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review-corner, 3.7k

Rebellion in den Satteltaschen

Die Psychologisierung des Western [vol. 2]
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Western-Szene, 24.7k

Die vierziger Jahre

„Du reitest nach Osten, und Du nach Westen.“ [Das waren noch genaue Instruktionen!] „Ich rieche Wasser und ein Lagerfeuer. Haltet die Pferde still!“ [Das waren noch Kontexte!] „Leichenbeschauer, kümmern Sie sich um Den hier, die Zwei da und Der in der Ecke!“ [Das war noch Pragmatik!]
Die „großen“ Western des Jahres 1939 waren nicht nur von der Kritik gelobte und von den gesellschaftlichen Instanzen akzeptierte Genrebeispiele und Beweise für eine eigenständige, populäre amerikanische Tradition, sie waren v.a. Kassenfüller. Der Western ist zu dieser Zeit ein Genre, das die Kontinuität zum Thema hat, ein Basteln am nationalen Mythos. Wie in allen epics der Tonfilmzeit vor dem Krieg waren die Indianer kaum mehr als die notwendige äußere Bedrohung, die den Konstrukteuren den Heldenruhm einbrachte. Das Interesse an den historischen Aspekten des Western erstreckte sich in dieser Zeit von den Pioniertagen im 18. Jahrhundert über die Wagenzüge der Mormonen bis zu den outlaw-Legenden. Der Wunsch nach einer Identitätsfindung in den Legenden mag um so erklärlicher erscheinen, als Amerika sich anschickte, vom inneren Feind, dem Gangstertum, zum äußeren, dem kommenden Kriegsgegner, zu blicken. Die „kriegstreiberischen“ militanten Western wurden erst einige Jahre später produziert. Aber da war vielleicht schon ein ganz anderer Gegner gemeint, die Angst vor dem Feind im Inneren, vor der neuerlichen mythischen Bedrohung, dem Kommunismus.

Western zwischen Psychologie und Politik

Der Westerner war ein Verhikel für die Kontinuität der Legenden; die von ihm geschaffenen Helden und Stereotypen mußten sich bisweilen aber auch eine psychologische Durchleuchtung, ja sogar Kritik gefallen lassen. In William Wylers THE WESTERNER (1940) werden die psychischen Deformationen im Westen angerissen. Eine Hauptursache daran war, daß die Verwirklichung der von der Staatsgründung stammenden Grundidee des pursuit of happiness im Westen sich immer schwieriger gestaltete. Das wirtschaftliche Glück war verteilt und das erotische, naja, wie heutzutage. Der Männerüberschuß in der Western-Gesellschaft hatte zu einer Mythologisierung der Frauen geführt. In einer frauenarmen Gesellschaft wurde das Bild der Frau verklärt, das Verhalten zu ihr einem strengen „ritterlichen“ Code untergeordnet, und das Leben eines Westerners mußte voll von Brüchen und Ent- und Versagungen sein. Partnerschaft, das ist im Westen eine Sache unter Männern und sie besteht auch dort, wo man sich schlägt oder auch erschießt. Erotik symbolisierte sich zumeist nur in Unterrock-Sequenzen und den oberen Räumlichkeiten des Saloons. Die Rolle der Frau manifestierte sich entweder in Träumen und damit verbundenen Hoffnungen oder in purer Frauenverachtung, Frau als nützliches Wesen, das jedoch den Wert eines guten Pferdes nicht aufwiegt.
Der Western gab Möglichkeiten, gesellschaftliche Konflikte aufzuzeigen, sprich einen politischen Konflikt in einen persönlichen Konflikt zu (ver)kleiden. Beispielsweise wird aus dem persönlichen Motiv der Rache eine Verpflichtung der Gemeinschaft gegenüber; Kampf als eine Art gesellschaftlicher Auftrag. Der Widerspruch, der sich durch Henry Fords Western zieht, ist der zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft. Die Gemeinschaft, die man auch in der Vorstellung von Heimat fassen kann, besteht in einer vorindustriellen Organisation, in der die Beziehungen der Menschen untereinander und ihre Einigkeit vor allem durch Gefühlswerte gegeben sind, durch Freundschaft, konkrete Verantwortung und durch eine enge Beziehung zum Land. Gemeinschaften befinden sich in den Ford-Filmen in der Pioniergemeinde, in der Outlaw-Gruppe und in der Militärgemeinschaft. Diesen Gemeinschaften steht die kommende Gesellschaft gegenüber, in der die Beziehungen der Menschen atomisiert, antifamiliär sind, und in der die gemeinsame Produktion durch Ausbeutung ersetzt wird. Vereinfacht ließe sich das Drama des Fordschen Westernhelden darstellen als die Suche nach der Gemeinschaft, die im Aufbau der Gesellschaft endet.

Die fünfziger Jahre – Die Krise des Helden am Beispiel High Noon

Der Western hatte nun eine Sprache, Logik und Mythologie ausgebildet, vermittels deren sich aktuelle politische ebenso wie kulturelle Probleme darstellen ließen. Der Western als Diskussionsrahmen für Probleme von Macht, Gewalt und Gesetz, mit verschiedensten Ansätzen. Das politische und moralische. Problem der amerikanischen Gesellschaft zu dieser Zeit war der McCarthyismus, und zwar nicht nur dort, wo er politische und rechtliche Ausmaße erreichte, sondern gerade auch dort, wo er sich im Alltagsleben fortsetzte und der Western reagierte auf dieses Problem. Seinen thematischen und gestalterischen Höhepunkt erreichte der Western in den 50er Jahren, weil seine Helden in eine Krise geraten zu sein schienen, der Zweifel, der sie bzw. ihre Schöpfer befallen hatte. Es waren nicht mehr die Siege der Helden, denen die größte Aufmerksamkeit galt, sondern seine Wunden; weil er als strahlender Held nicht mehr glaubwürdig war, mußte er tragisch werden. Die Helden des Western wurden nun nach ihrem Wesen befragt. Da war zunächst die Frage nach der Berechtigung und dem Sinn der Gewalt im Wesen des Helden. Der Held, der im Western der nächsten Jahren eine große Rolle spielen sollte, war ein nicht mehr junger Mann, der des Tötens, ja der Lebensbedingungen des Westens selber müde geworden ist, sich nach einem bürgerlichen Glück [Heim&Herd] sehnt, für das ihm niemand eine Chance [Job&Tariflohn] einräumt.
So hilflos wie oft der Westerner dieser Film-Zeit waren die Frauen nie: versuchen sie ihn umzustimmen, zum Beispiel nicht der Ehre wegen auf der Hauptstraße zu kämpfen, „so geht er nur schneller seinem traurigen letztem Kampf entgegen; versuchen sie, sich von ihm abzuwenden, zerreißt es ihnen das Herz, mehr noch aus Schuldgefühl denn aus Liebe. Melodramatisch löst sich dieser Widerspruch in dem meisten „Edelwestern“ dieser Zeit, und wo nicht, da muß die Frau büßen, daß sie dem Mann nicht bedingungslos gefolgt ist.“(1)
Diesem Wesen ähnlich ist auch der Held von Fred Zinnemanns HIGH NOON (1952), des Sheriffs Kane (Gary Cooper). Auch er kämpft seinen großen Kampf allein, nur zum Teil, weil es seine Pflicht ist, mehr noch, weil er die Regeln nicht verletzt sehen will, auf der sein Leben aufgebaut war. Zinnemann hat seine Handlung exakt der Westerndramaturgie angepaßt. Er ging noch einen Schritt weiter: Die 90 Minuten der Vorführung sind die 90 Minuten der Filmhandlung. Das ist der dramatischen Konzentration dienlich, die Identifizierungsmöglichkeit ist ungleich größer. In diesen 90 Minuten sieht sich Sheriff Kane von seinen Freunden und[!] seiner Frau (Grace Kelly) verlassen. Allein muß er den vier Banditen, die sein Leben und die Sicherheit der Stadt bedrohen, entgegentreten. Dabei ist er eigentlich nicht mehr im Amt. Doch die innere Verantwortung zwingt den Ex-Staatsdiener zu handeln. Als die schmucke Grace ihn zur Flucht überreden will, antwortet er bitter-rational: „Ich muß hierbleiben!“ Und was hat er davon? Die Frau ist weg, der Stadtmob verkriecht sich, und das Mittagessen wird kalt. Kane bleibt allein. Das Leitbild ist erfüllt.
Doch das neue Element ist politischer Natur: der Film erteilt eine Lektion in Fragen Demokratie. Die Ahnungslosigkeit der aller Wirklichkeit fernen Gerichte, die fehlende Bereitschaft, Freiheit und Sicherheit notfalls mit dem Leben zu verteidigen, die Notwendigkeit, jede Entscheidung erst zu diskutieren - kurz die Funktionsmängel einer Demokratie im Moment totaler Bedrohung.
Im Grunde aber bewährt sich nicht die „staatsbürgerliche“ Moral Kanes gegen die Bürger, sondern seine Western-Moral. Sein Verhalten ist weder besonders rational noch besonders nachahmenswert. Er folgt dem Credo „tun-was-man-tun-muß“, wie alle Western-Helden, und daß er zunächst Unterstützung bei den Bürgern sucht, macht seine Tragik aus. Das Paradox von HIGH NOON ist also die Tatsache, daß er zu beweisen sucht, was ohnehin dem Genre inhärent ist, daß der Widerspruch zwischen dem Westerner und den guten Bürgern eigentlich unlösbar ist.
Just by the way sei erwähnt, daß u.a. auch der Autor von HIGH NOON, Carl Foreman, im September 1951 vom house commitee on un-american activities vernommen, als Kommunist verdächtigt und auf die schwarze Liste gesetzt wurde: „Tatsächlich klingt die Geschichte von dem Sheriff Kane, der nicht vor seinem Mörder flieht, sondern wie ein Held dessen Ankunft mit dem 12-Uhr-Zug erwartet, ein bißchen wie die Geschichte von Drehbuchautor Carl Foreman selbst: Ein Mann tritt mutig für seine Überzeugung ein, kämpft für sein Recht u. das Recht anderer – wenn es sein muß, auch allein u. mit dem Risiko, dabei die eigene Existenz aufs Spiel zu setzen.“(2)
Bevor sich auch der Western mit der Hexenjagd des McCarthyismus auseinandersetzen konnte, mußte erst einmal ein wenig klarwerden, worum es überhaupt ging. Kane ist ein Westerner, der vorübergehend an seinem Wesen irre geworden ist, weil Feigheit und Ignoranz allzu deutlich geworden sind, und der sich der Sinnlosigkeit seiner stellvertretend für die Bürger geführten Kämpfe bewußt wird und sich dennoch stellt. Doch diese Stellvertretung hat immer bloß als Legitimation für die Gewalt gedient. Der Westerner kämpft nie wirklich für andere, sondern immer nur für sich selbst, aber zur Aufrechterhaltung der Regeln vermag er zum Beschützer zu werden. Kane muß an seinem Auftrag verzweifeln, also zugleich an der Ursache und dem Ziel seines Kampfes.
Die Psychologisierung im Western: die Helden sind nicht nur angekränkelt von der Last ihrer eigenen Taten, sondern sie kommen auch nicht dazu, über sich selbst nachzudenken, und bekommen a) keine Chance sich zu ändern, oder b) sie können diese Chance nicht wahrnehmen, weil sie sich einer neuerlichen Bedrohung stellen müssen. Innere oder äußere Zwänge bringen den Westerner dazu, so weiterzuleben wie bisher, oder so zu sterben, wie er gelebt hat.
Der Einbruch der Psychologie in DAS Genre der USA ist als Krise zu interpretieren, die gleichsam mit einer Uminterpretation der nationalen Schöpfungsgeschichte beantwortet worden ist. Der Mythos des Pioniers, der die Heimat in direkter Konfrontation mit dem Land und den Indianern schafft [= der epische Western] und der Mythos des Westerners, der in den neuentstandenen Städten das Gemeinwesen gegen die Gesetzlosigkeit verteidigt, indem er seinen Egoismus und seinen Freiheitsdrang bezwingt, um dann die Gegner der Ordnung mit ihren eigenen Waffen zu besiegen [=der dramatischen Western], erhält eine dritte Seitenlinie zugeordnet: den Mythos vom Westerner, der mit seinen Selbstzweifeln, seiner Abneigung gegen das, was aus „seinem“ Westen geworden ist, mit seiner Einsamkeit, mit seiner Vergangenheit fertig werden muß [=der psychologische Western]. Neue Themen werden auf- und angegriffen, wie der ökonomische Widerspruch zwischen den mächtigen Landbesitzern und den Bürgern, zwischen deren Fronten die Helden nun häufig geraten. Die Motivation des Western-Helden war thematisiert und in Frage gestellt. Es wurde gezeigt, daß die Gewalt, die er ausübte, auf ihn zurückschlagen konnte, daß die Macht, die er erringen konnte, sich als trügerisch erwies, und daß die Heimat und der Besitz, der erobert worden war, nicht das Paradies darstellen mußten. Summa sumarum eine deutliche „Entmythisierung“. Die Stadt, früher der Ort des Handels und des schnellen Vergnügens für die Cowboys, wurde zum Hort des Bösen und aller Zivilisationskrankheiten. Die Balance zwischen Stadt und Land scheint gänzlich verloren.
Was kann man dieser Entwicklung entnehmen? Die Gesellschaft abwählen und aufs Land ziehen? Kein Sport zur Mittagszeit? Nicht im Heu rauchen? Gruppenarbeit statt Einsamkeit? Oder wie immer: wenn‘s knallt, Köpfe einziehen!
[hei:ko]

Fußnoten
(1) In Seesslen, Georg: Geschichte u. Mythologie des Westernfilm, Marburg 1995, S. 104.
(2) Ebd.: S. 109.


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last modified: 28.3.2007