home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[134][<<][>>]

It's your Heimspiel

Deutsche Linke vs. Führer der Welt

Ein kurzer Verschnitt über Horkheimer, die Aktualität des Revolutionären und dessen Absenz bei der hiesigen Mobilisierung gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm.

Max Horkheimer schrieb Ende 1917 mit „Friede. Ein Zwischenakt“ ein relativ unbeachtet gebliebenes, expressionistisches Dramenfragment, das vielleicht am deutlichsten das Elend sich revolutionär dünkender Bewegungen ausdrückt, die um den Preis des Gehört-Werdens noch jeden revolutionären Anspruch fahren lassen, die zum Zwecke der Agitation des Volks verzichten auf die Kritik, die auf die Aufhebung dieser Gemeinschaft zielt. Der Pazifist Zech agitiert darin in einem deutschen Militärlazarett für die sozialistische Revolution. Die Verwundeten ereifern sich – statt Zech die Gefolgschaft zu versichern und ihrem Vaterland zu verweigern – über einen Mann namens Claude, das Ebenbild eines „vaterlandslosen Gesellen“ schlechthin: er ist Verweigerer, Künstler, Avantgardist – Jude. Um glaubhaft zu machen, nicht zu eben jenen Verrätern zu gehören, die die Verwundeten anstatt ihrer Generäle und ihrer eigenen Gefolgschaft für ihr Schicksal verantwortlich machen, und um über den Zweifel erhaben zu sein, selbst ein Verräter zu sein, erschießt der Agitator Zech den Juden Claude.

Kein Jahr nach der Niederschrift dieses Versuchs des jungen Horkheimers, der sich zugleich als hellsichtigen Antizipation erwies, beginnt die Novemberrevolution, die schon nach wenigen Wochen in der Versöhnung der alten Eliten mit den neuen Machtverhältnissen und der Versöhnung der Massen mit der schlechten Herrschaft einer neuen Elite ihr Ende fand; inbegriffen das Opfer derer, die man der Rädelsführerschaft bezichtigte: „Volksfeinde“ wie Liebknecht und Luxemburg. Die Revolution endete (nachdem sie 130 Jahre zu spät begann), als sie dazu überging, der herrschenden Gesellschaft gänzlich die Loyalität zu versagen, also: revolutionär zu werden, keine „deutsche Revolution“ mehr zu sein.
Der Inflation des Begriffs der Revolution tat die historische Realität niemals einen Abbruch, auch nicht in einer Situation, in der es, wohl gerade im Sinne des kommunistischen Projekts, gegolten hätte, „die Änderung womöglich zu verhindern, und nicht Geschichte zu machen“ (Horkheimer in einem Brief an Adorno, 1958). Dass sie aber Geschichte machen, dass sie eine „linke Praxis“ betreiben, und dass ihr Ansinnen deswegen überhaupt etwas Revolutionäres an sich habe – davon sind heuer die Globalisierungsgegner überzeugt, die gerade mobil machen gegen den G8-Gipfel in ihrem Heimatland, 2007 in Heiligendamm. Längst haben sich gleich mehrere Bündnisse gegründet: das Hamburger Anti-G8-Bündnis etwa möchte „den G8 Gipfel stören und dieses Sinnbild [...] in einer Flut unterschiedlichster Proteste untergehen lassen.“
Dem eher kraftmeierischen Aufruf zum Etwas-Tun wird die Attitüde des Protests beigestellt, die auf dem Ticket des Inhaltlichen fährt. In Zeiten des „neoliberalen Angriffs“, einer wohl konzertierten Aktion wahlweise von Heuschreckenschwärmen oder den „Führern der Welt“ (interventionistische Linke) wird auf die national- und sozialstaatliche Ordnung rekurriert, dem kleineren Übel zur augenscheinlichen Ungeheuerlichkeit, dass „im Namen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit [...] eine neoliberale Umstrukturierung der Wirtschafts- und Sozialsysteme vollzogen“ wird, also der Kapitalismus nicht so bleibt, wie er ist, sondern sich als verdammenswert erweist in dem Moment, in dem es ihm einfällt, die Spielregeln nicht denen zu überlassen, die gerade nicht an der Macht sind.
Die deskriptive, bei den AutorInnen vermutlich späte Feststellung gesellschaftlicher Nicht-Statik geht zusammen mit einem normativen Wunsch: dass nicht „Arbeitsverhältnisse [...] immer prekärer“ werden, dass nicht „profitable Unternehmer ArbeiterInnen entlassen“, kurzum: dass ja nicht das System der Lohnarbeit an den tatsächlichen „eigenen Widersprüchen“ ins Wanken gerät. Gefragt ist vielmehr Gesetzesinitiative: dass „der Staat ArbeiterInnenrechte“ auf- statt abbaut und nicht weiter „die Teilnahme an diesem asozialen Ganzen [...] ermöglicht und belohnt.“ Und als sei es der Affirmation noch nicht genug, die hier dem Staat nur ankreidet, das falsche Staatsprogramm zu exekutieren, wird eine „klare Ablehnung [...] aller [...] Institutionen und Regierungen, die zerstörerische Globalisierung vorantreiben“ herausgestellt.

Zeitungsausschnitt, 19.6k

Siehe zu den Bildern auch das Editorial.


Eine Gegenposition also nicht gegen diese Gesellschaft, eine Kritik nicht an einem nationalstaatlich verfassten System und auch kein abolitionistisches Programm – sondern eine Reduktion auf „die führenden sieben Industrienationen und Russland“, die „bei ihren jährlichen Treffen, dem G8-Gipfel, in ihrer Tradition als Weltmächte, Strategiepläne“ beschließen. Oder, kurz: jene paar Mächtigen, die sich gegen den Rest der Welt verschwören. Das ist keine freimütige Interpretation, sondern wird vom besagten Bündnis tatsächlich so gemeint: „Angetrieben von der Idee der Gewinnmaximierung, die durch Lobbyisten vertreten und von den MainStream-Medien mitgetragen wird, reicht der Einfluss der G8 weit über die eigenen Grenzen und Freihandelszonen hinaus.“ – Die Verschwörung wird über ihre Agenten (Medien) allmächtig und omnipräsent, und „zwingt“ die Globalisierungsgegner und ihre FreundInnen zum „tägliche[n] Konsum“, der sie „ankotzt“.
Ins gleiche Horn bläst das ungleich populärere Bündnis der „interventionistischen Linken“, initiiert von jenen, die im vergangenen Jahr ebenso interventionistisch einen „offenen Brief“ an PDS/WASG veröffentlichten, und unterstützt vom who is who der radikaleren Linken in diesem Land: ALB, FelS, Analyse & Kritik, radikale Linke Nürnberg, Attac usw. In ihrem Aufruf gegen die „Führer der Welt“ wird die „Macht des globalisierten Kapitalismus und seine politische und militärische Gewalt“ gegeißelt, da „nur diese Machtfülle“ den Gipfel legitimiere und zugleich „Kriege, Armut und Umweltzerstörung Folge der Herrschaft der wirtschaftlich Mächtigen“ seien.
Was steckt in beiden Aufrufen drin? Im Wesentlichen: eine Analyse des Kapitalismus, die nicht auf materiellen Grundlagen ruht, sondern einer kulturalistischen „Idee der Gewinnmaximierung“ (der in den Texten von sog. Nationalrevolutionären gleich intendiert als „nomadischer Händlergeist“ umschrieben wird); die Vorstellung des Kapitalismus als Racket-Herrschaft einer privilegierten Clique statt als abstraktes Verhältnis von Warensubjekten; eine Manipulationstheorie, die den Ideologiebegriff völlig obsolet werden lässt; ein Aufruf zur staatlichen Intervention gegen den „entfesselten Kapitalismus“; in Folge die Forderung nach einer „Fesselung“ dieses Kapitalismus, zurück zur Sozialromantik des nationalen und sozialen Staates, zurück zum Konstrukt der „einfachen Warenproduktion“, zurück zum „fairen Handel“; eine asketische Verzichtsethik wider den Konsum (als wäre Kapitalismus vorrangig ein Problem der Distribution) anstatt eine Kritik der Warenproduktion; eine Kritik der Verhältnisse nicht bemessen an ihrer Realität, sondern an ihren Idealen, weil es ihr Vergehen sei, nicht ordnungsgemäß egalitäre Verhältnisse – Lohnarbeit für alle! – herzustellen.
Die Kritik des G8-Gipfels funktioniert hierbei gerade nicht über eine kritische Position gegen den Kapitalismus – denn alles, was der Gipfel angeblich symbolisiere, entspricht gerade nicht dem, was die Gipfelstürmer als idealtypischen Kapitalismus ausgemacht haben, sondern als das gerade Gegenteil, als dessen Entartung. Anstelle der Kritik wird eine Illegitimität des Gipfels konstatiert, also dessen Rechtmäßigkeit in Zweifel gezogen, weil es nicht das souveräne Volk ist, das die „Strategiepläne“ ausarbeitet, sondern „die da oben“. Lieber würde man – wie die sprichwörtlichen dümmsten Kälber – wohl selbst, ganz demokratisch, über „Strategiepläne“ zur Ausbeutung seiner selbst befinden, um sich den Kapitalismus im Volksstaat wohnlicher zu gestalten.
Obgleich nichts als austauschbare Charaktermasken wird nicht etwa das Wertgesetz kritisiert, die Produktionsweise, die massenhafte Ausbeutung des Menschen, die abstrakte Herrschaft des Kapitals, sondern jene Kapitalisten oder eben „wirtschaftlich Mächtigen“, die alles Schlechte am und im Kapitalismus zu verantworten haben, obgleich sie nichts als Personifizierungen darstellen und Kapitalismus bar jeder Privatintention „funktioniert“. Als sei das nicht borniert genug, als müssten den Gipfelgegnern nicht in dem Moment ihre Fehler auffallen, in dem ihre Analyse einen kleinen Personenkreis als „negatives Prinzip als solches“ (Adorno/Horkheimer) outet und um die Möglichkeit von Namensnennung und Fingerzeig willen eine ganze Gesellschaftsformation unangetastet lässt, wird aus dieser weltverschwörungstheoretischen Methode ein positives politisches Programm.
Das Programm oszilliert zwischen Antagonismus und Regression: eingefordert werden mehr Arbeitnehmerrechte und staatliche Interventionen in die Kapitalzirkulation (ob damit eine Erhebung der Tobin-Tax oder ein Zinsverbot gemeint ist bleibt freilich offen), es wird insistiert auf etwas wie unternehmerische Ethik, doch bitte nicht so viele Menschen in die Arbeitslosigkeit zu entlassen, gepocht auf „Respekt für das Leben“ und „die Rechte der unterdrückten Menschen“. Abstrahiert man vom gutmenschlichen Slang, gehen die radikalen Linken damit durch als genuine Bürgerrechtsbewegung. Sie hätten als solche ihre Berechtigung, kann es doch keines Menschen Anliegen sein, hinzunehmen oder gar zu wollen, dass es Menschen schlecht geht, wenn es doch möglich ist, ihren materiellen Status wenigstens im Kleinen so weit herzustellen, dass sie nicht vor die Hunde gehen.
Der erste Knackpunkt ist, dass, solche Schlüsse aus einer Analyse gezogen, nicht für einen kapitalismuskritischen, sondern für einen affirmativen, sozialdemokratischen Standpunkt sprechen. Der zweite Knackpunkt ist, dass die Linke damit nun schon 200 Jahre zu spät dran ist. „Immer wird hier für Dinge gekämpft, die man schon garnicht mehr haben wollen kann“, schrieb einmal Pohrt. Und recht hat er. „Bezogen auf die Weltgeschichte ist Deutschland der ewige Müllschlucker. Dort landet zwar alles, was irgendwo hervorgebracht wird, aber erst, nachdem alle mit diesen Hervorbringungen verbundenen Hoffnungen und Verheißungen Schnee von gestern sind.“
Hier gehen die anachronistischen BewegungsantikapitalistInnen so weit, die bürgerliche Gesellschaft gegen sich selbst zu instrumentalisieren, indem durch Intervention – sei es durch den Staat oder die als interventionistisch attributierte Linke – in einen anderen Modus kapitalistischer Produktion übergegangen werden soll und so der Bestand gesichert wird. Der G8-Gipfel steht diesem Vorhaben notwendig entgegen, weil er nicht das linke Ideal von der funktionierenden bürgerlichen Gesellschaft symbolisiert, sondern jene antinomische, krisenhafte Realität, über die sich immer neue antikapitalistische Ideologien gebildet werden (übrigens nicht nur in der Linken). Und das ist auch das ganze Elend der globalisierungskritischen Bewegung: das Verharren in einer Immanenz, die von Sozialkritik zu Sozialreform führt. Darüber können Genua-Mythen, Militanzfetisch und revolutionär-gestikulierte Bewegungseuphorie nicht hinwegtäuschen. Sie sind keine irgendwie revolutionäre Praxis, sondern Surrogat für die nicht geleistete Kritik.
Denkbar folgt die Unterlassung der Kritik nicht unmittelbar aus dem unbedingten Bewegungsoptimismus, dem gerade noch zugute zu halten wäre, dass er überhaupt eine Veränderung fordert, obschon seine Protagonisten die Veränderung nicht bezeichnen können, da dieses Denken der Veränderung bei jenen Intellektuellen überwintert, die sich als „Avantgarde“ als der Bewegung undienlich erweisen müssen. Eher doch schlägt hier das Paradox durch, dass das unmittelbare materielle Potential zur temporären Linderung der Lebensverhältnisse bei jenen liegt, die über die materiellen Mittel verfügen, sowie beim Staat, der sich den Zugriff von Rechts wegen verschaffen kann – d.h. bei jenen, die für die Erhaltung des Ganzen einstehen. Aus der pragmatischen Wahl der Mittel folgt der sozialpartnerschaftliche Appell an den Staat zur Umverteilung. Jede Kritik am Staat, die nicht mehr nur parolenförmig ist, muss dafür als schädlich gelten, weil der Staat nur zur Abhilfe angehalten werden kann, solange er nicht selbst in Frage gestellt wird.
Das eigentliche Problem wird daher zurückgeführt auf jene, die der böswilligen Vorhaltung der materiellen Mittel bezichtigt werden: „die da oben“, die Kapitalisten und die „führenden Industrienationen“. Mit dem Kampf gegen sie verbunden ist der Kampf gegen das ihnen zugeschriebene negative Prinzip von bürgerlichem Glück durch materiellen Wohlstand. An seine Stelle tritt eine romantische Utopie kollektiver Askese, protegiert vom proletarischen Souverän in einem gezähmten, verwalteten Kapitalismus staatssozialistischer Art. Mit dem Angriff auf das Materielle, dem „Smashen“ von Banken und Boutiquen einher geht nicht nur das Fahrenlassen des Materialismus selbst zu Gunsten idealistischer Bessere-Welt-Parolen und Besseren-Staat-Denkens, sondern die Perpetuierung der Zustände, die aus der Warenform wieder die Denkformen pro- wie antikapitalistischer Affirmation werden lassen. So gedacht haben wir es nicht mit einer Unfähigkeit zur Kritik zu tun, die nur die wichtigsten Aspekte übersähe, sondern einem Standpunkt der Weigerung zur radikalen Kritik, die ihre Fehler in ein politisches Programm presst. Das unterdessen ist kein Alleinstellungsmerkmal der Linken in diesem Land; beachtlich aber die Vehemenz und Kontinuität, die sie dafür immer wieder aufbringt.
So erfährt das Horkheimersche Stück erneut eine antizipative Deutung, wenngleich diese „Wiederholung der Geschichte“ heute nicht mehr eine Katastrophe bedeutet – weder Revolution noch Zivilisation stehen aus dem Spiel, denn sie sind längst gescheitert oder misslungen –, sondern eine Farce: die Absage an die Kritik zu Gunsten der Bewegungs-Werdung, der linke „Kampf um die Köpfe“ für den Kampf gegen Bonzen und „die da oben“ negiert eine radikale Gesellschaftskritik, weil eine radikale Gesellschaftskritik eine solche Praxis gerade nicht evoziert. Damit sei nicht gesagt, dass jede linke Mobilisierung abzulehnen wäre, und auch nicht, dass der G8-Gipfel keinen Anlass böte für eine kapitalismuskritische Intervention. Geboten wäre solch eine Intervention aber nur im Bewusstsein einer (und gewissermaßen als conditio sine qua non) tatsächlichen Kapitalismuskritik, einer im Sinne der Kritik der politischen Ökonomie – anstelle einer Theorie der Kapital(isten)-Verschwörung gegen das Volk und die „gute Herrschaft“ desselben.
Ließe sich dieser theoretische Mißstand vor dem Hintergrund des personell bankrotten kommunistischen Projekts noch rational erklären, so wäre immerhin klar: dass die acht größten Industrienationen nicht auch noch dafür verantwortlich zeichnen, dass es Linke regelmäßig nicht zu einer Gesellschaftskritik bringen.

Felix Körner
Der Autor ist Mitglied der Gruppe „Antifa Goes To Hollywood“

home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[134][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007