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Kultur-Report, 1.7k

Bleiben sie dran!


    „Bleiben sie dran!“
    • Pop ist Bestandteil der Kulturindustrie und daher auch affirmativ wirksam
    • Amusement kann Intention und Ausdruck von kulturellen Produkten sein
    • kulturelle Produkte können auch als warenförmig Vermittelte kritische Inhalte transportieren

    „Das Ende der Rebellion“(1)
    • weil Kultur unter kulturindustriellen Umständen entsteht, muss sie unbedingt affirmativ sein
    • Amusement ist unbedingter Zweck von kulturellen Produkten, egal welcher Inhalt
    • unter kulturindustriellen Umständen werden kritische Inhalte von Kultur durch das Prinzip des Profitstrebens ersetzt und damit entschärft

Modell Pop 6120, 15.4k Mit diesem Artikel soll an „Das Ende der Rebellion“ (Hannes und Laila) angeknüpft werden. Dabei ist nicht grundsätzlicher Widerspruch sondern eher das Verlangen, positive Perspektiven zu entwickeln, Motivation. Ob „Kulturindustrie nun Conne Island oder Sony heißt bleibt sich“ (Hannes und Laila) tatsächlich gleich, bezogen auf die Gemeinsamkeit, Kultur als Ware anzubieten. Doch wie dies nun werten und welche Schlüsse daraus ziehen? Vorab eine kleine Gegenüberstellung von Thesen, die vorliegenden und bereits vor zwei Monaten veröffentlichten Text zuspitzen.
Reduziert sich der Begriff der Kulturindustrie darauf Kultur als Ware zu produzieren, anzubieten, zu vertreiben und „damit eben auch mitten im Dienste kapitalistischer Logik zu stehen und [...] Teil des Verblendungszusammenhanges zu sein, welcher den Menschen ein besseres Leben verstellt“ (Hannes und Laila), so kann sich für Pop dennoch die Frage nach dem außerhalb der Kulturindustrie agieren nicht stellen, ebenso wenig wie es jedem und jeder einzelnen von uns möglich ist sich diesem Zusammenhang – der kapitalistischen Gesellschaft – zu entziehen.
Auf die Verbreitung von Kultur als Ware und dass muss immer mitgedacht werden, ist Pop angewiesen, ob das nun gewollt ist oder nicht. Das Fortbestehen kann nur gewährleistet sein, wenn sich in die Rollen von Produzent und Produzentin bzw. des oder der Bezahlenden ergeben wird.
Zum bloßen Objekt der Kultur – und da ist Laila und Hannes oder besser ihren Vordenkern Adorno/Horkheimer zuzustimmen – wird der Mensch an der Stelle, an der deren Inhalt und Zweck durch Amusement und Ablenkung bestimmt ist. Die Kultur wird zur Verlängerung, ja zum Teil der Arbeit. Der Zweck, wie ihn Herbert Marcuse formuliert, die Idee aus dem Reich der Seele zurück in die Realität zu binden, die gesellschaftliche Praxis zu reflektieren, bleibt dabei auf der Strecke.
An diesem Punkt muss Pop ansetzen. „Sogenannte kritische Popkultur muss [...] ihre eigenes Scheitern und ihre unabänderliche Eingebundenheit in die kapitalistische Popkulturindustrie stets mitdenken und tatsächlich auch thematisieren“ (Tine Plech). Die Diskussion um Ästhetik, Kreativität und Umsetzung unterliegt diesen Vorzeichen. Es ist die Frage nach dem wie kann diese Vorgabe wirklich erfüllt werden, was bedeutet es das eigene Schaffen „tatsächlich zu thematisieren“? Diedrich Diedrichsen schrieb vor einigen Jahren in einem Artikel „von der Unmöglichkeit Politik zu machen, ohne Kultur zu betreiben“: „’Pop’ hat Bilder, Stimmungen und Metaphern von Verhältnissen und macht sie so diskutierbar, bevor sie abstrakt erfasst sind.“(2)Dabei liefern die Produzentinnen und Produzenten „nicht nur“ die „Beschreibung, sie sind auch Teil des zu Beschreibenden“. (Diedrich Diedrichsen)
Nur im unablässigen „sich die eigene Lage vergegenwärtigen“ – im „sich als Teil des zu Beschreibenden sehen“ kann sich für Pop – im Sinne einer kritischen Popkultur – eine positive Perspektive ergeben. Dabei muss mit dem notwendigen Übel, Kultur immer auch als Ware zu transportieren, umgegangen werden.
Es gilt also zu schauen, in wie weit der intendierte Inhalt als Warenpaket zusammengeschnürt wirklich noch gedeutet werden kann bzw. in wie weit dieser zur Entfaltung kommen kann. Nur wenn es gelingt, diesen Zwiespalt glaubwürdig zu thematisieren, kann Kultur dem ihr immer fortschreitend abhanden kommenden Bildungsideal nachkommen. Dabei ist es der Widerspruch von Kultur, als Ware angesprochen zu werden und gleichzeitig über genau diesen Fakt aufgeklärt zu werden, um darüber hinaus die eigene Vorstellung besserer Verhältnisse anzuschließen, den Pop ausmacht. Wenn etwa das Ideal von Freiheit besungen und dabei etwas anderes gemeint ist, als nur die Freiheit sich am Markt zu verkaufen.
Dabei gilt es zu betonen, dass gerade die Einheit, zum einen die gesellschaftliche Praxis und die „Schuld“ des Individuums zu reflektieren und zum anderen den Silberstreifen am Horizont zu zeichnen, die den Wert von Pop ausmacht. Natürlich wird Pop auch immer das Bestehende affirmieren, indem es die Lebensumstände des Individuums verbessert – z.B. Ablenkung schafft, glücklich macht, Gefühle auszudrücken versucht oder einen Umgang mit gegebenen Verhältnissen befördert. Christoph Gurk schreibt dazu in einem Aufsatz im Buch „Mainstream der Minderheiten: „Wie jede andere Kultur vereint Pop sowohl unterdrückerische Momente als auch ihr Gegenteil, meistens in ein und demselben Werk.“(3) Daran anschließend ist davon auszugehen, dass ein nicht unbedeutender Teil derer, die sich dem Pop verschrieben haben, diesen immer nur als ein Produkt im affirmativen Sinne wahrnehmen.

Subkultur – Differenz – Wie Weiter?

In Zeiten, in denen sich der Mainstream selbst als Zusammensetzung minoritärer Strömungen inszeniert, in denen Wohnzimmerrevolte, die Selbstinszenierung und immerwährende Suche nach Authentizität weite Teile des kulturellen Schaffens bestimmt, ist es ungleich einfacher sich vom Konzept kultureller Differenz zu verabschieden. Wer immer noch an das Subversionsmodell Subkultur glaubt, muss „sich in einer Welt aus Verrätern wähnen“(4), die die Sünde des sog. Ausverkaufes begehen. Die daran geknüpfte Suche nach der authentischen Verkörperung der jeweiligen Subkultur basiert auf der falschen Annahme, es gäbe eine solche Reinform bzw. inszeniert sie.
Der einstige Druck auf bürgerliche, patriarchale, klerikale, rassistische und disziplinierende Zwänge ist dennoch nicht weg zu diskutieren. Trotz der angeblichen nivellierenden Wirkung kapitalistisch vorgegebener Verbreitungsmöglichkeiten konnte etwa die – sich stark über Kultur artikulierende – Schwarzenbewegung in Nordamerika oder die kulturelle Rebellion von 68ff. reale Veränderungen herbeiführen. Das Moment, mit Hilfe einer sich gegenüber den gegebenen Verhältnissen abgrenzenden subkulturellen Position, die wenn auch nur partiell dennoch gesellschaftliche Prinzipien in Frage stellt, gehört noch heute zum Idealbild von Subkulturen. Wirklich zur Entfaltung kommen konnten Auseinandersetzungen entlang subkulturell vorgezeichneter Grenzen jedoch nur, stellten sie sich als Positionen und Kämpfe wirklich marginalisierter Gruppen dar und wurden nicht ausschließlich auf dem Feld der Kultur ausgetragen.
Dennoch wird jenes Moment – der Abgrenzung und damit der scheinbaren Rebellion – von den abertausend Produkten der Musikindustrie bis hin zum Wahnwitz inszeniert und bewegt sich dabei nicht nur „auf dem Markt der kapitalistischen Möglichkeiten“ sondern auch innerhalb sehr konservativer Lebensvorstellungen.
Das in diesem „Spiel“ der Annahme wirklich marginalisierter Identitäten, dem Spiel vom being oder becoming black/lesbian/gay/woman, die Strukturen nicht zentral in Frage gestellt wurden und werden, die eben diese Zuschreibungen ob positiv oder negativ überhaupt notwendig erschienen ließen, ist – ohne die positiven Erfolge, in dem was sie sind, zu schmälern – berechtigter Kritik ausgesetzt und kann natürlich nicht über die Kulturindustrie hinausweisen.
Das Problem liegt dabei eben auch darin, nur in der inneren Gleichheit eine Differenz nach außen zu formulieren. „Die Zunahme von Kollektivformeln und die Renaissance nationaler Identität stehen dabei ebenso hoch im Kurs, wie oftmals naturalistische begründete Kriterien, die zur Definition von ‘Ethnie’, Klasse und Geschlecht herangezogen werden“(5).
Wird also am Konzept von Subkulturen festgehalten, ist die Rückbindung einzelner thematisierter Widersprüche an eine grundlegende Kritik an den Verhältnissen unumgänglich. Diese Rückbindung muss sich dabei eben auch auf den jeweiligen, wenngleich nicht transzendent der Kulturindustrie gegenüberstehenden, subkulturellen Kontext zurückwirken. Diese Verbindung, Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen und damit der Kulturindustrie, sowie gleichzeitiges Festhalten und Entlarven des Rebellions- und Subversionsversprechens von Subkulturen, bietet die Perspektive weiterhin instrumentell Subkulturen und deren scheinbaren Drang nach Veränderung zu unterstützen. Denn es gilt die Einsicht: „Wer die Kulturindustrie kritisiert, [muss] an ihr zugleich teilhaben und nicht teilhaben.“ (Günther Jakob)

Kulturpessimismus olé!

Es ist dem Artikel von Laila und Hannes in der Grundaussage zuzustimmen, dass Subkultur seit ihrer Entstehung als Teil der Kulturindustrie zu begreifen ist, indem dem kulturellen Ausdruck, wenngleich in verschiedener Form, die Warenförmigkeit anhängt. „Alle Rebellion bestätigt in dem Moment, wo sie die Form der Ware oder Kaufentscheidung annimmt, die Logik einer Kulturindustrie, die scheinbar niemanden mehr ausschließt.“
Jedoch ist es falsch diesen Fakt zur Begründung einer umgreifenden Gleichmacherei zu machen. Es ist zu verkürzt, warenförmigen Kunstwerken grundsätzlich abzusprechen, Bedeutung, Differenz und ein vermittelndes Moment in sich zu tragen, auch wenn die wohlwollend zitierte Kritische Theorie diesen Schluss nahe legt.
Diese Angst, dass die Existenz von Kunstwerken unter diesen Voraussetzungen sinnlos werden könnte, artikuliert sich bei Laila und Hannes, indem sie aufgrund des unter kulturindustriellen Umständen Entstehens und Verbreitens von Kunstwerken das Profitprinzip als zentrales Moment des Kunstwerkes selber gesetzt sehen.
Damit wird Amusement und Profitstreben als einzig möglicher Zweck und Antrieb vorausgesetzt oder zumindest als durch den Zwang zur Warenförmigkeit unbedingt eingeflößt gesehen. „Kulturelle Objekte [halten jedoch] auch dann immer noch genügend Unterscheidungsmerkmale [bereit], wenn sie nur zum Zwecke des Verkaufs produziert wurden, oder auch nur generell käuflich zu erwerben sind, um in ihnen artikuliertes Wissen erkennen, verstehen und verarbeiten lassen zu können.“ (Diedrich Diedrichsen)
Als in ihrem Sinne positiven Gegensatz erhalten Laila und Hannes das Ideal der „alten bürgerlichen Künstlerexistenz“ – wie Herbert Marcuse sie beschreibt – aufrecht, mit dem Wissen darum, sie in dieser Gesellschaft nicht verwirklicht sehen zu können. Was bringt es also an dieser festzuhalten, mit dem Wissen, dass die Ideale aufgrund der mangelnden Vermittlungsmöglichkeiten auf immer „im Reich der Seele“ unverwirklicht bleiben und nach Herbert Marcuse im zunehmenden Maße – durch die Überhöhung zum unerreichbaren Ideal – zur Rechtfertigung der „Knechtung“ des Menschen benutzt werden.
Anstatt also längst von der Realität überholten Vorstellungen anzuhängen, sollte versucht werden, in dem was noch möglich scheint, positive Perspektiven zu entwickeln.
„Wer [dennoch] Pop als Subversionsmodell (Hervorhebung durch den Autor) konservieren will, bejaht auch den Erhalt seiner kapitalistischen Voraussetzungen. Wer es ablehnt, muß jedoch, soll diese Ablehnung nicht reaktionär ausfallen, zugleich eine andere Gesellschaft wollen.“ Dabei kann Pop eine wichtige Mittlerrolle einnehmen. Bleiben Sie dran!

Marvin

Fußnoten:
(1) Hannes und Laila, Das Ende der Rebellion, CEE IEH #93
(2) Diedrich Diedrichsen, Der Boden der Freundlichkeit – Von der Unmöglichkeit Politik zu machen, ohne Kultur zu betreiben, Die Beute neue Folge 1
(3) Christoph Gurk, Wem gehört die Popmusik? Die Kulturindustriethese unter den Bedingungen postmoderner Ökonomie, Mainstream der Minderheiten
(4) Günther Jakob, from substream to mainculture – Das endgültige Ende des Subversionsmodells Pop-Subkultur
(5) Lars, lost in identity – zum Begriff der Differenz in der Popkultur, CEE IEH #77

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last modified: 28.3.2007