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Nach Buchenwald

11. April 1995: 50 Jahre nach dem Ende der faschistischen Herrschaft über die Häftlinge des KZ Buchenwald ist offiziell schon unklar geworden, wie diese Herrschaft eigentlich verendete. Man sollte es nicht glauben. Die Gedenkfeiern um dieses Datum wurden denn auch von offizieller geschichtsrevisionistischer Seite dazu genutzt, durch die Verbreitung der Legende von der Befreiung durch die Amerikaner den „roten Kapos“ den letzten geschichtlichen Bonus zu nehmen und endgültig „rote Legenden zu korrigieren“ (FAZ, obwohl es so auch in der taz stehen könnte). So sieht nun auch die neue Gedenkstätte auf dem KZ-Gelände aus. Doch der Reihe nach.

Zur zentralen Gedenkfeier am 9. April, zu der neben dem unberufenen Land Thüringen auch das Internationale Lagerkomittee (ILK) aufgerufen hatte, kamen mehrere tausend Leute, die meisten davon, wohl unvermeidlich, mit ihren Fahnen, T-Shirts und Flugblättern. Dieses Parteiengepose, wohl doch immer noch genreüblich, prägte das Bild auf dem eiskalten Gelände; der Gesamteindruck war daher ein eher kämpferischer als ein trauernder. Das war überhaupt auffällig: Es wurde ein Tag der Freude begangen, es gab nicht eine Gedenkminute, selbst beim Niederlegen der Kränze (teilweise durch deutsche Soldaten in Uniform) wollte so recht keine Bewegtheit entstehen. Auch viele ehemalige Häftlinge vermittelten diesen Eindruck. Einzig eine Gruppe ehemaliger jüdischer Häftlinge fand sich zu einem Gebet nach Ende der Gedenkfeier am Appellplatz zusammen.

Diese zentrale Gedenkfeier, die vom ILK ausgerichtet war, spiegelte alles wieder, was von den beteiligten Seiten zu einem solchen Anlaß zum Ausdruck zu bringen ist: Bernhard Vogel, ein Ministerpräsident, sprach ganz im Sinne Herzogs (ein Bundespräsident) von dem sinnlosen Greuel der KZs, rechnete sich zu den Opfern (als er von vielen Teilnehmern ausgebuht wurde) und die jungen und alten Buhrufer zu den Tätern. Er schwadronierte über das nach 1945 errichtete Stalinlager, dessen Opfern man auch gedenken müsse und behauptete die Legende von der KZ-Befreiung nur durch die Amerikaner. Eine Würdigung erfuhren die „roten Kapos“ lediglich durch einen von ihnen, Emil Kallerbach; ruhig, ohne Bitterkeit, kämpferisch, auch irinisch, führte er aus, welches Schicksal viele Überlebende im Nachkriegsdeutschland hatten und welches viele Täter. Diese Tatsachen sprechen für sich, sodaß Emil ohne jede Beschwörung und ohne direkte Replik auf seinen Vorredner Vogel aussprechen konnte, was viele auf diesem Platz empfanden: Dies ist der Tag der Befreiung und Selbstbefreiung für die KZ-Häftlinge, und es darf hier kein Platz sein für Verdrehungen und Verrückungen. Es geht hier um Buchenwald und Auschwitz, um die Restauration und Rehabilitation des Faschismus in der Nachkriegs-BRD und um Gefahr und Zweck des Geschichtsrevisionismus. Nicht aber um Sarajewo und Grosny, und schon gar nicht um die Beschwörung einer neuen „deutschen Verantwortung“. So sprach Emil gelassen, trotzdem eindringlich vom gegenwärtigen Aufbau einer neuen Wehrmacht - eine dreiviertel Stunde später dann legten Angehörige der neuen Wehrmacht Kränze nieder, im Gedenken an die Opfer Buchenwalds.

So blieben viele Unklarheiten, Buchenwald wurde einmal mehr zum Symbol deutscher Zustände: Die Selbstbehauptung des Antifaschismus, verzweifelt, verleugnet von den Herrschenden einer- und das deutsche Rollback andererseits. Uns bleibt unerklärlich, daß Vogel vor den ehemaligen Häftlingen reden durfte (die er mit „liebe Opfer“ ansprach), noch unfaßbarer war es, daß deutsche Soldaten sich auf dem gesamten Gelände herumtreiben, ehemalige Häftlinge bewirten und dann noch Kränze tragen durften. War das ILK über unseren grünen Tisch gezogen worden, statt (wohl ein letztes Mal...), kräftig mit der Faust auf diesen zu schlagen?

Nun, wenigstens veranstalteten überlebende Führer der geheimen militärischen Organisation des Lagers, die viele Häftlinge, darunter 903 Kinder, vor der Vernichtung gerettet hatten und das befreite Lager am 11.April den einrückenden amerikanischen Truppen übergeben konnten, im Anschluß an diese Gedenkfeier noch eine Gesprächsrunde in der ehemaligen Häftlingskantine, bei der doch einiges geradegerückt werden konnte - für die Anwesenden, nicht aber für die, die es besser wissen und falsch darstellen (Gedenkstättenleitung, Bernhard Vogel und national gesinnte Drecksschaluppen, die die Spalten von FAZ bis taz vollsoldunratsskribenten). Auch diese Veranstaltung gab ein wahrheitsgetreues Bild der herrschenden Zustände wieder: In gesicherten Räumen können wir uns gegenseitig und ungestört noch unserer Sicht der Dinge versichern - schon an der nächsten Bushaltestelle siehtÝs anders aus. Die gemeinsame Empörung und Niedergeschlagenheit angesichts der Situation, wie sie in der neugestalteten Ausstellung zum Ausdruck gebracht wird (bis zum Ende des Verfahrens gekürzte Täterbiographien, Verschwinden der Frauen aus der Widerstandsdokumentation, glattes Weglassen der antifaschistischen Widerstandstätigkeit der organisierten Häftlinge, ach, und so weiter), provozierte denn auch einen Appell eines älteren Veranstaltungsteilnehmers an uns Jüngere und unsere „Jugendfreunde und Kumpels“, dies als fruchtbaren Widerspruch zu erfassen und Gegenpolitik zu entwickeln. Nun, das werden war - eher wie die Frauen der „alten Ausstellung“: Praktisch und militant, nicht wie die der neuen Ausstellung: Als Verfasserinnen von Lyrik. Nicht wie alle - wenn überhaupt - dort dokumentierten Opfer: passives Objekt des Terrors, eine Masse, die unter der Dokumentation der Täter verschwindet, sondern aktive und bewußte KämpferInnen gegen den deutschen Faschismus, die einen Grund hatten, warum sie dort einsaßen und wofür sie auch dort kämpften.

Das könnte wohl unsre Losung von Buchenwald sein: Ersetzen wir die WiderstandskämpferInnen in der heutigen Wirklichkeit, die aus der offiziell dokumentierten Vergangenheit verschwunden sind.

- gr b -

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last modified: 28.3.2007