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Kultur-Report, 1.7k

Wer Wie Was Pop?


Oder die Notwendigkeit einer neuen Kulturpolitikdebatte


Pop-up-Trainingsjacke, 27.4k Wie sich in Leipziger Szenekreisen bereits herumgesprochen hat, gab das Conne Island im vergangenen Herbst bekannt, sich an der diesjährigen Pop-Up-Messe weder inhaltlich noch als Veranstaltungsort beteiligen zu wollen. Über die Gründe soll hier nicht lang und breit diskutiert werden. Wichtiger zu berichten scheint, dass sich daraufhin am Laden eine AG zusammengefunden hat, die sich angesichts des nunmehr bereits Jahre währenden, dabei aber nicht befriedigenden Beharrens auf der Stagnation von subversiver Popkultur sowie aufgrund personeller Brüche mit dem Thema Pop auseinanderzusetzen sucht, um die längst überfällige Diskussion über die eigene kulturpolitische Position und ihre Perspektive voranzutreiben. Folgender Text soll dabei gleichzeitig Startschuss einer Reihe von Beiträgen sein, die mit den Texten von Marvin sowie von Hannes und Laila in den letzten Newsflyern eigentlich schon eingeleitet ist und die sich mehr oder minder, allgemein oder spezifisch, praktisch oder theoretisch mit den Möglichkeiten kultureller Politik im Jahre 2003 beschäftigen sollen.

Pop trägt keine Trainingsjacken

Dass es uns nicht um ein spezifisches Genre im musikalischen Wienerwald geht, darf als Grundbedingung unserer Ladenpolitik vorausgesetzt werden. Denn es soll unwiderruflich ums Ganze gehen. Das Ganze meint umfassend eine Auseinandersetzung mit allen Facetten scheinbar kritischer Kulturerzeugnisse samt Intention, Entwicklung und Stellenwert in der heutigen Zeit. Es wird gleichzeitig geworben um das Verständnis einen Popbegriff zu definieren, der sich als ästhetische Ausdrucksform und vor allem als bewusstes Erzeugnis gesellschaftlicher Reflexion versteht. Jedoch nur unter jener Schlussfolgerung, die aufgrund gesellschaftlicher Analyse alle Auswüchse der Popkultur als Teil dieser Gesellschaft begreift und diese nicht zwanghaft als illusorische Scheinwelten fernab kapitalistischer Realitäten am Leben hält.
Dass heißt, eine kritische, andere Kultur oder auch Pop kann sich nur dann selbst als kritisch bestätigen, indem sie sich ständig hinterfragt und nicht nach alten Regeln der subkulturellen Kunst mit dem stetigen Schwimmen in der eigenen Brühe ein Weiterdenken verstellt. Die Frage, warum nun Pop sich nicht schon selbst durch Kreativität/Ästhetik bestätigt, also faktisch als Selbstzweck doch genügend berechtigt agiert, drängt sich nämlich leider viel zu oft auf. Die Antwort liegt in der Frage und wirft ihr entgegen, dass Pop mittlerweile ausschließlich auf Selbstzweck, auf Beteiligung am Gesetz von Angebot und Nachfrage reduziert ist. Denn wo einstmals kulturelle Versuche als Produkte von Kritik am Bestehenden sich entwickelten, wo den Verhältnissen somit stilistisch und bewusst sämtliche mittleren Finger entgegengestreckt wurden, sind genau diese Versuche aufgrund des Verlust der Definitionsmacht über Pop nur Versuche geblieben und zu entleertem Lifestyle-Scheiß verkommen. Nur die Mittelfinger wussten wohl damals schon, was sie erwartet und dass sie sich dem Geschehen und den Gesetzen der Kulturindustrie und somit des Marktes nicht wirklich entziehen können. Was bleibt sind Produkte mit subversiven Antlitz, die scheinbar unabhängig einen Part im pluralistischen Marktsystem einnehmen, das alles gekonnt zu verwenden und verkaufen weiß. Ist alles also eigentlich eine leider stinknormale Entwicklung – möchte man meinen.

Der Blick unter die Trainingsjacke

Vorraussetzungen für einen Weg aus der Misere, falls es denn einen geben kann, sind nicht nur schwer auszumachen sondern auch noch schwer zu vermitteln, da das Ringen um Verständnis für oben Genanntes als Ausgangspunkt zu guter Letzt auch noch auf wenig Gegenliebe stößt. War dies auch einer der Gründe, sich an der Pop-Up-Messe nicht zu beteiligen, weil man unter den Vorraussetzungen einer beliebigen Pluralität den Sinn einer solchen Messe nicht teilen konnte und auch nicht gewillt war, den von Ausrichterseite gewünschten subversiven Part zu übernehmen, so ist das Conne Island als Kulturinstitution und Ort, an dem gleichzeitig versucht wird, gesellschaftliche Gegebenheiten zu reflektieren, genau in diesen Widerspruch eingebunden, in dem die eigenen politischen Ansprüche mehr als genug der zu erkennen geglaubten Realität gegenüberstehen. Somit heißt es erst einmal mit dem Widerspruch zu leben, vor allem aber ihn anzuerkennen als unveränderlichen Zustand, aus dem es sich schon des eigenen Überlebens wegen neue Strategien zu entwickeln lohnt. Wenngleich ein Rezept für mögliche Strategien, kulturpolitisch noch Kastanien aus dem Feuer zu holen, nicht wirklich in Sicht ist, gilt es nicht, die noch bestehenden Möglichkeiten, kulturell zu agieren, schlussfolgernd zu negieren, sondern eher unter genannten unabänderbaren Rahmenbedingungen sich dem Geschehen zu widmen.
Diesem ohnehin schon schwer zu vermittelnden Ansatz wurde von anderer Seite entgegen geworfen, dass es sich nicht lohnt sich der illusorischen Idee zu verschreiben, Kultur und Politik zusammenwerfen zu wollen, da doch dabei etwas verbunden werden soll, was eigentlich nicht zusammen gehört. Doch den erstaunten Werfern kann ruhigen Gewissens erwidert werden, dass die Magenschmerzen über den Lauf der Dinge bestimmt nicht besser werden, wenn Kultur oder Pop, als hier immer noch aus gesellschaftlichen Um und Zuständen entstandene Produkte, bald endgültig als beliebiger, aber dafür umso angesagterer Teil einer Gesellschaft wahrgenommen werden, die garantiert nicht die unsere ist.

Der Reißverschluss

Eine Kritik muss deshalb stets glaubhaft darum bemüht sein, mit dem Wesen die eigene (musikalische) Betätigung dementsprechend auszurichten. Umso komplizierter ist es, kulturelles Engagement mit nötiger Kritik authentisch zu behaften, um sich ästhetisiert positiv vom Rest der Welt abzusetzen und gleichzeitig ein Teil dieser zu sein. Dabei muss mühsames ständiges Hinterfragen der eigenen Position Bestandteil werden – Sinnkrisen eingeschlossen. Denn nur so kann, wenn gewollt, „künstlerisches Schaffen“ wieder ein Versuch sein, der Wirklichkeit etwas entgegenzusetzen.
Somit sollen hier in Zukunft vor allem praktische aber auch theoretische Ansätze vorgestellt werden, die mögliche Optionen und Perspektiven zur Diskussion stellen. Eine konkrete Herangehensweise soll eine kritisch feministische Sicht auf Popkultur sein, die der nach wie vor von Männern dominierten Popkultur den Spiegel vorhält und damit ihre Eingebundenheit in gesellschaftliche Strukturen entlarvt. Theoretische Ansätze können außerdem die Kritische Theorie und deren Verständnis zur Kulturindustrie bieten, um auch auf die gewandelte Bedeutung von (Sub-)Kulturen zu zielen. Vor allem ist man jedoch gewillt, daraus praktische Schlüsse zu ziehen, wie auch immer jene aussehen mögen. Sich diesem Anspruch annehmende Beiträge werden hoffentlich nicht lange auf sich warten lassen.

Eure pop@island.free.de AG


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last modified: 28.3.2007