... in der Verwirrung der Dialektik über 300
Wieder einmal herrscht Aufregung im Überbauland. In halbjährigen
Wellen schwappt die Diskussion über den Kampf der Kulturen über die
Kinolandschaft. War es zuletzt Borat, der zu einer ganz anderen Zeit, in
einem ganz anderen Land und mit ganz anderen Mitteln den Konflikt zweier
Kulturen nennen wir sie mal der Einfachheit halber die westliche
und die barbarische bebilderte, so sorgte nun die Verfilmung des
gleichnamigen Comics von Frank Miller 300 für Diskussionen.
Was beide Filme im Wortsinne reizvoll werden lässt, sind die
unterschiedlichen Lesweisen, die sie zulassen. Wem ist es im Kino nicht ob des
Publikums Angst geworden, das über die antisemitischen Witzeleien in
Borat so herzhaft gelacht hat? Und wer hat nicht die Befürchtung,
dass 300 bei gewaltgeilen jungen Männern Anklang findet, die sich
an der Schönheit des Gemetzels ergötzen? Vielleicht verraten solche
Bedenken aber auch mehr über ihre Träger als über die Zuschauer.
Was bleibt, ist der Zweispalt, der sich aus der deutungsoffenen Beziehung von
Subtext und Oberfläche ergibt.
Natürlich ist kein Film ohne solchen Subtext und nur die durch ihn
ermöglichten Identifikationen und Projektionen machen Filme unterhaltsam.
Aber dieser Subtext bleibt im allgemeinen unsichtbar, nur in seltenen Momenten
der Ironie wird den Zuschauenden zu verstehen gegeben, dass hier mit ihren
Wünschen und Erfahrungen Raubbau getrieben wird.
Um also Liebeskomödien oder Actionfilme zu analysieren, bedarf es einer
psychoanalytisch angereicherten Ideologiekritik, die ihre Mechanismen
entschleiert. Mit diesen Mitteln kann man auch an Borat oder 300
herangehen, um dann wahlweise festzustellen, dass es sich um rassistische oder
Maskierte Mitglieder der Gartenwzerg-Befreiungsfront mit einigen ihrer befreiten "Opfer" (1997, Normandie) - Ziel war die Befreiung der Zwerge aus dem Elend ihrer Einsamkeit und Sklaverei.
|
faschistoide Machwerke handelt. Genau dies aber sind sie nicht, da sie
für den, der es denn sehen will den Subtext gerade nicht
verschleiern, sondern ihn vielmehr als Subtext selbst sichtbar machen. Damit
werden die Filme reflexiv und dies wiederum erklärt den Erfolg bei den
Kritikern, die sie nicht ideologiekritisch verstehen. Bevorzugt man
hochtrabende Ausdrucksweisen, kann man sie als immanente Kritik bezeichnen, die
nur (oder fast nur) durch Darstellung den Gegenstandes selbst in seiner
Problematik erhellen. Bedingt ist diese Weise der Kritik vor allem durch das
Medium, in dem sie sich darstellt. Kein Film, der Erfolg hat, der sich nicht
jener Spielregeln bedienen würde.
300 bebildert in denkbar eindeutiger Manier einen wichtigen Bestandteil
abendländischer Identität: die Verteidigung des Abendlandes gegen die
asiatische Barbarei. Als Deutungsmuster zieht dieses Muster sich in
schöner Regelmäßigkeit durch die europäische Geschichte:
Das letzte Jahrtausend war geprägt vom Kampf der Wehrmacht gegen die rote
Armee, von der Verteidigung Wiens gegen die Türken und vom Mongolensturm.
Das Jahrtausend davor durch die Schrecken der Völkerwanderung und die
Invasion der Hunnen. Die Zeit vor dem Christentum schließlich durch den
Konflikt zwischen Persern und Griechen, der das Urmuster für die
Interpretation des Nachfolgenden lieferte weiter zurück kann man
nicht gehen, waren die Vorfahren der Griechen und Römer doch selbst einmal
jene asiatischen Horden gewesen, die um 1000 v.u.Z. die
ursprüngliche europäisch-minoische Hochkultur vernichteten.
Das mächtige vorderasiatische persische Reich zieht nun unter Xerxes gegen
die unabhängigen griechischen Stadtstaaten zu Felde, die gerade die
Demokratie, das Geld, die Philosophie und die Alphabetschrift erfunden hatten,
kurz, alles was die Grundlage westlicher Zivilisation bildet. Aus der Vielzahl
der sich über Jahrzehnte hinziehenden Auseinandersetzungen hat sich (bzw.
hatte sich, als es noch so etwas wie einen humanistischen Bildungskanon gab)
ein Ereignis besonders in das kollektive Gedächtnis eingegraben, die
Verteidigung der Thermophylen durch 300 sich opfernde Spartaner gegen eine
riesige Übermacht an feindlichen persischen Truppen. Derlei Opferei hat
sich bis in jüngste Zeit stets als besonders dankbares
Identifikationsmoment angeboten: Massada, Alamo, die Nibelungen, die
christlichen Märtyrer; ohne wenigstens einige Tropfen Blut scheint das
Fundament nicht zu halten, auf dem die jeweiligen Traditionen ruhen.
Über die allgemeine Form des Opfers hinaus, gewinnt der Tod der Spartaner
jedoch eine besondere Bedeutung, die sich in der Gedenktafel manifestiert,
welche nach dem endgültigen griechischen Sieg ein Jahr später an der
Opferstätte errichtet wurde. Nach Schillers Übersetzung, die auch die
deutsche Synchronisation verwendet: Wanderer, kommst du nach Sparta,
verkündige dorten, du habest uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es
befahl. Es ist das Wörtchen Gesetz, das die spezifische
Rationalitätsform dieses Opfers ausmacht. Hier verbirgt sich der Keim der
abendländischen Freiheitsidee, heißt Gesetz in diesem Kontext
doch freiwillige Bindung an die selbst geschöpften Regeln des
Zusammenlebens.
Aber das ist nur eine mögliche Deutung, auch wenn der Film sie den
Spartanern selbst in den Mund legt. Das Epigramm kann beliebig benutzt werden.
So benutzte Hermann Göring in einer Rede am 30. Januar 1943 das antike
Geschehen, um die Niederlage in Stalingrad zu rechtfertigen: Kommst Du
nach Deutschland, so berichte, du habest uns in Stalingrad kämpfen sehen,
wie das Gesetz der Ehre und Kriegführung es für Deutschland befohlen
hat.
Dem Film gelingt es, genau diese Beliebigkeit der Deutungsmuster sichtbar zu
machen. Vordergründig kämpfen die Spartaner für das
selbstgegebene Recht, für Freiheit und Aufklärung. Leonidas, ihr
Heerführer, beugt sein Knie nicht gegen den selbsternannten Gottkönig
Xerxes, weil er sich keinem fremden Willen unterwerfen möchte. Ebenso
bricht er das göttliche Recht seiner Heimatstadt, weil auch dieses einer
rationalen Prüfung nicht standhält. Aber die bis zum Letzten
verteidigte Selbstbestimmung bleibt darüber hinaus fast vollkommen leer.
Die Spartaner sind nicht frei in einer emphatischen Deutung des Wortes. Das
wissen sie aber nicht und da der Film konsequent aus der Perspektive eines
überlebenden Spartaners berichtet, kann es auch nicht verbalisiert werden.
Gezeigt wird es. Die grausamen Techniken der Mannes- und Kriegerzucht werden
geschildert, verhöhnt werden die übrigen Griechen, die
bürgerlichen Berufen nachgehen. Außer der vehementen Ablehnung von
Fremdherrschaft gibt es keinen Hinweis darauf, worin die positiven Freiheiten
der Spartaner eigentlich bestehen sollen, für die sie mit solcher Inbrunst
kämpfen. Letztlich kämpfen sie um des Kämpfens willen; dies ist
ihre Bestimmung.
Auch das Opfer für das Gesetz bleibt wenig mehr als eine hohle Phrase,
denn worin dieses Gesetz bestehen soll, wird nicht gesagt. Vielmehr glänzt
Leonidas im Brechen aller überlieferten Gesetze der Film beginnt
mit einer wahren Untat, dem feigen Mord an einigen persischen Gesandten. Neben
dem Motiv des Todes für die Freiheit tritt ein zweites, archaisches, jenes
das Göring in seiner Sentenz betont, das Motiv der Ehre. Leonidas und die
Seinen sterben, damit die Soldatenehre der Spartaner nicht befleckt werde. Zwar
deutet der Film einen rationaleren Grund für das Opfer an, es soll Fanal
sein, die anderen Griechen zum Krieg gegen die Perser aufzustacheln, doch unter
den 300 selbst spielen solche Überlegungen am Ende keine Rolle. Dies ist
psychologisch wahrscheinlich sogar richtig beobachtet: Man opfert sich nicht
aus Berechnung, sondern nur für eine höhere Idee. Dass das
Opfer der Spartaner zum Auslöser des gesamtgriechischen Widerstandes wird,
spiegelt letztlich sogar eine Seite der Logik terroristischen Handelns.
Terroristen intendieren mit ihren Handlungen (fast) immer auch die
Beeinflussung einer lethargischen Bevölkerung, die sie auf ihre Seite
ziehen wollen.
Sieht man den Film mit den Augen eines hedonistischen, liberalen, antideutschen
Kommunisten bietet sich keine Identifikationsfläche. Für wen soll man
sich denn entscheiden? Für die (selbst-)mordgeilen asketischen
Spartaner, denen der Ruf nach Freiheit zum Blutrausch gerinnt, oder die
dekadenten, degenerierten Perser, die von einem wahnsinnigen Gottkönig
geführt werden? Dabei bietet und biedert sich 300 auf den ersten
Blick als Identifikationsobjekt regelrecht an und gerät so noch zum
Lehrstück perspektivischer Geschichtsschreibung wobei man an dieser
Stelle einmal betonen sollte, dass all dies eher Leistung der Drehbuchvorlage
ist, an die sich der Film dankenswerterweise sehr eng hält. Man mag sich
wundern und es für eine Phantasieeinlage überdrehter Skriptschreiber
halten, dass im persischen Heer ein wahres Bestiarium an Monsterwesen
mitgeführt wird. Doch ist der Film an dieser Stelle höchst
realistisch, folgt er doch der Logik mündlicher Erzählung, die, von
Generation zu Generation, von Dorf zu Dorf weitergegeben, gar nicht anders
kann, als aus dem Anderen das Monster zu machen, das als solches dann
vernichtet werden muss.
Natürlich lässt sich der Film auf die heutige Situation
übertragen. Man kann ihn sich gar nicht anschauen, ohne Vergleiche zu
ziehen. Nur, keine der Analogien geht auf, alle führen sie auf Holzwege.
Mehr an Nicht-Identischem lässt sich von Hollywood nicht erwarten.
mele
|