Der 1. Mai in Leipzig Ein kurzer Rundgang durchs Panoptikum der
Linken
Die einst bitter feindlichen Polaritäten fallen im Krisensturz zusammen,
und zwar auf allen Ebenen. (Robert Kurz in Krisis 26)
Macht ihnen Adorno keine Freude mehr? Haben sie genug von
Flaschenpostzeitkernversöhnung? Wie auch immer die in den
Untergrund (= Universität) gegangenen Antideutschen üben sich aus
Mangel an prestigeträchtigen Beschäftigungsmöglichkeiten
(Stichwort: Friedenszeiten) in Kommunikationsguerilla. Mit dem bewährten
Mittel der charakterisierenden Übertreibung haben sie den 1. Mai in
Leipzig gekapert, um vorzuführen, was sie für das antikapitalistische
Übel halten. Doch ich bin nicht auf ihren Trick hereingefallen, diesmal
haben sie den Bogen überspannt. Dabei ist die ganze Sache raffiniert
arrangiert:
Es gibt zwei Blöcke. Vorn laufen die als ein wenig tumb dargestellten
Gewerkschafter und hinten fein gestaltete Karikaturen der ganz, ganz Radikalen,
derjenigen, die begriffen haben, dass das Schweinesystem nicht reformierbar
ist, ein disparater Haufen Schwarzjackenträger, der es irgendwie gut
meint, aber wie immer schlecht macht. Hier im Anti-G8-Block nistet die
Finsternis, hier sind alle zusammen gekommen, die radikal dummtun gut finden,
alle, die sich bisher zwar nie so richtig grün waren, nun aber, aus Mangel
an alternativen Gelegenheiten (Krieg, Gender-Debatte, Nazis o.ä.) eine
erlesen-ekelhafte Suppe aus altlinker Bewegungsfolklore, dem üblichen
fantasievollen Trommelwiderstand, autonomem Verbalradikalismus und
Vorschlägen zu Steuergesetzgebung und Wirtschaftsförderung
zusammenrühren.
Dem "Skandalurteil" einer Hamburger Richterin, zwei Gartenzwerge "wegen Unzumutbarkeit" von ihren angestammten Plätzen zu vertreiben, folgten landesweite Demonstrationen
Etwa die Hälfte der vorderen Demonstranten hat ihr Arbeitsleben noch in
der DDR zum Abschluss gebracht, was sie nicht davon abhält Wir sind
die junge Garde des Proletariats und anderen Revolutionstrash zu schmettern.
Ein paar wenige Vernünftige sind wegen diverser Mindestlohnforderungen
oder aus Traditionsgründen gekommen. Die nicht ganz so arbeitsfreudigen
Revoluzzer von hinten die aber mit den Arbeitsverrückten der MLPD
wunderbar zusammen demonstrieren können, schließlich muss man
die gesellschaftliche Marginalisierung aufbrechen bekommen von
den berechtigten Anliegen der Reformer allerdings wenig mit. So demonstriert
man quasi nebeneinander her, findet sich eigentlich panne, ist aber auf
Nachfrage schwer überzeugt, dass ein so breites Bündnis nötig
ist.
Hinge ich einer Zusammenbruchstheorie an, hätte ich hier prima
Belegdokumente anfertigen können. Zum Beispiel dies: Vorn singen Rentner
Hannes Waders oberwiderwärtige Interpretation der Moorsoldaten,
hinten ballert Egotronics unsäglicher Leitkultur-Song aus den
Boxen. Das gönne ich dieser Band für eine
attac-dominierte Anti-Bush/Merkel-Demo mit zwei Pace-Fahnen den
Soundtrack liefern zu müssen. Im Vergleich zu diesen Krisenlinken, denen
Logik immer schon Herrschaftswissen und Konsequenz eine schier
unerfüllbare Zumutung war auf dieser Demo wurde bekanntlich gegen
Arbeit und für Arbeit, gegen staatliche Zwänge und für
höhere Steuern demonstriert und an ihrem Ende spricht ein Staatsminister
(!) zu den linksradikalen Gipfelstürmern, also genau einer von
denen ist selbstverständlich jede Anti-Hartz IV-Demo
für ihren emanzipatorischen Gehalt zu loben. Auf der nämlich geht es
um Kohle und Arbeitsplätze, während es am 1. Mai vor lauter
Pluralismus wieder mal um gar nichts ging.
Eine Gemeinsamkeit aber gibt es doch den Neid der Zu-Kurz-Gekommenen,
denn gleichgültig, ob Stalino oder Anarcho oder sonst was, hier wissen
alle: Die Mächtigen in Heiligendamm werden es sich so richtig wohl sein
lassen hinter Stacheldrahtzaun und Polizeischutz. So ein Mächtiger ist
bekanntlich verdammt genusssüchtig und wenn dann noch so ausgewiesene
Partyhengste und Stimmungskanonen wie der Anti-Alkoholiker George Bush und die
Pfarrerstochter Angela Merkel anreisen, wird eine Orgie wohl kaum noch
abzuwenden sein. Überhaupt lässt sich ja kaum etwas Schöneres
denken, als der Besuch einer Konferenzrunde alternder Staatschefs, die
permanent von subalternen Diplomaten umgeben sind. Da tobt das Wohlleben, da
luxuriert man umeinander, da könnte man noch Monate so weitermachen und
mit der Welt spielen (wie eine attac-Gruppe, die sich offensichtlich
für nichts zu schade ist, fünf Tage später auf dem Connewitzer
Straßenfest in einer Performance vorführt) hätte man den Armen
dieser Welt nur genügend Steuergelder ausgepresst. Nichts als Projektion
steckt hinter dem linksradikalen Treiben. Statt die Erbärmlichkeit, das
ahnungslose Herumstolpern und Herumprobieren der vom Volk gewählten (also
gewollten!) Politiker herauszustreichen, unterstellt man ihnen fiese Absichten
und Luxuskonsum auf Volkes Kosten. (Auf den schwer kreativen Performances und
den einschlägigen Transparenten tauchen immer wieder Sektgläser auf,
so als ginge es in Heiligendamm und nicht in den Szenehöhlen unserer
Alternativwürstchen ums hemmungslose Besaufen.) Wer das
Heiligendamm-Treffen für Luxus und Verschwendung hält, offenbart
nichts, aber auch nichts anderes, als das Bedürfnis, selber so umworben
und geschützt zu werden wie die verhassten Damen und Herren
Politiker, denen mit vor Empörung zitternder Stimme und erst am Ende
eines ermüdend langen Redebeitrages gesagt wird, dass wir ihnen
nichts zu sagen haben (Auftaktkundgebung). Diese geschwätzige
Sprachlosigkeit, die ganze großpolitische Anmaßung scheint das
Markenzeichen der Anti-G8-Bewegung zu sein in den FAQ von
www.block-g8.org findet sie sich wieder: Wir stellen keine Forderungen an
die G8, sondern sagen ganz klar Nein`. Als Ausdruck dieses Neins`
werden wir nicht nur demonstrieren. Wir werden uns aktiv den G8 in den Weg
stellen und die Zufahrten zum Tagungsort blockieren, die der Tross von
DiplomatInnen, ÜbersetzerInnen und Versorgungsfahrzeugen passieren muss,
um nach Heiligendamm zu gelangen. Wie gerne wären sie alle hinter den
Absperrungen, wie gern würden sie selber Diäten zocken wollen, selber
wichtig sein, selber im als idyllisch vorgestellten Heiligendamm sitzen, unsere
Damen und Herren Attac-Funktionäre und Links-Studenten.
Sie alle sind eingesponnen in ihren je ganz eigenen Kokon des Wahnsinns
die MLPD-Liesel baut, während sie noch den richtigen Blockeinlauf auf den
Augustusplatz überwacht, im Geiste wohl längst Gulags für die,
mit denen sie jetzt noch zu demonstrieren gezwungen ist, die Stalinisten um die
Zeitschrift Rotfuchs machen das, was sie am besten können,
nämlich die DDR hochleben zu lassen und den Zeiten hinterherzutrauern, in
denen sie die Stasiknäste mit unbotmäßigen Fragestellern
füllen konnten nur der links-studentische Gutmensch, der seine
Arbeitsabneigung immer noch nicht ganz niedergekämpft hat, hofft darauf,
dass man sich nach der Revolution schon irgendwie wird einigen können. Das
debile, fantasievollkreative Grinsen wird ihm hoffentlich bald vergehen;
vielleicht lernt er ja sogar, dass mit mausgrauer Ernsthaftigkeit und klarem
Sprechen den Menschen mehr gedient ist, als mit peinlichen Theaterspielchen und
15 minütiger Ankündigung des Verstummens.
Denn eigentlich, ja eigentlich wissen es viele von ihnen besser sie
wollen aber, wenn es, wie immer, um alles geht, nichts davon hören
lassen. Da steht man eben gemeinsam in einer Demo rum und freut sich,
dass jemand überhaupt was macht und sei es noch so
blöd. Und auch die o.g. elenden DKPler und die brutalo-M/Ler vom
Rotfuchs, mit deren Publikationsorganen sich der Verfassungsschutz
leider viel zu wenig beschäftigt und denen jeder vernünftige Mensch
ein Wiederbetätigungsverbot an den Hals wünscht, reihen sich dann ein
in den fantasievollbuntkreativen Widerstand; friedlich stehen sie neben
Naturschützern und Gewerkschaften und während Staatsminister Jurk von
der Rednertribüne hinweg einem aufmüpfigen Proleten das Wort
verbietet, bleibt ihr einziges Problem die Konterrevolution gegen die
DDR.
In einem Redebeitrag auf der Abschlusskundgebung bemüht man sich
dann doch, Sachforderungen zu stellen und gegen so manche der angeführten
Punkte ist sachlich nichts einzuwenden: Selbstverständlich ist eine fette
Vermögenssteuer eine gute Sache und eine Devisentransaktionssteuer (im
mindestens europäischen Rahmen) durchaus einen Versuch wert;
natürlich ist Widerstand gegen die Privatisierung städtischer
Infrastruktur nötig, wobei auch Ross und Reiter, die neoliberalen
Ideologen im Rathaus und die privaten Profiteure genannt werden müssen.
Das allerdings unterbleibt aus Mangel an Detailarbeit oder wegen der
Überbeanspruchung der martialischen Anti-G8-Rhetorik? (Wie es besser geht,
zeigt die Kundgebung vorm Rathaus zum Stadtwerkeverkauf im November vergangenen
Jahres da gab es eine klare, laute Ansage mit eindeutigen
Redebeiträgen, getragen von einem breiten, aber weil
sachorientierten gut erträglichen Bündnis.) Keine Frage:
Jemand, der für sich selbst möglichst viel herausholen möchte,
soll durchaus versuchen, sich an die Gewerkschaftsforderung nach Stärkung
des Binnenmarktes zu hängen und gegen Lohndumping eintreten. Wenn schon
die kommunistische Bedrohung gerade nicht wiederbelebt werden kann, warum es
nicht mit Linkskeynesianismus versuchen? Das alles ist überhaupt nicht
ehrenrührig. Doch unseren Demonstranten geht es einen Dreck um dieses
Klein-Klein. Ihr Ding ist die große Politik, die Angelegenheit
Stadtwerke Leipzig ist ihnen nur Mittel zum dummen Zweck Anti G8.
Gibt es Ausnahmen? Durchaus. Da wären:
- die sympathische PDS-Omi, die das mit dem Mindestlohn richtig findet, weil
die Leute ja immer weniger Geld haben und Geld zwar nicht alles sei, man es
aber nun einmal brauche, nicht wahr?!,
- die Gewerkschaftsjugend, die wenigstens nichts Dummes ruft, eine
Verdi-Fahne trägt, mehr Geld fordert und im Übrigen sich aufs
grimmig Gucken beschränkt,
- die auf alle Fälle hübsch anzusehenden, wuchtigen, breit grinsenden
Gesellen mit Mainelke im Knopfloch,
- ein paar dickliche Punker, die sich glücklicherweise auf ihre Tradition
besonnen haben, also keine dummen Politparolen rufen, sondern ihre Sternis
vertilgen, Polizisten zuquatschen und mit den Hunden schimpfen, wie es sich
für Punker gehört. (Danke noch mal!),
- und nicht zu vergessen die iranischen KommunistInnen mit Schildern gegen den
westlichen Militarismus, gegen den politischen Islam, gegen eine islamische
Republik, gegen Krieg und gegen islamistischen Terrorismus. Sie sind vermutlich
die einzigen der ganzen Demonstration, die wissen, wovon sie überhaupt
reden.
Hinter den iranischen ArbeiterInnen sammelt sich allerdings kaum jemand.
Die deutsche Linke ist ausreichend damit beschäftigt, gegen die
Zerstörung der Sitten und Bräuche (O-Ton attac bei der
Auftaktkundgebung am Connewitzer Kreuz) durch die globalen Konzerne zu wettern.
Ich möchte den Tag noch erleben, an dem unter sanftem oder stärkerem
Druck den aufgeregten Subkulturfatzken aus dem linken Ghetto und auch dem
ahnungslosen attac-Hanswurst von übergeschnappten Volksbefreiern
irgendwelche autochthonen Bräuche beigebogen werden. Es wird der Tag sein,
an dem sie, um mitmachen zu können bei der Befreiung, in eine peinliche
Volkstracht gehüllt, mit ihren neuen Brüdern und Schwestern im Kreise
tanzen, dabei ihre CD-Sammlung zertrampeln und die letzten Alkoholvorräte
wegschütten müssen. Vielleicht gestattet aus diesem Anlass das
Autonome Volksbefreiungskomitee der Band Egotronic einen letzten
Auftritt.
Holger
|