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das Erste, 0.9k

L'


    „Unsere Klientel sind alle Menschen, die etwas aus ihrem Leben machen wollen.“
    Guido Westerwelle, FDP-Politiker (vgl. FTD vom 07.01.04)

    „Man soll so gleich, so in irgendwelche schäbigen Szenelumpen gehüllt sein, einer wie der andere, man soll so uninteressant und so unintelligent und so ohne jede(n) (...) individuellen Ansporn, aus sich etwas zu machen, sein, wie all die andern auch.“
    Justus Wertmüller, Kolumnist (auf einer Veranstaltung in Leipzig im Mai 2003, vorgeblich die Position der „Linke(n) in Deutschland“ charakterisierend)

    „... die Fähigkeit, im Zuschauen sich zu distanzieren und zu erheben, ist am Ende eben das Humane, dessen Ideologen dagegen sich sträuben. (...) die zuschauerhafte Haltung drückt zugleich den Zweifel aus, ob dies denn alles sein könne...“
    Theodor W. Adorno („Negative Dialektik“)

Gurkenmaske, 24.6k Gut leben allein ist zu wenig. Die Devise ist: Leben, um mehr zu leben. Alles was du erlebst, ist nur dann etwas (na? Fällt der Groschen...?) wert, wenn du aus ihm weitere Erlebnisse machst. Höher, schneller, weiter. Das gelebte und das gegenwärtige Leben darf nur Ansporn sein für immer höheren Genuss, immer grössere Anstrengung. In der Sprache eines Gaypornos der 80er Jahre: Hart arbeiten, hart trinken, hart ficken. Auch der geilste Sex besteht nicht vorm Richtstuhl der Zeit, der unerbittlich klar macht, dass jener besser hätte sein können und dass man sich das nächste Mal gefälligst mehr zu engagieren hat. Nie wurde genug verdient und der Spass beim letzten Snowboard-Urlaub ist auf alle Fälle zu steigern. Niemand „begnügt sich mit Mittelmaß“, die Karrierefrau von heute „will alles“: Kind, Vorstandsposten, Mann und ehrenamtliche Tätigkeit bis zum Umfallen. Jede Hausfrau will das beste Putzmittel, mit garantierter Höchstzahl getöteter Hausstaubmilben, jeder Kranke verlangt nach Abführpillen in Spitzenqualität. Es gibt kein Produkt mehr, das nicht mit dem sich selbst unterminierenden Adverb „qualitativ hochwertig“ beworben würde.
Zwischendurch wird entspannt – aber richtig, das heisst: effektiv. Wehe, wer sich in der Entspannungszeit mit etwas anderem beschäftigt, als entspannen, also bspw. angestrengt nachdenkt – bei der Arbeit verschleißt man sich total, in der Rekreationsphase erholt man sich total. Jede Minute in ihr, die nicht mit „ausruhen“ ausgefüllt ist, ist verplempert. Wenn man sich daran hält und sich auch beim Ausruhen nicht gehen lässt, dauert die Wiederherstellung für die Arbeit nicht allzu lange. Zur Herstellung dieser konzentriert-freudlosen Erholung ist eigens eine Industrie erfunden worden: Die Wellness-Buden und -farmen boomen, gerade in der Krise. Ihr Ideal ist ein im warmen Heilschlamm steckender Mensch mit Gurkenmaske, eingenebelt von japanischen Heilölen und pseudoindischer Esomusik, der sich im Tiefschlaf muskelstärkend selbst massiert.
Vieles ist gegen die Gesellschaft des Kapitals geredet und geschrieben worden. Jetzt kommt noch dies hinzu: Jene ist offensichtlich eine affektierte.
In ihr ist niemand, aber auch niemand qua Gruppenzugehörigkeit vorm Durchdrehen, vorm Abgleiten in schlimmsten, menschenfeindlichsten Unsinn gefeit. Ob computertechnikverliebte Linke, anabolikafressende Nazis, besessen arbeitende Künstler, schmalspurige Sammler – sie alle eint die Abneigung gegen unausgefüllte Zeit, Leerlauf, Ineffizienz, Beschäftigungslosigkeit. Niemals soll man inne halten können, um zu reflektieren, was man da treibt, und sei es nur um eine minimale Distanz herzustellen zum immer gleichen Betrieb.
Kaum verwunderlich also, dass HIV-Positive mit von der schlechten Partie sein wollen. „HIV-Positive und Aidskranke fordern ein eigenes Sportabzeichen.“ lautete vor einiger Zeit die Meldung der „taz“. Da weder die Kriterien für gesunde Menschen, noch diejenigen für Behinderte anwendbar seien (sowohl wegen der Unterscheidung zwischen Infektion und Ausbruch der Krankheit, als auch zwischen unterschiedlichen Krankheitsstadien) müssten nun sehr spezielle Kriterien gefunden werden. Ehe das Genöhle der sportbegeisterten Ex-Antifas anhebt, sei klargestellt: Es geht nicht darum, bestimmten Menschen sportliche Betätigung auszureden oder Rumhampeln aller Art als anti-emanzipatorisch zu geisseln. Nur: Die Erlangung eines Abzeichens verlangt das Absolvieren klar definierter Leistungen und nur darum geht’s hier. Die Befürworter dieses Abzeichens wollen keine Verbesserung der Lebensbedingungen von Infizierten und Kranken, sondern deren Eingliederung in den Gesamtwahnsinn. Nichts, was dem Höher-Schneller-Weiter-Ethos entgegensteht, darf existieren. Es dürfen lediglich unterschiedliche Leistungsgrade bestehen – Leistungszwang an sich muss sein. Überinterpretiert? Definitiv nicht: Es geht darum, so Ortwin Passon, engagierter Verfechter dieses Abzeichens, dass die betroffenen Menschen – ein schönes Leben haben?, Freude an der Bewegung erhalten oder wiedergewinnen? – nix da! – „Selbstvertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit ... finden“. Das von diversen Schwulengruppen in alle Welt posaunte Motto lässt keinen Zweifel aufkommen: „Leistungsfähig trotz HIV“. Was für blanker Irrsinn hier in scheint's völlig unaufgeregter Atmosphäre diskutiert wird, lässt sich vielleicht an einem Gedankenexperiment erläutern: So könnte man sich fragen, wie das wohl abläuft in der warenproduzierenden Gesellschaft, wenn zwei Freunde – der eine lediglich infiziert, der andere schon von der Krankheit gezeichnet – miteinander trainieren. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn sich da nicht ein Hochgefühl bei dem schon Kranken einstellen würde, falls der sportlich noch über den erst Infizierten siegt. „Gut, dass wir verglichen haben.“, rülpst es aus dem Bauch des bürgerlichen Subjekts.

Was sonst noch passierte:
Wie man sah, gab es in den letzten Monaten eine soziale Bewegung.
Was ist mit den Studenten los? Ihre Umzüge waren einigermaßen morbide: Trauermärsche in Trauerkleidung, Kreuzträger, Bildungssarg und angedeuteter Massenselbstmord auf dem Marktplatz. (Ganz so detailliert hat's der Robert Kurz bestimmt nicht gemeint, das mit dem Todestrieb des bürgerlichen Subjekts...). Diese Schauerlichkeiten flankiert das ekelerregende Standortgesülze eines Torben Ibs vom StuRa der Universität: „Investieren in die Breite, bedeutet automatisch die Ausbildung einer Spitze. Deutschland braucht 351 Elite-Hochschulen und nicht zehn“.
Immerhin: Die Studenten treten offenkundig für ihre eigenen Interessen ein, betreiben also keine Stellvertreterpolitik, wollen niemanden wahlweise mit Revolutionsrhetorik oder Almosen beglücken, die Arbeiterklasse nicht und nicht die 3. Welt. Das ist erstmal positiv. Sie stellen sich selbst, ihr eigenes Wohlergehen schamlos ins Zentrum der Agitation. Der stattgefundene Rabatz – mindestens in zeitlicher Nähe zu den Protestaktionen gegen den in der Agenda 2010 festgeschriebenen Sozialabbau – ist auch Klasse. (Sehr schick anzuschauen auch das Transpi gegen die Agenda 2010.)
Anlässlich dieser Proteste führten die Wertkritischen Kommunisten (WKL) in einem neuen Flugblatt vor, wie Kritik aussieht: „Kritik ist nicht konstruktiv!“ (in CEE IEH #107). Hier gibt es weder eine pauschale Denunziation des Protests, noch ein politizistisches Ranschmeissen in der Manier der Linken StudentInnengruppe, sondern: soviel Solidarität wie möglich und soviel Bewegungsbashing wie nötig. In diesem konkreten Fall überwiegt das Letzte, was bei den kreativen Blödheiten der Studierenden nun mal nicht anders sein kann.

Robert Kurz, Krisis-Redakteur diskutiert in Chemnitz mit Uli Schuster, einem Redakteur der komplett überflüssigen „Zeitschrift gegen die Realität“ namens „Phase 2“. Neulich entlarvte Phase 2 im feinsten linken Dummsprech den „Kurzschen Geschichtsrevisionismus“: „Da nützt auch der Hinweis nichts, der Nationalsozialismus sei aus einer kapitalistischen Wirklichkeit hervorgegangen. Denn wie dieser Hinweis hilft, zu verstehen, dass entgegen des eigenen Selbstverständnisses auch die BRD nicht das ganz Andere des nationalsozialistischen Deutschland ist, dient er doch der Verdrängung der Geschichte, wenn plötzlich alles wieder Faschismus ist, als allgemeiner Bestand der Moderne.“ Der Kurzsche Hinweis ist also mal richtig (wenn er „hilft, zu verstehen...“) und mal falsch (dann, wenn er der „Verdrängung der Geschichte“ dient). Ja verdammt, ist er denn nun richtig oder falsch? Warum verpissen sich solche Analytiker nicht endgültig an die nächstgelegene Universität?! Leider nur halten sie ihre vorlaute und verschroben-altkluge Entlarver-Manier für kritisch. Überhaupt glaubt ja heute jeder dahergelaufene Dorfdeppantifa, der noch vor einem halben Jahr wahlweise Öko, Nazi oder Anti-Imp war und nun schon bei mindestens drei famosen Blättern des Antideutschtums mitmacht, dem Robert Kurz „strukturellen“, wenn nicht manifesten Antisemitismus und „Geschichtsrevisionismus“ nachweisen zu müssen.
Der Einladungstext für die Veranstaltung wenigstens vermerkt eine nachprüfbare Wahrheit: „Die Zeitschrift ‘Phase 2’ publiziert in dieser Debatte [gemeint ist die in der radikalen Linken stattfindende Debatte um den Irakkrieg – Mausebär] überwiegend ‘antideutsche’ Positionen...“.
War da nicht was? Ja, da war was:
„...Bellizismus... nicht satisfaktionsfähig. Die Zeit ist überreif, nach dem inhaltlichen auch den formalen Trennungsstrich zu ziehen...“,
„... radikale Linke im deutschsprachigen Raum wird sich auch publizistisch neu formieren müssen...“,
„Bellizismus ... redaktionell geduldet oder publizistisch beherbergt in ... Phase 2“,
„In der ‘theoretisch reflektierten’ Linken herrscht Frieden zwischen Kriegsgegnern und Bellizisten. Einige Irrläufer dieser innerlinken friedlichen Koexistenz finden es deshalb gar nicht nett, daß ich nicht mehr mit den Bellizisten spielen will, auch nicht mit den Softcore-, Halb- und Viertel-Bellizisten.“,
„Aufkündigung der Mitarbeit bei ... ‘Phase 2’“, „...bin nun mit den Antideutschen fertig“.
Wo war das alles noch mal zu lesen? Irgendwie kommt einem die Diktion bekannt vor, nicht wahr?! Fast klingt das wie... nein, das kann nicht sein.... Wer Lust hat, kann ja mal googlen. (Und danach Adenauer zitieren.)
Für diesen Monat ziehen wir uns auf die Allerweltsweisheit zurück, dass die Winkelzüge von (Anti-)Politikern nun mal schwer zu durchschauen sind.

Statt uns weiter zu ärgern, sollten wir aus unserem Paralleluniversum einen Blick nach draussen, ins real life, riskieren. Dort werden an der Schweizer Kinderuniversität St. Gallen (vgl. FAZ, 10.01.04) Kinder vom neoliberalen verrückten Professor Franz Jaeger indoktriniert. Sie „lernen“ dort, was Geld ist und wälzen Fachliteratur: „Moneten, Kohle, Kies und Schotter“, „Ich wollt, ich wäre ein Mini-Millionär“. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Vorlesungen Widerspruch und Rebellion gegen den totalitären Trash namens Marktwirtschaft hervorkitzeln. Für den „reflektierten“ Gesellschaftskritiker sehr viel naheliegender ist es, sich auf eine gedrillte Kampfreserve des Kapitals, eine zum Äussersten entschlossene Effizienzsekte einzustellen.
Oder eben gleich mitzutun beim großen Verdienen. Also hört auf zu jammern, ihr faulen Säcke – und macht was aus euch!

Mausebär

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last modified: 28.3.2007