home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[144][<<][>>]

review corner Film, 1.4k

Die Dialektik der Verwirrung

... in der Verwirrung der Dialektik – über „300“

Wieder einmal herrscht Aufregung im Überbauland. In halbjährigen Wellen schwappt die Diskussion über den Kampf der Kulturen über die Kinolandschaft. War es zuletzt „Borat“, der zu einer ganz anderen Zeit, in einem ganz anderen Land und mit ganz anderen Mitteln den Konflikt zweier Kulturen – nennen wir sie mal der Einfachheit halber die „westliche“ und die „barbarische“ – bebilderte, so sorgte nun die Verfilmung des gleichnamigen Comics von Frank Miller „300“ für Diskussionen.
Was beide Filme – im Wortsinne – reizvoll werden lässt, sind die unterschiedlichen Lesweisen, die sie zulassen. Wem ist es im Kino nicht ob des Publikums Angst geworden, das über die antisemitischen Witzeleien in „Borat“ so herzhaft gelacht hat? Und wer hat nicht die Befürchtung, dass „300“ bei gewaltgeilen jungen Männern Anklang findet, die sich an der Schönheit des Gemetzels ergötzen? Vielleicht verraten solche Bedenken aber auch mehr über ihre Träger als über die Zuschauer. Was bleibt, ist der Zweispalt, der sich aus der deutungsoffenen Beziehung von Subtext und Oberfläche ergibt.
Natürlich ist kein Film ohne solchen Subtext und nur die durch ihn ermöglichten Identifikationen und Projektionen machen Filme unterhaltsam. Aber dieser Subtext bleibt im allgemeinen unsichtbar, nur in seltenen Momenten der Ironie wird den Zuschauenden zu verstehen gegeben, dass hier mit ihren Wünschen und Erfahrungen Raubbau getrieben wird.
Um also Liebeskomödien oder Actionfilme zu analysieren, bedarf es einer psychoanalytisch angereicherten Ideologiekritik, die ihre Mechanismen entschleiert. Mit diesen Mitteln kann man auch an „Borat“ oder „300“ herangehen, um dann wahlweise festzustellen, dass es sich um rassistische oder
Gartenwzerg-Befreiungsfront

Maskierte Mitglieder der Gartenwzerg-Befreiungsfront mit einigen ihrer befreiten "Opfer" (1997, Normandie) - Ziel war die Befreiung der Zwerge aus dem Elend ihrer Einsamkeit und Sklaverei.
faschistoide Machwerke handelt. Genau dies aber sind sie nicht, da sie – für den, der es denn sehen will – den Subtext gerade nicht verschleiern, sondern ihn vielmehr als Subtext selbst sichtbar machen. Damit werden die Filme reflexiv und dies wiederum erklärt den Erfolg bei den Kritikern, die sie nicht ideologiekritisch verstehen. Bevorzugt man hochtrabende Ausdrucksweisen, kann man sie als immanente Kritik bezeichnen, die nur (oder fast nur) durch Darstellung den Gegenstandes selbst in seiner Problematik erhellen. Bedingt ist diese Weise der Kritik vor allem durch das Medium, in dem sie sich darstellt. Kein Film, der Erfolg hat, der sich nicht jener Spielregeln bedienen würde.

„300“ bebildert in denkbar eindeutiger Manier einen wichtigen Bestandteil abendländischer Identität: die Verteidigung des Abendlandes gegen die asiatische Barbarei. Als Deutungsmuster zieht dieses Muster sich in schöner Regelmäßigkeit durch die europäische Geschichte: Das letzte Jahrtausend war geprägt vom Kampf der Wehrmacht gegen die rote Armee, von der Verteidigung Wiens gegen die Türken und vom Mongolensturm. Das Jahrtausend davor durch die Schrecken der Völkerwanderung und die Invasion der Hunnen. Die Zeit vor dem Christentum schließlich durch den Konflikt zwischen Persern und Griechen, der das Urmuster für die Interpretation des Nachfolgenden lieferte – weiter zurück kann man nicht gehen, waren die Vorfahren der Griechen und Römer doch selbst einmal jene asiatischen Horden gewesen, die um 1000 v.u.Z. die „ursprüngliche“ europäisch-minoische Hochkultur vernichteten.
Das mächtige vorderasiatische persische Reich zieht nun unter Xerxes gegen die unabhängigen griechischen Stadtstaaten zu Felde, die gerade die Demokratie, das Geld, die Philosophie und die Alphabetschrift erfunden hatten, kurz, alles was die Grundlage westlicher Zivilisation bildet. Aus der Vielzahl der sich über Jahrzehnte hinziehenden Auseinandersetzungen hat sich (bzw. hatte sich, als es noch so etwas wie einen humanistischen Bildungskanon gab) ein Ereignis besonders in das kollektive Gedächtnis eingegraben, die Verteidigung der Thermophylen durch 300 sich opfernde Spartaner gegen eine riesige Übermacht an feindlichen persischen Truppen. Derlei Opferei hat sich bis in jüngste Zeit stets als besonders dankbares Identifikationsmoment angeboten: Massada, Alamo, die Nibelungen, die christlichen Märtyrer; ohne wenigstens einige Tropfen Blut scheint das Fundament nicht zu halten, auf dem die jeweiligen Traditionen ruhen.
Über die allgemeine Form des Opfers hinaus, gewinnt der Tod der Spartaner jedoch eine besondere Bedeutung, die sich in der Gedenktafel manifestiert, welche nach dem endgültigen griechischen Sieg ein Jahr später an der Opferstätte errichtet wurde. Nach Schillers Übersetzung, die auch die deutsche Synchronisation verwendet: „Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl.“ Es ist das Wörtchen Gesetz, das die spezifische Rationalitätsform dieses Opfers ausmacht. Hier verbirgt sich der Keim der abendländischen Freiheitsidee, heißt „Gesetz“ in diesem Kontext doch freiwillige Bindung an die selbst geschöpften Regeln des Zusammenlebens.
Aber das ist nur eine mögliche Deutung, auch wenn der Film sie den Spartanern selbst in den Mund legt. Das Epigramm kann beliebig benutzt werden. So benutzte Hermann Göring in einer Rede am 30. Januar 1943 das antike Geschehen, um die Niederlage in Stalingrad zu rechtfertigen: „Kommst Du nach Deutschland, so berichte, du habest uns in Stalingrad kämpfen sehen, wie das Gesetz der Ehre und Kriegführung es für Deutschland befohlen hat.“

Dem Film gelingt es, genau diese Beliebigkeit der Deutungsmuster sichtbar zu machen. Vordergründig kämpfen die Spartaner für das selbstgegebene Recht, für Freiheit und Aufklärung. Leonidas, ihr Heerführer, beugt sein Knie nicht gegen den selbsternannten Gottkönig Xerxes, weil er sich keinem fremden Willen unterwerfen möchte. Ebenso bricht er das göttliche Recht seiner Heimatstadt, weil auch dieses einer rationalen Prüfung nicht standhält. Aber die bis zum Letzten verteidigte Selbstbestimmung bleibt darüber hinaus fast vollkommen leer. Die Spartaner sind nicht frei in einer emphatischen Deutung des Wortes. Das wissen sie aber nicht und da der Film konsequent aus der Perspektive eines überlebenden Spartaners berichtet, kann es auch nicht verbalisiert werden. Gezeigt wird es. Die grausamen Techniken der Mannes- und Kriegerzucht werden geschildert, verhöhnt werden die übrigen Griechen, die bürgerlichen Berufen nachgehen. Außer der vehementen Ablehnung von Fremdherrschaft gibt es keinen Hinweis darauf, worin die positiven Freiheiten der Spartaner eigentlich bestehen sollen, für die sie mit solcher Inbrunst kämpfen. Letztlich kämpfen sie um des Kämpfens willen; dies ist ihre Bestimmung.
Auch das Opfer für das Gesetz bleibt wenig mehr als eine hohle Phrase, denn worin dieses Gesetz bestehen soll, wird nicht gesagt. Vielmehr glänzt Leonidas im Brechen aller überlieferten Gesetze – der Film beginnt mit einer wahren Untat, dem feigen Mord an einigen persischen Gesandten. Neben dem Motiv des Todes für die Freiheit tritt ein zweites, archaisches, jenes das Göring in seiner Sentenz betont, das Motiv der Ehre. Leonidas und die Seinen sterben, damit die Soldatenehre der Spartaner nicht befleckt werde. Zwar deutet der Film einen rationaleren Grund für das Opfer an, es soll Fanal sein, die anderen Griechen zum Krieg gegen die Perser aufzustacheln, doch unter den 300 selbst spielen solche Überlegungen am Ende keine Rolle. Dies ist psychologisch wahrscheinlich sogar richtig beobachtet: Man opfert sich nicht aus Berechnung, sondern nur für eine „höhere“ Idee. Dass das Opfer der Spartaner zum Auslöser des gesamtgriechischen Widerstandes wird, spiegelt letztlich sogar eine Seite der Logik terroristischen Handelns. Terroristen intendieren mit ihren Handlungen (fast) immer auch die Beeinflussung einer lethargischen Bevölkerung, die sie auf ihre Seite ziehen wollen.
Sieht man den Film mit den Augen eines hedonistischen, liberalen, antideutschen Kommunisten bietet sich keine Identifikationsfläche. Für wen soll man sich denn entscheiden? Für die (selbst-)mordgeilen asketischen Spartaner, denen der Ruf nach Freiheit zum Blutrausch gerinnt, oder die dekadenten, degenerierten Perser, die von einem wahnsinnigen Gottkönig geführt werden? Dabei bietet und biedert sich „300“ auf den ersten Blick als Identifikationsobjekt regelrecht an und gerät so noch zum Lehrstück perspektivischer Geschichtsschreibung – wobei man an dieser Stelle einmal betonen sollte, dass all dies eher Leistung der Drehbuchvorlage ist, an die sich der Film dankenswerterweise sehr eng hält. Man mag sich wundern und es für eine Phantasieeinlage überdrehter Skriptschreiber halten, dass im persischen Heer ein wahres Bestiarium an Monsterwesen mitgeführt wird. Doch ist der Film an dieser Stelle höchst realistisch, folgt er doch der Logik mündlicher Erzählung, die, von Generation zu Generation, von Dorf zu Dorf weitergegeben, gar nicht anders kann, als aus dem Anderen das Monster zu machen, das als solches dann vernichtet werden muss.

Natürlich lässt sich der Film auf die heutige Situation übertragen. Man kann ihn sich gar nicht anschauen, ohne Vergleiche zu ziehen. Nur, keine der Analogien geht auf, alle führen sie auf Holzwege. Mehr an Nicht-Identischem lässt sich von Hollywood nicht erwarten.

mele

home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[144][<<][>>][top]

last modified: 26.5.2007