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Im folgenden dokumentieren wir das Referat von Eske Wollrad, welches im Rahmen der Veranstaltungsreihe „When worst comes to worst“ am 06.05.2008 im Conne Island gehalten wurde. Weitere Texte zum Thema werden demnächst unter conne-island.de/whenworst veröffentlicht.
dokumentation, 1.1k

Am Ende der Weiß-heit?

Grundlagen und Chancen der kritischen Weißseinsforschung in Deutschland

      „Rassismus verletzt unsere ganze Gesellschaft, und bei genauem Hinsehen sind in jedem rassistischen System alle Menschen auf unterschiedliche Art betroffen. Weiße Menschen verlieren ihre Würde, wenn sie Rassismus ausüben oder geschehen lassen.“ Noah Sow(1)
Die schwarze deutsche Musikerin und Autorin Noah Sow benennt mit diesen beiden Sätzen die Grundlage und Notwendigkeit kritischer Weißseinsforschung. Rassismus verletzt die ganze Gesellschaft und alle Menschen sind von Rassismus betroffen, wenn auch auf völlig unterschiedliche Weise. Es gibt Sow zufolge also nicht die betroffenen Schwarzen auf der einen Seite und die Weißen auf der anderen, die scheinbar in einem Paralleluniversum leben und Rassismus nur aus Zeitungsberichten über rechte Schläger kennen. Kritische Weißseinsforschung setzt bei der Tatsache an, dass es erstens Weiße Menschen gibt und zweitens, dass es notwendig ist, sie zu Forschungsobjekten zu machen.
Ich möchte heute in meinem Vortrag einen kleinen Ausschnitt dieser Forschungsrichtung präsentieren und zur Diskussion stellen.
Dazu möchte ich zunächst einige Begriffe definieren, die für die Weißseinsforschung von Bedeutung sind. Ich werde auch kurz auf den gesellschaftstheoretischen Referenzrahmen eingehen, der meinem Ansatz zugrunde liegt.
Im ersten Hauptteil meines Vortrags skizziere ich kurz die Entstehung der kritischen Weißseinsforschung in Deutschland – aus Zeitgründen kann ich auf die US-amerikanischen Entwicklungen nicht eingehen(2).
Der zweite Hauptteil behandelt die theoretischen Grundlagen der kritischen Weiseinsforschung und erläutert die Unterschiede zu gängigen Rassismustheorien.
Im dritten Hauptteil werde ich kurz auf verschiedene Ausrichtungen der kritischen Weißseinsforschung in Deutschland eingehen.

Begriffsklärung
Begriff „Menschen of Color“

Der Begriff „Menschen of Color“ bezieht sich laut Kien Nghi Ha, Nicola Lauré al-Samarai und Sheila Mysorekar auf solche Menschen, die „die gemeinsame, in vielen Variationen auftretende und ungleich erlebte Erfahrung [teilen], aufgrund körperlicher und kultureller Fremdzuschreibungen der Weißen Dominanzgesellschaft als ‚anders’ und ‚unzugehörig’ definiert zu werden.“(3)
Ich verwende „Menschen of Color“ und „Schwarze Menschen“ synonym.

Begriff „Weiße“

Mit dem Begriff „Weiße“ bezeichne ich alle Menschen, die sich nicht mit Rassismus auseinandersetzen müssen.

„Rasse“ und Rassismus

Ich werde das Wort „Rasse“ verwenden. Viele kritische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tun dies nicht und sprechen statt dessen von „Ethnizität“ oder „race“, weil „Rasse“ ein so grauenvolles Wort ist, das an Gewalt wieder heraufbeschwört, was eigentlich bekämpft werden soll. Ich bin hingegen der Auffassung, dass es nichts nützt, den Begriff zu vermeiden, wenn seine Inhalte auf so gewaltvolle Weise lebendig sind. Paul Mecheril schreibt:
„Es gibt eine symbolische und faktische Rangordnung der Physiognomien. [ ... ] hier gibt es nur einen Namen, der die reale Gewalttätigkeit nicht unterschlägt: ‚Rasse’. Das Wort ist böse, es sticht, es tut weh – kein anderes Zeichen, das besser passte.“(4)
„Rasse“ ist also eine Realität, die „reale Gewalttätigkeit“ und eine Fiktion. Natürlich gibt es keine „Rassen“, das Konzept „Rasse“ ist eine Erfindung, aber es materialisiert sich entscheidend über Funktion und Beziehung. Die Funktion des Konzepts besteht in der Legitimation von Genoziden, Ausbeutung und Unterdrückung von unzähligen angeblich „nicht-Weißen“ Menschen. Das Konzept „Rasse“ materialisiert sich ferner über die Beziehung, d.h. in Beziehung zu anderen Gewaltformen, die sich gegenseitig konstituieren: Prozesse der Rassifizierung verlaufen über Vergeschlechtlichung und reflektieren und produzieren Klassenpositionen und Lebensformen.
Der Grundpfeiler des Konstrukts „Rasse“ ist die binäre Opposition Schwarzsein – Weißsein. In Weißer Sicht gilt Schwarzsein als deviant, exotisch oder schlicht bemerkenswert und Weißsein als normativ, gewöhnlich und nicht bemerkenswert.
Weißsein als Norm ist untrennbar von Weißem Terror, rassistischer Gewaltausübung und der Inanspruchnahme von Privilegien. Und Weißsein als Norm ist ebenso untrennbar von kollektiver Schuld und individuellen Schuldgefühlen. Schuldgefühle artikulieren sich über verschiedene Kanäle als Abwehr und Angriff: „Das stimmt doch gar nicht!“ Oder: „Die machen das doch auch!“ Eine typisch Weiße Reaktion, die ich immer wieder zu hören bekomme, ist der Satz: „Aber Schwarze sind doch auch rassistisch!“ Wenn sie zum Beispiel Weiße beleidigen.
Dazu ist in aller Kürze zu sagen: Wir müssen analytisch sauber trennen zwischen Rassismus und Diskriminierung. Rassismus ist eine Unterdrückungsform, vermittels derer eine gesellschaftliche Gruppe (meist sich selbst als „Weiß“ definierend) über andere Gruppen (die meist als „nicht-Weiß“ fremdbestimmt werden) institutionalisierte Macht ausübt. Von Rassismus kann nur dann gesprochen werden, wenn die Gruppe, die andere als „Rasse“ konstruiert und bewertet, auch die Macht hat, diese Konstruktion gesellschaftlich durchzusetzen(5).
Diskriminierung hingegen bedeutet eine Herabsetzung, die auch durch Schwarze erfolgen kann. Wenn eine Schwarze Person mich „Mehlwurm“ nennt oder „Weißbrot“, ist das diskriminierend, jedoch sind diese Bezeichnungen weder in ein historisch gewachsenes Gewaltverhältnis eingelassen noch sind sie gesellschaftlich institutionalisiert. Institutionalisierte Gewalt bedeutet, das z.B. rassistische Bezeichnungen von zentralen gesellschaftlichen Institutionen verwendet und nicht bekämpft werden. So bezeichnete ein Düsseldorfer Richter einen Togolesen als N**** und seine Muttersprache als N****sprache (FR 6.4.2004), der Berliner Generalstaatsanwalt Kargen sprach öffentlich von primitivsten Buschn**** (FR, 19.1.2004), ein Berliner Abschieberichter behauptete, Romafrauen könnten auf Knopfdruck hyperventilieren und Mongolen würde aus Spaß lügen (FR, 10.7.2004) Hessische Justizbeamte verkleideten sich als KuKluxKlan-Mitglieder, um einen Schwarzen Häftling zu bedrohen (SZ, 11.5.06). Wenn sich Weiße Deutsche rassistisch verhalten, können sie sich folglich über Repräsentanten der staatlichen Exekutive legitimieren.

Der Begriff „Rassifizierung“

Rassifizierung bezeichnet einen Prozess kognitiver Abrichtungen, in dessen Verlauf Zeichen auf Körper übertragen und diese entsprechend gewertet werden. Die Zeichen sind willkürlich: Nähmen wir das Zeichen „Ohr“, wäre eine Aufteilung der Menschheit in die „Rassen“ der Großohrigen und Kleinohrigen denkbar, verbunden mit einer Wertung, die beispielsweise den Kleinohrigen die höhere Intelligenz zuspricht. In den uns bekannten Rassifizierungsdynamiken ist das Zeichen „Hautfarbe“ prominent. Dies erfordert bezüglich der Farbbegriffe „schwarz“ und „weiß“, von den Farben im Tuschkasten zu abstrahieren, sie auf menschliche Haut zu übertragen und mit einer Werteskala zu unterlegen. Das unsichtbarste und folglich historisch wirkmächtigste Zeichen in der Geschichte der Rassifizierung ist das Blut.

Gesellschaftstheoretischer Referenzrahmen

Den diesem Beitrag zugrunde liegenden Referenzrahmen bildet postkoloniale Kritik. Sie setzt beim „Fehlen einer kontinuierlichen und vor allem kritischen Aufarbeitung der deutschen Kolonialherrschaft“(6) an und legt offen, in welchem Maß der deutsche Kolonialismus dazu beitrug, „Rasse“ als grundlegendes Ordnungsprinzip gesellschaftlicher Beziehungen zu etablieren. Postkolonialismus als herrschaftskritischer Diskurs setzt somit voraus, dass Echos kolonialrassistischer Gewalt gegenwärtig und wahrnehmbar sind, also Alltag, Denken, Politik und Kultur zutiefst prä[[opthyphen]]gen. Ferner gilt, dass „der postkoloniale Diskurs ein politisches Projekt ist, der nicht ohne die selbstreflexive Auseinandersetzung mit den multiplen Facetten gegenwärtiger Machtdimensionen gedacht werden kann.“(7)
Postkoloniale Kritik demontiert die Mythen klarer Grenzen zwischen „wir“ und „den anderen“, zwischen „eigen“ und „fremd“, zwischen „hier (oben)“ und „dort (unten)“. Gegen die Phantasie reinlicher Trennungen betont Postkolonialismus Vielheiten und Vermischungen und arbeitet mit Bruchstücken und Montagen, deren offene Facetten sich im stetigen Wandel befinden. Postkoloniale Theorie- und Kulturproduktionen lassen sich als Landkarten lesen, „in denen Geschichten und Geografien längst ineinander fallen: Hier mündet der Rhein in den Golf von Genua und die Elbe in den Bosporus; hier werden die ostfriesischen Inseln vom Pazifik umspült; hier kann man vom Erzgebirge aus über das Mekong-Delta blicken; hier ist der Atlantik nicht breiter als die Spree. Die Gesichter der Menschen am Ufer sind klar zu erkennen, ihre Stimmen deutlich zu hören.“(8)

Brause aus der Oberlausitz, 28.8k

I. Entstehung der Weißseinforschung in Deutschland

„Schwarze Menschen haben aus Überlebensnotwendigkeit schon vor ein paar hundert Jahren überall auf der Welt kritische Weißseinsforschung betrieben, indem sie die Verhaltensweisen und sozialen Realitäten weißer Menschen benannten und analysierten.“(9)
Das gilt auch für Deutschland: Kritische Weißseinsforschung in Deutschland hat eine lange Tradition; sie ist nichts neues – außer vielleicht für die meisten weißen Deutschen. Kritische Weißseinsforschung lässt sich explizit zurückverfolgen auf die erste Schwarze Bewegung in Deutschland in den 1920er Jahren, setzt sich Mitte der 1980er Jahre mit dem Erscheinen der Anthologie „Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte“(10) fort und brachte 2005 die Anthologie mit dem Titel „Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland“(11) hervor, welche eine Vielfalt von Zugängen dokumentiert, die sich unter anderem in unterschiedlicher Weise mit der Normativität von Weißsein auseinander setzen.
Neben dieser langen Forschungstradition, die sich innerhalb Schwarzer Theorieproduktion verortet, entstanden auch auf dem Weiß dominierten akademischen Feld Forschungen zu Weißsein in verschiedenen geisteswissenschaftlichen Disziplinen. Hier handelt es sich überwiegend um Qualifikationsarbeiten (Diplom- beziehungsweise Magisterarbeiten und Dissertationen) von NachwuchswissenschaftlerInnen, die für spezifische Fragestellungen zu Weißsein nicht durch deutsche wissenschaftliche Institute sensibilisiert wurden, sondern häufig durch Auslandsaufenthalte in den USA oder Großbritannien.
Bezüglich des bisherigen Spektrums von Forschungsarbeiten zu Weißsein fällt erstens auf, dass fast alle Forschenden weiblich, fast alle Weiß sind und ihre Fragestellungen mit der Gender-Thematik verknüpfen. Zweites liegt der Fokus deutlich auf einem diskursanalytischen und dekonstruktivistischen Zugang, während die Effekte von Konstruktionsprozessen weniger in den Blick rücken.

II. Theoretische Grundlagen der Weißseinforschung
Paradigmenwechsel: von den Geanderten zu den Eigentlichen

Niemand hat das pointierter formuliert als die afrikanisch amerikanische Schriftstellerin und Nobelpreisträgern Toni Morrison:

„Mein Projekt ist das Bemühen darum, den kritischen Blick vom rassischen Objekt zum rassischen Subjekt zu wenden; von den Beschriebenen und Imaginierten zu den Beschreibenden und Imaginierenden; von den Dienenden zu den Bedienten.“(12)

Menschen of Color wurden im Prozess der Kolonialisierung als Objekte phantasiert, sie wurden beschrieben und als Dienende konstruiert. Der Paradigmenwechsel beinhaltet, den Passivdiskurs aufzugeben und die zu markieren, die phantasieren, beschreiben und konstruieren, solche also, die sich seit Beginn der Rassifizierungsprojekte selbstverständlich an die Spitze der Menschheit setzten und sich „farblich“ kennzeichneten: als Weiße.

Relationales Verhältnis von „Objekt“ und „Subjekt“

Was Weißsein bedeutet, hängt davon ab, wie Schwarzsein als Gegenpol konzipiert ist. Weißsein steht in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Schwarzsein: Erst über die Fabrikation angeblicher „Schwarzer Wildheit“ kann sich der Mythos Weißer Zivilisation entfalten, erst die Erfindung der Geschichtslosigkeit des Trikonts ermöglicht die Konzipierung westlicher Narrative als Universalgeschichte. Weißsein existiert also nicht „an sich“, sondern konstituiert sich im Gegenüber zu und abhängig von Konstruktionen von Schwarzsein.

Weißsein konstituiert sich über den Subjektbegriff der Aufklärung

Rassekonstruktionen im Allgemeinen und Imaginationen von Weißsein im Besonderen sind ohne die Aufklärung nicht denkbar. Es war allen voran der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804), der als „Begründer des modernen Rassekonzepts“(13) die Grundlagen Weißer Normativität schuf. In seiner Schrift Von den verschiedenen Rassen der Menschen (1775) unterscheidet er vier „Rassen“, wobei für ihn „Neger“ und Weiße die „Grundracen“ darstellen. Eine Begründung ist nicht notwendig: „Die Ursache, Neger und Weiße für Grundracen anzunehmen, ist für sich selbst klar.“(14) Eine Wertung wird ebenfalls als selbstevident gesetzt: „Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen.“(15)
Weißsein bedeutet nicht nur Vollkommenheit, sondern auch Ursprünglichkeit, denn Europa mit seinem gemäßigten Klima bezeichnet nach Kant den Ort, „wo auch der Mensch [...] am wenigsten von seiner Urbildung abgewichen sein müßte“.(16) Weiße sind es auch, denen die Zukunft der Zivilisation gehört: „(Weisse:) Enthalten alle Triebfedern der Natur in affecten und Leidenschaften, alle Talente, alle Anlagen zur Cultur und Civilisierung und können sowohl gehorchen als herrschen. Sie sind die einzigen, welche immer in Vollkommenheit fortschreiten.“(17)
Vor diesem Hintergrund entwarf Kant das Konzept des Subjekts als ein vernunftbegabtes und autonom urteils- und handlungsfähiges Individuum, welches für ihn selbstverständlich weiß und männlich war im Gegenüber zu der minderen „Grundrace“, den „typisierten Objekten“, den rassisch Geanderten(18). Somit ist das Konzept des „Subjekts“ historisch unmittelbar mit Weißsein (und Mannsein) verknüpft, verbunden mit dem vermeintlichen Naturrecht, „Andere“ zu objektivieren, als Kollektiv zu markieren und abzuwerten.
Diese Kollektivierung der Geanderten bedeutet, dass Menschen of Color immer als Repräsentantinnen und Repräsentanten ihrer Gruppe wahrgenommen werden, Weiße hingegen nie. Ich werde nie gefragt: „Und was sagen Sie als Weiße dazu?“ Oder: „Na, als Weiße sind Sie natürlich Expertin auf diesem Gebiet!“ Oder „Diese Karriere ist doch eher untypisch für Leute wie Sie, oder?“ Oder „Das ist bestimmt nicht leicht für Sie, in Deutschland zu leben – so fern der Heimat!“ Selbstverständlich gibt es Weiße als Kollektiv, nur werden sie nicht so benannt. Stattdessen existieren Codes, die alle verstehen: Ist von „Deutschen“ die Rede, sind Weiße Deutsche gemeint, denn im „Deutschen“ ist das Weiße vermeintlich naturgemäß bereits enthalten.

Gängige Rassismustheorien

Das, was an gängigen Rassismustheorien bekannt ist, nenne ich – von Ausnahmen abgesehen – hegemoniale Rassismusforschung. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie sich nicht selbstkritisch verortet, d.h. wir erfahren nicht, dass die ForscherInnen Weiß sind. Die Stimmen kommen gewissermaßen aus dem Off, sie sind nicht positioniert. Dies spiegelt sich in den Inhalten: hegemonialer Rassismusforschung markiert Schwarzsein und codiert Weißsein.
Beispielsweise schreibt die Soziologin Karin Priester im Kontext der Rheinlandbesetzung nach dem ersten Weltkrieg über „Mischlingskinder von deutschen Müttern und schwarzen Soldaten“(19). Weißsein wird hier über die Nation codiert: mit „deutschen Müttern“ meint Priester Weiße deutsche Mütter. Schwarzsein ist markiert und ebenfalls mit der Imagination nationaler Zugehörigkeit verbunden: Mit den Schwarzen Soldaten sind Schwarze französische Soldaten gemeint. Priester reproduziert mit diesen Konstruktionen ein Bild von Deutschland als „rassisch“ reiner Weißer Gemeinschaft, in der Schwarze Anwesenheiten als zeitlich begrenzte und ausländische definiert sind.
Codiertes Weißsein und markiertes Schwarzsein begegnen auch in Definition von Rassismus: „Rassismus ist die Summe aller Verhaltensweisen, Gesetze, Bestimmungen und Anschauungen, die dazu führen, schwarze Menschen [...] als minderwertig auszugeben und sie entsprechend zu beurteilen und zu behandeln.“(20) Wer beurteilt? Wer behandelt? Weiße als Rassismus-Praktizierende und Weißsein als zentrale Machtinstanz innerhalb Weißer Vorherrschaft bleiben auch hier unbenannt.
Die zweite Tendenz hegemonialer Rassismusforschung setzt die Existenz von „Rasse“konstrukten voraus, bezieht es aber nur auf die sogenannten „Anderen“. Bei den renommierten RassismusforscherInnen Margret Jäger und Siegfried Jäger hört sich das so an:
„Unter Rassismus begreifen wir eine Einstellung [...], bei der Menschen, die anders aussehen und/oder andere Sitten und Gebräuche pflegen als die Mehrheit der Bevölkerung [...], als ‚Rasse’ konstituiert und negativ beurteilt werden [...].“(21)
Menschen, die „anders aussehen“, werden „als Rasse“ konstituiert. „Rasse“ haben also nicht alle, sondern nur die „Anderen“, die Einen und Eigentlichen, die Mehrheit nämlich, fällt aus dem „Rasse“-Paradigma heraus. Rassifiziert sind hier die sog. „Nicht-Weißen“, während die Weiße Mehrheit „farblos“ erscheint. Weißsein ist in dieser Definition aparadigmatisch.
Die dritte Tendenz markiert sowohl Weißsein als auch Schwarzsein, allerdings nur im Hinblick auf andere Länder. Das Schema, welches in der bundesdeutschen Migrationsforschung häufig begegnet, folgt stets der gleichen Logik: in den USA (oder Großbritannien/ Kanada/ Frankreich etc.) gibt es Schwarze und Weiße und vielleicht Menschen of Color, in Deutschland gibt es Deutsche und Ausländer. In einer Aufzählung benennt die Soziologin Elisabeth Beck-Gernsheim, wer in Deutschland, den USA und Großbritannien als normativ einheimisch gilt: „der Normaldeutsche, der weiße US-Amerikaner, der weiße Brite“ (22). Weiße gibt’s nur anderswo, nicht bei „uns“.
Dieser – wenn auch sehr grob skizzierte – Überblick macht deutlich, dass hinsichtlich der hegemonialen Rassismusforschung von einer kritischen Auseinandersetzung mit der Verhältnisbestimmung von Weißsein und Schwarzsein keine Rede sein kann.
Warum? Der Grund ist der sogenannte cultural turn, d.h. die Auffassung, „Rasse“ sei out. Bis 1945 wäre die Kategorie relevant, heute nicht mehr. Heute, so die hegemoniale Rassismusforschung, geht es um die Differenzlinien „Kultur“ und „Sprache“ und mithin um einen kulturalistischen Rassismus, der Menschen aufgrund ihrer kulturellen Herkunft und Sprache diskriminiert. Kurz: Kultur, nicht Körper. Nur blenden diese Ansätze die Erfahrungen einer Gruppe aus, die deutsch ist, die keinen Migrationshintergrund hat, die keine andere Sprache spricht noch einer anderen Kultur angehört: Deutsche of Color. Sie erleben „Ausländerfeindlichkeit“ wegen ihres Aussehens.

III. Verschiedene Ausrichtungen der kritischen Weißseinsforschung in Deutschland

An jede Richtung bundesdeutscher Rassismusforschung müssen grundlegende Fragen gerichtet werden: Wie definiert der jeweilige Ansatz das Verhältnis von Erkenntniskritik zu Gesellschaftskritik? In welchem Referenzrahmen wird die Forschung jeweils verortet? Wird auf Schwarze Theoriebildung Bezug genommen? An wen ist die Forschung adressiert?
Ich möchte zwei grobe Richtungen beschreiben: zunächst die eine, die sich innerhalb des postkolonialen Referenzrahmens verortet. Sie richtet den Blick gleichermaßen auf Weißsein als Konstrukt und als Realität, als Fiktion und als Tatsache. Diese Ausrichtung der kritischen Weißseinforschung ist an die Traditionen der Schwarzen Wissensproduktion gebunden, welche Erkenntnis- und Gesellschaftskritik als unauflöslich zusammengehörig definiert und eine (selbst)reflexive Auseinandersetzung fordert, welche sich sowohl auf Weiße als auch auf Menschen of Color bezieht. Ihre Herausforderung besteht darin, Vergesellschaftungsprozesse innerhalb struktureller Machtdimensionen zu erfassen und gleichzeitig unterschiedliche und widersprüchliche Formen von Aneignungen und Verarbeitungen dieser Dimensionen präzise zu analysieren.
Diese Richtung arbeitet dekonstruktivistisch, insofern „Prozesse der Dekonstruktion weißer Normalitäten [...] integrierte und essentielle Bestandteile der vielschichtigen Schwarzen Befreiungs- und Widerstandskämpfe in weißen hegemonialen Machtzusammenhängen“ darstellen(23). Folglich verbindet sich hier Dekonstruktion mit dem Festhalten an Identitätspolitik: Es gibt Schwarze und Weiße Identitäten, unterschiedliche Positionierungen innerhalb der Matrix der Dominanz und folglich unterschiedliche Machtpositionen. Diese Ausrichtung der kritischen Weißseinsforschung definiert sich explizit als herrschaftskritisch, daher werden diese unterschiedlichen Machtpositionen sehr ernst genommen.
Die andere Richtung der Weißseinsforschung argumentiert gegen Identitätspolitik, weil diese sich auf Kategorien stützt, die selbst rassistisch seien. Sie betonen, dass es sich bei „Rasse“‚ „Weißsein“, „Schwarzsein“ etc. um Konstruktionen handelt, die es als solche zu entlarven gilt. D.h. „Weiß“, „Schwarz“, „of Color“ sind Erfindungen, und wenn man diese Begriffe weiter benutzt, wiederholt man eine Gewalt, die ja bekämpft werden soll. Die Psychologin Martina Tißberger beispielsweise lehnt die Verwendung des Begriffs „Weißsein“ ab, weil er sich auf eine Identitätsposition bezieht; sie verwendet nur den Begriff „whiteness“ als Ausdruck sprachlicher und sozialer Konstruktion(24). Die Abkehr von der Identitätspolitik beinhaltet auch den Nichtbezug auf postkoloniales Denken und Schwarze Theoriebildung. In den Publikationen wird die eigene Positionierung als für die Erkenntnisgewinnung irrelevant betrachtet und folglich nicht benannt.
Bei diesen radikal dekonstruktivistischen Ansätzen tritt der Aspekt der Realität, d.h. den realen Folgen der Konstrukte (beispielsweise die Privilegien, über die Weiße verfügen) in den Hintergrund und damit die Bedeutung rassifizierter Subjektpositionen. Vereinfacht gesagt: Wenn Weißsein nichts anderes als ein Konstrukt ist, dann gibt es kein „Weißsein“, keine „Weißen“ und folglich auch keine „Weißen Privilegien“.
Schwarze intellektuelle und aktivistische Öffentlichkeiten in Deutschland verfolgen die Entwicklung dieser Richtung äußerst kritisch, denn dekonstruktivistische Ansätze sind problematisch, wenn sie die Macht realer Gewaltverhältnisse trivialisieren und die tatsächlichen Auswirkungen von Konstruktionsprozessen aus dem Blick geraten. Die einseitige Betonung des fiktionalen Charakters von Weißsein läuft außerdem Gefahr, Weißsein zu entpolitisieren und ist verbunden mit einer Abwehr von „praxis- nd handlungsorientierten lokalen Schwarzen Kritiken und einer dahingehenden Auseinandersetzung mit dem eigenen Weißsein“(25). Wenn Weißseinsforschung dem Motto folgt „Wir brauchen keine Schwarzen, um uns mit Whiteness auseinander zu setzen“, reprä[[opthyphen]]sentiert sie lediglich eine Rezentrierung Weißer Normativität. Zwar stellt diese Richtung „die Diskursivität von Weißsein in den Fokus der Auseinandersetzung, verschleiert jedoch die privilegierte Position des weißen sprechenden Subjektes.“(26)

IV. Chancen und Grenzen der kritischen Weißseinsforschung in Deutschland

Ich bin skeptisch bezüglich einer Weißseinsforschung, die sich vorwiegend und ausschließlich im akademischen Setting verortet und in der das Wort „Herrschaftskritik“ nicht vorkommt. Und ich denke, es wird genau diese Art von Forschung sein, die sich langfristig an Universitäten etablieren wird. Sie ist attraktiv, weil sie suggeriert, Weiße könnten Weißsein „studieren“ wie jeden beliebigen Forschungsgegenstand, als wäre eine säuberliche Trennung zwischen Weißsein als „Thema“ und Weißer Erfahrung von Dominanz und Privilegien möglich. Vermutlich wird sich Weißseinsforschung darüber hinaus als alleiniges beziehungsweise vorrangiges Arbeitsterrain Weißer WissenschaftlerInnen konsolidieren, die Schwarze Analysen marginalisieren oder gänzlich ausblenden. Das war die schlechte Nachricht.
Nun kommt die gute: Es gibt Foren, innerhalb derer kontrovers diskutiert wird und die sich dezidiert auf Zusammenhänge Schwarzer Erkenntnisproduktion beziehen. Ein solches Forum war zum Beispiel das an der Universität Mainz angesiedelte Projekt „Black European Studies“(27). Solche Foren, deren Inhalt die Auseinandersetzung mit der Normativität von Weißsein und ihren Effekten als ein politisches Projekt der Herrschaftskritik bildet, gründen in dem Wissen, dass „Rasse“ ein Mythos mit sehr realen Folgen ist. In den Worten von Colette Guillaumin:
      „Race does not exist. But it does kill people.“(28)
      Rasse existiert nicht, doch sie tötet Menschen.
Anmerkungen

(1) Noah Sow: Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus. München 2008, 272.

(2) Ausführlicher dazu vgl. Eske Wollrad: Weißsein im Widerspruch. Feministische Perspektiven auf Rassismus, Kultur und Religion. Königstein/Taunus 2005, 31-42.

(3) Kien Nghi Ha, Nicola Lauré al-Samarai, Sheila Mysorekar: Einleitung. In: Dies. (Hg.): re/visionen. Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland. Münster 2007, 12.

(4) Paul Mecheril: Rassismuserfahrungen von Anderen Deutschen – eine Einzelfallbetrachtung. In: Mecheril, Paul, Teo, Thomas (Hg.): Psychologie und Rassismus. Hamburg 1997, 198.

(5) Vgl. Annita Kalpaka, Nora Räthzel: Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein. Rassismus in Politik, Kultur und Alltag. Köln 1994.

(6) Nicola Lauré al-Samarai: Unwegsame Erinnerungen: Auto/biographische Zeugnisse von Schwarzen Deutschen aus der BRD und der DDR. In: Marianne Bechhaus-Gerst, Reinhardt Klein-Arendt (Hg.): AfrikanerInnen in Deutschland und Schwarze Deutsche – Geschichte und Gegenwart. Münster 2004, 199.

(7) Kien Nghi Ha,: Ethnizität und Migration reloaded. Kulturelle Identität, Differenz und Hybridität im postkolonialen Diskurs. Berlin 2004, 69.

(8) Ha, al-Samarai, Mysorekar 2007, 21.

(9) Noah Sow, a.a.O., 274.

(10) hg. Katharina Oguntoye, May Opitz und Dagmar Schultz.

(11) hg. Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche und Susan Arndt.

(12) Toni Morrison: Im Dunkeln spielen. Reinbek 1995, 125.

(13) so der Anthropologe Wilhelm Mühlmann, zit. n. Jan Pieterse Nederveen: White on Black. Images of Africa and Blacks in Western Popular Culture. New Haven, London 1992, 47.

(14) Kant, Immanuel: Von den verschiedenen Rassen der Menschen. (1775) In: Kant's Werke, Bd.II, Berlin 1905, 433.

(15) Kant, Immanuel: Physische Geographie. Hg. F. Th. Rink. In: Kant’s gesammelte Schriften. Bd. IX. Berlin/ Leipzig 1923, 316.

(16)
Kant, Immanuel: Von den verschiedenen Rassen der Menschen. (1775) In: Kant‘s Werke, Bd. II, Berlin 1905, 441.

(17) Kant, Immanuel: (Reflexionen zur Anthropologie). In: Kant’s gesammelte Schriften. Bd. XV. Berlin/ Leipzig 1923, 878.

(18) Der Begriff der „Geanderten“ rekurriert auf Prozesse des „Anderns“, die Toni Morrison als „dismissive ‚othering’ of people“ (Toni Morrison: Playing in the Dark, New York 1993) bezeichnet – leider in der deutschen rororo-Übersetzung mit „abfälliges Ausgrenzen von Menschen“ (Morrison, a.a.O. 1995, 13) widergegeben. Jedoch geht es beim „othering“ nicht um Ausgrenzung, sondern um die gewaltvolle Herstellung bestimmter Menschen als „Andere“. Der Begriff der „Geanderten“ soll dies deutlich machen.

(19) Karin Priester: Rassismus. Münster, 2003, 236.

(20) Lida van den Broek: Am Ende der Weißheit. Berlin 1988, 32.

(21) Margret Jäger, Siegfried Jäger: Rassistische Alltagsdiskurse. In: Nora Räthzel (Hg.): Theorien über Rassismus. Hamburg 2000, 278.

(22) Elisabeth Beck-Gernsheim: Wir und die Anderen. Vom Blick der Deutschen auf Migranten und Minderheiten. Frankfurt/Main 2004, 170.

(23) Peggy Piesche: Das Ding mit dem Subjekt, oder: Wem gehört die Weißseinsforschung? In: Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche, Susan Arndt (Hg.): Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Münster 2005, 14.

(24) Martina Tißberger: Die Psyche der Macht, der Rassismus der Psychologie und die Psychologie des Rassismus. In: Martina Tißberger, Gabriele Dietze, Daniela Hrzán, Jana Husmann-Kastein (Hg.): Weiß – Weißsein – Whiteness. Kritische Studien zu Gender und Rassismus. Critical Studies on Gender and Racism. Frankfurt am Main 2006, 13.

(25) Peggy Piesche, a.a.O., 15.

(26) Ebd., 17.

(27) Vgl.: www.best.uni-mainz.de.

(28) Colette Guillaumin: Racism, Sexism, Power and Ideology. London 1995, 107.

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last modified: 24.8.2008