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3. Oktober 2000: Was für ein Land!
10 Jahre Scheiß-Deutschland sind kein Grund zum Feiern und auch keiner zur Amnesie.

Eigentlich gibt es keinen besseren Anlaß. Der 3. Oktober als offizieller Jubelfeiertag der deutschen Wiedervereinigung eignet sich wohl am Besten, das Land und seine Leute zu schmähen. Trotzdem werden viele von jenen, die genau dies in den letzten Jahren immer wieder getan haben, auf ein vernehmliches Dissing des immerhin ersten runden Jubiläums verzichten. Falls sie aber von der Kritik an den Deutschen und ihrer Gemeinschaft nicht lassen können, dann wird ihr Einspruch nur halb so empört und aufgeregt wie dereinst daherkommen. Weil in rasanter Geschwindigkeit fast alles Realität, ja mittlerweile Normalität geworden ist, was die antinationale Linke vor einigen Jahren nur prognostiziert und vor dem sie gewarnt hatte, wird heute die gerechtfertigte Empörung von der Macht des Faktischen gezähmt.
Von einige Zentren der Urbanität abgesehen, gibt es hierzulande keine Gegend, deren Straßen Menschen dunkler Hautfarbe mit ruhigem Gewissen passieren können. Daß der Angriff auf Leib und Leben nicht nur von tausenden Nazischlägern und rassistischen Prolls droht, sondern mit dem Tod schon rechnen muß, wer die vom Bundesgrenzschutz hochgerüsteten Grenzen dieses Landes als Flüchtling zu betreten gedenkt, zeigt bereits seit Anfang der 90er, daß der Rassismus ebenso die Sache des Staates ist. Nur taugt diese Jahr für Jahr durchs Leichenzählen gewonnene Einsicht in einer politischen Kultur, die in der Öffentlichkeit als liberalste Position nur die Unterscheidung zwischen wertvollen und unnützen Ausländern zuläßt, nicht für Sommerloch-Debatten. Der Storm-Trooper, 26.1k Linken war sie immerhin ein paar – für ihre bescheidenen Verhältnisse – größere Mobilisierungen wert. Danach überließ man das Thema den Betroffenen und anderen Spezialisten.
Ein ähnlicher Gewöhnungs- und Verdrängungseffekt könnte auch die Gemüter in Bezug auf deutsche Großmachtsambitionen umnebeln. Es dauerte genau die letzten zehn Jahre, danach waren die Deutschen unumstrittene Nummer Eins in Europa, sie bestimmten den Sitz der europäischen Zentralbank und auch ihren Chef. Der osteuropäische Vorhof bittet untertänigst den großen Patron um politische Führung. Auf den Straßen nach Tschechien wird die Prostitution eines halben Kontinents augenscheinlich. Und auf den Wochenmärkten von Warschau bis nach Belgrad findet sich der Einfluß des deutschen Hegemons im Lieblingszahlungsmittel Deutsche Mark versinnbildlicht. Den dritten deutschen Krieg gegen Serbien hätte es dazu gar nicht gebraucht.
Für den praxisorientierten Schlußstrich unter die historisch begründeten Selbstbeschränkungen deutscher Außen- und Militärpolitik kam er gerade zur rechten Zeit. Mit Fischer, dem Donauschwaben mit Hang zur ethnischen Kleingruppe, und einem Kriegsminister, dessen mangelndes Selbstvertrauen selbst elektronische Sicherheitsanlagen zu lustigen Streichen animiert, hatte die Position gesiegt, welche die Abkehr von der unter alliiertem Druck angewöhnten Rücksichtnahme nicht mit dem Verschweigen von Auschwitz, sondern mit dem fortdauernd dümmsten Geschwätz darüber erledigte. Historisch betrachtet kam Reichsschriftführer Walser in diesem Spiel nur die Rolle zu, die Vergangenheit zum erneuten Verhandlungsgegenstand zu erklären. Aber er und seine antisemitischen Fans haben nicht nur Grund zur Freude, weil sie mit Bubis einen aufrechten demokratischen Antifaschisten unter die Erde brachten. Schon beim nächsten Waffengang der Deutschen wird es viel weniger Auschwitzmetaphorik brauchen, dafür spricht jedenfalls das weitgehende Ausbleiben gesellschaftlichen Protests gegen den Krieg. Und sollte nach der Pillepalle-Entschädigung für Zwangsarbeiter doch noch eine Regierung aus Nützlichkeitserwägungen an der Instrumentalisierung der Geschichte zu Gunsten des Wirtschaftsstandortes festhalten, so muß sich mit Walser und Augstein das gesamte antisemitisch eingestellte Bevölkerungsdrittel und die sechzig Prozent latent judenfeindlichen Schlußstrichbefürworter eben mit antijüdischen Sprengstoffanschlägen und einer Friedhofsschändung pro Woche zufrieden geben.
Es wird auch in Zukunft kein Tag ohne Ereignisse vergehen, die gegen die geringste Sympathie mit diesem Land und seinen Leuten sprechen. Wer an dieser Stelle die verlogene Diskussion über den Rechtsextremismus als Gegenargument in Anschlag bringt, hat ihren wirklichen Sinn schon verinnerlicht. Wie so oft, wenn in Deutschland über Demokratie geredet wird, kam unterm Strich nur mehr Liebe zu Staat und Nation heraus. Angesichts von Weltmarktkonkurrenz und widerstreitenden politischen Interessen wird die gesellschaftliche Formierung, der Konsens zwischen Bevölkerung, Staat und Kapital zum zentralen Standortfaktor.
In Deutschland ist sie dazu in höherem Maße als anderswo Selbstzweck. Der nationalistische Bauer in Frankreich mag trotzdem seine Bullen nicht, also zündet er im Falle des Interessenkonflikts eine Tonne Heu vor ihren Nasen an oder reißt ein Schnellrestaurant nieder. Die deutschen Brummifahrer beruhigt ein sozialdemokratischer Innenminister bereits mit der Ankündigung staatlicher Autorität. Zwei Tage nachdem der RAF-Anwalt, der jetzt in der Uniform des Oberbullen Abbitte leistet und sich auch in der Physiognomie immer mehr Urfin und seinen Holzsoldaten angleicht, mit dem verbalen Polizeiknüppel drohte, heißt es dann in den Nachrichten, „... die Proteste gegen die Benzinpreiserhöhungen blieben hinter den Erwartungen zurück ...“. Ein Thor, wer hier ähnliches wie in Frankreich, Belgien oder Großbritannien überhaupt erwartet hatte.
Die Homogenität im deutschen Haus, die spezifische Aufhebung partikularer Interessen in der Volksgemeinschaft ist ein Grund mehr für die Abnabelung von dieser Familie, jedoch keiner für romantische Gefühle gegenüber den Nachbarn, auf deren Gebäuden auch nur die Fahnen des Kapitals und der Nation wehen. Romantik taugt nur für die Reise, nicht aber für eine politische Orientierung. Links bleibt da, wo keine Heimat ist.
Die antinationale Linke hat in den letzten Jahren entscheidendes zur inhaltlichen Neukonstituierung eines emanzipatorischen Projekts beigetragen. Daß ihren Weisheiten mit der routinenhaften und tendenziell folgenlosen Wiederholung die emotionale Würze verloren ging, sollte nicht mit Irrelevanz aufgrund gesellschaftlichen Wandels verwechselt werden. Nur mit viel Phantasie läßt sich Rassismus, Antisemitismus und Größenwahn in Deutschland minder gewichten. Sollte dies mal wieder, vielleicht aus Gründen der Einsamkeit und Isolation, als verlockende politische Strategie verkauft werden, gäbe es auch wieder Anlaß zu neuer Aufregung.
Karsten



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last modified: 28.3.2007