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Erster Mai und Spass dabei

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Von Andrew

Weltweiter Kampf- (?) und Feiertag (auch das gab’s mal) der ArbeiterInnenklasse, weil es am 1. Mai 1886 auf dem Chicagoer Haymarket im Rahmen einer Demonstration für den Achtstundentag zu einer von der Polizei provozierten Bombenexplosion kam, bei der mehrere Menschen starben. Die Bullen verhafteten damals acht anarchosyndikalistische Arbeiter, von denen sieben zum Tode verurteilt und vier von ihnen 1887 öffentlich erhängt wurden.
Der sozial determinierte Kampf für den Achtstundentag, also der Kampf um weniger Arbeit (!), war dann noch über Jahre hinweg wesentlicher Inhalt der von der ArbeiterInnenbewegung internationalisierten Kundgebungen an jenem phänomenalen Datum. Nichts einzuwenden, solange die DemonstrantInnen ihre Veranstaltungen gegen den Willen – gegen den Profit – der Kapitalisten während der Arbeitszeit durchführten. Auch die Erzwingung eines ganzen arbeitsfreien Tages in einigen Ländern könnte mensch noch als emanzipatorisches Resultat sehen. Immerhin firmierte der erste Mai in den Ländern des realen Sozialismus (zuerst in der Sowjetunion) als Feiertag. Ausruhen, von der Arbeit für den „Aufbau des Sozialismus“ war angesagt. Dass bei den alljährlichen Demonstrationen, ob in Moskau, Berlin oder Peking gleichermassen das Hohelied der Arbeit gesungen wurde, schien kaum eine/n der DemonstrantInnen zu stören. Und welche doch, die waren sowieso zu Hause geblieben. Aber nicht in Deutschland, wo es den Nazis vorbehalten war, den ersten Tag im Mai zu einem „Tag der deutschen Arbeit“ und zum Feiertag zu deklarieren, an welchem Betriebsgefolgschaften mit ihren Betriebsführern volksgemeinschaftlich der Arbeit huldigten.
Der feiertägliche Anlass bietet hierzulande immer noch GewerkschafterInnen, SozialdemokratInnen, demokratischen SozialistInnen und anderem reformistischen Klüngel ausreichend Gelegenheit, den Mangel an ausbeuterischer Lohnarbeit für ihre vermeintliche Klientel zu beklagen. Thüringer Bratwurst bei der PDS und kriegerische Scharpingreden bei der SPD (auch wenn er dafür 1999 ausgebuht wurde) verdeutlichen nicht nur, dass mensch sich eingerichtet hat bzw. angekommen ist in der patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft der BR Deutschland, sondern sind auch Indiz für die mögliche Vehemenz bei der Artikulation, geschweige denn Umsetzung angeblich sozialer Forderungen.

Und bei den Nazis von heute?

Auch sie haben immer wieder den Bezug auf das phänomenale Datum und die Arbeit hergestellt. Ihre antisemitisch codierte Verherrlichung der Arbeit für Deutschland erinnert immer wieder an die Option, die dem Ausrottungsprogramm des deutschen Nationalsozialismus gegen die europäischen Jüdinnen und Juden immanent war, nämlich die Steigerung zum Begriff und dessen Umsetzung, der „Vernichtung durch Arbeit“.
Nichts neues also? Oder sind die Versuche martialischer Aufmärsche und Kundgebungen eher ein Mittel, sich demonstrativ gesellschaftliche Akzeptanz zu verschaffen, und ihre Losungen nur rechtes „Rattenfängertum“?
Schaut mensch sich deutsche Zustände aktuell an, dann scheint es eher so. Verherrlichung von Lohnarbeit, so lebensnotwendig sie für die/den Einzelne/n auch sein könnte, findet gesamtgesellschaftlich, sprich kapitalistisch, was wiederum heissen soll: willens zu sein, unbedingt beschäftigt zu sein, fast täglich statt. Ob deutsche BauarbeiterInnen MigrantInnen von Reichstagsbaustellen jagen, in Leipzig die Gefolgschaft des „Betrieb für Beschäftigung“ die Freilassung ihres Geschäfts-/Betriebsführers fordert, Schröder zwanzigtausend ComputerexpertInnen aus Osteuropa und dem Trikont „einwandern“ lassen will und dies „Arbeitgeber-“ und „Arbeitnehmerverbände“ aufheulen lässt, letztlich bleibt aktuell, was schon im CEE IEH #43 von anonymus formuliert wurde:
„Angesichts der oben beschriebenen Zusammenhänge ist allen von deutschen Linken unternommenen Versuchen, sich am Maifeiertag der Nazis durch einen eigenen klassenkämpferischen Beitrag zu beteiligen, ein möglichst klägliches Scheitern zu wünschen. Wenn es überhaupt eine ‘soziale Frage’ gibt, die am 1. Mai zu thematisieren wäre, dann betrifft sie die Lebensbedingungen jener Menschen, die im deutschen Alltag durch das Handeln der Nazis und anderer Bündnisse für deutsche Arbeit existenziell bedroht sind. Aber das ist natürlich so gut wie nie gemeint, wenn über Sozialabbau oder wachsende soziale Verelendung gejammert wird. Konsequenterweise gab es deshalb in den letzten Jahren z. B. in Berlin auch eine Spaltung der revolutionären 1. Mai-Demos, auf denen inzwischen deutsche und nichtdeutsche Linke weitgehend getrennt voneinander marschieren. So bleibt wohl nichts anderes übrig, als am 1. Mai die mit ‘Arbeitsplätze zuerst für Deutsche’ gestellte soziale Frage in zweifacher Hinsicht negativ zu beantworten, nämlich: Arbeit ist scheiße! Deutsche sind scheiße!“

Was bleibt?

Mal nachdenken darüber, auf was mensch sich bezieht, wenn irgendwelche Aktivitäten zum ersten Mai, ob revolutionär oder gegen Nazis nicht auch der Phänomenalisierung eines Datums und nicht mehr dienen. Und das Nachdenken ruhig in Berlin, Wetzlar oder Grimma vollziehen. Und dann die „rechte Alltagskultur“ der „neuen (deutschen) Mitte“ als jene Society angreifen, die sich zwar ihrer Verbrechen schämt, aber alles tut, um ein Denken von Schuld gar nicht erst aufkommen zu lassen, weil sie spätestens am 8. Mai 2000 auf fünfundfünfzig Jahre erfolgreichen Widerstandes gegen antifaschistisch-demokratische Umerziehung, bzw. westalliierte Reeducation zurückblicken wird. Ganz im Sinne nationalsozialistischer Volksgemeinschaft hat sich bundesrepublikanischer Kapitalismus in einen Sozialstaat gewandelt. Die Transformation von Nazi-Ideologemen ist im Rechtsstaatssystem verschleiert und die antisemitische Menschenentwertung findet in der „genetischen Menschenkonstruktion“ ihre Kontinuiität. Krieg als Mittel deutsch-imperialer Grossmachtbestrebungen ist wieder Option der „Berliner Republik“.
Vielleicht wäre für alle die „left“ und „left over“ auch mal eine Frage, an einem ganz anderen Tag und vor allem die eigene Kritik am Kapitalismus zu demonstrieren. Der ermordeten ArbeiterInnen vom Haymarket sollte jedenfalls gedacht werden. Nicht wegen der mystischen Trauer, sondern wegen ihres Kampfes gegen die Arbeit.


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last modified: 28.3.2007