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review-corner, 3.7k

Rebellion in den Satteltaschen

Warum diese Zeit mehr Western braucht [vol. 1]
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Western-Szene, 24.7k

Seit geraumer Zeit lauschen junge Menschen in einschlägigen Kneipen, Küchen, Plattenläden und Autoinnenräumen freiwillig und andächtig nordamerikanischen Country-Rhythmen. Ob Neo, Retro, Calexico, Cash, Hazlewood, live im Gefängnis oder auf freiem Fuß – die Musik, die mit ländlichen und entsprechend ästhetisch gering ausgebildeten Hörgewohnheiten assoziiert wurde, scheint sich in der urbanen Szene zu etablieren. Die reviewcorner-posse greift den Hype auf und präsentiert eigene und geklaute Gedanken zum Film zur Musik, den Western. Vielen galt der Western adequat zur Countrymusi [„Das ist doch bloß vertonte Landschaft!“] als „Yankee-Heimatfilm“ mit hohem Postkutschenanteil, unbewußten Rinderwahn und alkoholabhängigen Puritanern mit staubigen Hüten, die die ganze Zeit breitbeinig am Lagerfeuer sitzen, gleichzeitig Mundi spielen, Kippen drehen, Bohnen braten und Patronen zählen. Nun, wahrlich haben die meisten schlechten Western dieses Szenarium, voll von patriachalen Mythen und Dialogen, die kein Mensch braucht. Diese Aufgüsse und Abklatsche werden konsequent ignoriert. Wir besinnen uns auf die Grund-Ideen des Western – die auch heute noch „verwertbar“ sind –, die Rolle des ewigen Cowboys/Westernhelden/Outlaws als Vermittler amerikanischer Geschichte und seine Position in den gesellschaftlichen Zwängen.

Destillat der Sehnsucht

Im Bild des Western-Helden ist die Geschichte Amerikas von der Flucht aus dem alten Land über die Euphorien und Kulturschocks der Siedler bis hin zur Verbitterung und Verelendung in der Spätzeit des Westens zusammengefaßt. Diese Geschichte hat nicht nur einen nationalen, sie hat auch einen universalen Aspekt, die Haupttriebkraft der Geschichte aus abendländischer Sicht: „Gehet hin und machet euch die Erde untertan!“(1) Und das taten sie bekanntlich gründlich. Kolonisation und das Abschlachten der Urbevölkerung wurden Synonyme für praktizierendes Christentum.
Das Genre vermittelt ein Geschichtsbild, das in seinen schlimmen Beispielen perfekte patriarchale Mythen liefert, in seinen besten aber eine Dialektik zwischen Einzelschicksal und historischer Struktur zeigt, wie sie keine Geschichtsschreibung sonst zu realisieren imstande ist. Der Westerner vereinigt in sich etwas mythisches – übermenschliches, zugleich aber auch das „normale“, der lebt wie die anderen, nur eben gefährlicher und glanzvoller. Im allgemeinen ist er ein Held, der keinen Führungsanspruch erhebt, und deshalb ist man eher bereit, seine Gewalt zu akzeptieren als etwa die eines militärischen Führers.
Der induzierte Mythos des Western ist seine Methode, Widersprüche, die sich in der Praxis nicht lösen lassen, auf geträumte, vorgestellte Weise zu harmonisieren, und auch deshalb ist der Western eine so universale Aussage geworden, weil seine Mythen in sich die Widersprüche nicht nur der Geschichte der „westlichen Welt“, sondern auch solche eines jeden Individuums in seinem Gesellschaftssystem tragen. Der Western ist das Drama der Sozialisation, in dem sich der wilde, „unzivilisierte“ Naturzustand dem ordnenden, besitzergreifenden Eingriff nur anfänglich widersetzen kann, um am Ende um so wirksamer „kolonialisiert“ zu werden. Und dies vermittelt der Westernheld. „Der Westerner war Avantgardist, Vollstrecker der Geschichte und zugleich ihr Flüchtling.“(2)

The correct outlaws

Die Zeit, in der der Western seine Erzählungen ansiedelt, zwischen 1850 und 1910, war nicht nur die Zeit der Goldsuche, des Bürgerkriegs und der Indianerkriege, des Eisenbahnbaus, der großen Viehtrails und der Organisation des Gesetzes, sondern auch die Zeit, in der sich ein neues Landproletariat herausbildete, in der betrogene Hoffnungen und erfahrene Demütigungen Menschen in großer Anzahl „desozialisierten“, die so ein riesiges Reservoir für Gesetzlose bildeten.
Die Ohnmacht vieler Menschen gegen die ausbeuterischen, rücksichtslosen Praktiken der wirtschaftlichen Mächtigen schuf die Voraussetzung für die Entstehung legendärer Volkshelden wie Billy the Kid, Jesse James oder Butch Cassidy, die im Gegensatz zu den frühen Helden des Westens, Rebellen gegen die neue Ordnung darstellten; die mit den wirklichen „ungepflegten“ outlaws wenig gemein hatten.

First Train - First Robbery

Die ersten Filme waren kurze, dokumentarische Streifen, denen die Sensation der neuen Abbildungsform von Wirklichkeit aufregend und unterhaltsam genug war. Edwin S.Porter verband als einer der ersten ein dramaturgisches Szenarium mit einem Anspruch nach Authentiziät und drehte 1903 The Great Train Robbery, den ersten Western. Dieser Film entwickelte die grundlegende Handlungselemente des Genres: Überfall, Befreiung von Gefangenen, wilde Verfolgungen zu Pferde, shoot-out und damit Klärung des Sachverhaltes. Die Essenz dieses Films ist die Bewegung, wie sie für den Western bestimmend werden sollte: Bewegung von und zur Kamera, am Horizont, von links nach rechts.
Im folgenden Boom des Stummfilmwestern wurde der good, bad guy, der Westernheld geschaffen, der durch die Liebe einer Frau [auch wenn diese Verhältnisse oft unklar blieben] und seine Bereitschaft, sich selbst für eine gute Sache zu opfern, moralische Absolution erhält. Diese Western zeigten auch den Kampf, die Arbeit und auch die glanzlosen Momente im Leben an der Grenze und den schwierigen Prozeß der Entwicklung einer Moral für eine neue Gesellschaft. Der Held handelte aus inneren und äußeren Zwängen heraus. Er war das moralische Element, schuf Ordnung, indem er sich zuallererst selbst „besiegte“, seine Vergangenheit, seine Wildheit, seine Freiheit.

... ein erlaubter Zeitensprung...

Mit John Fords Stagecoach (Höllenfahrt nach Santa Fé, 1939) hat der Western zu seiner „klassischen“ Form gefunden. Die Geschichte erzählt von den eigentümlichen Charakteren und kleinen Legenden, die der Westen hervorgebracht hat: die Reisegesellschaft in der Postkutsche – der eigensinnige junge Westerner (John Wayne), der elegante, tragische Gambler, der ewig betrunkene, dennoch fähige Arzt, die geächtete Hure, die arrogante Puritanerin aus reichem Haus, der aufrechte Sheriff und der kriminelle Bankier, letztlich eine Gruppe von Außenseitern – wird durch die Bedrohung von außen, durch die Indianer gezwungen, miteinander auszukommen, zu kämpfen, sogar füreinander zu sterben [welch moralischer Sieg]. Die Beziehung zwischen Landschaft (die Identität gibt) und Menschen ist eine dialektische, und dadurch kommt er der historischen Wahrheit so nahe wie in einem Film nur möglich.

Western meets Gangsta

Wie der Western dieser Zeit die Aufgabe hatte, Alternativen zu der chaotischen, ruinösen Lebensform der urbanen Gesellschaft zu entwickeln, die an ihrer Unbeständigkeit, ja ihrer Modernität zugrunde zu gehen drohte, – dem Ideal des „schnellen Lebens“ wurden die Legenden gegenübergestellt – so hatte das Genre auch das „Erbe“ des Gangsterfilms zu verarbeiten. Das wird nicht nur durch die nun häufig auftretende Gestalt des trouble shooters, des individualistischen, dennoch für die Sache der Gemeinschaft eintretenden Kämpfers belegt. Er produzierte Hoffnung auf den Sieg gegen das Verbrechen, und wurde so zur Ausformung des amerikanischen Idealtypus.
Die mafiose Bedrohung, ein Hauptthema des Gangsterfilms, fand ihre Entsprechung im Western in den Geschichten der boomtowns, die im Land- und Goldrausch oder beim Eisenbahnbau entstanden. Das organisierte Verbrechen wurde hier gleichsam in seiner Entstehung gezeigt, und der Held konnte es besiegen, bevor man sich, wie im Verhalten der Bürger angedeutet, daran gewöhnt hatte.
In Gestalt des zwischen Böse und Gut angesiedelten rebellischen outlaws erwuchs dem Gangster ein Rivale als Volks- und Legendenheld im Kino. Im Western rekonstruierte sich, wie um zu beweisen, wie falsch die Faszination durch den Gangster gewesen war, in Gestalt des historischen outlaws der wirkliche amerikanische Volksheld. Im Gegensatz zum Gangster ist der Western-outlaw ein Mann in Opposition zur Korruption und zur politisch-mafiosen Macht; er errichtet keine stabile Schreckensherrschaft, sondern ist immer unterwegs, bleibt ein Einzelgänger und daher glaubhaft in seinem Robin-Hood-Status.(3)
Schließlich gehört der legendäre outlaw zu den konstituierenden Mythen des wirklichen Westens, als eine Figur, die immer dort erscheint, wo die Gesellschaft die Tugenden der Pioniere vergessen hat. Hier taucht er auf, Jesse James, Billy The Kid, Wild Bill Hickok, um mit vorgehaltenen Revolver die Leute im Westen daran zu erinnern, daß man nicht ungestraft seine Ideale verrät. Und die Menschen die seine Botschaft verstehen, sind stolz auf den outlaw.
Ein Paradebeispiel ist Henry Kings Jesse James – Mann ohne Gesetz (1938), der zum Muster vieler Filme wurde. Am Ende gibt es, als Jesse von Bob Ford, dem Verräter, erschossen worden ist, eine bemerkenswerte Grabrede auf den toten Banditen: „Da gibt es nichts dran zu rütteln: Jesse war ein outlaw, ein Bandit, ein Krimineller. Selbst die, die ihn geliebt haben, können das nicht bestreiten. Aber wir schämen uns seiner nicht. Ich weiß nicht warum, aber ich glaube, nicht einmal Amerika schämt sich seiner. Vielleicht kommt das daher, daß er kühn war und die Gesetze mißachtete, wie wir alle das manchmal tun möchten. Vielleicht ist es, weil wir ein bißchen verstehen, daß er nicht die Schuld an dem hatte, was die Zeiten ihn tun ließen. (...) Oder vielleicht ist es einfach, weil er das, was er machte, so gut machte.“(4) Deutlicher läßt sich kaum ausdrücken, was den outlaw des Western vom Gangster unterscheidet – und was beide verbindet.
Überdies hatte sich zu dieser Zeit in der amerikanischen Öffentlichkeit die Meinung durchgesetzt, daß Kriminalität ihre Ursachen in den Lebensbedingungen der Menschen hat und das die Gesellschaft sich ihre Gangster selbst heranzieht, wenn sie nicht für menschenwürdige Verhältnisse sorgt. Wo liegt nun der Fehler im „System“, werte Sozialpädagogen und Pfarrer? Alles hat seine Traditionen, so auch die Kriminalisierung von Kritikern und Unverbesserlichen, egal ob mit Hut und Winchester oder ohne. Darum: Western schauen und die Tugenden wahren.

– wird fortgesetzt –

[hei:ko]

Fussnoten:
(1)Zitiert aus Testament-Rückständen
(2)in Seeßlen, Georg: Geschichte und Mythologie des Westernfilm, Marburg 1995, S. 19.
(3)Vgl. ebenda, S. 64.
(4)ebenda, S. 65.


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last modified: 28.3.2007