Deutsche Linke vs. Führer der Welt
Ein kurzer Verschnitt über Horkheimer, die Aktualität des
Revolutionären und dessen Absenz bei der hiesigen Mobilisierung gegen den
G8-Gipfel in Heiligendamm.
Max Horkheimer schrieb Ende 1917 mit Friede. Ein Zwischenakt ein relativ
unbeachtet gebliebenes, expressionistisches Dramenfragment, das vielleicht am
deutlichsten das Elend sich revolutionär dünkender Bewegungen
ausdrückt, die um den Preis des Gehört-Werdens noch jeden
revolutionären Anspruch fahren lassen, die zum Zwecke der Agitation des
Volks verzichten auf die Kritik, die auf die Aufhebung dieser Gemeinschaft
zielt. Der Pazifist Zech agitiert darin in einem deutschen Militärlazarett
für die sozialistische Revolution. Die Verwundeten ereifern sich
statt Zech die Gefolgschaft zu versichern und ihrem Vaterland zu verweigern
über einen Mann namens Claude, das Ebenbild eines
vaterlandslosen Gesellen schlechthin: er ist Verweigerer, Künstler,
Avantgardist Jude. Um glaubhaft zu machen, nicht zu eben jenen
Verrätern zu gehören, die die Verwundeten anstatt ihrer Generäle
und ihrer eigenen Gefolgschaft für ihr Schicksal verantwortlich machen,
und um über den Zweifel erhaben zu sein, selbst ein Verräter zu sein,
erschießt der Agitator Zech den Juden Claude.
Kein Jahr nach der Niederschrift dieses Versuchs des jungen Horkheimers, der
sich zugleich als hellsichtigen Antizipation erwies, beginnt die
Novemberrevolution, die schon nach wenigen Wochen in der Versöhnung der
alten Eliten mit den neuen Machtverhältnissen und der Versöhnung der
Massen mit der schlechten Herrschaft einer neuen Elite ihr Ende fand;
inbegriffen das Opfer derer, die man der Rädelsführerschaft
bezichtigte: Volksfeinde wie Liebknecht und Luxemburg. Die Revolution
endete (nachdem sie 130 Jahre zu spät begann), als sie dazu überging,
der herrschenden Gesellschaft gänzlich die Loyalität zu versagen,
also: revolutionär zu werden, keine deutsche Revolution mehr zu
sein.
Der Inflation des Begriffs der Revolution tat die historische Realität
niemals einen Abbruch, auch nicht in einer Situation, in der es, wohl gerade im
Sinne des kommunistischen Projekts, gegolten hätte, die
Änderung womöglich zu verhindern, und nicht Geschichte zu machen
(Horkheimer in einem Brief an Adorno, 1958). Dass sie aber Geschichte machen,
dass sie eine linke Praxis betreiben, und dass ihr Ansinnen deswegen
überhaupt etwas Revolutionäres an sich habe davon sind heuer
die Globalisierungsgegner überzeugt, die gerade mobil machen gegen den
G8-Gipfel in ihrem Heimatland, 2007 in Heiligendamm. Längst haben sich
gleich mehrere Bündnisse gegründet: das Hamburger
Anti-G8-Bündnis etwa möchte den G8 Gipfel stören und
dieses Sinnbild [...] in einer Flut unterschiedlichster Proteste untergehen
lassen.
Dem eher kraftmeierischen Aufruf zum Etwas-Tun wird die Attitüde des
Protests beigestellt, die auf dem Ticket des Inhaltlichen fährt. In Zeiten
des neoliberalen Angriffs, einer wohl konzertierten Aktion wahlweise von
Heuschreckenschwärmen oder den Führern der Welt
(interventionistische Linke) wird auf die national- und sozialstaatliche
Ordnung rekurriert, dem kleineren Übel zur augenscheinlichen
Ungeheuerlichkeit, dass im Namen der internationalen
Wettbewerbsfähigkeit [...] eine neoliberale Umstrukturierung der
Wirtschafts- und Sozialsysteme vollzogen wird, also der Kapitalismus nicht so
bleibt, wie er ist, sondern sich als verdammenswert erweist in dem Moment, in
dem es ihm einfällt, die Spielregeln nicht denen zu überlassen, die
gerade nicht an der Macht sind.
Die deskriptive, bei den AutorInnen vermutlich späte Feststellung
gesellschaftlicher Nicht-Statik geht zusammen mit einem normativen Wunsch: dass
nicht Arbeitsverhältnisse [...] immer prekärer werden, dass
nicht profitable Unternehmer ArbeiterInnen entlassen, kurzum: dass ja
nicht das System der Lohnarbeit an den tatsächlichen eigenen
Widersprüchen ins Wanken gerät. Gefragt ist vielmehr
Gesetzesinitiative: dass der Staat ArbeiterInnenrechte auf- statt abbaut
und nicht weiter die Teilnahme an diesem asozialen Ganzen [...]
ermöglicht und belohnt. Und als sei es der Affirmation noch nicht genug,
die hier dem Staat nur ankreidet, das falsche Staatsprogramm zu exekutieren,
wird eine klare Ablehnung [...] aller [...] Institutionen und
Regierungen, die zerstörerische Globalisierung vorantreiben
herausgestellt.
Eine Gegenposition also nicht gegen diese Gesellschaft, eine Kritik nicht an
einem nationalstaatlich verfassten System und auch kein abolitionistisches
Programm sondern eine Reduktion auf die führenden sieben
Industrienationen und Russland, die bei ihren jährlichen Treffen,
dem G8-Gipfel, in ihrer Tradition als Weltmächte, Strategiepläne
beschließen. Oder, kurz: jene paar Mächtigen, die sich gegen den
Rest der Welt verschwören. Das ist keine freimütige Interpretation,
sondern wird vom besagten Bündnis tatsächlich so gemeint:
Angetrieben von der Idee der Gewinnmaximierung, die durch Lobbyisten
vertreten und von den MainStream-Medien mitgetragen wird, reicht der Einfluss
der G8 weit über die eigenen Grenzen und Freihandelszonen hinaus.
Die Verschwörung wird über ihre Agenten (Medien) allmächtig und
omnipräsent, und zwingt die Globalisierungsgegner und ihre
FreundInnen zum tägliche[n] Konsum, der sie ankotzt.
Ins gleiche Horn bläst das ungleich populärere Bündnis der
interventionistischen Linken, initiiert von jenen, die im vergangenen
Jahr ebenso interventionistisch einen offenen Brief an PDS/WASG
veröffentlichten, und unterstützt vom who is who der radikaleren
Linken in diesem Land: ALB, FelS, Analyse & Kritik, radikale Linke
Nürnberg, Attac usw. In ihrem Aufruf gegen die Führer der Welt
wird die Macht des globalisierten Kapitalismus und seine politische und
militärische Gewalt gegeißelt, da nur diese Machtfülle
den Gipfel legitimiere und zugleich Kriege, Armut und
Umweltzerstörung Folge der Herrschaft der wirtschaftlich Mächtigen
seien.
Was steckt in beiden Aufrufen drin? Im Wesentlichen: eine Analyse des
Kapitalismus, die nicht auf materiellen Grundlagen ruht, sondern einer
kulturalistischen Idee der Gewinnmaximierung (der in den Texten von sog.
Nationalrevolutionären gleich intendiert als nomadischer
Händlergeist umschrieben wird); die Vorstellung des Kapitalismus als
Racket-Herrschaft einer privilegierten Clique statt als abstraktes
Verhältnis von Warensubjekten; eine Manipulationstheorie, die den
Ideologiebegriff völlig obsolet werden lässt; ein Aufruf zur
staatlichen Intervention gegen den entfesselten Kapitalismus; in Folge
die Forderung nach einer Fesselung dieses Kapitalismus, zurück zur
Sozialromantik des nationalen und sozialen Staates, zurück zum Konstrukt
der einfachen Warenproduktion, zurück zum fairen Handel;
eine asketische Verzichtsethik wider den Konsum (als wäre Kapitalismus
vorrangig ein Problem der Distribution) anstatt eine Kritik der
Warenproduktion; eine Kritik der Verhältnisse nicht bemessen an ihrer
Realität, sondern an ihren Idealen, weil es ihr Vergehen sei, nicht
ordnungsgemäß egalitäre Verhältnisse Lohnarbeit
für alle! herzustellen.
Die Kritik des G8-Gipfels funktioniert hierbei gerade nicht über eine
kritische Position gegen den Kapitalismus denn alles, was der Gipfel
angeblich symbolisiere, entspricht gerade nicht dem, was die Gipfelstürmer
als idealtypischen Kapitalismus ausgemacht haben, sondern als das gerade
Gegenteil, als dessen Entartung. Anstelle der Kritik wird eine
Illegitimität des Gipfels konstatiert, also dessen
Rechtmäßigkeit in Zweifel gezogen, weil es nicht das souveräne
Volk ist, das die Strategiepläne ausarbeitet, sondern die da
oben. Lieber würde man wie die sprichwörtlichen dümmsten
Kälber wohl selbst, ganz demokratisch, über
Strategiepläne zur Ausbeutung seiner selbst befinden, um sich den
Kapitalismus im Volksstaat wohnlicher zu gestalten.
Obgleich nichts als austauschbare Charaktermasken wird nicht etwa das
Wertgesetz kritisiert, die Produktionsweise, die massenhafte Ausbeutung des
Menschen, die abstrakte Herrschaft des Kapitals, sondern jene Kapitalisten oder
eben wirtschaftlich Mächtigen, die alles Schlechte am und im
Kapitalismus zu verantworten haben, obgleich sie nichts als Personifizierungen
darstellen und Kapitalismus bar jeder Privatintention funktioniert. Als
sei das nicht borniert genug, als müssten den Gipfelgegnern nicht in dem
Moment ihre Fehler auffallen, in dem ihre Analyse einen kleinen Personenkreis
als negatives Prinzip als solches (Adorno/Horkheimer) outet und um die
Möglichkeit von Namensnennung und Fingerzeig willen eine ganze
Gesellschaftsformation unangetastet lässt, wird aus dieser
weltverschwörungstheoretischen Methode ein positives politisches
Programm.
Das Programm oszilliert zwischen Antagonismus und Regression: eingefordert
werden mehr Arbeitnehmerrechte und staatliche Interventionen in die
Kapitalzirkulation (ob damit eine Erhebung der Tobin-Tax oder ein Zinsverbot
gemeint ist bleibt freilich offen), es wird insistiert auf etwas wie
unternehmerische Ethik, doch bitte nicht so viele Menschen in die
Arbeitslosigkeit zu entlassen, gepocht auf Respekt für das Leben
und die Rechte der unterdrückten Menschen. Abstrahiert man vom
gutmenschlichen Slang, gehen die radikalen Linken damit durch als genuine
Bürgerrechtsbewegung. Sie hätten als solche ihre Berechtigung, kann
es doch keines Menschen Anliegen sein, hinzunehmen oder gar zu wollen, dass es
Menschen schlecht geht, wenn es doch möglich ist, ihren materiellen Status
wenigstens im Kleinen so weit herzustellen, dass sie nicht vor die Hunde
gehen.
Der erste Knackpunkt ist, dass, solche Schlüsse aus einer Analyse gezogen,
nicht für einen kapitalismuskritischen, sondern für einen
affirmativen, sozialdemokratischen Standpunkt sprechen. Der zweite Knackpunkt
ist, dass die Linke damit nun schon 200 Jahre zu spät dran ist.
Immer wird hier für Dinge gekämpft, die man schon garnicht mehr
haben wollen kann, schrieb einmal Pohrt. Und recht hat er. Bezogen auf
die Weltgeschichte ist Deutschland der ewige Müllschlucker. Dort landet
zwar alles, was irgendwo hervorgebracht wird, aber erst, nachdem alle mit
diesen Hervorbringungen verbundenen Hoffnungen und Verheißungen Schnee
von gestern sind.
Hier gehen die anachronistischen BewegungsantikapitalistInnen so weit, die
bürgerliche Gesellschaft gegen sich selbst zu instrumentalisieren, indem
durch Intervention sei es durch den Staat oder die als
interventionistisch attributierte Linke in einen anderen Modus
kapitalistischer Produktion übergegangen werden soll und so der Bestand
gesichert wird. Der G8-Gipfel steht diesem Vorhaben notwendig entgegen, weil er
nicht das linke Ideal von der funktionierenden bürgerlichen Gesellschaft
symbolisiert, sondern jene antinomische, krisenhafte Realität, über
die sich immer neue antikapitalistische Ideologien gebildet werden
(übrigens nicht nur in der Linken). Und das ist auch das ganze Elend der
globalisierungskritischen Bewegung: das Verharren in einer Immanenz, die von
Sozialkritik zu Sozialreform führt. Darüber können Genua-Mythen,
Militanzfetisch und revolutionär-gestikulierte Bewegungseuphorie nicht
hinwegtäuschen. Sie sind keine irgendwie revolutionäre Praxis,
sondern Surrogat für die nicht geleistete Kritik.
Denkbar folgt die Unterlassung der Kritik nicht unmittelbar aus dem unbedingten
Bewegungsoptimismus, dem gerade noch zugute zu halten wäre, dass er
überhaupt eine Veränderung fordert, obschon seine Protagonisten die
Veränderung nicht bezeichnen können, da dieses Denken der
Veränderung bei jenen Intellektuellen überwintert, die sich als
Avantgarde als der Bewegung undienlich erweisen müssen. Eher doch
schlägt hier das Paradox durch, dass das unmittelbare materielle Potential
zur temporären Linderung der Lebensverhältnisse bei jenen liegt, die
über die materiellen Mittel verfügen, sowie beim Staat, der sich den
Zugriff von Rechts wegen verschaffen kann d.h. bei jenen, die für
die Erhaltung des Ganzen einstehen. Aus der pragmatischen Wahl der Mittel folgt
der sozialpartnerschaftliche Appell an den Staat zur Umverteilung. Jede Kritik
am Staat, die nicht mehr nur parolenförmig ist, muss dafür als
schädlich gelten, weil der Staat nur zur Abhilfe angehalten werden kann,
solange er nicht selbst in Frage gestellt wird.
Das eigentliche Problem wird daher zurückgeführt auf jene, die der
böswilligen Vorhaltung der materiellen Mittel bezichtigt werden: die
da oben, die Kapitalisten und die führenden Industrienationen. Mit
dem Kampf gegen sie verbunden ist der Kampf gegen das ihnen zugeschriebene
negative Prinzip von bürgerlichem Glück durch materiellen Wohlstand.
An seine Stelle tritt eine romantische Utopie kollektiver Askese, protegiert
vom proletarischen Souverän in einem gezähmten, verwalteten
Kapitalismus staatssozialistischer Art. Mit dem Angriff auf das Materielle, dem
Smashen von Banken und Boutiquen einher geht nicht nur das Fahrenlassen
des Materialismus selbst zu Gunsten idealistischer Bessere-Welt-Parolen und
Besseren-Staat-Denkens, sondern die Perpetuierung der Zustände, die aus
der Warenform wieder die Denkformen pro- wie antikapitalistischer Affirmation
werden lassen. So gedacht haben wir es nicht mit einer Unfähigkeit zur
Kritik zu tun, die nur die wichtigsten Aspekte übersähe, sondern
einem Standpunkt der Weigerung zur radikalen Kritik, die ihre Fehler in ein
politisches Programm presst. Das unterdessen ist kein Alleinstellungsmerkmal
der Linken in diesem Land; beachtlich aber die Vehemenz und Kontinuität,
die sie dafür immer wieder aufbringt.
So erfährt das Horkheimersche Stück erneut eine antizipative Deutung,
wenngleich diese Wiederholung der Geschichte heute nicht mehr eine
Katastrophe bedeutet weder Revolution noch Zivilisation stehen aus dem
Spiel, denn sie sind längst gescheitert oder misslungen , sondern
eine Farce: die Absage an die Kritik zu Gunsten der Bewegungs-Werdung, der
linke Kampf um die Köpfe für den Kampf gegen Bonzen und
die da oben negiert eine radikale Gesellschaftskritik, weil eine
radikale Gesellschaftskritik eine solche Praxis gerade nicht evoziert. Damit
sei nicht gesagt, dass jede linke Mobilisierung abzulehnen wäre, und auch
nicht, dass der G8-Gipfel keinen Anlass böte für eine
kapitalismuskritische Intervention. Geboten wäre solch eine Intervention
aber nur im Bewusstsein einer (und gewissermaßen als conditio sine qua
non) tatsächlichen Kapitalismuskritik, einer im Sinne der Kritik der
politischen Ökonomie anstelle einer Theorie der
Kapital(isten)-Verschwörung gegen das Volk und die gute Herrschaft
desselben.
Ließe sich dieser theoretische Mißstand vor dem Hintergrund des
personell bankrotten kommunistischen Projekts noch rational erklären, so
wäre immerhin klar: dass die acht größten Industrienationen
nicht auch noch dafür verantwortlich zeichnen, dass es Linke
regelmäßig nicht zu einer Gesellschaftskritik bringen.
Felix Körner
Der Autor ist Mitglied der Gruppe Antifa Goes To Hollywood
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