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Es kann nur einen geben?

Erkenntnis im Kontext von Tunnelblick und Fußnoten.
Leserbrief als Reaktion auf den Artikel „Total positiv und kritisch“ in der Ausgabe #125

Erneut ist die Welt um einen Text reicher, der sich aufschwingt, nichts weniger zu erklären, als die wesenhaften, tatsächlichen und fundamentalen Differenzen zwischen Adorno und Foucault, zwischen kritischer Theorie und (Post-)Strukturalismus. Dies ge- oder misslingt nicht ohne sich mit aller offensichtlich notwendigen Klarheit auf eine der beiden Seiten schlagen zu müssen. Doch das rohrspatzenhafte Schimpfen auf Foucault als positivistischem und vor allem unnützem Theoretiker hat ein Textverständnis zur Grundlage, das keines ist, da es das Ergebnis, nämlich das Verstehen, der Lektüre voranstellt, also das Kinde mit dem Bade ausschüttet. Bevor wir, zitatenarm und total positiv, uns jenen Stellen zu nähern versuchen, gilt es einen anderen Punkt stark zu machen, der dieser Entweder-Oder-Analyse implizit ist.
Wer als Sieger aus dem Ring steigt, ist selbstverständlich. Schließlich hat Adorno als verlängerter Arm von Marx enorme Reichweitenvorteile und landet daher einen Treffer nach dem anderen. Gleichsam automatisch schließt sich die Frage an, warum überhaupt Rummelboxen veranstaltet werden muss, warum schließlich nur einer gewinnen kann und im Umkehrschluss alles dafür getan wird, die Aussagen Foucaults als unlautere Tiefschläge einzustufen?
So schmerzlich es für eine aufgeklärte Linke klingen mag: Der allenthalben vorgetragene Alleinvertretungsanspruch der kritischen Theorie, was wahre Gesellschaftskritik angeht, die sich – minder erfolgreich – gegen jede Intervention anderer Sprachhorizonte und Theoriegebilde abzudichten versucht, entspricht der verkrampften Suche nach einer, nach der politischen Heimat. Dies gilt insbesondere für Zeiten, die aufgrund gesellschaftlicher Realitäten, zur Theoriearbeit verdammen. Und wie es mit der Konstruktion von Heimat nun einmal ist, sucht diese nach Abgrenzung, sie konstruiert ein Anderes, das als defizitär und unkritisch, in unserem Falle unmarxistisch gelten muss. Wer überzeugt und selbstsicher von seiner politischen Position berichten will, muss sich vom Anderen abzugrenzen wissen. Dieser Tage sind es die „Anti-Elogen“ gegen Foucault und die Diskursanalyse, die die konstitutive Leere der politischen Identität durch gelungene Abgrenzung anreichern, den ach so kritischen Blick ideologisch einfärben und das Text-Verstehen unmöglich machen.
Freilich ist diese fatale Logik der politischen Sinn-Konstruktion mit Schwierigkeiten verbunden. Es bedarf großer analytischer Anstrengungen, Zitationen so zusammenzustellen, dass sie endlich die einzig wahre Position des Autors hergeben. Im Falle von Adorno und Foucault trägt dies skurrile Früchte. Bevor wir uns dem Text, also diesen Früchten, zuwenden, bleibt eine unbeabsichtigte Folgeerscheinung dieser Konstruktion politischer Heimat zu erwähnen.
Denn Adorno gerät mitsamt der kritischen Theorie zur Essenz politischer Ein- und Weitsicht, und beide kehren in der Gegenwart als Marke, als Zeichen der politischen Zugehörigkeit zurück. Das Label „Kritische Theorie“ funktioniert hier fast wie der berühmte Marlboro-Man. Dieser verspricht Freiheit, die Theorie die einzig wahre politisch-kritische Einsicht – sei sie auch emphatisch. Eine solch vehemente Verteidigung der Kritischen Theorie als Alleinerbe von Marx und Sprachrohr der Wahrheit fällt, unbewusst versteht sich, dem Branding zu Opfer – und fixiert Adorno und Marx als Markenzeichen ihrer Zugehörigkeit. Diese Defensiv-Rezeption stilisiert Adorno zum Fetisch der politisch-kritischen Weisheit und konterkariert gleichsam die Einsichten des großen Meisters, dessen negative Dialektik sich schließlich auch gegen sich selbst richten müsste.
Dies ist zwar starker Tobak, anders jedoch ist die schräge Analyse zu Foucaults Ansätzen und deren vermeintlich maximale Differenz zu Adorno kaum zu erklären. Noch einmal: Es geht hier keineswegs darum, Foucault aus der Schusslinie der Kritik zu nehmen. Kritik jedoch setzt verstehende Lektüre voraus und das Bestreben, den Argumentationen und Intentionen des Autors zunächst zu folgen. Wenn jedoch der Eine nur als Abgrenzungsfolie, als falsches weil akademisch verfrickeltes und damit gefährliches Anderes zur wahren Theorie gelesen wird, wenn der Sieger der Partie schon vor Beginn des Spiels feststeht und überhaupt nach einem Sieger gesucht wird, dann riecht es nach Schiebung.

Diese Schiebung zeigt sich im Text vor allem an den Stellen, wo vermeintlich zentrale Argumente und Positionen Foucaults dargestellt und von Adorno unterschieden werden. Foucaults in einem Interview ge-äußerte Infragestellung des eignen Zugangs zur Wahrheit wird schon vorab als „ironisch distanziert“ abgekanzelt, obwohl diese Einschätzung nur der Intention des Lesers entstammen kann. Die Stelle zeigt sehr deutlich, wie wenig Raum Foucaults Texte tatsächlich haben, und wie präformiert die Lesart, wie verfärbt die Brille ist. Schließlich ist es nicht abwegig, Foucaults Analyse der eignen Arbeiten und deren (Un-)Möglichkeit, wahr zu sprechen ernst zu nehmen. Foucault spielt an dieser und an anderen Stellen nämlich – in einer wohlwollenden Lesart – dem „Essay als Form“ in die Hände. Zudem ist diese Form der Zitation höchst problematisch. Weder gibt man Foucaults Aussage, die mit den zitierten Sätzen nur eingeleitet wird, den Raum, irgendeinen Inhalt zu entfalten. Noch wird eine Referenz auf die Frage aufgeboten, die entscheidend für den – mehr oder weniger taktischen – Charakter einer Antwort ist.
Anschließend wird Foucaults Geständnis, sich auf Beweise, Texte, Quellen und Autoritäten einzulassen, in nur kritischer Absicht als „positivistische Wissenschaft“ dargestellt. Ein kleiner CEE IEH-Artikel von einigen Seiten wartet mit nicht weniger als 45 Belegstellen, 4 Fußnoten und 24 Literaturangaben, von denen einige als „Autoritäten“ gelten können, auf. Wer geknebelt und geknechtet im Methodenboot der kritischen Theorie hockt und gut die Hälfte des eigenen Textes aus fein säuberlich belegten Zitaten zusammenstellt, der sollte es tunlichst vermeiden, den Versuch transparenter Arbeitsweise unumwunden als positivistische Wissenschaft zu diffamieren. Denn das Surren der gegen Foucault gerichteten methodischen Kettensäge gilt gleichsam dem eigenen, dünnen Ast – sowie jedem, der nicht nur in Essayform geschrieben hat. (Dazu zählt unsre Heiligkeit Marx höchst selbst.)
Nebenbei gesagt werden die Historiker das Grinsen nicht verbergen können, wenn sie hören, Foucault argumentiere positivistisch und aus historischen
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Fakten. Da diese jenem beständig und zurecht vorwerfen, keiner seiner historischen Abrisse wäre ausreichend fundiert.
Positivismus übrigens, in welcher Spielart auch immer, bezieht sich (und zieht damit die Kritik auf sich) nicht vorrangig auf die Zusammenstellung zahlreicher Einzeldaten, sondern vor allem auf die Positivität von Aussagen über Gegenwart und Zukunft, die den gewonnenen empirischen Daten entspringen. Anders gesagt, glaubt positivistische Wissenschaft immer noch, es gäbe theorieneutrale Erfahrung. Und nicht mal diese (die positivistische Wissenschaft) wäre, spätestens seit Popper, so einfältig, die „Richtigkeit einer These nachweisen“ zu wollen.

Nur wenige Zeilen voran, heißt es, Foucault denunziere, im Unterschied zu Marx und Adorno, die Vernunft „als das, was der Produktion je historisch verschiedener Zwangsverhältnisse gedient hat“ und wende sich von der Vernunft als solcher ab. Schenken wir dieser Einsicht Glauben, so ist Foucault ein vernunftloser Positivist – wie auch immer dies zusammen gedacht werden kann.
Foucault hingegen selbst konstatiert für das 19. Jahrhundert, dass dies die Zeit war, „wo die große Konfrontierung der Vernunft mit der Unvernunft sich nicht länger in der Dimension der Freiheit abgespielt hat, wo die Vernunft für den Menschen aufgehört hat, eine Ethik zu sein, um statt dessen eine Natur zu werden.“ (Foucault: Psychologie und Geisteskrankheit, S. 131) Sicher, dieses Zitat gibt erneut wilden Interpretationen Raum – wohlwollend könnte man jedoch, den Kontext von mindestens zwei Monographien zum Thema vor Augen, eine unbedingte Nähe zur instrumentellen Vernunft, die schließlich in die Barbarei geführt hat, assoziieren. Foucault jedenfalls die völlige Ablehnung jeglicher Vernunft vorzuwerfen, zeugt von Unkenntnis oder bewusstem Missverstehen.
Doch zurück zum Text. An anderer Stelle wird Foucaults Kritik an einem platten, also nicht adornitischen, Ideologiebegriff zitiert, indem es heißt, dass die Ideologie „in untergeordneter Position in Bezug auf etwas, das ihr gegenüber als ökonomische, materielle usw. Struktur oder Determinante wirksam ist.“ In den Augen von Marius Bar bedeutet dies, Foucault „leugne“ die „Totalität des ökonomischen Zusammenhangs als Unwahrheit des Kapitals.“ Dabei sprach Foucault weder von Zusammenhängen, Unwahrheiten und schon gar nicht vom Kapital. Es geht in diesem Zitat nur darum, einen billigen Begriff von Ideologie, der ungefragt das abgeschmackte Basis-Überbau-Modell mit sich trägt, zu kritisieren.
Nur drei Beispiele noch: Foucault wird vorgehalten, seinen Warheitsbegriff nicht zu entfalten und diesen schließlich im Namen des völligen Relativismus über Bord zu werfen. Ist es tatsächlich nötig, den Begriff wahr als das Gegenteil von falsch zu definieren? Und an welcher Stelle hat Adorno seinen Begriff von Wahrheit entfaltet? Zur Beweisführung einer „entscheidenden Differenz“ macht Bar von der Worthülse „emphatisch“ Gebrauch, was soviel bedeutet wie einen eindringlichen, schwungvollen und leidenschaftlichen Begriff von Wahrheit ins Felde zu führen. Einem Autor jede Wahrheitsintention absprechen zu wollen, wäre das Gleiche wie ein Fußballspiel ohne Ball oder eine Pizza ohne Boden. Schließlich bedarf es eines Taschenspielertricks, um Adornos Wahrheit explizit zu machen: Wir müssen klären, was tatsächlich unwahr ist. „Die Unwahrheit des gesellschaftlichen Verhältnisses liegt nach Adorno darin, dass die Beschaffenheit der Subjekte abhängt, von der Objektivität, den Mechanismen, denen sie gehorchen, und die ihren Begriff ausmachen“. Im Umkehrschluss heißt dies, die tatsächliche Wahrheit des Subjekts ist losgelöst von der Objektivität des Begriffs und den Mechanismen. Sie ist im Singulären, im Nicht-Identischen zu suchen. Die Wahrheit des Subjekts liegt folglich in der völligen Relativität dessen, was das Subjekt als Singuläres, im Ursprung ausmacht, da es nämlich nichts gibt, was es – das Subjekt – von Natur ist, oder sein soll. Diese minimale Wahrheit, dass das Subjekt zunächst nichts ist, zu dem es nicht Kraft gesellschaftlicher Verhältnisse gemacht wurde, teilen beide Autoren unbedingt.

An anderer Stelle wird Foucault zum Vorwurf gemacht, er missverstehe Marx vollkommen, da für ihn nur die Wissenschaftlichkeit der Methode Marx‘ „von Belang“ ist. Unwiderstehlich belegt wird dies mit Foucaults Aussage, der ökonomische Diskurs von Marx gehorche den „Formationsregeln, die für wissenschaftliche Diskurse im neunzehnten Jahrhundert eigentümlich waren.“ Was für Foucault an Marx‘ Analysen von Belang war, steht auf einem ganz anderem Blatt, jedenfalls nicht an besagter Stelle. Dort nämlich beschreibt Foucault nur eine gewisse methodische Nähe sehr verschiedener Texte. Alles darüber hinaus ist Imagination des nach Abgrenzung strebenden Analysten.

Ein letztes Beispiel noch. Foucault kommentiert die Frankfurter Schule in ihrem Subjektbezug. Seine Kritik zielt, mit Blick auf Adorno sicher zu Unrecht, auf die Idee eines eigentlichen Wesens des Subjekts. Doch die Kritik an der Kritik schießt weit am Ziel vorbei, indem sie „die Versöhnung von Vernunft und Natur“ als die wahre und die „einseitige Befreiung menschlicher Natur“ als die von Foucault falsch wiedergegebene Intention der Frankfurter Schule vorstellt. In dieser platten Weise rekurrieren jedoch beide Varianten auf ein eigentliches, ursprüngliches Wesen menschlichen Seins, da es nur der Versöhnung bedarf, um zum wahren Subjekt zurückzukehren.

Schließlich bleibt noch zu erwähnen, dass die Auswahl Siegfried Jägers als Paradebeispiel strukturell unkritischer und gefährlicher Diskursanalyse wiederum auf den unbändigen Abgrenzungszwang zum wirklich Kritischen hinweist. Weder die Analyse von Diskursen noch die Dekonstruktion sind Erfindungen Foucaults, die Breite diskursanalytischer Verfahren ist ungemein hoch und niemand wird behaupten, das durchaus kritikwürdige Label Diskursanalyse sei per se toll und der Schlüssel zur Wahrheit.

RF

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last modified: 28.3.2007