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Videospiele

Einige Anmerkungen zum Thema eines noch jungen digitalen Mediums Teil 1.

      „Diese Kinder träumen den Traum der kleinen Götter an ihren Monitoren.“(1)
Videospiele fressen unsere Kinder auf. Sie verwandeln den Großteil einer ganzen Generation in vor sich hin siechende, fettleibige Autisten, welche die übrige Zeit ihres Daseins zwischen Internetpornographie und youtube aufreiben. Darin sind sich konservative, denen jede Neuerung den Untergang des Abendlandes einleitet, und liberale Geister, deren Kulturkonservatismus den des vermeintlichen Gegners nicht selten um Längen schlägt, im Allgemeinen einig. Video- und Computerspiele, das sind jene fiesen Produkte, die, dem Fernsehen gleich, das Leben der lieben Kleinen in Beschlag nehmen, um es nutzlos zu vergeuden, erdacht von skrupellosen Geschäftemachern, die selbst vor der Unbedarftheit der Kinder nicht halt machen und denen diese nur als eine weitere Zielgruppe im globalen Wettbewerb erscheinen. Und im schlimmsten Falle bilden sie Killermaschinen vor den heimischen Bildschirmen aus, brutale, rücksichtslose Elitekämpfer, die mit ihren aus Egoshootern, Splatterfilmen und werweißwasnoch entliehenen Techniken losziehen, um hemmungslos Massaker zu verüben. Der folgende Artikel soll der geneigten Leserschaft dieses Blättchens, die, wenn nicht schon jetzt, so doch sicher bald die Freuden des Elterndaseins kennen lernen, die Angst nehmen, falls euer wichtigstes Kleinod, anstatt bei einem der örtlichen Vereine einem Ball hinterher zu hecheln oder sich die Zweite Wiener Schule reinzuballern, doch lieber vor dem Daddelkasten hängt. Vielleicht dient es ja der Familienkasse. Und in die Schule müssen die Racker ja sowieso, wenn sie nicht gerade eine erfolgreiche Rockband gründen…

Sündenbock „Killerspiel“
      „Some children died the other day /we fed machines and then we prayed/
      puked up and down in morbid faith/you should have seen the ratings that day/
      We are the nobodies/ We wanna be somebodies/
      When we're dead/ they'll know just who we are”
      (Marylin Manson, The Nobodies)
Als 1999 zwei Jugendliche in Littleton an ihrer Schule wild um sich schossen und Sprengsätze zündeten, lagen im Nachhinein für die Öffentlichkeit plausible Erklärungen schnell auf der Hand. Videospiele, Horrorfilme, Marylin Manson und, von religiöser Seite, Homosexualität hatten die zwei Jungen zu ihrer Tat getrieben. Als Deutschland schließlich 2002 nachzog und die Zahl der Toten in Erfurt jene von Littleton übertraf, hieß es auch hier: Slipknot, Manson, Counter-Strike (Egoshooter). Schließlich ereignete sich in Emsdetten 2006 ein weiterer Vorfall dieser Art, bei dem glücklicherweise der Täter nur sich selbst richtete. Und auch diesmal, obwohl er vorher einen Abschiedsbrief online stellte, in dem er seine Motive klar darlegte, wurden als Zahncreme-Werbung mit Gartenzwergen, 23.8k wichtiger Tatgrund so genannte „Killerspiele“ herangezogen und der Brief wurde, wohl auch aufgrund seiner Brisanz, teilweise zusammenhangslos zitiert oder verschwiegen, was sich im Nachhinein allerdings als schwierig gestaltete, da in Zeiten des Internets das mit der Zensur so eine Sache ist.(2)
Schaut man sich nun einmal den Fall Erfurt und den folgenden Umgang von Massenmedien und Politik mit diesem an, kann man als vernunftbegabter Mensch nur mit dem Kopf schütteln. Fakt ist, Massenmedien sind in unserer Gesellschaft ein entscheidendes, wenn nicht das entscheidende, meinungsbildende Medium für die Allgemeinheit. Die Forderungen der Bürger an die Politik gehen zu großen Teilen darauf zurück, was ihnen durch die Massenmedien präsentiert wird und um ihre Positionen zu bekräftigen, beziehen sie sich auf diese. Natürlich kennt auch ein Massenmedium sein Publikum, schließlich wird es ja zu Teilen von seinen Vertretern erstellt und am Laufen gehalten, die Forderungen der Massenmedien sind somit auch immer schon die Forderungen der Allgemeinheit. Problematisch wird es dann, wenn – wie in der Diskussion nach Erfurt – Gegenpositionen fehlen. Nur fehlen sie eben nicht – sie besitzen im Rahmen traditioneller Massenmedien nur keine Relevanz, keine Plattform, kein Medium. Gemeint sind hier die Spieler selbst, sowie Hersteller etc. Selbst als kurze Zeit nach der Tat die ermittelnden Behörden als Reaktion auf die mediale Präsenz des Themas, die wiederum Druck auf die Politik ausübte, Teilergebnisse ihrer Ermittlungen bekannt gaben, kam es nur vereinzelt bis gar nicht zu Berichtigungen der fehlerhaften Meldungen über das nun mit eher fragwürdigem Ruhm bekleckerte „Killerspiel Counter-Strike“. Weder besaß der Täter den dafür benötigten Internetzugang noch das Spiel. Auch hatte er nicht durch das Spielen von Killerspielen so gut schießen gelernt, sondern wohl eher im örtlichen Polizeisportverein, in dem er regelmäßig an besagter Tätigkeit teilnahm.(3) Währenddessen hatte auch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften ihre Arbeit vollendet, das ihr vorgelegte Counter-Strike bewertet und festgestellt, dass eine „verrohende Wirkung […] nicht gegeben [sei], weil bei der Umsetzung von Actionszenen weitgehend auf Effekthascherei verzichtet wird.“ Die Politik war entsetzt, die Bundestagswahlen standen kurz bevor und die eigene Behörde will bei der Hexenverbrennung partout nicht mitmachen. Gerd Schröder wollte noch mal bei dem älteren Teil der Bevölkerung Punkte machen, stammelte also etwas von einem „ganz falsche[n] Signal“ und die Möglichkeiten der USK (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle) wurden ausgeweitet. Der USK mussten bis dahin alle in Deutschland erscheinenden Spiele vorgelegt werden und sie pappte eine Altersempfehlung drauf und diese wandelte sich zu einer bindenden Verpflichtung. Spiele ohne Jugendfreigabe durften nicht mehr öffentlich beworben oder ausgestellt werden. Dies veranlasste die Spielehersteller „versoftete“ Versionen für den europäischen Markt generell zu produzieren und in Deutschland manche Spiele gar nicht erst zu veröffentlichen.(4) Was das für die künstlerische Freiheit bedeutet, sollte nicht ausgeführt werden müssen, wo es beinahe unmöglich war, ohne illegale Downloads eine ungeschnittene Fassung von Filmen wie „From Dusk till Dawn“ zu erhalten. Nun mögen notorische Leseratten und Theatergänger einwenden, solch einen Schund müsse man sich sowieso nicht zu Gemüte führen, jedoch sollte in westlichen Gesellschaften nicht am Recht auf Schund gerüttelt werden.
Das Bild in den Köpfen war von nun an klar und wurde bei jeder Gelegenheit medial wiederaufbereitet. Wie schon davor Theater, Bücher, Fernsehen und Comics für die Verrohung, Fantasielosigkeit und generelle Verwahrlosung der Jugend herhalten mussten, so waren es nun die so genannten „Killerspiele“. Historisch lässt sich leicht feststellen, dass jedes neue Medium mit Vorurteilen bis hin zu Verbannungen zu kämpfen hatte.(5) Es reitet die Analyse immer wieder die Struktur der bürgerlichen Wissenschaft, das logisch Quantifizierbare, das simple Prinzip von Ursache und Wirkung: je höher der Gewaltkonsum desto höher die Gewaltbereitschaft. Selbst wenn dies zutreffen sollte, was doch sehr bezweifelt werden darf, so zieht nicht jede Absicht zwangsläufig eine Handlung nach sich. Wenn dem so wäre, würde sich die Menschheit als anarchisches Knäuel aus Hauen, Stechen und Ficken sich winden, bei dem ganzen Sex- und Gewaltkram, der einem ständig präsentiert wird. Es gibt eben Kontrollinstanzen, Mechanismen in uns, die verhindern, dass wir bestimmte Grenzen übertreten. Die Entscheidung zu einer Tat wie in Littleton, Erfurt oder Emsdetten ist und bleibt eine individuelle, die dem Individuum angelastet werden muss, ganz egal wie beschissen seine Lebensumstände sind. Und egal wie viele Neurologen, Psychologen und Sozialforscher im Nachhinein aufgeboten werden, um die unterschiedlichsten Erklärungsmodelle zu präsentieren. Den Abzug drückten junge Männer, im vollen Bewusstsein ihrer geistigen Fähigkeiten. Den Abzug historische Postkarte mit Gartenzwerg, 18.0k drückte kein Marylin Manson, kein Counter-Strikespieler, kein Homosexueller, kein sozial Ausgegrenzter, kein Drogenabhängiger, kein Perspektivloser, kein Einsamer und auch nicht der viel beschworene Leistungsdruck oder der mysteriöse Kapitalismus. In erster Linie war es die freie Entscheidung der Täter, ihn zu betätigen, eine Entscheidung, die sie ihren Opfern verwehrten. Es ist das Problem der bürgerlichen Gesellschaft alles rationalisieren zu wollen, auch da wo es nichts zu rationalisieren gibt. Alles, was geschieht, muss einen vernünftigen und plausiblen Grund haben. Überall soll Vernunft walten, selbst da, wo ihre offensichtlichsten Feinde stehen, kann, nein, soll sie nicht abwesend sein. Und eben weil sie in diesem Geiste nicht fehlen darf, müssen Erklärungen her, beginnt die Hexenjagd. Nur sucht man sich das vermeintlich schwächste Glied, um es abzuschlagen, das, was wahrscheinlich das einzig sinnstiftende im Leben der Täter war, eine Art Rückzugsraum vor den Zumutungen der Welt: Musik, Film und Computerspiel, die Kulturindustrie. Würde man es ernst meinen und die Taten wirklich begünstigende, jedoch eben nicht auslösende, Umstände in den Fokus der Kritik und des öffentlichen Interesses rücken, stieße man unweigerlich auf sadistische Mitschüler, Lehrer ohne Engagement und ein an der Realität vorbei operierendes Straf- und Belohnungssystem. Das Schulsystem in seiner jetzigen Form so zu kritisieren, wie dieser Unfug es verdient, käme einer gesellschaftlichen Bankrotterklärung gleich.
Was nach den ersten Forschungen festgestellt wurde, ist ein erhöhtes Aggressionspotential beim Scheitern an einer im Spiel gestellten Aufgabe, nicht mehr und nicht weniger. Nur findet man diese Spannungen auch in Sportvereinen, bei Musikern oder eben an Schulen. Überall dort, wo schier unlösbare Probleme uns wieder und wieder scheitern lassen. Auch tritt bei exzessivem Spielen von so genannten „Killerspielen“ (Egoshootern) das Töten in den Hintergrund und macht der Automatisierung der Arbeitsweise Platz. Über Sieg oder Niederlage entscheidet die Hand-Auge-Koordination und der Vorgang des virtuellen Mordens wandelt sich zur Routine, den der Spielende als solchen gar nicht mehr wahrnimmt. Erstaunlich ist, dass trotz einer Verschiebung des Umgangs mit Medien (nach dem Internet rangiert Spielen als häufigste Nutzung des Computers durch Jugendlichen und Erwachsene und nur 2,4 Prozent der Deutschen unter 22 Jahren haben noch nie ein Videospiel gespielt) die internationale Forschung auf diesem Gebiet kaum Aktivitäten verzeichnet. Fakt ist, dass sich das Medium Computer- oder Videospiel in den letzten Jahren einen wichtigen Platz im Raum medialer Nutzung erkämpft hat und, wenn man bedenkt, wie jung es im Vergleich zu anderen noch ist, diesen weiter ausbauen dürfte.

Hallo Informationszeitalter
      „Das Internet wird höchstens von sieben Leuten auf der ganzen Welt begriffen.“
      (Joseph Weizenbaum, Mitkonstrukteur und einer der wichtigsten Vordenker des Internets)
Man plaudert kein Geheimnis aus, vor allem nicht in diesem Heft, wenn man sagt, dass sich die Geldbewegungen immer abstrakter vollziehen, die Rückkopplung des Kapitals an reale Stofflichkeiten mehr und mehr schwindet, auch wenn sie nicht verschwinden kann. Der wirtschaftliche Prozess ist zu großen Teilen der Reflexion der an ihm Teilhabenden entzogen. Und nicht nur er, generell kann man sagen, dass gesamtgesellschaftliche Prozesse von den Einzelnen nicht mehr geistig durchdrungen werden können und dass der Satz „Die machen ja eh nur was sie wollen.“ in aller Munde ist, selbst bei Funktionären in Wirtschaft und Politik. Was die Nationalökonomie erschaudern ließ, überträgt sich mehr und mehr, nicht zuletzt Dank des Internets, auch auf andere gesellschaftliche Prozesse. Ein neues Zeitalter brach an und überrollte die Individuen mit aller Gewalt. Digitale Finanztransfers nahmen der Schwere der industriellen Produktion einiges an Gewicht und am eichenen Stamm der klassischen Bildungsinstitutionen wird fleißig gesägt. Ein Großteil der älteren Generation hat aufgegeben, sagt nichts, wenn die Tochter müde lächelt über den kompletten Brockhaus mit Goldschnitt und versucht ihren Eltern Wikipedia zu erklären. Es ist alles so schnell geworden, der Sohn braucht jedes Jahr einen neuen Rechner und was er da treibt, entzieht sich meist völlig dem elterlichen Verständnis. Die Schulen sind sowieso, gerade in Deutschland, mehr als ein Jahrzehnt hinterher, nicht einmal Filme werden wirklich als künstlerisches Medium ernst genommen. Das klassische Bild der Sozialisation, dieser Mix aus sozialpädagogischem gut Zureden und der Anerkennung äußerer Einflüsse blamiert sich an der Realität, wo die Kulturindustrie ein so breites Feld an Sozialisations -und Lernmöglichkeiten anbietet, die in den meisten Fällen wesentlich interessanter ausfallen als Symphonien oder Hesse. Eine neue Generation wächst heran, die einen kompetenten Umgang mit dem noch jungen Medium erlernt, ja erlernen muss, will sie sich den sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen stellen, die vor ihr liegen. Wo ein Großteil der Älteren zaudernd die Nase rümpft über alle möglichen technischen Neuerungen und auch gar nicht verstehen kann, wie das alles so läuft, stürzen sich technikbegeisterte junge Leute in den Kabelwust. Wer denkt, er sei jetzt schon zugeschissen mit Web 2.0, Handycomputern und Autopilotstaubsaugern, der kann noch nicht einmal im Ansatz ermessen, was sich am Horizont mehr als abzeichnet. Das Medium Tageszeitung beispielsweise verzeichnet allerorts große Probleme, wenn es um eine junge Abnehmerschicht geht, interaktive elektronische Medien wirken einfach wesentlich interessanter. Diese teilweise Hetze gegen Computer, Spiele und alles was damit zu tun hat, entspringt nicht zuletzt einer Angst, der Angst unnütz zu werden, die Kontrolle zu verlieren über den Nachwuchs, etwas nicht begreifen zu können, mit dem dieser tagtäglich und höchst versiert umgeht, der sich eine Sprache aneignet, die man nicht versteht. All dies ist nicht wirklich neu, dieses Abgrenzungsgebaren der Jungen gegen die Alten, das Aufsaugen und Weiterentwickeln eines neuen Mediums, allein es scheint, dass die Abstände kürzer werden. Natürlich ist der digitale Spielplatz kein Paradies, kein neuer Schritt hin zu einer befreiten Menschheit, ein Narr wer das glaubt. Die Möglichkeiten der Vernetzung, der Kommunikation, sind rapide gestiegen – nur wie werden sie genutzt? So wie man es erwartet, es geht ums Kaufen und Verkaufen und das am besten noch ausgeklügelter und effizienter als es eh schon läuft. Die Verinnerlichung wirtschaftlicher Prozesse, wie sie noch jedes subversive Potential durchdringt, dieses Leistenwollen und -müssen hat endlich Platz für jeden Nerd, jede seltsame Kreatur, jeden Fetisch. Man muss nur einmal myspace besuchen und sich dort umsehen. Wo es für Bands noch Sinn macht, die eigene Musik anzupreisen und so verkaufsfördernd zu wirken, verkaufen sich längst schon ganz andere Produkte. Die individualisierten Individuen preisen sich als Gesamtheit ihrer Informationen an, basteln sich eigene Profile, geben ihren Musikgeschmack kund, ihre sexuellen Vorlieben, lassen uns alle teilhaben an ihren armseligen Leben und Gedanken, erfinden sich neu und schmücken sich mit Attributen, über die sie gern verfügen würden, sei es Härte, Intellektualität, Coolness, Verletzlichkeit, o.ä. Sie sind wahrhaftig zu dem geworden, was die Ökonomie immer verlangte, zu Produkten, selbsterstellte Werbekampagne inklusive. Nur wird hier nicht um einen Arbeitsplatz geworben, nein, um Arbeitskraft geht es hier nicht. Es wird um Aufmerksamkeit gebuhlt, um Anteilnahme an der eigenen Existenz, jeder darf und soll sich bedeutsam fühlen. Nähe soll herrschen, wo keine ist. Es verrät viel über die Einsamkeit des modernen Menschen, der sich vermeintlich unter ihm Bekannten bewegt, seine Beziehungen medial präsentiert, Freundschaften digital aufbaut und Beziehungen digital beendet, zur Freude aller, die es interessiert. Dies soll nicht bedeuten, dass in absehbarer Zeit alle mit Kabeln an Computern hängen wie bei SciFi-Film XY, es geht um eine Tendenz. Und die gibt es unbestritten, wo allein schon die digitale Zurückweisung der realen vorgezogen wird und Datingsites wie Pilze aus dem Boden schießen und man seine sexuellen Vorlieben im Vorfeld klären kann, um peinliche Missverständnisse und unbefriedigende Treffen zu vermeiden. Es ist einfach effektiver.

Warum Computer- oder Videospiele und was sie uns vermitteln

Mit dem Video- oder Computerspiel wurde ein neues Medium geschaffen, das ein noch nie da gewesenes Maß an Interaktivität verspricht. Während bei anderen Medien Stimmung und Genuss aus dem resultiert, was man hört oder sieht, entspringt dies beim Spielen direkt aus den eigenen Handlungen. Von Entspannung kann hier im eigentlichen Sinne gar nicht gesprochen werden, denn solange man das Spiel kontrolliert herrscht ein hohes Maß an Spannung vor, Herzschlagfrequenz und Blutdruck sind erhöht und helfen uns somit anstehende Aufgaben konzentrierter zu lösen. Natürlich kommt es auch auf das Spiel an, doch gerade die digitalen Jagd- und Fluchtspiele sind jene, die eine Mehrzahl an Konsumenten ansprechen. Der Kindergartenspaß verlagert sich mit zunehmendem Alter mehr und mehr in heimische Gefilde und gemahnt auch dort noch an eine weit zurückliegende Zeit, in der Jagen und Flüchten überlebensnotwendig war. Wo einst Mods und Rocker aufgrund verschiedener Kleidungsstile und Musikgeschmäcker übereinander herfielen, so sind es heute Team Blau und Team Rot, welche sich gegenseitig durch digitale Welten hetzen.
Allein die Form des Spielens ist die des Erfolgssuchenden. Wenn man zum Vergnügen ein Buch liest oder Musik hört, so versucht man nicht einen Sieg zu erringen. Beim Spielen ist das immer anders, es geht um das Bewältigen, das Voranschreiten, das Überlegensein. Entscheidend und neu ist auch der anpassbare Schwierigkeitsgrad der gestellten Aufgaben. Die besten und fesselndsten Spiele sind jene, die sich den steigenden Leistungen des Spielers anpassen und ihn so durch immer schwieriger werdende Aufgaben bei der Stange halten. Zu leichte Aufgaben wirken öde und zu schwere frustrierend, in beiden Fällen also demotivierend. Hier liegt auch schon der klare Vorteil gegenüber klassischen Lernprozessen, eine Über- oder Unterforderung wird vermieden. Bei der Mathematik zum Beispiel benötigt man eine hohen Frustrationsresistenz, um gestellte Probleme zu lösen, da immer wieder Fehler auftreten und man von vorne beginnen muss, bei höherer Mathematik sprechen wir hier schon mal von einigen Jahren. Ähnlich verhält es sich mit philosophischen oder literarischen Problemen. Ein Spiel hingegen ist kurzweilig, die Fähigkeiten, es zu beherrschen, erhält man nach kurzer Zeit und die Bedienung erfolgt schon fast intuitiv. Ein Spiel muss die Kontrolle durch den Spieler suggerieren, obwohl es ihn doch nicht von der Leine lässt. Seine Eingaben müssen durch Geräusche und Bewegungen unmittelbar dargestellt werden. Der Spieler wiederum reagiert auf Geräusche und Bewegungen, die das Spiel vorgibt und ein Untätigbleiben wird bestraft. So entwickelt sich eine Schleife von Ein- und Ausgabe, in welcher der Spieler, wenn man so will, gefangen ist. Selbstverständlich kann er mit verschiedenen Lösungsansätzen auf Problemstellungen reagieren, nur selten läuft ein Spiel wirklich linear ab. Es geht um die Erfahrung der eigenen Wirksamkeit, das eben macht dieses neue Medium so besonders. Alles, was der Spieler tut, zieht Konsequenzen nach sich, wenn auch nur virtuell. Beim Film beispielsweise fiebern wir mit den uns als gut präsentierten Charakteren mit und hoffen für sie auf einen ebensolchen Abschluss der Geschichte, wohingegen wir den Bösen ihre gerechte Strafe wünschen. Beim Spiel sind wir es selbst, die, wenn auch oft noch in vorgegebenen Bahnen, das Schicksal der Figuren in der Hand halten.(6) Anstelle der klassischen Medienrezeption, die immer auch einen hohen Grad an Anpassung an das Konsumierte erfordert, tritt hier eine Art schöpferisches Verhalten. Gerade bei Spielen wie Sim City, The Sims oder ähnlich komplexen Simulationen sind die spielerischen Freiheiten sehr groß und jeder kann das Spiel anders oder immer wieder neu erleben. Doch die Schöpfung hinkt, sie ist zurückgeworfen auf den Umgang mit einer Ansammlung von Daten, welche das Gerüst bilden, das man zwar neu zusammensetzen, jedoch nie verlassen kann. Der Spieler ruft Funktionen auf und funktioniert doch nur selbst, obgleich ihm eine Art Gefühl der Allmacht vermittelt wird.
Diese Art Allmachtsgefühl umtreibt auch myspace Nutzer. Es ist dieses verlockende, an frühkindliche Stadien erinnernde Gefühl der Omnipotenz, das „Alles im Griff haben“, ein Gefühl der inneren Stärke und Zufriedenheit. Dort gibt es sie nicht, die Herausforderungen des realen sozialen Rahmens, ich präsentiere nur das, was ich präsentieren will. Durch die reelle Distanz erwächst eine Stärke, welche einen Eskapismus, eine Weltflucht, befördert, der nicht der des Zurückgeworfen seins auf sich selbst ist und keine Reflexion fordert. Stillstand würde Beschäftigungslosigkeit bedeuten und das existiert nicht in den Weiten des world wide web. Genau da liegt die Gefahr, das Verlernen oder nicht Kennenlernen zwischenmenschlicher Fertigkeiten, die reale Konsequenzen nach sich ziehen, welche nicht durch einen neuen Account behoben werden können.
So wie myspace soziale Kompetenz vermittelt, wo keine ist, erleben sich Spieler bei Erfolg auch als kompetent und Gefühle wie Stolz oder Erleichterung bestimmen die Spielerfahrung. Eine wichtige Fertigkeit ist die des multi tasking, das parallele Erledigen mehrer Aufgaben oder das simultane Wahrnehmen verschiedener Informationen. Ein Spieler muss Ressourcen im Blick haben, reagieren, seine Lage kennen und oftmals innerhalb von Sekunden Entscheidungen treffen, die über Sieg oder Niederlage bestimmen. Die Anforderungen an den Spieler gleichen denen des Arbeitslebens auf erschreckende Weise. Es sind dieselben Mechanismen, die er sonst eher als unlustvoll erlebt, welche ihn hier unter- und bei der Stange halten. Allein die Gefahr reellen Versagens besteht nicht, es scheint wie ein Ausprobieren und Verinnerlichen der Mechanismen, welche im Arbeitsleben eine entscheidende Rolle spielen. Doch dazu im nächsten Teil mehr…

Das letzte Wort sei an dieser Stelle Will Wright überlassen, der an den hier als Titel fungierenden Satz die pathologische Schelmerei anhängt: „Sie sind natürlich auch destruktiv.“

Schlaubi

P.S.: Im nächsten Teil soll es um den wachsenden Trend Onlinerollenspiele, elektronischen Sport und subversives Potential gehen. Auch wird dort eine krampfhafte Rettung des Mediums versucht plus Empfehlungen. Lest mehr Bücher!

Anmerkungen

(1) Will Wright, Erfinder von Spielen wie Sim City oder dem erfolgreichsten aller Zeiten The Sims

(2) Es ist zu vermuten, dass dank schlampiger Recherche der Medien sein Onlinetagebuch nicht wirklich durchforstet wurde (von irgendwelchen Nerds nach der Sperrung rekonstruiert und ins Netz gestellt), sonst wäre man auf das Lieblingsalbum des Täters gestoßen. Dabei handelt es sich nämlich um das großartige „Anthems of Rebellion“ von Arch Enemy, eine Melodic Death Metal Formationen, denen eine Frau mit wundervoller Stimme vorsteht. Wäre es dazu gekommen, so müssten sich heute, im Gegensatz zu drangsalierenden Schulbullys und desillusionierten verbitterten Lehrkräften, auch Metalfans gegen Anschuldigen von medialer Seite verteidigen.

(3) Auch hörte er nach Angaben von Freunden und Familie am liebsten Musik der Elektrohelden „Scooter“ und nur sporadisch die der ins Kreuzfeuer geratenen Bands. Aber zu fröhlichen Beats und dem Aufzählen von Discjockeys Tötungsabsichten zu entwickeln, das erschien wohl selbst der Jungen Welt zu abwegig und verrückt.

(4) Da einige Leser sicher mindestens einmal Grand Theft Auto gespielt haben, hier ein lustiges Beispiel für so eine „versoftete“ Version. Schlägt man einen Passanten tot, fließt nicht nur kein Blut, sondern dieser verliert auch kein Geld, was sicher Jugendliche in der Realität davon abhalten soll, wildfremde Leute totzuschlagen und deren Geldbündel einzusacken, so wie es, glaubt man diversen Rappern, in Neukölln Usus ist. Schaltet man nun seine Konsole auf englische Sprache, kann dieses Problem ohne weitreichende Programmierkenntnisse behoben werden. Ein paar Scherzkekse, diese Spielehersteller.

(5) „[…] wenn du lernen willst zu morden, zu schinden, zu töten, zu klauen, zu stehlen, zu rauben, zu vagabundieren; wenn du lernen willst, dich gegen Fürsten zu erheben […] all diese guten Beispiele kannst du in Schauspielen vor deinen Augen ausgemalt sehen.“ (Phillip Stubbes, 1583) „Die widerliche Spekulation auf die Freude der Menschen am Krassen und Schauerlichen, am Sentimentalen, am sexuell Aufregenden macht sich breit […] die Zeitungen melden uns erschreckende Vorkommnisse, bei denen jugendliche Personen das im Kino gesehene Verbrechen in der Wirklichkeit nachahmen wollen.“ (Rober Gaupp, 1912)

(6) Meine Damen und Herren, mit einem der Pro Evolution Soccer Teile, übrigens immer ein Highlight, könnt ihr Deutschland doch noch zur Weltmeisterschaft führen, oder, wer sich politisch anders verortet, Israel.

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last modified: 26.5.2007