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Wurzen - der Name der 18.000 Einwohner zählenden Kleinstadt in der Nähe von Leipzig
weckt hoffentlich bei den News Flyer-LeserInnen nicht nur Assoziationen mit der - ehemals deutschen
demokratischen und jetzt nur noch ersteren - Süßwarenindustrie, sondern wird aufgrund
der Berichte in vorangegangenen Heften (11/95; 12/95) und Artikeln in anderen (Szene-)
Publikationen (Frente 5/95) mit neofaschistischen und rassistischen Angriffen auf MigrantInnen
und linke Jugendliche, mit Verstrickungen von Polizei und rechter Szene und einem ignoranten Bürgermeister
(Pausch, CDU), welcher trotz eindeutiger Beweise für die Umtriebe rechtsextremer
Jugendlicher, deren Existens ständig leugnet, in Verbindung gebracht.
Die Aktualität dafür beweist sich nicht einmal eine Woche später, als ein Nebengebäude der einzigen Alternative für Jugendliche, welche ihre Freizeit nicht im neonazistischen Mob verbringen möchten - die Villa „Kunterbunt“- den Flammen zum Opfer fällt. Zwar ist nicht 100%ig erwiesen, ob ein Anschlag dafür verantwortlich ist, aber gerade die Tatsache, daß die Untersuchungsergebnisse von der Polizei nicht bekannt gegeben werden bzw. nicht über den aktuellen Stand informiert wird, läßt die Wahrtscheinlichkeit eines rechtsextremen Hintergrundes nicht gerade kleiner werden. Jedoch es blieb keine Zeit sich mit den Ursachen des Brandes zu beschäftigen. Zum einen bekamen die NutzerInnen der Villa jetzt Druck von der Vermieterin des Gebäudes - die drohte das Mietverhältnis zu kündigen. Zum anderen sollte einen Tag darauf, ein von Wurzener Nazis organisiertes Konzert stattfinden, bei dem mehr als 500 Besucher erwartet wurden. Als Veranstaltungsort sollte die bereits für ihr faschistisches Publikum bekannte Diskothek „JOY“ fungieren, die im Besitz eines Leipziger Neonazis ist. Durch die Veröffentlichung der Fakten und Indizien, die auf das geplante Konzert hindeuteten, gelang es, die Behörden zum Verbot der Veranstaltung zu zwingen und führte letztendlich zur generellen Einstellung des Diskothekbetriebes (Lediglich die sonntägliche „Kinderdisko“ hat, obwohl der auch dafür notwendige Gewerbeschein fehlt, überlebt). Doch damit war das Problem der Wurzener bzw. Muldentaler Faschoszene nicht aus der Welt geschafft.
Diese besitzt mit der Baracke „BB“, Diskotheken (z.B. in Schildau) und anderen Treffs (z.B.
in Wohnungen von Faschos) immer noch genügend Organisationszentren und ist immer noch deutlich
present in jener Region.
1. Wer von den BürgerInnen Wurzens weiterhin das rechtsradikale Problem nicht sehen will, bzw. dieses verschweigt und verharmlost, macht sich mit schuldig an den bereits erfolgten und leider höchstwahrscheinlich noch folgenden Übergriffen der Faschos auf MigrantInnen, Linke und all diejenigen, die sich gegen die rechte Realität stellen. Sie sollten sich nicht wundern, wenn Wurzen bald in einem Atemzug mit Städten, wie Hoyerswerda, Rostock, Mölln, Solingen und Magdeburg genannt wird. 2. Wer von den Jugendlichen sein Mitläufertum nicht überdenkt und weiterhin im regionalen rechten Mainstream mitschwimmt, muß die Konsequenzen sehen, die darauf folgen können. Leider gibt es in Wurzen nur einen Ansatz einer Alternative - die Villa -, welche von der Stadt nicht nur nicht unterstützt, sondern in ihrem Fortbestehen sogar behindert wird. Aber selbst bei Nichtakzeptanz jenes Ansatzes, bleibt die Möglichkeit eigene, von den Nazis unabhängige, Wege zu suchen. Nun ist das alles leicht gesagt, betrachtet man die Situation aus einem relativ festen antifaschistischen Background. Die besonderen Schwierigkeiten für die Wurzener Jugendlichen, die sich aus der „sauberen“ Kleinstadtatmosphäre als geeignetem Nährboden für faschistische und rassistische Ideologie ergeben, in der die (neue) „Gemeinschaft“ alles „Fremde“ und „anders“ Aussehende zum Feindbild erklärt, wurden an so manchem Gesicht Wurzener EinwohnerInnen deutlich, an dem ablesbar war, wohin das Flugblatt ungelesen verschwindet. Trotzdem wurde und wird die Kontinuität antifaschistischer Aktionen fortgestzt, gab es doch auch einige positive Reaktionen, ganz abgesehen von der Wichtigkeit des Handelns für die NutzerInnen der Villa, welche, zum großen Teil Punks, ständigen Bedrohungen und Angriffen der Nazis ausgesetzt waren. Diese wiederum wurden jetzt erstmalig öffentlich geoutet und in die Defensive gedrängt. Nicht nur der Wurzener Öffentlichkeit, sondern auch darüber hinaus wurde mittels Flugblättern, Transparenten und Plakaten gezeigt, wer die sonst so abstrakten Neonazis sind, wo sie zu finden sind, wie sie heißen und aussehen. Dabei wurden die AntifaschistInnen jedoch nicht nur von Faschos ständig bedroht, provoziert und teilweise auch angegriffen. Nein. Auch die Polizei und der Bürgermeister von Wurzen zeigten wieder einmal, daß sie nicht gewillt sind gegen den Rechtsradikalismus in ihrer Stadt deutlich Stellung zu beziehen, und somit in welcher politischen Ecke sie sich wahrscheinlich wohlfühlen. So entfernten Polizisten und Nazis gleichzeitig (vielleicht auch gemeinsam?) Transparente und Plakate. Angesichts der Tatsache, daß auf einem Plakat Fotografien der Opfer von Auschwitz festgehalten waren (mit der Fragestellung „Mythos Auschwitz?“) und diese von deutschen Beamten und Faschos öffentlich auf der Straße entfernt werden, so entsteht daraus eine symbolische Bedeutung, welche nicht nur die politische Situation in Wurzen zutreffend charakterisiert. Doch damit nicht genug, während bei Angriffen auf die Villa oder andere - mittlerweile zerstörte - linke Projekte in Wurzen die Polizei entweder zu spät kam, oder nicht eingriff und im Nachhinein die Politiker (jedenfalls die von der regierenden CDU) versuchten, die „Ursachen der Gewalt“ in den üblichen Stigmatisierungen zu suchen, schützen Polizisten mit gezogener Dienstpistole zusammen mit bewaffneten Rechtsradikalen die Wände, der als Nazi-Treff bekannten Baracke vor antifaschistischen Plakaten und der Bürgermeister erscheint wenige Stunden nach der Auseinandersetzung, um gemeinsam mit einer Vielzahl von anwesenden Faschos, seine Symphatie mit dem Nazi-Treff zu bekunden. Spätestens mit diesem öffentlichen Schulterschluß von politischen Repräsentanten, Polizei und Neonazis aus der Region und den Ereignissen vom 25./26. Juni als der Muldentalkreis wieder einmal zum Treffpunkt von Nazis aus der Region und darüber hinaus wurde (Pkw’s und Busse aus Österrreich), die im Muldentalkreis (In Mutschen, Röda und auch in Wurzen tauchten große Gruppen von Faschos auf) eine Sonnenwendfeier durchführten und dem Auftauchen eines „Anti-Antifa“-Plakates (bekannt geworden im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen die Nazi-Postille „Der Einblick“) an der Baracke „BB“, ist Wurzen nicht mehr nur Sache von Antifas aus Wurzen und Umland und es zeigt sich das ganze Ausmaß, gegen das angekämpft werden muß, soll die alternative Möglichkeit erhalten bleiben und ein relativer Schutz vor rassistischen und faschistischen Angriffen gewährleistet sein. Dazu braucht es nicht nur ein Bündnis, welches weit über Wurzen hinausreicht. Vor allem geht es jetzt neben der antifaschistischen Präsenz vor Ort, um eine breitere Öffentlichmachung, bei gleichzeitiger Beibehaltung der Berichterstattung in den jeweiligen „Szenen“, der aufgezeigten Situation. Dies umfaßt auch das links-bürgerliche Spektrum von TAZ und Spiegel bis zur Frankfurter Rundschau und ausländische Medien. Nur wenn auf Wurzen von allen Seiten “mit dem Finger gezeigt wird“, wenn die Idylle der Kleinstadt von den Anprangerungen der faschistischen Realität übertüncht wird und die regierende CDU um die Attraktivität ihrer Gemeinde für Investitonen bangen muß, hat antifaschistisches Engagement die notwendige Aussicht auf Erfolg! Frank aus Wurzen |