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Vom 2. bis 5. Juli 1998 fand bei Witzenhausen/Göttingen ein von der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation ausgerichtetes „Antifa-Camp“ statt. Neben vielen anderen Arbeitsgruppen beschäftigte sich eine mit der Verbindung von Nationalsozialismus und Antisemitismus. Als Referenten wurden dazu Vertreter der Antinationalen Gruppe Leipzig (ANG) eingeladen.
In einer Serie von drei Teilen veröffentlichen wir fortlaufend das gehaltene Referat. Hier folgt der zweite Teil des Textes – der erste erschien in der September-Ausgabe und beschäftigte sich mit dem Verständnis vom Nationalsozialismus und Faschismus innerhalb der deutschen Linken.
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Wovon Linke immer reden, aber eigentlich nichts wissen wollen.

Um den Antisemitismus als biologistisch-rassistisch fundiertes Weltbild zur Kenntnis zu nehmen, bedarf es vorab einer notwendigen Erläuterung, was den Antijudaismus christlicher Prägung vom modernen Antisemitismus – also dem biologistisch-rassistisch geprägten – unterscheidet.

Vorgeschichte des modernen Antisemitismus in Deutschland und Europa

Seit der Diaspora, der Zerstreuung der Jüdinnen und Juden, im 3. Jahrhundert v.u.Z. waren Juden allerorts eine Minderheit, die ihre eigenen Religionsgesetze befolgten. Seit dieser Zeit wurden Juden Menschenhaß, Gottlosigkeit und Ritualmorde unterstellt und angedichtet.
Die christliche Gesellschaft isolierte die Juden und drängte sie mittels Verbote für viele Berufe und Tätigkeiten in die Handel- und Geldgeschäfte ab, wobei den Christen gleichzeitig die Tätigkeit im Geldgeschäft – speziell der Pfandleihe – offiziell verboten war.
Der religiöse Gegensatz von Christen und Juden wog seitdem schwer und galt im Alltagsleben für beide Seiten als unüberwindlich. Im Mittelalter

Der Kapitalismus verschleiert die wirklichen Verhältnisse und legt eine falsche Sicht der Dinge nahe.

gipfelte dies in der verschärften Ghettoisierung der Juden. Sie wurden gezwungen, in „eigenen“ Stadtteilen zu leben. Dazu wurden sie vielerorts gewaltsam aus ihren Wohnorten vertrieben.
Eine Verschärfung der Ressentiments erfuhr der Antijudaismus durch die Reformation in Mitteleuropa. Sowohl die Reformatoren (Martin Luther) wie auch deren Gegner machten aus ihrem Judenhass kein Hehl. Juden wurden aus der Religionsgeschichte heraus als „Gottesmörder“ diffamiert, der Schmähung der christlichen Religion beschuldigt oder auf Grund ihrer ökonomischen Stellung als wucherische Ausbeuter betrachtet.
Während sich in Osteuropa und Deutschland an der traditionellen Situation der Juden bis ende des 18. Jahhunderts kaum etwas änderte, Vertreibungen, Pogrome und Übergriffe immer wiederkehrten, wirkte sich das neue politische und soziale Klima der Aufklärung in Westeuropa auf Erfolge der Juden in Handels – und Geldgeschäften günstig aus, weil sich dort schon erste Anzeichen der industriellen Revolution bemerkbar machten.
In Deutschland hatte die lutherische Kirche wesentlichen Einfluß auf die Aufklärung. Sie propagierte die Judenfeindlichkeit besonders stark. Sie war die Institution, die die neuen Ideen der Wissenschaft, der kritischen Theologie in der Bevölkerung zum einen verbreitete und gleichzeitig aber bestehende Ressentiments des Alltagsdenkens aufgriff und bediente. Die lutherische Kirche selbst ordnete sich den herrschenden Fürsten unter und forderte zugleich unbedingten Gehorsam von ihren Untertanen. Daraus erklärt sich die besondere Fortschrittsfeindlichkeit der lutherischen Kirche. Ein mutiges Bürgertum wie im Westen fehlte hier zu diesem Zeitpunkt. Die gesellschaftliche Veränderung – zum Beispiel die Ausweitung des Handels – wurde ohne Umschweife in den Juden personifiziert. Nur sie galten der christlichen Ständegesellschaft als die Vertreter des Frühkapitalismus. Deshalb wurde jeder ökonomisch-gesellschaftliche Fortschritt als „jüdische Praxis“ diffamiert.
Mit dem Entstehen des Frühkapitalismus verband sich für die wohlhabenderen Juden tendenziell eine Art Befreiung. Die Modernisierung der Produktionsweisen und -bedingungen nahmen der religiös-christlich geprägten Gesellschaft zunächst ihre ressentimentbeladenen Spitzen.

Antisemiten behaupten, daß sie die Juden nicht ertragen könnten, weil diese instinktiv Haß und Ekel in ihnen erregen.

Die Judenfeindschaft, die sich quer durch alle europäischen Gesellschaften in mal mehr – mal weniger starker Form zog, ist nicht identisch mit dem modernen Antisemitismus als Ausdruck einer irrationalen Projektion allen „Übels“ auf die Gruppe der Juden. Der Antijudaismus hat vielmehr die Vorarbeit geleistet, die dem modernen Antisemitismus zum Durchbruch verhalf.

Der moderne Antisemtismus

Mit der Entstehung der Industriegesellschaft oder des Industriekapitalismus ändern sich die Produktions- und Lebensbedingungen gewaltig. Die Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaft in Europa führt nicht zur Anerkennung der Juden als selbstständige Individuen, sondern nur zu ihrer Gleichbehandlung als Warenbesitzer. Die mit der bürgerlichen Gesellschaft vermeintlich verbundene Emanzipation der Juden hatte tatsächlich den Versuch der Modernisierung der Gesellschaft zum Inhalt.
Die Juden wurden mit der sich im Kapitalismus universalisierenden Zirkulationssphäre ebenso wie mit der Herrschaft des Geldes über die Gesellschaft identifiziert. Da die Juden seit Jahrhunderten in die Zirkulationssphäre „eingesperrt“ waren, besitzen sie in der antisemitischen Wahrnehmung bei der kapitalistischen Ausweitung der Zirkulation auf alle menschlichen Beziehungen angeblich einen Vorsprung. Aus dem Blickwinkel des Ressentiments der traditionellen Schichten, die sich vom Kapitalismus bedroht fühlen, schienen die Juden von Kapitalismus, Aufklärung und Revolution zu profitieren. Detlev Claussen, der mit seinem Werk „Grenzen der Aufklärung“ die Entstehung des modernen Anisemitismus analysierte, schrieb dazu: „Die Angst, von undurchschauten Mächten heimatlos gemacht zu werden, Haus und Hof zu verlieren, trotz eigener Hände Arbeit zu verarmen, wählt die Juden, die mit der Zirkulation verflochten sind, als beneidete Überlebenskünstler aus. (...) Sie personifizieren Geld, aus dem Stoff falscher Erinnerung an die Juden als Zirkulationsagenten entsteht das antisemitische Gsellschaftsbild einer scheinbar anonym herrschenen Macht, hinter der sich angeblich die persönliche Herrschaft verbirgt. (...) Geld entzündet die Phantasie, gerade weil es qualitativ keine Schranken kennt. An das rechtliche Nebenprodukt

„Die antisemitische Vorstellung schafft, wozu die Ökonomie nicht imstande ist: Gemeinschaft.“

des historischen Formwechsels der Herrschaft, nämlich der Judenemanzipation, fixiert sich die Phantasie.“ Laut Claussen wurde der Antisemitismus mit der Durchsetzung der kapitalistischen Gesellschaft zur Alltagsreligion: „Die antisemitische Vorstellung schafft, wozu die Ökonomie nicht imstande ist: Gemeinschaft.“
Der moderne Antisemitismus zeichnet sich dadurch aus, daß er die Juden biologistisch als Rasse definiert, was ihnen von vornherein in den Augen der Antisemiten jegliche Möglichkeit der Assimilation nimmt: Egal wie die Juden sich verkleiden, sie bleiben qua Geburt Juden. In dieser Hinsicht argumentiert der Antisemit ähnlich rassistisch wie der „gewöhnliche“ Rassist (Schädelmessung, Gesichtsphysiognomie), ist aber von vornherein auf die Markierung seiner Objekte angewiesen (Ghettoisierung, Judenstern etc.). Gemeinsam ist ihnen, daß beide den Anderen als radikal verschieden konstruieren, wobei der Rassist seinem Objekt potentielle, konkrete Macht, die bedrohlich werden könnte, zuschreibt (z.B. angebliche Omnipotenz des schwarzen Mannes), es aber ansonsten als arbeitsscheu, unzivilisiert und minderwertig darstellt. „Dem“ Juden allerdings wird eine abstrakte, allgemeine und unbegrenzte Macht zugeschrieben, die es versteht, sich jedem Zugriff geschickt zu entziehen. Dem Rassisten scheint die bestehende Ordnung durch Fremde bedroht, für den Antisemiten stehen die Juden hinter dieser Ordnung – konstituieren bzw. lenken sie. Gleichzeitig gelten sie als die Zerstörer alles Althergebrachten wie familiäre Struktruren, Wertekanons, politische Ordnungen. Sie sind verantwortlich für gesellschaftliche Veränderungen wie Revolutionen oder auch jegliche Art der Modernisierung.
Mit der Vorstellung, die Juden seien die Drahtzieher im Hintergrund, die sowohl im Kreml als auch in der Wallstreet das Heft des Handelns unsichtbarer Weise in der Hand haben, wird der Antisemitismus zum Welterklärungsmodell.
Mit der Entwicklung des modernen Kapitalismus entstand die Sichtweise, den gesamten materiellen Produktionsprozeß als konkret, „gesund“ und „natürlich“ zu begreifen. In der Wahrnehmung strikt getrennt vom „unnatürlichen“, „künstlichen“ Finanz- und Zinskapital. Solcherart Weltanschauung richtet sich nur gegen die abstrakte Seite des Kapitalverhältnisses. Sie ist eine Form des romantischen Antikapitalismus. Beim modernen Antisemitismus wird das undurchschaubare Abstrakte in Gestalt „der“ Juden wahrgenommen. Der Antisemit kann mit der Konstruktion des Juden als allgemein und abstrakt jegliche Handlungen derselben mit ihrer Durchtriebenheit erklären. So ist es für ihn auch kein Widerspruch, im Judentum Ursache für Sozialismus und Kapitalismus gleichzeitig zu sehen. Die Bandbreite der antisemitischen Bilder „des“ Juden umfaßt gleichzeitig alles Abstrakte und Intellektuelle, was dem bodenständigen „gesunden Menschenverstand“ seit jeher unerklärlich oder suspekt erschien.

Die Erkenntnistheorie Moishe Postones

Wo die Erscheinungen der Dinge als ihr Wesen gelesen werden, sind antisemitische Deutungsmuster und Stereotypen schnell bei der Hand. Der Antisemit braucht die Juden nicht, er schafft sie sich gegebenenfalls selbst. Doch selbst das ist nicht unabdingbar notwendig, da das antisemitische Vorurteil nicht personalisiert werden muß. Genau so erst können gesellschaftliche Phänomene und Verhältnisse als jüdisch bezeichnet werden, da der Antisemitismus schließlich eine bestimmte

Der Antisemit braucht die Juden nicht, er schafft sie sich gegebenenfalls selbst.

Weltsicht, eine Ideologie darstellt – mit dem Anspruch, die Welt zu erklären: „So wird der Gegensatz von stofflich Konkretem und Abstrakten zum rassistischen Gegensatz von Arier und Jude. Der moderne Antisemitismus besteht in der Biologisierung des Kapitalismus (...) als internationales Judentum.“ So beschreibt es Moishe Postone in seinem Aufsatz „Nationalsozialismus und Antisemitismus“. Auch Postone mahnt an, daß der moderne Antisemitismus nicht mit dem täglichen antijüdischen Vorurteil, dem traditionellen christlichen Antijudaismus verwechselt werden darf. Um die Verbreitung des modernen Antisemitismus zu erklären, entwickelte Postone seine materialistische Ekenntnistheorie vom Antisemitismus als Weltanschauung. Diese ist aus dem Fetischbegriff von Marx als Grundlage einer historischen Erkenntnistheorie vom Wesen der kapitalistischen Verhältnisse und ihren Erscheinungsformen abgeleitet. Sie nimmt die Unterscheidung vor zwischen dem, was moderner Kapitalismus ist und der Form, in der er erscheint.
Postones Theorie sieht im antisemitischen Weltbild eine Denkform, in der die rasche Entwicklung des Kapitalismus durch „den“ Juden personifiziert und mit ihm identifiziert wird. „Die abstrakte Herrschaft des Kapitals, wie sie besonders mit der raschen Industriealisierung einhergeht, verstrickte die Menschen in das Netz dynamischer Kräfte, die, weil sie nicht durchschaut zu werden vermochten, in Gestalt des ‘Internationalen Judentums’ wahrgenommen werden.“
Der von Marx erkannte Doppelcharakter der Ware im Kapitalismus wird bei Postone Ausgangspunkt der Analyse: Ware, Geld und Kapital sind nicht nur bloße ökonomische Bestimmungen, sondern Formen gesellschaftlicher Verhältnisse. Waren besitzen einen Gebrauchswert, ebenso aber auch einen Tauschwert. Im gesellschaftlichen Bewußtsein wird diese Einheit aufgespalten. Der Kapitalismus verschleiert die wirklichen Verhältnisse und legt eine falsche sicht der Dinge nahe. So erscheint der Gebrauchswert der Ware als natürlich und konkret, der Tauschwert jedoch als abstrakt. Diese abstrakte Seite wird dann wiederum durch Geld oder Aktien verdinglicht. Es existiert also eine Struktur gesellschaftlicher Beziehungen, wobei die Waren selber gesellschaftliche Vermittlung anstelle unmittelbarer sozialer Verhältnisse sind, die nur noch durch abstrakte Symbole ausgedrückt wird, und für die Marx den Begriff des Warenfetisch fand.
Postone stellt fest, daß es sich bei der Betrachtung der Charakteristika der Macht, die der moderne Antisemitismus den Juden zuordnet – Abstraktheit, Universalität, Mobilität, Unfaßbarkeit – um genau jene Charakteristika des Werts handelt, die Marx analysiert hat. „Die“ Juden werden mit „dem“ Kapitalismus identifiziert, mit dem, was die Antisemiten dafür halten – nämlich die von den konkreten Gebrauchswerten und der konkreten Arbeit abgespaltene und verdinglichte abstrakte Dimension des Kapitals: „Daß konkrete Arbeit selbst kapitalistische gesellschaftliche Beziehungen verkörpert und von ihnen materiell geformt ist, wird nicht gesehen. (...) So kann das industrielle Kapital als direkter Nachfolger ‘natürlicher’ handwerklicher Arbeit auftreten und, im Gegensatz zum ‘parasitären’ Fianzkapital, als ‘organisch verwurzelt’ gelten.“
Moishe Postone kommt zu dem Schluß, daß „der moderne

Dem Rassisten scheint die bestehende Ordnung durch Fremde bedroht, für den Antisemiten stehen die Juden hinter dieser Ordnung.

Antisemitismus (...) eine besonders gefährliche Form des Fetischs“ sei, dessen Macht und Gefahr darin liegen, „daß er eine umfassende Weltanschauung liefert, die verschiedene Arten antikapitalistischer Unzufriedenheit scheinbar erklärt und ihnen politischen Ausdruck verleiht“. Der moderne Antisemitismus, so Postone, „läßt den Kapitalismus (...) dahingehend bestehen, als er nur die Personifizierung jener gesellschaftlichen Form angreift“.

Adorno/Horkheimer – Elemente des Antisemitismus

Was bei Postones Theorie keine Rolle bei der Analyse spielt, ist die Frage nach den psychischen Mechanismen, die im Antisemitismus wirken. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno haben im Rahmen der „Dialektik der Aufklärung“ diese in den „Elementen des Antisemitismus“ neben der Frage nach dem ökonomischen Grund und der Erläuterung der christlich-religiösen Ursprünge untersucht.
„Die alte Antwort aller Antisemiten ist die Berufung auf die Idiosynkrasie“ – die reflexhafte Überempfindlichkeit –, schreiben Adorno/Horkheimer. Die Antisemiten behaupteten, daß sie die Juden einfach nicht ertragen könnten, weil diese instinktiv Ekel und Haß in ihnen erregen würden. Daher schlußfolgern Adorno/Horkheimer, daß die Emanzipation der Gesellschaft vom Antisemtismus wesentlich davon abhänge, „ob der Inhalt der Idiosynkrasie zum Begriff erhoben, das Sinnlose seiner selbst inne wird“.
Laut Adorno/Horkheimer beruht der Antisemitismus des Individuums als Subjekt auf „falscher Projektion“. Im Gegensatz zur Mimesis – der Nachahmung – mache sich das Individuum durch „falsche

Die soziale Frage wurde zum Synonym der „Judenfrage“.

Projektion“ die Umwelt ähnlich, und nicht etwa es sich selbst der Umwelt. Eigene Regungen, welche das Subjekt sich selbst nicht zugestehen wolle, würden dem potentiellen Opfer zugeschrieben: „Der als Feind Erwählte wird schon als Feind wahrgenommen“. Diese Wahrnehmungsstörung beruhe auf der mangelnden Unterscheidung zwischen dem eigenen und fremden Anteil am projizierten Material. Trotzdem sprechen Adorno/Horkheimer von grundsätzlich bewußter Projektion. Das Subjekt verliere die Fähigkeit zur Differenz und sei somit nicht mehr in der Lage, den Gegenstand der Projektion zu reflektieren. Dadurch entfiele auch die Selbstreflexion. Darin sehen Adorno/Horkheimer den individuellen Pathos des Antisemitismus: „nicht das projektive Verhalten als solches, sondern der Ausfall der Reflexion darin“.
In den „Elementen des Antisemitismus“ betonen sie die Nähe ihrer eigenen Analyse zur psychoanalytischen Theorie der pathischen Projektion, wie sie von Freud entwickelt wurde. Diese habe als Substanz der pathischen Projektion die Übertragung gesellschaftlich tabuisierter Regungen des Subjekts auf das Objekt erkannt. Unter dem Druck des Über-Ichs projiziere das Ich die vom Es ausgehenden, durch ihre Stärke ihm selbst gefährlichen Agressionsgelüste als böse Intentionen in die Außenwelt und erreiche dadurch, sie als Reaktion auf solches Äußeres loszuwerden.

Die deutsche Spezifik

Die oben skizzierten Erklärungsmodelle vermögen nicht hinreichend zu verdeutlichen, warum der Antisemitismus in Deutschland jenen unbeschreiblichen Venichtungswahn entwickelte, der in Auschwitz – der Shoah – gipfelte.
In keinem europäischen Land außer Deutschland setzte sich mit der Nationenbildung eine völkisch geprägte Identität durch, die sich offen gegen die bürgerliche Gesellschaft und die Ideale der französischen Revolution – „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ – stellte. Das Ausbleiben einer bürgerlichen Revolution, die die Aristokratie gesellschaftlich entmachtet hätte, führte zu einer verklärten Liaison von Adel und Bürgertum. Diese beruhte auf dem Grundsatz von Blut und Boden und weitete sich zu einer völkischen Weltanschauung als spezifisch deutsche Charakteristik. Die Bestimmung des Deutschseins war durchweg von dem Wertekanon aus Treue, Ehre, Fleiß und Arbeitswahn geprägt. „Der“ Jude verkörperte in der Lesart des Deutschseins das genaue Gegenbild dieser Werteordnung.
Der Rückgriff und die Verklärung auf bzw. der Germanenmythen als „urdeutsch“ war der Ausdruck des tiefen Wunsches nach einem naturalisierten Organismus als reinem Ganzen – mit der Volksgemeinschaft als Ideal, in der Juden als Fremdkörper zu gelten hatten. Die Halluzination von der ständigen Bedrohung des deutschen Volkstums ließ die Phantasie eines permanenten Umzingeltsein von Feinden im Innern wie im Äußeren blühen. Das soziale Verständnis richtete sich danach aus und die soziale Frage wurde tatsächlich zum Synoym der „Judenfrage“.
Es kann keinen Zweifel daran geben, daß die deutsch-völkische Weltanschauung für die deutsche Nation konstitutiv war. Ihre philosophischen Vorreiter Fichte und Jahn gelten deshalb als die Urväter des unvergleichlich aggressiven modernen deutschen Antisemitismus. Es

Judenfeindschaft ist nicht identisch mit modernem Antisemitismus.

läßt sich feststellen, daß die deutsche Nation ohne Option der Ausgrenzung und Auslöschung des Judentums niemals hätte entstehen können.

Kein Erbarmen

Der Antisemitismus ist weder eine zu kurierende Kinderkrankheit (Lenin) noch ein Sozialismus dummer Kerls (Bebel). Er ist ein geschlossenes Weltbild, das sich nicht mittels des verbalen Argumentes aufbrechen läßt. Seinen Charakter und seine Elemente haben wir hier skizziert. Vor dem Irrglaube, mit Fakten ließe sich der antisemitische Wahn schon austreiben, können wir nur warnen.
Darauf angesprochen, was es denn für Mittel gegen Antisemitismus gebe, läßt sich nur mit Woody Allen antworten, der diesbezüglich für sich feststellte: „Ich bevorzuge Baseballschläger.“
Antinationale Gruppe Leipzig


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last modified: 28.3.2007