten: Auf der einen Seite steht die Allgegenwart frauendiskrimierender Pornographie, bevorzugt im Internet (12% aller Internetseiten haben pornographische Inhalte, 72% der Nutzer dieser Seiten sind männlich); auf der andern Seite zeichnet sich ab eine postmoderne Flexibilisierung der Geschlechterrollen, die diese, so scheint’s, auflöst. Wie ist der Widerspruch zu erklären?
Die Frauenbewegung der 60er und 70er hat das Frauenbild in den westlichen Gesellschaften nachhaltig verändert. Viele Frauen entscheiden heutzutage selbständiger und bewusster über Ausbildung, Beruf und Familiengründung; umfangreiche Studien auf dem Gebiet der Frauen- und Geschlechterforschung bieten Frauen Gelegenheit, über ihre sexuelle, soziale und gesellschaftliche Situation nachzudenken; in vielen Publikationsorganen hat das Binnen-I Fuß gefasst; Schlagwörter wie Gender Mainstreaming sind in aller Munde.(12)
Aber auch am männlichen Selbstbild ist die Frauenbewegung nicht spurlos vorbeigegangen. Zu den Ansprüchen, die Frauen an Männer zu stellen begannen, nachdem sie von Feministinnen ermuntert worden waren, endlich den Mund aufzutun, gesellen sich seit Neuerem die Anforderungen der globalisierten Wirtschaftswelt, die, ungeachtet überkommener Rollenverteilungen, eine möglichst vielseitige Verwendbarkeit der Arbeitskräfte fordert. Diese Veränderungen zeitigen als Resultat unter anderm, dass Personalmanager Soft Skills wie Teamfähigkeit, Einfühlungsvermögen und Dauergrinsen auch von männlichen Bewerbern verlangen; dass Jungs weinen dürfen; dass die Familienpolitik Vaterjahr und Elterngeld propagiert; dass nicht zuletzt Trend-Coaches ein Geschrei um Metrosexualität und Herrenkosmetik erheben. Der Zeitgeist stellt die traditionellen Erscheinungsformen von Männlichkeit in Frage; das diesen zugrunde liegende Gerüst aber bleibt unverändert Bestandteil der Sexualstruktur männlich konstituierter Menschen. Es lässt sich vermuten, dass Männer, auch reaktiv auf die gravierenden Veränderungen im weiblichen Selbstverständnis, gerade in der Besinnung auf ihre verinnerlichte Geschlechterrolle und die damit verbundenen Formen von Sexualität Rückhalt suchen. Diesen Schritt vollziehen ebenso Frauen, wenn sie – im gesellschaftlichen Backlash, der bereits in den 80ern einsetzte – die Errungenschaften der Frauenemanzipation ablehnen, um sich an überkommenen Vorstellungen von Weiblichkeit zu orientieren. Beide, Frauen wie Männer, wollen wenigstens in diesem Bereich ganz Frau oder Mann sein.
So manche Frau, auch und gerade diejenige, die sich alltags zur Karrierefrau gemausert und dazu notgedrungen ihre Verhaltensweisen und Kommunikationsstrategien vermännlicht hat, muss im Privaten Gewissenskonflikte austragen, ob sie noch lieb und fürsorglich genug sei und auch den Touch charmanter Hilflosigkeit nicht missen lasse, den Anflug verruchten Weibchentums in Aufzug und Verhalten, der beweist, dass sie sich trotz beruflichen Erfolgs ihre Fraulichkeit zu erhalten weiß.
(Wie wichtig es für Frauen ist, sich als Frau zu fühlen, wurde in vorhergehenden Kapiteln erläutert; aber welch dringendes Bedürfnis nach eindeutiger Identifizierung der Geschlechter die gesamte deutsche Bevölkerung umtreibt, wird ersichtlich am großen Erfolg buchförmiger Dummbrotigkeiten, die die Spezifitäten des Mann- und Frau-Seins auf humoristisch-pseudowissenschaftliche Weise herleiten – wie der Bestseller Warum Männer nicht zuhören und Frauen nicht einparken können des in plumpen Biologismen und lustigen Cartoons argumentierenden australischen Ehepaares Pease oder des deutschen Späßemachers Mario Barth ulkiges Wörterbuch Deutsch – Frau/Frau – Deutsch.)

Männern dagegen bietet sich die Ausflucht Pornographie an. Die Porno-Industrie antwortet auf die – tatsächliche und gefühlte – Unterwanderung männlicher Souveränität. In Zeiten der ansteigenden Verbreitung psychisch bedingter Potenzprobleme, ausgelöst durch die hohen Anforderungen, denen der moderne Mann, beruflich wie privat, ausgesetzt ist, überbrückt der Griff zum Porno den belastenden Kontrast zwischen den in ihren Grenzen verwischten Geschlechtervorstellungen einerseits und andrerseits der starren geschlechtsspezifischen Sozialisation, die ungebrochen fortzudauern scheint – und das nicht nur aufgrund der nicht aussterben wollenden Generation stalinistisch-konservativer Drachen, die viele Kindergärten regieren, oder aufgrund der Uromi mit preußischer Triebstruktur, der man zum Achtzigsten den Gefallen tut, die kleine Luna in Rüschen zu packen.
Die Vermittlung althergebrachter Geschlechterrollen ist aktuell wie eh und je. Schaut man sich beispielsweise Fernsehwerbung für Kinderspielzeug an, tut einem der heftige Unterschied zwischen Jungs- und Mädchenprodukten förmlich in den Augen weh. Die plakativsten Klischees werden wiedergekäut, Jungs mit wilden Rockakkorden zum Kauf von Action-Schnulli animiert und Mädchen zum Schminken mit Disco-Stacy und ihren Freundinnen. (Dass Puppen zunehmend sexy gestaltet sind statt kindlich-niedlich, macht die Sache nicht besser.) Ergänzt um die dabei unbewusst tradierten Herrschaftsverhältnisse, verfestigen sich so die klassischen sozialen Umgangs- und Begehrensformen. Immer neue Kinder werden zu Jungs und zu Mädchen gemacht, d. h. sie verinnerlichen das traditionelle Geschlechtermodell – das sie gar nicht mehr in dieser ungebrochenen Weise vorfinden, wenn sie erwachsen sind und als Mann oder Frau agieren müssen. So kann es vorkommen, dass männlich geprägte Sexualität, mag sie gleichwohl in einem recht behüteten Umfeld ausgebildet worden sein, in dem keine manifeste Gewalt gegen Frauen stattfand, ihre Befriedigung in frauenverachtenden Phantasien oder gar Handlungen findet – auch wenn der dazugehörige Mann ein ganz Netter ist, der mit Freundinnen und Arbeitskolleginnen gut auskommt. Rational tendiert der männliche heterosexuelle Durchschnittsbürger heutzutage wahrscheinlich zu der Meinung, dass es sich bei Frauen um einigermaßen vollwertige Mitmenschen handle; wie auch die wenigsten Frauen zugeben werden, Männer als ihnen grundsätzlich überlegen zu empfinden. Aber die alten Muster leben in jedem Mann und jeder Frau unter solcher Political Correctness fort als eine Art dunkler Untergrund; allein Reflexion ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung, diesen weniger wirkmächtig werden zu lassen.
Anders ist es nicht zu erklären, dass ein Großteil der in den europäischen und nordamerikanischen Ländern lebenden Männer – Männer also, die in Gesellschaften sozialisiert sind, in denen offiziell längst eine Gleichberechtigung der Geschlechter besteht – nach wie vor Gefallen daran findet, zumindest in ihrer Phantasie ungehemmt sexuelle Herrschaft über Frauen auszuüben, die ihnen eigens zu diesem Zweck zur Verfügung stehen. Ebenso wie der Geschäftsbereich Prostitution – und das pompös-infantile Tamtam, das regelmäßig um etwas derart Unsinniges wie Fußball veranstaltet wird – bietet Pornographie aufgestauter Männlichkeit einen gesellschaftlich kaum sanktionierten Aderlass. Folglich hat Pornographie Ventilfunktion für die (nicht nur sexuellen) Wut- und Rachegefühle männlicher Subjekte, die sich nicht mehr zurechtfinden und ihre Frustration im Konsum von Pornographie ausleben. Frauen im Porno werden nicht verführt, nicht gebeten, nicht überredet; sie werden genommen, zum bloßen Körper-Objekt erniedrigt.(13) Am Vergewaltigungscharakter vieler Pornofilme entlädt sich eine sexualisierte Aggression, die teils sicherlich als Rache an der sich emanzipierenden Frau zu deuten ist.
Bilder und Schriften, die Frauen als Objekte männlichen Begehrens darstellen, gibt es seit den Anfängen patriarchaler Kultur; jedoch tritt in Krisenzeiten maskuliner Identität die alte Verquickung von Sexualität und Macht, die auch unsere westliche Gesellschaft ihren männlichen Teilhabern einpflanzt, besonders zu Tage.

Nun stellt sich die Frage, inwieweit es Pornokonsumenten möglich sein kann, jenen Aderlass – die Porno-Fiktion von der willigen, triebhaften, masochistischen Frau – von der Wirklichkeit zu trennen, von ihren sonstigen Lebens- und moralischen Einstellungen, besonders gegenüber Frauen.
Wahrscheinlich bastelt sich jeder und jede zuweilen sexuelle Phantasien und Tagträume, deren Realisierung gar nicht zur Debatte steht. Der typische Pornogucker wird nach dem Konsum nicht aus dem Hobbykeller hervor schleichen und von seiner Lebensabschnittsgefährtin stracks Taten verlangen, die dem ähneln, was im Filmchen grade Teresa Orlowski mit ihm angestellt hat. Während er in von Pornos entfachten Phantasien schrankenlos dominieren, demütigen und gewalttätig sein kann, wird er kaum den bewussten Wunsch hegen, im wirklichen Leben und wirklichen Frauen gegenüber sich Ähnliches erlauben zu dürfen. Dass zwischen Fernsehbildern und denen, die der Blick aus dem Fenster zeigt, Unterschiede bestehen, weiß in der medialisierten westlichen Kultur jedes fünfjährige Kind.
Allerdings gibt es deutliche Hinweise für den Zusammenhang mit sexuell motivierten Straftaten.(14) In der Beurteilung des Gefahrenpotenzials, das aus dem Porno-Konsum des unbescholtenen Normalbürgers erwächst, drängt sich die Analogie zum vieldiskutierten Spielen von Egoshootern auf: Der gewalttätige Gehalt beider Freizeitbeschäftigungen spricht ein im Konsumenten verwurzeltes sadistisches Aggressionsbedürfnis an, ein Bedürfnis, andern Menschen Gewalt anzutun – und es bietet eine Möglichkeit, dieses Bedürfnis beim Pornogucken bzw. beim Abknallen virtueller Soldaten zu befriedigen, quasi zu kanalisieren.(15)
Hierher gehört das beschwichtigende Argument, Pornokonsum sei bloße Triebabfuhr, pure Befriedigung des Sexualtriebs als eine von Regungen der „Erotik“ und der „Liebe“ abgetrennte Macht, habe also nichts mit der wahren Gefühlswelt des Zuschauers zu tun. Das Pro-Porno-Argument wird gestützt durch die Lehrmeinung, dass männliche Erregung im Vergleich zur weiblichen mehr mechanischer und geradliniger abläuft, wenig beeinflusst von äußerlichen Faktoren, als ein gleichsam vom Besitzer dieses Penis abgespaltener Akt. Empirische (Sexual-)Wissenschaft aber muss stets in ihren gesellschaftlichen Prämissen betrachtet werden, richtet sie sich in Fragestellung und theoretischer Orientierung doch nach dem Erklärungsbedarf einer zweigeschlechtlich und patriarchal denkenden Gesellschaft. Als Beweis für die Notwendigkeit von Pornos die roten und blauen Erregungskurven anzuführen, die BiologInnen in die Schulbücher malen, verteidigt das schlechte Bestehende, statt die Zurichtung menschlicher Sexualität zu kritisieren, die ihre Katharsis auf derart jämmerliche Weise und auf Kosten des anderen Geschlechtes findet.
Es bleibt zu hoffen, dass das Gros der Männer mit geheimer Videosammlung im Keller seine diesbezüglichen Neigungen im Rahmen der Gesetze zu kontrollieren vermag. Instabile männliche Identitäten, solche, die psychisch nicht gefestigt sind, werden vom Genuss von Pornographie durchaus zu frauenfeindlichen Handlungen angeregt; Präzedenzfälle reichen bis hin zum Mord nach pornographischer Vorlage. (So sind, laut einer Studie des Hamburger Instituts für Sexualforschung von 2006, am ehsten diejenigen Männer anfällig für derart motivierte sexuelle Gewalt, die eine abfällig-aggressive Meinung gegenüber Frauen hegen.) Bei den Wenigsten steht am Ende der Amoklauf oder der Lustmord; aber die Übergänge sind fließend.(16)

Eine Kritik des Pornographie-Verbots in islamistischen Staaten sollte nicht darauf hinauslaufen, die Einwohner dieser Länder zu bemitleiden, weil sie, im Gegensatz zu westlichen Staatsbürgern, am Konsumieren von Pornos gehindert werden. Vielmehr sollte eine solche Kritik sowohl den religiösen Wahn verurteilen, der mit einem solchen paternalistischen Verbot moderne Errungenschaften wie Presse-, Meinungs- und Informationsfreiheit negiert, als auch die patriarchalen Mechanismen beleuchten, die die Sexualität ganzer Gesellschaften in einer derart destruktiven Weise regulieren, dass Männer auf Surrogate ausweichen müssen, um sexuelle Befriedigung zu erlangen, und Frauen und Nicht-Heterosexuelle sich in Lebensgefahr begeben, wenn sie ihrem Begehren folgen.

Das Ja zum Porno ist kein Ja zur Emanzipation. Eine lebhafte Auseinandersetzung jedes Menschen mit seiner Sexualität, ihren Begehrensformen und ihrem Entstehenszusammenhang, ihrer Verstrickung in die diesem Menschen anerzogene Geschlechterrolle und andere gesellschaftliche Rahmenbedingungen, ist vonnöten, um einen Schritt zur Befreiung der Sexualität zu tun, nicht die Enttabuisierung und „Befreiung“ der Pornographie. Denn um wessen Freiheit handelt es sich, und wen schützt ein Tabu? Fühlen Frauen sich erfreut und erregt angesichts der Schlagsahnekleckse auf den Brüsten der Zuckerbäckerin Isabel, 23, wie sie sich tagtäglich auf Seite Eins der BILD-Zeitung räkelt? Oder fühlen sie sich frei in ihrem Körper, wenn von einer Hauswand in Titanengröße das computertechnisch makellos gefeilte Schiesser-Model anzeigt, wie weit für die Betrachterin noch der steinige Weg zu einer Figur ist, die es wert wäre, begehrt zu werden? Die Sexualisierung und Pornographisierung, die weite Teile der westlichen Gesellschaften durchziehen, setzen die Frauen in diesen Gesellschaften unsäglichen und übermächtigen Zwängen aus, tut ihnen somit Gewalt an. Die Liberalisierung von pornographischen und pornographie-ähnlichen Konsumprodukten hat nicht im Entferntesten etwas damit am Hut, einen Weg zur Entwicklung einer humanen Gesellschaft im Sinne einer Assoziation freier Individuen zu beschreiten, die, unbelastet vom repressiven Korsett des herrschenden Geschlechtersystems, nach Herzenslust ihre sexuellen Wünsche erkunden und ausleben könnten.
Der Geschäftszweig Pornographie taugt nicht, einen emanzipierten und lustvolleren Umgang mit Sexuellem aufzuzeigen – wie auch kein anderer Industriezweig dazu taugt, den Menschen Sinnlichkeit und ein Problembewusstsein für das Absehen vom Konkreten in der Produktion von Gebrauchswerten zu vermitteln. Pornos führen in ihrer Sexualität zugerichtete und deformierte Menschen vor: Die vorturnenden Frauen sind es ebenso wie die vor der Glotze sitzenden Männer. Die einen tragen ein paar hundert Euro mit nach Hause, nachdem sie sich ihren vertraglich gesicherten Achtstundentag über von irgendwelchen Widerlingen auf experimentell-unbefriedigende, wahrscheinlich schmerzhafte Art haben ficken lassen (ob echt oder vorgeblich); die anderen genießen das kurze Glück, ihr frustrierendes Arbeits- und Sexualleben momenteweise über dem Masturbieren zu vergessen. Das ist der Vorgang in seiner ganzen Armseligkeit.

Szylla Westen vs. Charybdis Islam?

Es ist nicht zu leugnen: Das Glück der Frau im goldenen Westen entpuppt sich als Chimäre. Sexismus existiert in der einen Kultur genauso wie in der anderen, und beiderorts wird er von beiden Geschlechtern getragen; wobei aber Männer jeweils die begünstigte Position innehaben. Die islamische wie die westliche Variante weiblicher Sozialisation erweist sich bei genauerem Betrachten als gewaltvolle Zurichtung. In beiden Gesellschaften leben Frauen unter dem ständigen Zugriff männlicher Anforderungen, die ihre Autonomie als Subjekt negieren, indem sie Frauen auf ihre Sexualität reduzieren und sie in diesem Lebensbereich umso stärker beschneiden. Beugen sie sich diesem Zugriff klaglos und scheinbar freiwillig, kann dies nur bedeuten, dass es diesen Frauen an grundlegenden ökonomischen, rechtlichen und intellektuellen Voraussetzungen und vielleicht an Mut und Chuzpe mangelt, sich von ihm zu emanzipieren. In diesem Sinne ist der als frei proklamierte Wille der Porno-Aktrice, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, indem sie sich als Wichsvorlage bereitstellt, genauso zu problematisieren wie derjenige der Karrierefrau im überkniekurzen Röckchen und letztlich derjenige der Kopftuchträgerin aus Überzeugung: Er resultiert aus der Einsicht, dass Erfolg hat, wer den Kriterien des herrschenden patriarchalen Diktats genügt. Die Entscheidungsfreiheit der westlichen Frau zu feiern, die wahlweise nackig durch den Background eines HipHop-Videos auf MTV hüpfen oder, als anderes Extrem, vor der Eheschließung mit einem Moslem zu Islam und Kopftuch konvertieren darf, hat somit wenig Emanzipatorisches.
Ein wesentlicher Unterschied aber, das soll noch einmal herausgestellt werden, besteht darin, dass westliche Frauen über mehr Möglichkeiten verfügen, sich gegen sexistische Unterdrückung zu wehren. Besonders wer das Glück hatte, als europäisches Mädchen in einem vergleichsweise geschützten Raum aufzuwachsen, der ein einigermaßen reflektiertes Elternhaus sein kann, ein Gymnasium oder auch eine Mädchenschule, auf deren Pausenhof der Wertemaßstab nicht mit dem allgemeinen und spezifischen Attraktivitätsgrad der Schülerinnen steht und fällt, verfügt über gute Voraussetzungen, die Bedingungen seiner Sozialisation und seiner Ansichten über Weiblichkeit zu durchleuchten, sich mit Frauen und Männern darüber auseinanderzusetzen und seine Bedürfnisse auszudrücken und auszuleben.(17) Solcherart privilegierte Frauen, die in islamisch geprägten Gesellschaften auch in der Mittel- und Oberschicht kaum öffentlich in Erscheinung treten werden, können theoretisch alle Möglichkeiten einer demokratischen, aufgeklärten Gesellschaft heranziehen, um sich zu bilden und zu organisieren, um auf politischem Weg gegen patriarchale Zumutungen vorzugehen. Muslimische Frauen sind westlichen gegenüber insofern benachteiligt, als sie kaum Mittel aufbringen können, sich aus ihrer Abhängigkeit zu befreien und einem anderen als dem vorgezeichneten Lebensentwurf zu folgen.
In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass es sich natürlich um eine andere Baustelle handelt, wenn IslamkritikerInnen mit muslimischem Hintergrund, die sich vorrangig an Glaubens- und LeidensgenossInnen wenden, den Westen in den Himmel heben. Der Westen ist tatsächlich golden, sieht man ihn aus der Perspektive des muslimischen Mädchens, dem es gelingt, sich von seinem strenggläubigen Elternhaus zu lösen, um fortan mit Beruf, eigener Wohnung und aus Neigung gewählten LiebespartnerInnen und Freunden ein Leben zu führen, das relativ zu ihrem alten überwältigend selbstbestimmt ist. Golden scheint die Sonne westlicher Freiheit auch aus der Perspektive von Ayaan Hirsi Ali, die in ihrem Anliegen, muslimischen Mädchen und Frauen unter Betonung der Vorteile westlicher Rechtsstaatlichkeit zu helfen, höchst achtenswert ist. Dass Bürger- und Frauenrechtlerinnen wie Hirsi Ali hierzulande weit bessere Bedingungen vorfinden, um für wichtige konkret-realpolitische Anliegen zu kämpfen – z. B. wenn es gilt, Migrantinnen vor Zwangsheirat und Genitalverstümmelung zu schützen –, darf jedoch nicht zu dem Kurzschluss verführen, die bürgerliche Frauenfrage sei längst geklärt und das westliche Staatenmodell das frauenfreundlichste, das möglich wäre.

Fazit: Beide Gesellschaftsformen, die staats- und arbeitsfetischistische westliche Demokratie wie der von Islamisten erträumte und auch praktizierte Gottesstaat, sind von patriarchalen Strukturen durchsetzt. Die eine ist es offensichtlicher, weil Frauen de jure wie de facto männlicher Bevormundung unterstehen; die andere ist es weniger offensichtlich, weil das männliche Diktat sich weniger in der direkten Herrschaft eines Vaters oder Ehemanns äußert, sondern subtiler vor sich geht, vermittelt durch familiäre, schulische und berufliche Anforderungen, durch Werbung, die einen zartlila gestalteten, ergo frauenspezifischen Joghurt mit dem absurden Slogan anpreist Hilft, weniger zu essen!, und nicht zuletzt durch Medien wie Mädchen- und Frauenzeitschriften und eben Pornographie. All diese Alltagsphänomene implizieren die Botschaft: Die Frau ist ein Konsumprodukt, das unter den Mann gebracht werden muss, ein facettenreiches, anspruchsvolles, mitunter eigenständig handelndes zwar, das man als solches höflicherweise nicht bezeichnet, aber doch ein Konsumprodukt, also ein Objekt, das Männern potenziell zur Verfügung steht. Die Entblößung der westlichen Frau ist ebenso ein Zeichen von Frauenverachtung wie die Verhüllung der islamischen. Und Pornos sind sexistische Kackscheiße!

Anmerkungen

(1) (meine frauengruppe) Wir nennen uns nicht Ayaan Hirsi Ali, wie im CEE IEH #155 durch falsches Setzen nahe gelegt wurde. Die korrekte Version des ersten Teils befindet sich online.

(2) Inwieweit vergangene, vormoderne Kulturen nicht-binäre Einteilungen der Geschlechter vornahmen, soll hier nicht weiter beachtet werden, da davon auszugehen ist, dass das männlich-weibliche Geschlechtermodell heutzutage global verbreitet ist.

(3) s. Scholz: Neue Gesellschaftskritik und das Problem der Differenzen. In: Exit! 1

(4) Aus einer maßgeblichen juristischen Definition von 1974, nach der es sich bei Pornographie um „grobe Darstellungen des Sexuellen [handle], die in einer den Sexualtrieb aufstachelnden Weise den Menschen zum bloßen, auswechselbaren Objekt geschlechtlicher Begierde degradieren. Diese Darstellungen bleiben ohne Sinnzusammenhang mit anderen Lebensäußerungen und nehmen spurenhafte gedankliche Inhalte lediglich zum Vorwand für provozierende Sexualität.“ – Analog zum islamischen Tugendterror, der alles Äußerliche an Frauen zu sexuellen Reizen erklärt und damit zur Verhüllung verdammt, da wehendes weibliches Haupthaar schließlich Orgasmen in allen Straßen und auf allen Plätzen provoziere (siehe Teil 1 dieses Textes), arbeiten alle Sparten der Porno-Industrie mit dem Pawlow’schen Reflex und damit auf der Grundlage einer zeitsparenden, rational-armseligen Praktizierung von Sexualität mittels Körperöffnungen, deren Anblick scharf macht.

(5) s. Marx, Kapital, Bd. 1: Zur sogenannten ursprünglichen Akkumulation.

(6) s. Adorno/Horkheimer: Dialektik der Aufklärung; Fromm: Haben oder Sein

(7) Von Griechenland ausgehend breitete sich dieses Konzept der Männerherrschaft weltweit aus und verdrängte andere Gesellschaftsformen, u. a. ältere patriarchale, oder vermischte sich mit diesen.

(8) Zum Problem der geschlechtsspezifischen Sozialisation, besonders in der Schule, siehe Stalmann: Die Schule macht die Mädchen dumm.

(9) Hier wird reflexhaft auf Bilder reagiert, statt sich mit Inhalten auseinanderzusetzen.

(10) Vgl. den Film Walk on Water von Eitan Fox: „Euch Heteros interessiert nur, wer ihn reinsteckt.“ – Zum Phänomen des Bullen, der sich nach Dienstschluss von der Domina auspeitschen lässt, bleibt zu ergänzen, dass dies keine Durchbrechung der Logik darstellt, sondern lediglich ihre – wenig revolutionäre – Umkehrung.

(11) Die Frauenbewegung als moderne soziale Bewegung ist in drei Wellen einteilbar. Die erste spielte sich im Zeitraum von ca. 1848-1918 ab; die zweite, auf die wir uns beziehen, war in den 1960ern und 70ern aktiv; die dritte kam in den 90ern auf.

(12) Natürlich sind diese Fortschritte nicht problemlos gutzuheißen. Zum Ersten dient das Binnen-I der Sensibilisierung für die patriarchale Verfasstheit der Gesellschaft, die sich auch sprachlich niederschlägt – ohne jedoch diesen gesellschaftlichen Zustand aufheben zu können (zur Problematik von Sprache als Männersprache, die den Mann zur Norm erhebt und Frauen lediglich irgendwie „mitmeint“, siehe die spritzigen Arbeiten feministischer Linguistinnen, z. B. von Luise F. Pusch). Zum Zweiten mag so manche Frau, die unter der Doppelbelastung Job und Haushalt ächzt, weil die Selbstverständlichkeit Job einfach zur Selbstverständlichkeit Haushalt inklusive Kindern und Ehemann hinzugekommen ist, sich fragen, was ihr der Feminismus genützt hat. Der Nutzen aber ist, dass sie sich das fragen kann – dass mittlerweile in westlichen Ländern jede erwachsene Frau prinzipiell die Mündigkeit besitzt, innerhalb der Kriterien des Machbaren bewusst ihr Leben zu gestalten.

(13) „Was würdest du machen, wenn du Samantha Whopper in echt treffen würdest?“, fragt der schwule Sigi den Hetero Horst in Ralf Königs sehr gelungenem Comic Wie die Karnickel; Samantha ist die Heroin in dessen – schamhaft versteckten – Lieblingspornos. Und Horst Bömmelburg, harmlos und eher schlichten Gemüts, antwortet mit Raubtierblick: „Die würd ich … die würd ich so richtig …“ Es gilt, der eigenen Argumentation und Empirie ein Stück weit zu vertrauen – und zu prüfen, aus welchem Teilinteresse der Gesellschaft Statistiken jeweils entstehen. Es wäre sehr zweifelhaft, mit jemandem ins selbe Horn zu stoßen, der pseudofeministisch von sexueller Befreiung durch Pornographie schwärmt, im Namen dieser gegen staatliche Zensur agitiert und sich hinterdrein als Heftchenproduzent à Hugh Hefner erweist; ebenso wenig, wie wir mit dem Papst d’accord gehen würden, wenn er verkündete, Pornographie zerstöre das gesunde Eheleben – obwohl diese Äußerung antipornographisch ist.

(14) Hier glaubwürdige Statistiken anzuführen, ist äußerst problematisch. Der Diskurs um die gesellschaftlichen Auswirkungen von Pornographie war und ist hoch ideologisiert. Von den Vertreterinnen der PorNo-Kampagne um Alice Schwarzer wird auf die Zunahme sexueller Straftaten in skandinavischen Ländern verwiesen, so in Dänemark, wo Pornographie von 1968 bis 1980 uneingeschränkt legalisiert war, was eine europaweit beispielhafte Blüte der Porno-Industrie zur Folge hatte. Konträr dazu stehen z.B. PropagandistInnen des US-amerikanischen sex-positive feminism, die Zahlen anführen, wonach die Porno-Hochburg Japan die niedrigste Vergewaltigungsrate aller Industrienationen aufweist – dies als Beleg, Pornographie biete einen gangbaren Weg zur Beschwichtigung und besseren Kontrolle sexueller Bedürfnisse, gar zur sexuellen Selbstfindung. Beide Seiten stellen, wohl nicht zu Unrecht, die Wissenschaftlichkeit der anderen in Frage. Natürlich sind die Ergebnisse empirischer Statistik immer beeinflusst vom Erklärungsbedürfnis der Forschenden, das drückt sich schon in ihren Prämissen aus; daher sind sie ungeeignet, alleiniges Beweismittel einer umfassenden kritischen Untersuchung darzustellen.

(15) Tomb Raider, das beliebte Computerspiel um die ebenso kampfeslustige wie attraktive Archäologin Lara Croft, bietet eine interessante Mischung beider Männer-Spielwiesen.

(16) Massenvergewaltigungsexzesse in Kriegen werden nicht von Monstern, sondern von „normal sozialisierten“ und „sonst ganz netten“ Männern durchgeführt, und eben nicht von Frauen.

(17) Realiter findet diese Auseinandersetzung nur in begrenztem Maße statt. Sobald eine Frau, die in halbwegs kritischen Kreisen verkehrt und daher einige Sicherheit gewonnen hat, diese Kreise verlässt und sich unter Otto NormalsexistInnen aufhält, spürt sie sehr schnell, dass hier ein anderer Wind weht. Die Erkenntnis, in einer gemischten Gruppe als Frau intellektuell nicht ernst genommen, zur Lösung bestimmter Probleme, seien sie technischer oder logistischer Art, gar nicht in Betracht gezogen zu werden, kann sehr demütigend sein; ebenso wie die Erfahrung, mittels einiger dreckiger Lacher, die auf Äußerlichkeiten abzielen, seines Selbstvertrauens beraubt werden zu können. Für die meisten Frauen bedarf es jahrelanger Anstrengung zu lernen, sich in sachlichen Diskussionen zu behaupten – dort im wahrsten Sinne des Wortes ihren Mann zu stehen. Wie auch im Kampf gegen Antisemitismus stoßen Bildung und Aufklärung an Grenzen der Borniertheit, Böswilligkeit und moralischen Beschränktheit.

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last modified: 8.7.2008