home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt | [120][<<][>>] |
"Wir haben nichts gewusst!" 60 Jahre Befreiung des KZ Buchenwald. | |
Das Konzentrationslager Buchenwald war kein Vernichtungslager. Zwischen 1937 und 1945 waren in ihm ca. 250000 Menschen inhaftiert. Die Zahl der Opfer wird auf 56000 geschätzt. Buchenwald war das erste Konzentrationslager, das durch die SS nicht geräumt worden war und quasi in seinem Betriebszustand durch die Amerikaner befreit wurde. Die eintreffenden Soldaten und Journalisten waren geschockt. Jay Martin Hamilton, der damals Leutnant der 76. Infanterie-Division war, berichtet noch als alter Mann vom schwärzeste(n) Tag meines Lebens: Wir rückten über Hottelstedt nach Buchenwald vor. Wir rochen das KZ schon Kilometer vorher. Der Gestank war fürchterlich. Er kroch in die Kleidung, hing tagelang in unseren Klamotten. Die Kriegsberichterstatterin Margaret Bourke-White schrieb über ihre Ankunft in Buchenwald am 16. April 1945: Dieser Apriltag in Weimar hatte etwas Unwirkliches, ich fühlte etwas, woran ich mich hartnäckig festklammerte. Ich sagte mir ständig vor, ich würde erst dann an das unbeschreiblich gräßliche Bild in dem Hof vor mir glauben, wenn ich meine eigenen Photos zu sehen bekäme. Die Kamera zu bedienen, war fast eine Erleichterung, es entstand dann eine schwache Barriere zwischen mir und dem bleichen Entsetzen, das ich vor mir hatte. Am gleichen Tag mußten auf Befehl von General Patton 1000 Weimarer Zivilisten das Lager besichtigen. Als die Zivilisten immer wieder riefen: Wir haben nichts gewußt! Wir haben nichts gewußt! gerieten die Ex-Häftlinge außer sich vor Wut. Ihr habt es gewußt, schrien sie. Wir haben neben euch in den Fabriken gearbeitet. Wir haben es euch gesagt und dabei unser Leben riskiert. Aber ihr habt nichts getan! ... Wir haben nichts gewußt! Wir haben nichts gewußt! Wir alle bekamen diese Worte so häufig und monoton zu hören, daß sie uns wie eine deutsche National-Hymne vorkamen. (Bourke-White) Die Deutschen waren mindestens durch den englischen Sender BBC und die Feldpostkarten der Wehrmachtssoldaten grob über das Vernichtungsprojekt informiert. Die Informationen waren vorhanden, nicht aber empfängliche Adressaten: der Psychologe Peter Brückner schrieb in seiner Autobiographie Das Abseits als sicherer Ort (1980): Es gab ... eine spürbare Abwehr dagegen, gewisse Nachrichten über das Grauen im NS-Staat zur Kenntnis zu nehmen: Man erschrak, aber verstummte, wurde unwillig, vergaß. Ich wollte wissen, und das Vergessen erschien uns unwürdig. Und doch erinnere ich mich, daß ich gelegentlich den Impuls verspürte, mich zuzuschließen, wie ein indischer Affe nichts zu sehen und nichts zu hören. Dieser Impuls ließ bei den Deutschen in den folgenden Jahren und Jahrzehnten nicht nach, wie Stephan Hermlin während der Vorführung von Dokumentarfilmen über Buchenwald und Dachau beobachtete: Im halben Licht des Projektionsapparats sah ich, wie die meisten nach Beginn des Films das Gesicht abwandten und so bis zum Ende der Vorstellung verharrten. Doch es wurden im Laufe der Zeit auch andere Wege eingeschlagen, um mit dem deutschen Vernichtungsprojekt umzugehen. Kaum einer drückt sich heute noch darum, die Vernichtungstaten des Nationalsozialismus wahr zu haben. Doch haben sich die Deutschen mittlerweile auf die Seite der Opfer gemogelt etwa im Gedenken an die Bombardierung Dresdens. Eingeübt wurde die Opferrolle nicht nur bezüglich des Gedenkens an die Opfer der Bombardierung Dresdens schon in der DDR. Das deutsche Volk war laut DDR-Geschichtsschreibung das erste Opfer des Nationalsozialismus. Sie konnte dabei an die gängige kommunistische Faschismusanalyse anknüpfen, laut derer der Faschismus ein Stadium des Imperialismus sei. Mit dieser These wurde nicht nur das deutsche Volk entschuldigt, sondern postwendend die westlichen Alliierten angeklagt. So heißt es in einem 1950 verfassten Gutachten über den eingangs erwähnten Bericht von Rolf Weinstock, als in der DDR überlegt wurde, diesen zu veröffentlichen: Selbst von dem Gesichtspunkt aus, daß ein Bericht über die Unmenschlichkeit des Nazi-Regimes auch heute wichtig ist, müßte diese Arbeit abgelehnt werden. Die Hymne auf die amerikanische Armee am Ende des Berichts ist heute unmöglich, weil inzwischen die Befreier vom Faschismus von 1945 die Förderer der neofaschistischen Bewegung geworden sind. Das Buch wurde dennoch in der DDR veröffentlicht gekürzt und um einen Kommentar erweitert, der unter anderem in folgendem Passus gipfelt: Bei der Durchführung dieser Politik (der Politik der letzten fünf Jahre seit dem Ende des Nationalsozialismus, H.G.) stützten sich die Anglo-Amerikaner auf dieselben faschistischen und kriegstreibenden Elemente, die das deutsche Volk schon einmal in eine nationale Katastrophe geführt und die Welt mit Krieg überzogen haben. Auch die Kürzungen haben es in sich. Auch sie folgen der gängigen kommunistischen Faschismusanalyse, die fortfolgend als Anklage der westlichen Siegermächte diente und zur Ehrenrettung des deutschen Volkes. So wurde unter anderem Weinstocks Darstellung der durch die Amerikaner angeordneten Besichtigung des Konzentrationslagers durch Weimarer Zivilisten gestrichen. Die Kürzungen haben an der Legitimierung der DDR als antifaschistischer Staat mitgestrickt wie auch die in der DDR verbreitete Mär von der Selbstbefreiung Buchenwalds durch den antifaschistischen Widerstand innerhalb des Lagers, der letztlich ein Klassenkampf gewesen sei. In einer Besprechung des Weinstock-Buches wurde folgerichtig die Veröffentlichung von Lebensberichten der wirklichen Widerstandskämpfer gefordert, die den Menschen auch heute noch in ihrem Kampfe helfen können. Schlussendlich sollten diese antifaschistischen Widerstandskämpfer ausgerechnet für den am 7. Oktober 1949 gegründeten deutschen Staat herhalten. So formulierte der Vorstand des Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer: Den Ehrentitel Widerstandskämpfer verdient nur, wer auch heute die Führung der Partei der Arbeiterklasse (der SED) anerkennt, die Einheit der Partei schützt und leidenschaftlich verteidigt und alles tut für den Aufbau des Sozialismus. Das Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer ist das Resultat einer Transformation der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Der Beschluss zur Transformation erfolgte 1953, just zur Zeit der antisemitischen Slansky-Prozesse in der Sowjetunion, aus denen auch die SED ihre Lehren zog: Von besonderer Bedeutung im Prozeß gegen die Slansky-Bande waren die Enthüllungen über die verbrecherische Tätigkeit der zionistischen Organisationen. Die zionistische Bewegung wird beherrscht, gelenkt und befehligt vom USA-Imperialismus, dient ausschließlich seinen Interessen und den Interessen der jüdischen Kapitalisten. (SED, 1953) In der Folge dieser antisemitischen Politik verließen die Hälfte aller Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinden und insgesamt 550 Juden die DDR. Der Anteil von Juden im Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer reduzierte sich gegenüber ihrem Anteil im VVN wesentlich (Auch der Anteil der Homosexuellen, sogenannten Asozialen, Sinti und Roma und Christen verringerte sich). So wenig die DDR ein faschistischer Staat war, so wenig war sie ein antifaschistischer Staat. Sie bewahrte die Ideologie des Antisemitismus in der Form des Antizionismus und Antiamerikanismus auf, sie trieb damit sogar Juden aus dem Land und der verordnete Antifaschismus verhinderte eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und hielt das deutsche Volk in einer Würde, die ihm keineswegs zustand. Der Schwur von Buchenwald, der am 19. April 1945 von den Überlebenden Buchenwalds geschworen wurde, war somit schon wenige Jahre später von dem deutschen Staat, der das Erbe Buchenwalds an sich riss, außer Kraft gesetzt worden. In dem Schwur hieß es unter anderem: Wir leben gebliebenen, wir Zeugen der nazistischen Bestialitäten sahen in ohnmächtiger Wut unsere Kameraden fallen. Wenn uns eines am Leben hielt, dann war es der Gedanke: Es kommt der Tag der Rache! / Heute sind wir frei! Wir danken der verbündeten Armeen, der Amerikaner, Engländer, Sowjets und allen Freiheitsarmeen, die uns und der gesamten Welt Frieden und das Leben erkämpfen. Wir gedenken an dieser Stelle des großen Freundes der Antifaschisten aller Länder, eines Organisatoren und Initiators des Kampfes um eine neue demokratische, friedsame Welt: F.D. Roosevelt. Ehre seinem Andenken! ... Uns beseelte die Idee: Unsere Sache ist gerecht Der Sieg muss unser sein! Wir führten in vielen Sprachen den gleichen, harten, erbarmungslosen, opferreichen Kampf und dieser Kampf ist noch nicht zu Ende. Noch wehen Hitlerfahnen! Noch leben die Mörder unserer Kameraden! Noch laufen unsere sadistischen Peiniger frei herum! Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Appellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens: Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neue Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig. Hannes Gießler |
|