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Das folgende Interview mit Radio Island fand einige Tage vor der von Radio Island anlässlich seiner 50.Sendung veranstalteten Podiumsdiskussion „Wie frei sind freie Medien?“ im Conne Island statt. Nachfragen zu den auf der Veranstaltung geführten Diskussionen konnten so leider nicht mehr gestellt werden. Da Radio Island es sich vorbehielt, keine Einzelmeinungen von Redaktionsmitgliedern abdrucken zu wollen, fanden einige Diskussionsstränge keinen Eingang in die hier zu lesende Version.
interview, 3.9k

CEE IEH meets Radio Island


CEE IEH: Beginnen möchten wir zunächst mit einigen allgemeinen Fragen zu eurem Projekt: Seit wann gibt es euch?

Radio: Uns gibt es seit dem ersten August 2004, also seit vier Jahren. Wir feiern jetzt ein Jubiläum, unsere 50. Sendung.

CEE IEH: Gibt es bestimmte Gründe, warum ihr euch bei eurer Gründung das Medium Radio ausgesucht habt? Es gab und gibt ja beispielsweise auch das CEE IEH am Conne Island, wo politische und kulturelle Themen behandelt werden. Das CEE IEH ist ja aber nun ziemlich als Theoriewüste verschrien…War es eure Intention, über das Medium Radio einen anderen Zugang zu den Themen zu finden?

Radio: Die Überlegungen gingen damals schon in die Richtung „Naja, man hat eben hier so was wie das CEE IEH, aber die technischen Möglichkeiten sind inzwischen gegeben, um auch mal was Neues zu probieren." Es war möglich sich die Technik zu organisieren und es gab das Bürgerradio RadioBlau, wo wir einen Fuß in die Tür bekommen konnten. Zum einen wurde es also als Möglichkeit gesehen, als zweites Sprachrohr des Conne Island zu fungieren und auch über dieses Medium Inhalte zu transportieren, zum anderen war es aber auch einfach eine Lustsache, Leute hatten Lust etwas Neues zu probieren.

CEE IEH: Wolltet ihr auch andere Interessen, Themen oder Personenkreise, die hier am Conne Island abhängen, mitarbeiten oder einfach „zum Kundenstamm gehören" integrieren oder ihnen eine Plattform geben? Es gibt ja innerhalb des Umfelds des Conne Island verschiedene „Untergruppen", die vielleicht auch nicht alle gleichermaßen lange Artikel im CEE IEH lesen. Dafür würden sie aber z.B. Radio hören, wo es, etwa mittels der Musik, andere Ausdrucksformen, jenseits der Textform gibt.

Radio: Diese Motivation bestand auf jeden Fall. Wir wollten nach Wegen suchen, politische Inhalte, die auch im CEE IEH auftauchen, anders über das Medium Radio zu verbreiten. Es ist natürlich ein Unterschied. In einem Heft kann man viel ausführlicher werden und ins Detail gehen, beim Radio muss man schon darauf achten, dass es beim Hörer ankommt. Man darf nicht so sehr in die Tiefe gehen wie in einem Heft. Man hat eben die Aufgabe nicht nur auf die Inhalte, sondern auch darauf zu achten, dass die Leute dranbleiben und es verstehen.

CEE IEH: Dass man auf Genauigkeit und Detailschärfe verzichten muss, hört sich für uns erst mal an wie ein Nachteil. Was ist für dich der größte Vorteil des Mediums gegenüber Printmedien?

Radio: Hmm, ich weiß gar nicht, ob es diesen größten Vorteil überhaupt gibt. Ich glaube der größte Vorteil besteht tatsächlich darin, dass man Leute in gewisser Hinsicht abfangen kann. Eine Sendung auf einer Frequenz anzubieten bietet die Chance, dass sich mehr Leute dem Inhalt, der gerade über den Äther läuft, widmen. Aus der Produzentensicht ist die Arbeit im Radio außerdem für mich spannender als ein Heft zu machen. Wichtig ist auch die Möglichkeit zur Betonung. In Texten hat man die Buchstaben schwarz auf weiß, im Radio kann man Inhalte verschieden rüberbringen, zum Beispiel mithilfe von O-Tönen, wo man Aussagen eben nicht nur zitiert liest, sondern die Originalpersonen hören kann.

CEE IEH: Du hast jetzt noch gar nicht die Musik erwähnt. Welche Rolle spielt sie für Produzenten und Konsumenten? Hören euch Leute, weil sie bei euch spannende Musik zu hören bekommen, auf die sie sonst nicht kämen? Oder ist die Musik ein Lückenfüller, der das Ganze konsumierbar macht?

Radio: Das ist ein Punkt, an dem wir noch immer ziemlich zu knabbern haben. Ursprünglich sollte die Musik eine ganz wichtige Rolle spielen, aber tatsächlich verkommt sie manchmal zu einem Lückenfüller. Die Beiträge sind inhaltlich übergewichtet. Unsere Maßgabe, das Verhältnis Musik-Text fifty-fifty zu halten, schaffen wir in der Umsetzung nie. Das ist schade für die Sendung, die Hörer und natürlich auch für die Artists (Dj's etc.), die wir für unsere Sendungen anfragen.

CEE IEH: Hier anschließend würden wir gerne wissen, wie ihr euren Jingle „Radio Island. It's a meeting between culture and politics." verstanden wissen wollt und wie ihr diesen Leitspruch redaktionell umsetzt. Versteht ihr das eklektisch, in dem Sinne, dass ihr einfach aus Versatzstücken aus den beiden Bereichen eine Sendung macht auch wenn kein Zusammenhang besteht? Wir hatten beim Hören eurer Sendungen den Eindruck, dass – gerade in den Anfängen des Radios – der Schwerpunkt sehr auf der Politik lag (und liegt). Wenn Kultur behandelt wurde, hatte man den Eindruck, dass sie nur durch einen Ideologiekritikfilter gesehen wurde. Sonst kamen eher klassische Antifathemen zur Sprache, etwa Reporte aus/über Städte(n) wie Pirna (Sendung #5) oder Borna (Sendung #20). Wie kann man den Jingle also verstehen? Als Politisierung der Kultur? Oder als Ästhetisierung der Politik? Oder Eklektisch? Oder…?

Radio: Dieser Jingle ist eigentlich ein Ideal. Aber auch hier haut es nicht hin, der Fokus liegt auf der Politik, so dass die Kultur, ähnlich wie die Musik hinten runter fällt. Wir wissen das und es stört uns auch, uns fehlt aber manchmal einfach die Verbindung zu den kulturellen Themen und zu dem, was diesbezüglich passiert. Kürzlich hatten wir aber ein Highlight: Wir hatten einen Beitrag über den Maler Gerhard Richter und seine Holocaustbilder (Sendung #48). Der Beitrag war deshalb so gut, weil er sich zum einen sehr stark der Kunst und den Gemälden selbst gewidmet hat, zum anderen aber auch dem Thema dieser Bilder.

CEE IEH: Bleiben wir noch ein wenig bei euren Inhalten. Nach der 50. Sendung lässt sich schon ein erstes Resümee ziehen, was thematische Schwerpunkte und inhaltliche Kontinuität betrifft. Themen, die sich über die Jahre hinweg durch euer Programm ziehen sind unter anderem klassische Antifathemen à la: „Aufmarsch hier, Nazis da" und eine recht starke Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Sexismus/Gender, etwa mit Eva Herrman (Sendung #42) oder auch eher szeneintern über Geschlechterverhältnisse in verschiedenen Leipziger Clubs (Sendung #37). Warum gerade diese Themen? Und siehst Du derzeit eine Entwicklung was euer Interesse anbelangt?

Radio: Da wir auch ein linkes Radio sind, haben wir schon auch Themen, die in der Linken immer eine Rolle spielen: Antifa, Holocaust und Sexismus. Was mir manchmal fehlt ist, dass wir selber gucken: „Was ist interessant?" statt zu gucken: „Was passiert?", was dazu führt, dass man sich nur in seinem eigenen Umfeld umsieht und dann ist es eben wieder eine Antifa-Sendung. Aus diesem Themenspektrum fallen selten Beiträge heraus, ein Beispiel wäre aber eine super Sendung über HipHop in Kolumbien (Sendung #25). Eine Entwicklungstendenz sehe ich aber nicht, höchstens eine negative, nämlich das es so weitergeht. Gerade weil das Themenfeld Antifa wieder so aktuell ist. Es gibt ja gerade jede Woche in Leipzig irgendwas mit Nazis, wo z.B: 30-50 Nazis irgendwo rumstehen und gegen Kinderschänder demonstrieren und darüber muss dann auch sofort ein Beitrag gemacht werden. Das nervt. Mich persönlich nervt es, dass man sich davon nicht losreißen kann.

CEE IEH: Wenn ihr ein Resümee ziehen müsstet: Was waren für euch die schwerwiegendsten Probleme in den letzten 4 Jahren, die eure Redaktionsarbeit behindert haben?

Radio: Es gibt manchmal das Problem der inhaltlichen Auseinandersetzung: Durch den Zeitdruck etc. konnten viele inhaltliche Auseinandersetzungen um Inhalte nicht oder nur kaum geführt werden, weil die Sendungen ja immer pünktlich fertig werden müssen. Es gab einmal einen heftigen Krach in der Redaktion als ein Mitglied am Ende eines Radiobeitrags über Rassismus – mit der Redaktion unabgesprochen – ein Fazit gesetzt hatte, welche so von Antirassisten nicht hinnehmbar war und es dadurch bei uns inhaltliche Auseinandersetzungen gab. Zum anderen hatten wir auch schon mal richtig großen Ärger mit der Landesmedienanstalt, in dessen Folge wir 500€ zahlen mussten: Wir hatten einen Beitrag über Pornographie gemacht, der unter anderem den Bereich des Hip Hop genauer untersuchen sollte. Um das ganze plastisch zu machen, hatten wir ein Lied von Sido mit reingenommen (den „Arschficksong"). Die Sendung wurde zweimal gespielt, weil eine andere Sendung ausgefallen war, und diese Wiederholung hatte einen ungünstigen Zeitpunkt, nämlich 16.00. In der Folge bekamen wir von der Landesmedienanstalt ein Schreiben, der von uns eine Stellungnahme forderte, weil mit diesem Song um diese Uhrzeit gegen das Jugendschutzgesetz und gegen demokratische Richtlinien des öffentlichen Rundfunks verstoßen wurde. Es gab dann heiße Diskussionen und viel Aufregung im Plenum, weil wir uns mit dieser Sendung den Vorwurf eingehandelt haben, den wir eigentlich kritisieren wollten.

CEE IEH: Ihr seid die Initiatoren einer Podiumsdiskussion, die am 5.7.2008 unter dem Motto „Wie frei sind freie Medien?" im Conne Island stattfindet. Dazu habt ihr verschiedene Gruppen, Initiativen etc. eingeladen. Könntet ihr kurz etwas zu dieser Auswahl sagen, und was euch dazu motiviert hat, dieses Motto zu wählen?

Radio: Es wird eine Podiumsdiskussion mit Vertretern unterschiedlicher medialer Bereiche geben (Radio Blau, FSK Hamburg, CEE IEH-Newsflyer, classless etc.), die sich und ihre Arbeit bzw. ihre Resonanz auf ihre Arbeit kurz vorstellen werden. Anlässlich unseres 50. Jubiläums wollten wir vordergründig eine inhaltliche Diskussion über ein Thema anstoßen, dass auch uns als Medium dem Selbstverständnis nach betrifft. Dennoch war die Themenfindung sehr schwierig. Wir stellten uns die Frage, ob es wirklich sinnvoll ist, eine solche „freie Medienarbeit" zu machen, ob das überhaupt alternativ sein kann und wodurch sich bspw. das „Radio Island" vom „Deutschlandfunk" unterscheidet. Die Party soll allerdings auch nicht zu kurz kommen.

CEE IEH: Ihr habt schon einen Radiobeitrag zu diesem Thema gemacht (Sendung #17). Zum einen geht ihr auf das Kulturindustriekapitel aus der „Dialektik der Aufklärung" von Adorno/Horkheimer ein. Zum anderen habt ihr eigene Statements verfasst. Eines davon wollen wir hier kurz zitieren: „Freies Radio ist der Versuch ein Medium aus dem Verwertungszusammenhang zu lösen. Ziel ist die Emanzipation der Hörenden und Sendenden." Unsere Frage in diesem Zusammenhang ist: Von was soll man sich in diesem Beispiel überhaupt emanzipieren?

Radio: Es geht dabei um den immer wieder gepriesenen Satz, um das oberste Gebot von „freien Radios", das schon seit den 80er Jahren besteht: „Der Hörer wird zum Sendenden." Das klassische Angebots-Konsumenten-Verhältnis soll aufgelöst werden, indem Konsumenten eigene Beiträge einbringen. Radio soll für alle offen sein. Dadurch wird in gewisser Hinsicht dem klassischen Modell von Radio widersprochen.

CEE IEH: Durch ein verändertes Konsumenten-Produzenten-Verhältnis, das ihr scheinbar durch das „Ideal eines produktiven Konsumenten" verwirklicht seht, wird ein „emanzipatorisches Moment" suggeriert, das bessere oder fortschrittlichere Inhalte garantieren könne. Damit geht aber die Verkennung der Eingebundenheit in die gesellschaftlichen Verhältnisse einher, die sich von den allgemeinen Medien nicht unterscheidet, es findet vielmehr eine Reproduktion des Immergleichen mit vermeintlich anderen Mitteln statt. Welche Hoffnungen verbindet ihr im Bewusstsein darüber mit einem solchen Moment von „freien Medien", und muss man nicht vielmehr auch die negativen Seiten berücksichtigen, dass bspw. Nazis als Konsumenten nun auch ihre Inhalte durch ebensolche Medien veröffentlichen können?

Radio: In der Redaktion stehen wir noch inmitten der Diskussion darüber, ob es sinnvoll ist sich als ein „freies Medium" zu begreifen oder nicht. Diese Punkte hoffen wir auf der Veranstaltung im Conne Island diskutieren zu können. Viele „freie Medien", wie wir sie verstehen, haben in ihrer Satzung festgelegt, dass keine faschistoiden, rassistischen, sexistischen etc. Inhalte gesendet werden. Das stellt für uns aber, wie schon erwähnt, einen Balanceakt dar, wollen wir doch manchmal an den von uns eingespielten Liedern mit eben jenen Inhalten, unsere Kritik formulieren. Insofern konstatieren wir eine Einschränkung des Pluralismusprinzips. Unser Anliegen ist es, Themen, die in den etablierten Medien nicht unterkommen, zur Sprache zu bringen und ihnen eine Plattform zu geben. Das begreifen wir als eine Möglichkeit nach Außen zu treten.

CEE IEH: Unsere letzte Frage: Warum habt ihr uns eigentlich nicht interviewt, als wir unser 150. Jubiläum herausgebracht haben?

Radio: Wir waren einfach zu beschäftigt, tut uns echt leid!

CEE IEH: Vielen Dank für das Interview.

Das Interview führten Johannes Knauss und sysiphos. Dank an Chris für die technische Hilfe.


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last modified: 8.7.2008