 „Du machst aus Nudeln mit Tomatensauce ein Festessen!“ |
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Ein Murmeltier namens Deutschland grüßt wieder täglich und macht
Jagd auf alle Patriotenmuffel, und das nicht zu knapp! Durfte sich der vom
deutschen Pfad abgekommene Erdenbürger nach dem sportlich gerade noch
glücklich ausgegangenem 4-Jahresturnier der FIFA im Sommer 06 hin und
wieder ein wenig aus dem Wald trauen, so heißt es jetzt erneut
Vorräte anlegen. Das kann nie früh genug passieren, um dem alles
umschlingendem Monster, mit der durch Tränen verschmierten
schwarz-rot-goldenen Schminke auf den Wangen und sonst wo, möglichst nicht
zu begegnen, denn bald ist es wieder soweit: Wenn sich nämlich der
Mannschaftsbus der (Entschuldigung: „unserer“) DFB-Elf auf den Weg gen
Wien macht und dort sicherlich, ähnlich wie beim letzten bedeutenden dt.
Auswärtsspiel in Österreich Ende der 30er Jahre, unter dem johlenden
Gebrüll der Sportfreunde Stiller euphorisch begrüßt werden
wird. Lange ist es also nicht mehr hin und so langsam verdrängen
Schokopuppen mit den Gesichtern von Poldi, Schweini und Co auf dem Alupapier in
den – ihr wisst schon, welchen drei – Farben die Osterkollektion der
Chocolatiers aus den Regalen der deutschen Supermärkte. Und obwohl die
Stimmung in Deutschland, in Aussicht auf ein tolles Fußball-Fest und ein
goldenes Wirtschaftsjahr, so langsam wieder in Fahrt kommt, was die eine oder
andere Dorfgemeinschaft im Vollrausch deutlich unter Beweis stellt (aber das
muss eine starke Demokratie ja vertragen), fehlt dem deutschen
Nationalgefühl der Katalysator. Dachten sich zumindest die Initiatoren der
Neuauflage der „Du bist Deutschland“-Kampagne und entfachten die
glühenden Überreste der alten Kampagne ein drittes Mal nach 1935 und
2005. So haben sich auch diesmal unglaublich viele Prominente, erwähnt
seihen der Kürze des Textes geschuldet exemplarisch nur die wichtigsten:
Ralf Möller, Eva Padberg und Atze Schröder, sowie führende
Wirtschaftsunternehmen (Rama, Görtz und apetito) bereit erklärt, mit
anzupacken, um im Kampf gegen die Muffligkeit der Deutschen bezüglich
ihres Nationalstolzes anzutreten. Die traditionsreiche deutsche Wirtschaft
übernimmt Verantwortung und packt mit an, das kann sie besonders gut
– durchaus tatkräftig bewiesen. Wer schon nicht mit Verstand (also
alle) ins deutsche Boot zu holen ist, soll mit tiefen Emotionen zurück auf
den richtigen Weg gelotst werden. Wer eignet sich dazu nicht besser als
„unsere“ Zukunft: die Kinder. Kinder sind die Zukunft der Nation, wenn
auch mit trüben Aussichten, wie Pisa verrät, und müssen
gefördert, gefordert und geschützt werden. So steht im Kern der
Neuauflage der „Du bist Deutschland“-Kampagne die Entwicklung der jungen
Sprösslinge auf dem Weg zu mündigen Bürgern, die den
Volkskörper stützen und ausfüllen sollen – kommt irgendwie
ein wenig bekannt vor. Kinder sind wie Deutschland. Ähnlich wie für
die lieben Kleinen müssen auch für die Nation Abstriche im
alltäglichen Leben gemacht und Opfer, darin ist man ja nun
weltmeisterlich, gebracht werden. Denn von nichts kommt nichts! Aber die
„Du bist Deutschland“-Kampagne weiß, es lohnt sich: „Du kostest
uns die neuen Schuhe, den größeren Fernseher und den Urlaub am
Meer!“ Und wenn du dann doch nicht so wirst, wie wir uns das vorgestellt haben,
gehst du halt in den Bau, auch wenn du noch nicht mal Deutschland buchstabieren
kannst! Die neue altbekannte Kampagne stellt einen ersten richtigen Schritt in Richtung gesunde Nation dar, aber ausreichen wird das alleine wohl nicht. So gilt es neben Ficken für Deutschland noch andere Mittel am Schopf zu packen, um die Tüchtigkeit und Reproduktion Deutschlands zu steigern. Zu erst geht es dem dekadenten Lebensstil einiger Ignoranten, die sich wohl nicht bewusst sind, was auf dem Spiel steht, an den Kragen. Rauchverbot in allen öffentlichen und öffentlich zugänglichen Einrichtungen seit Beginn des Jahres ist erst der Anfang, schon wird durch Leute, die das Denken eigentlich lieber sein lassen sollten, laut über ein Rauchverbot in den heimischen Gefilden seniert. Mit dem Alkoholgenuss, immerhin der Deutschen liebstes Suchtmittel, soll es jetzt an sozialen Brennpunkten ebenfalls vorbei sein. Der Konsum von Alkohol und Nikotin wird in den nächsten Jahren so weit beschränkt werden, bis diese Teufelsdrogen aus der Gesellschaft verschwinden, nur die Jungs und Mädels mit dem Adler auf der Brust und der Maschinenpistole im Anschlag dürfen dann noch rauchen, denn an der Front herrscht ja eh schon genug Verzicht. Großartig auch der Vorschlag der Grünen, wo anders könnte er herkommen, eine Lebensmittelampel, die das vorliegende jeweilige Lebensmittelprodukt mit rot, gelb oder grün für nicht kaufenswert, mäßig oder von der Gesundheitspolizei empfohlen brandmarkt, einzuführen. Wobei ich finde, dass der Vorschlag noch gar nicht mal weit genug reicht und viel zu sehr von denunzierender Selbstkontrolle abhängt, wären doch Lebensmittelmarken für rationierte Portionen eine lohnenswertere Neuerung. Zugegebenermaßen ein wirklich harter, wenn auch nötiger, Einschnitt in die persönliche Freiheit. Aber für Deutschland – gerne doch. Und außerdem kann Kind aus Nudeln und Tomatensoße, bestärkt durch die „Du bist Deutschland“-Kampagne und das Wissen, dass es andern nicht besser ergeht in der Auswahl ihrer Zutaten, ja auch ein Festmahl zubereiten. Die potentiellen Nörgler dieser Idee brauchen gar nicht erst anzufangen, sondern sollten sich vielmehr ins Bewusstsein rufen, auf was unsere Eltern und erst recht Großeltern früher so alles verzichten mussten. Mit Rauch- und Alkoholverbot, rationierten Lebensmittelmarken, Kinderfreundlichkeit, worunter wohl auch die vorgeschlagene Einkerkerung 0-14-Jähriger gezählt werden darf, und ein wenig zusätzlicher Disziplin zurück zu alter Stärke – das wäre doch was! In Zeiten, in denen alle den Gürtel ein wenig enger schnallen müssen, wächst ja bekanntlich auch der soziale Zusammenhalt und alle werden schon irgendwie Deutschland werden, zumal ja auch alle auf Deutschland angewiesen sind, ganz besonders die Kinder wie der soziale Werbefeldzug zu berichten weiß: „Du hast Mutter und Vater und brauchst doch das ganze Land, um glücklich aufzuwachsen!“ Du wirst eins mit Deutschland werden, du bist Deutschland und Deutschland ist du. Es gibt keinen Ausweg; ein ewiger Kreislauf… In drei Monaten werden die Public-Viewing-Plätz erneut wie Pilze aus dem Boden schießen, die Fußballer der deutschen Mannschaft den Gegner die Bälle um die Ohren fegen, wenn es sich auch nur alle ganz fest wünschen, und es kehrt endlich wieder Normalität ein in diesem Land. Hupende Autokarawanen, wehende Deutschlandfahnen und einfach eine tolle Stimmung. Nur im Conne Island undenkbar, denn da wirft man mit Wattebällchen nach den Trägern schwarz-rot-goldener Lumpen. Äußerst schmerzhaft! Sicherlich werden alle Deutschen ihr Bestes geben, ob vom Krankenbett, dem Büro oder der Couch aus; jeder kann Deutschland helfen, und wenn es „nur“ Daumendrücken ist. Das Bestreben alleine schon versetzt Berge und lässt das ein oder andere Wunder geschehen, wie folgende Phrase plausibel erklärt: „Dein Wille ist wie Feuer unterm Hintern. Er lässt deinen Lieblingsstürmer schneller laufen und Schumi schneller fahren. Egal, wo du arbeitest. Egal, welche Position du hast. Du hältst den Laden zusammen. Du bist der Laden!“ Ach ja stimmt, ich vergaß: Ich bin der Laden! Doch irgendwie reimt sich bei mir im Hinterkopf „Schwarz-rot-gold“ immer noch auf Hakenkreuz! Was soll ich nur machen? Ich weiß auch nicht warum, aber irgendwie ist mir so, als wäre da mal was gewesen. Medizinischen Rat traue ich mir gar nicht einzuholen, denn wahrscheinlich wird auch der beste Quacksalber mir als Heilmittel nur die „Du bist Deutschland-Kampagne“ empfehlen. Für 99 Prozent der Deutschen reimen sich Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Wintermärchen alternierend aneinander. Der Rest dürfte sich hingegen eher wie ins Märchen vom süßen Brei versetzt fühlen, der einmal übergekocht nicht mehr aufhört sich zu vermehren und auch den letzten klaren Gedanken verklebt. Du bist Deutschland? Das tut mir Leid für dich! Bruno |