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kulturreport, 1.7k

Wo geht's hier nach Miami?

Reiseerinnerungen aus Cuba 2008

Vom Stadtviertel Centro Habana kommend wirkt Habana Vieja, die Altstadt, wie eine andere Welt. Gerade noch durch staubige Straßen geschlendert, gesäumt von zerfallenen und zerfallenden Häusern, vorbei an auf der Straße liegendem, stinkendem Müll, Baseball spielenden Kindern und begleitet von den sexuellen Belästigungen der auf den Türschwellen sitzenden Männer, steht man irgendwann vor dem Capitolio, einem protzigen neoklassizistischen Bau vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Hier beginnt Habana Vieja, das seit ein paar Jahren mit UNESCO Geldern saniert wird. Das Resultat ist beeindruckend. In Habana Vieja findet man alles: teure Klamottenläden, Tourifolkloreartikel, Musiker, die für die TouristInnen an jeder
Kuba, 28.5k"Wir werden nicht nachgeben."

Kuba, 11.9k Studierende des Innenministeriums vor den MedizinstudentInnen

Kuba, 11.3k Platz der Revolution

Kuba, 8.7k Pioniere an der Wahlurne

Kuba, 9.9k "Mit deinem kommunistischen Beispiel immer bis zum Sieg."

Kuba, 5.6k "Diese absurde Erste Welt konsumiert drei Viertel der Energie, die in der Welt produziert wird."
Straßenecke Buena Vista Social Club Musik spielen, gepflasterte, saubere Straßen, restaurierte Häuser im Kolonialstil, alte Frauen mit riesigen Zigarren im Mund, die sich für ein paar Convertible fotografieren lassen; und dann wenn man einmal falsch abbiegt, landet man in den Gassen, die noch nicht restauriert sind, in denen die meisten Menschen leben, fast baufälliger als Centro Habana, völlig überbevölkert. Bekommt man im restaurierten Teil alles in Convertiblen, der Währung, die die selbsthergestellten Devisen des Landes sind (ein Convertible ist ca 0,83 US Dollar wert, ein CUC (Convertible) sind 24 Pesos der „nationalen Währung“) ist der andere Teil Habana Viejas das scheinbar „normalere“ Havanna in dem ein durchschnittliches Monatsgehalt 250- 300 Peso beträgt (im Supermarkt kostet Klopapier 1,10 CUC, Shampoo 2,25 CUC) Sie seien die Besten im Finden von Einnahmequellen zur Aufbesserung des normalen Gehalts, meinen ein paar Bekannte. Und so muss es wohl auch sein, ist es doch einfach nicht vorstellbar, wie man hier mit so wenig Geld überleben kann. Wer natürliche keine „negocios“, illegale Nebengeschäfte, hat, lebt in völliger Armut. Vor allem alte Leute sind davon betroffen. Es scheint neben den offiziellen Strukturen inoffizielle Nebenstrukturen zu geben, von denen alle profitieren, deren Willkür gleichzeitig alle auch ausgesetzt sind. Wer schikaniert wird, kann sich nicht wehren, würden doch sonst auch seine Geschäfte auffliegen. Erstaunlich ist das Stillhalten des Staates, der sonst nicht sehr zimperlich ist mit nicht nachvollziehbar heftigem Auftreten.
Die Leute aus dem Oriente, dem armen Osten des Landes, die illegal nach Havanna kommen, weil es dort dann doch noch ein bisschen besser ist als in den Provinzen im Osten, leben größtenteils in diesem Stadtviertel und werden „Palestinos“ genannt! Wenn die Häuser zur Renovierung zeitweilig geräumt werden, ziehen die BewohnerInnen in außerhalb gelegene Stadtviertel. Die Legalen kehren nach der Restauration zurück, die Illegalen bleiben angeblich dort, lautet die offizielle Erklärung.

Was ist hier los seit Januar? Cambio? Die große Veränderung? Alle warten irgendwie darauf, keiner scheint richtig zu wissen, was man genau erwartet. Als vor ein paar Wochen ein Gesetz in Kraft trat, das den Kauf von Mobiltelefonen erlaubte, sahen manche schon die große Veränderung heraufziehen. Überhaupt scheint der größte Wunsch von vielen ein besserer Zugang zu Konsumgütern zu sein.
Während einer Veranstaltung vor der Wahl im Januar zum Thema „Voto Unido“ (Stimme, die man den von den Massenorganisationen und der Partei vorgeschlagenen KandidatInnen gibt/ geben soll) in der UCI (Hochschule für Informatik) mit dem Minister des Parlaments, Alarcón, wird plötzlich die Frage gestellt, weshalb CubanerInnen nicht reisen dürfen, weshalb es zwei verschiedene Währungen im Land gibt und warum der Zugang zum Internet nicht erleichtert wird. Die anwesenden Politiker werden überrumpelt von dieser und anderen, von ihnen nicht eingeplanten Fragen, so erzählt man sich später, und die Antworten fallen peinlich aus. Die vermutlich geplante Aktion wird heimlich gefilmt. In den folgenden Tagen sprechen alle darüber. Die Einschätzung des Vorfalls fällt bei manchen Studierenden wenig begeistert aus. Da der Student betont hatte, dass er selbst natürlich „revolutionär“ sei, ließe sich sein Statement am Ende doch irgendwie umbiegen und integrieren. Er würde dann mit einem gönnerhaften Schulterklopfen und einem Dank für die Kritik abgespeist. Solche kleinen, unbedeutenden „Aufmüpfigkeiten“ habe es immer gegeben, man könne darin nicht den Beginn eines großen Cambio sehen, man wolle endlich wirklichen Raum für Ideen, Diskussionen, Kritik.

Beim Mittagessen in der Mensa, in der es natürlich (fast) immer Reis und Bohnen in Tabletts mit eingelassenen Ess-„Mulden“ gibt, ergreifen die beiden Columbianer und die Peruanerin Partei für das cubanische System. Der cubanische Student nennt es eine Autokratie und vergleicht dann den Revolutionsheroen Camilo Cienfuegos mit einem der Schweine aus „Animal Farm“.

Alle wollen weg, wenigstens eine zeitlang, um Geld zu verdienen, für bessere Arbeitsplätze, um sich im Ausland weiter zu bilden, Forschungsstellen etc. zu bekommen. Nach seinem Kunststudium, erzählt mir ein Bekannter, ging er nach Madrid, wo seine Eltern schon leben, jobbte dort als Kellner, konnte von seinem Gehalt gerade mal die Miete für sein Zimmer bezahlen. In Havanna stand das Haus seiner Eltern leer. Also kehrte er zurück und versucht sich wieder hier durchzuschlagen.

Wenn man Cuba verlässt, hat man ein Jahr Zeit, zurückzukehren. Solange wird die Wohnung frei gehalten. Nach dieser Frist wird sie vom Staat weiter vergeben. Da es in Cuba kein Privateigentum gibt, sind die BewohnerInnen der Häuser nicht die EigentümerInnen sondern der Staat. Nach dem Triumph der Revolution wurde Wohnraum verteilt, für den keine Miete gezahlt werden muss. Heute sind aus Wohnungsmangel Generationen gezwungen zusammen zu wohnen, es gibt kaum Möglichkeiten für junge Leute, auszuziehen und alleine zu wohnen. Selbst für die wenigen Wohnungen, die an CubanerInnen vermietet werden, ist ein normales Gehalt zu wenig. Die für AusländerInnen angebotenen Zimmer und Wohnungen sind völlig unbezahlbar für CubanerInnen, da sie ca. das vierzigfache eines durchschnittlichen Monatsgehaltes kosten.

Uni wird von vielen als „Schule“ bezeichnet und das zurecht. Die meisten sind ca. 18 oder 19, wenn sie zu studieren anfangen. Das Verhältnis Lehrende-Studierende, als auch das Verhalten der Studierenden erinnert tatsächlich an Schulzeiten. Es kommt fast täglich vor, dass manche „Klassen“ aufgefordert werden müssen, bitte nicht so laut zu sein, da es den „Unterricht“ der anderen Klasse störe. Manche DozentInnen greifen zu fragwürdigen „Disziplinierungsmaßnahmen“ und lassen Studierende, die zu spät kommen, nicht mehr eintreten. Der Stoff der Veranstaltungen wird in sogenannten „Seminarios“ abgefragt. Die Studierenden müssen über das Semester verteilt Noten sammeln, die zusammen mit einer Abschlussklausur oder -arbeit die Endnote des „Faches“ bildet. So wird dann in Philosophie eben alles in gut auswendig lernbare Phrasen geschnitten und gelernt, von Platon über lateinamerikanische Denker bis hin zu Marx und natürlich Lenin.

Nach dem Studium werden den AbsolventInnen Arbeitsstellen „angeboten“, in denen dann zwei Jahre lang für einen geringeren Lohn gearbeitet wird. Die begehrten Arbeitsplätze bekommen diejenigen, die nicht nur gute Noten, sondern auch „politische Integrität“ vorweisen. Am Ende wird aufgelistet, wie oft man auf Aufmärschen, Paraden und anderen Veranstaltungen der UJC (Unión de los Jovenes Comunistas – Union der kommunistischen Jugendlichen, Jugendorganisation der Partei) war. Wer die ihr zugeteilte Arbeitsstelle nicht annimmt, bekommt seinen Abschluss aberkannt. Die meisten Studierenden sind „Militantes“, Mitglieder der UJC.

An der Cátedra Humboldt, einem Lehrstuhl der Uni, benannt nach Alexander von Humboldt, wird unter anderem für alle Interessierten kostenlos Deutschunterricht angeboten, der seit ein paar Jahren boomt. Auf die Frage, weshalb sie Deutsch lernen, antworten die SchülerInnen, das „sei gut für ihre Zukunft“. Es herrscht ein sehr positives Bild von Deutschland vor.

Das cubanische Fernsehen ist Bildungsfernsehen mit gelegentlichen Unterbrechungen für brasilianische Soaps, US-amerikanische Krankenhausserien oder Spielfilme aus den 90ern. Auf dem „Canal Educativo“ („wo man immer etwas lernt“) wird „Universidad para todos“ (Universität für alle) gesendet, mit Sprach-, Geschichts-, Philosophie-, Biologiekursen. Auf keinem Kanal gibt es Werbung, dafür aber Spots gegen Korruption, Aufklärungsfilme für Jugendliche, Reportagen über ÄrztInnen in Lateinamerika, die in Cuba studiert haben und jeden Tag einen historischen Rückblick, was am jeweiligen Datum in der Geschichte Cubas passiert ist.

In den Tagen vor dem ersten Mai wird im Fernsehen immer wieder aufgerufen, an der großen Parade über den Plaza de la Revolución teilzunehmen, um „Firmeza, Unidad und Victoria“ (Entschlossenheit, Einheit, Sieg) zu demonstrieren. Überhaupt ist Unidad natürlich sehr wichtig.
Am Tag selbst sind laut Zeitungsartikel vom Tag darauf „Millionen Cubaner“ auf der Straße.
Aufgeteilt wird der Aufzug in Betriebe und Stadtviertel, die SchülerInnen und StudentInnen gehen jeweils als Block am Ende. Morgens zwischen sieben und acht Uhr beginnt die Parade. Wer im Studierendenwohnheim wohnt, wird geweckt, wenn man Pech hat und weit draußen wohnt, fährt der Bus schon mal um fünf Uhr morgens ab. Natürlich „völlig feiwillig“ und aus „eigener Entscheidung“ sei er da, sagt ein Bekannter übermüdet und grinst. Meint aber dann doch, dass er glaubt, dass ca. die Hälfte der Leute wirklich freiwillig teilnähmen. Überall werden Plakate getragen, die meisten von der UJC. Darunter der Spruch: „Die Jugendlichen – wir werden nicht nachgeben“, mit einem Heer von Fidel Gesichtern. Der Bekannte und seine Freunde haben auch ein großes Stück Pappe dabei, auf dem allerdings nichts steht, und schwenken es durch die Luft mit dem Kommentar, ihr Plakat würde genauso viel aussagen, wie diese anderen. Ich mache ein Foto und er meint, ich solle mit dem Foto vorsichtig sein, das sei konterrevolutionär. Wieder einmal ist die Situation nicht einzuschätzen und unklar, wie ernst gemeint seine Aussage ist. Später schreiben sie „Ich liebe Raúl“ auf das Plakat.
Immer wieder die bekannten Sprechchöre: Viva Fidel – viva, viva Raúl – viva, venceremos.
Den Abschluss der Parade machen die nicht cubanischen MedizinstudentInnen, die meisten sind aus Lateinamerika. Dort findet man die meisten Plakate: „Fidel – wir sind Teil deines Werkes“ „Comandante en Jefe – befiehl“ und sehr oft taucht das Konterfei Ernesto Guevaras auf. Das seien noch die motiviertesten bei dem ganzen Spektakel, wird mir erzählt. „Die wissen, wie es draußen aussieht“ meint einer. Studierende der „Dritten Welt“ können umsonst in Cuba studieren, wenn sie sich verpflichten, nach Beendigung ihres Studiums, wie alle cubanischen Studierenden auch, zwei Jahre für einen geringeren Lohn in einer ihnen zugeteilten Arbeitsstelle zu arbeiten. Eine Philosophiestudentin aus Ecuador und eine Medizinstudentin aus Columbien sind sich einig, dass das natürlich eine unglaubliche Möglichkeit ist, immerhin hätten sie auf Grund ihrer ökonomischen Lage nicht studieren können, hätten sie das cubanische Stipendium nicht bekommen.

In der Tageszeitung Juventud Rebelde (Rebellische Jugend) vom 02. Mai kann man dann lesen, wie „in der ganzen Welt“ der erste Mai zelebriert wird. Unter anderem findet man eine Notiz über Neonaziaufmärsche und Gegendemonstrationen in Hamburg und Nürnberg.

Aber die Juventud liest „ihre“ Zeitung nicht. „Lies die von gestern, steht das selbe drin wie heute“.

Bis dreißig kann man Mitglied in der UJC sein. Ab dreißig kann man in die Partei eintreten. „Von innen kann man besser kritisieren“ sagt ein Bekannter und stellt den Mitgliedsantrag für die Partei.

Theater-, Philharmonie- , Kinoeintritte sind so billig, dass ihn sich jedeR leisten kann.
Während des Festivál de Nuevos Realizadores, bei welchem junge cubanische FilmemacherInnen in einem Wettbewerb ihre Filme präsentieren, wird in der Doku „Patria“ das triste Leben eines Jugendlichen auf dem cubanischen Land gezeigt, der seit fünf Jahren an einer Straße baut. Die einzige Abwechslung in der schweren körperlichen Arbeit scheinen die gelegentlichen Salsafeste im nächsten Dorf zu sein.

Patria ist unglaublich wichtig, für alle und immer. Auch wenn das Regime kritisiert wird, ein positiver Bezug auf Cuba und die cubanische Nation fehlt nie.

Salsa ist wohl eines der größten Klischees die man mit Cuba verbindet. Es wird tatsächlich dauernd Salsa getanzt. Konkurrenz macht nur Reggaetón. Interessant daran ist, dass Salsa von wirklichen allen gehört wird. Sowohl von den Leuten, die auf ihrem MP3-Player (die mit Verwandtschaft in Miami) sonst auch Drum`n`Bass hören, als auch von der Oma, die schon beim Triumph der Revolution dabei war, als auch von den Kids auf der Straße und deren Eltern. Auffallend ist, dass es auch für jede andere Musikart vorgegebene Tanzschritte zu geben scheint. Selbst zu Techno formieren sich Grüppchen, die alle die gleichen Schritte tanzen.

Zur „Frau“ wird man mit fünfzehn. Ab dann fängt man an sich zu schminken, sich die Nägel zu lackieren etc. erklärt mir eine Bekannte. Nägel lackieren und „Frau-sein“. Aha. Die Quinceañeras (Fünfzehnjährige) bekommen hübsche Kleider und ein Fotoshooting, das gerne im idyllischen Park Almendares durchgeführt wird. Mit fünfzehn wird man auch zum Mann. Als solcher entscheidet man sich aber in der Regel für Geld und verzichtet auf Fotoshooting und Prinzessinnen-, bzw. Prinzenoutfit. Man ist dann also Frau, bzw. Mann. Damit kommen wichtige Aufgaben im Bezug auf die Geschlechterfestlegung auf eineN zu. So müssen die Männer den Frauen pausenlos „piropos“ hinterher rufen. Diese „Komplimente“ reichen von der Feststellung, dass die vorbeigehende Frau schön sei, über die Frage, ob sie nicht einen Freund brauche, bis hin zu Bekundungen, dass der eigene Schwanz immer bereit sei. Die Frau hat dann je nach Grad der Heftigkeit dieser „Komplimente“ nett zu lächeln, etwas zu erwidern oder zu ignorieren. Das alles wird dann in der Regel von Po- und Brüstewackeln begleitet. Keine wird wohl auf die Erniedrigungen krassester Art positiv reagieren. Auf diese „nettgemeinten Komplimente“, wie man immer wieder versichert bekommt, wird schon auch mal positiv reagiert. Das sei eben „Tradition und Kultur“. Sehr einleuchtend, gegen die vom Himmel gefallene Kultur kann und will man nichts machen. Besser gesagt: es wird überhaupt nicht als Sexismus und Frauenfeindlichkeit wahrgenommen. Als Beweis eines emanzipierten, Sexismus kritischen Bewusstseins wird versichert, dass der Mann der Frau selbstverständlich und zweifellos im Haushalt helfen solle. Gegenüber „nicht-Cubanerinnen“ sind die sexistischen Ausfälligkeiten noch respektloser.

Geköpfte Hühner an der Straßenecke, von denen ein süßlicher Geruch von Verwesung ausströmt, weisen auf die Praktiken der Santaría Gläubigen hin. Fragt man die Leute ob sie gläubig sind, wird das meistens verneint. Fragt man weiter, kommt man darauf, dass natürlich niemand gläubig ist, aber alle irgendeinen Freund eines Onkels der Großmutter kennen, der Santero (Anhänger der Santaría ist) und zu dem man gelegentlich geht, nur um sich ein bisschen „über das Leben zu unterhalten“. Gerne lässt man sich auch mal die Karten legen. Wird man nach seinem Geburtstag gefragt, weiß das Gegenüber besser als man selbst, welches Sternzeichen man ist und was das zu bedeuten hat. In Santiago de Cuba, neben Havanna eine weitere Hochburg der Santaría, gebe es eine Casa de las Religiones verspricht der Lonely Planet. Natürlich befindet es sich gerade in Restauration, dennoch lässt uns die (staatliche!) Angestellt eintreten. In einem Raum der mit kleinen Schreinen, Heiligenbildchen, -statuen und farbige Flüssigkeiten enthaltenden Fläschchen vollgestellt ist, treffen wir auf eine ca. 50jährige Frau, die geschäftig herumläuft. Auf unsere Fragen, wie viele Santaría- AnhängerInnen es denn gäbe, welche anderen Religionen auf Cuba vertreten seien und wie das Verhältnis von Staat und Religion heute ist im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten, bekommen wir keine Antwort sondern nur die Aufforderung uns zu setzen und zu warten. Irgendwann legt sie dann los und fängt an davon zu erzählen, dass mit der Verschleppung der afrikanischen Bevölkerung vor allem zwei derer Religionen nach Cuba gebracht wurden und sich über die Jahre mit dem Katholizismus vermischt habe. Sehr schnell verlässt die Dame dann jedoch die objektive Ebene und beginnt davon zu erzählen, dass die „Schwarzen“ diese Religionen und Bräuche „im Blut hätten“ und untermalt ihren Rassismus noch mit Anekdoten. Zum Schluss will sie dann noch unsere Geburtsdaten wissen und rechnet eifrig herum um dann irgendetwas über unsere vermeintlichen Charaktereigenschaften zu plappern.
Seit den 90ern ist es möglich sowohl Mitglied der PCC zu sein(Partido Comunista de Cuba – Kommunistische Partei Cubas) als auch einer Religionsgemeinschaft anzugehören.

Frittiertes Hühnchen gibt es bei „El Rápido“, dem cubanischen McDonalds-Verschnitt. Schnell geht hier aber, wie fast überall, gar nichts. Für Convertible kann man die Snacks kaufen, die man für Moneda Nacional auf der Straße bekommt, außerdem gibt es Bier, dass verhältnismäßig teuer ist, Pizza, Pommes, Süßigkeiten.

Die Grundversorgung mit Lebensmittel wird durch Lebensmittelkarten gewährleistet. Für einen symbolischen Preis bekommt jeder Haushalt abhängig von der Anzahl der Mitglieder Reis, Bohnen, Zucker, Salz, Kaffee, Seife...

In jedem Geschäft unzählige Angestellte, die oft nichts bis wenig tun, vor allem was den Service angeht. Man bekommt den Eindruck, es wird nach dem Motto „lieber alle mal warten lassen“ gearbeitet. Fragt man in einem Geschäft nach einem Artikel, kommt es oft vor, dass man sofort zur Antwort bekommt, diesen Artikel gäbe es gerade nicht, ohne dass sich die Angestellten darum bemüht hätten, nachzuschauen. Es lässt sich schwer entscheiden, ob es einfach nur Willkür ist, oder ob es den gewünschten Artikel gerade wirklich nicht gibt. An das perfekt organisierte Warten wird man tatsächlich gewöhnt. (mindestens eine viertel Stunde vor der Eisdiele, einem Restaurant etc., bis zu sieben Stunden, um ein Busticket in eine andere Provinz zu ergattern).

Seit ein paar Monaten werden die alten, aus LKWs zusammengebauten „Busse“ durch neue, aus China importierte Gelenkbusse ersetzt. Es gibt neue Buslinien und man muss tatsächlich fast nicht mehr länger als eine viertel Stunde auf einen Bus warten.

Die Bevölkerung wird mobilisiert. Niemand kann erklären weshalb. Männer, die ihren Militärdienst schon abgeleistet haben müssen nochmals für 15 Tage zum Militär. Vielleicht damit man nicht vergisst, wie man ein Maschinengewehr bedient, für den Fall, dass „das Imperium“, der für die cubanische Identität so wichtige Feind, die USA, doch zuschlägt.
Auch die Studierenden müssen zum Schutz des Vaterlandes beitragen. In einer Veranstaltung in der Fakultät für Geschichte und Philosophie erklären Militärfunktionäre, was die Studierenden im September für zwei Wochen erwarten wird: die Studenten müssen auf das Land, die Studentinnen dürfen in der Stadt bleiben und dort Ausbesserungsarbeiten leisten.
Der Hörsaal ist nur halb gefüllt. „Erstsemester“ meint eine Bekannte. Wütend verlässt sie den Raum, schimpfend über den „freiwilligen“ Charakter der Mobilisierung für die Studentinnen, der von den Militärs betont wurde. Dann kommt eine Art Propaganda Show. Ein weiterer Militärfunktionär will den Studierenden erklären, weshalb die Verteidigung des Landes so wichtig sei. Er beginnt mit Fragen an das Publikum: „Wer ist unser größter Feind?!? Und waruuum?!“ Niemand in dem sich stetig leerenden Raum antwortet, auch nicht die Bedauernswerten, die noch in der ersten Reihe sitzen und direkt angesprochen werden. Ein bisschen beleidigt, aber unbeirrt fährt der Showmaster fort und beantwortet seine Fragen eben selbst. Die USA natürlich!! Weil sie schon VOR ihrer Staatsgründung Cuba annektieren wollten! Das ziehe sich durch die ganze Geschichte.
Wir gehen.
Das einzig aufmunternde ist, dass es die Studierenden nicht interessiert.

Vernissage in einer Privatwohnung in Vedado, dem „in“-Stadtviertel. „We are Prono, Sí“ – die erste „PornArt“-Ausstellung in Cuba. Was ausgestellt wird, ist weniger Porno als vielmehr eine Mischung aus Darstellung männlicher Genitalien und nackter Menschen. Eine Videoinstallation erinnert an die 70er: nackte junge Menschen filmen und fotografieren sich und haben sichtlich einen Riesenspaß dabei. Auf ihren Bäuchen stehen Sprüche wie: „Socialismo ó muerte al socialismo“ (Sozialismus oder Tod dem Sozialismus), im Hintergrund läuft „Porno para Ricardo“, eine legendäre Rockband, die nicht auftreten darf – die feine Methode, Bands mundtot zu machen. Wie so oft fragt man sich, was denn nun möglich ist in diesem Land, nach welchen Kriterien verboten wird. Die Ausstellung scheint durchaus geduldet zu werden, stellt sich doch heraus, dass auch DozentInnen des ISA (Instituto Superior de Arte – Kunsthochschule) anwesend sind, einige der Ausstellenden sogar kennen. Die Kunst genießt ganz offensichtlich die meisten Spielräume in dieser Gesellschaft. Die Grenzen sind weiter als in anderen Bereichen, zu weit geht, wer in einer Performance auf ein in der Granma (eine der großen, so erstaunlich inhaltsleeren Tageszeitungen) abgebildetes Bild der Revolutionshelden Camilo Cienfuegos und Ernesto Guevara sein Geschäft verrichtet. „Wie ein Künstler ins Gefängnis kommt“, nennt der Künstler seine Performance und wandert nach der Haftstrafe nach Miami aus.
Ein Gang ins Museum der Schönen Künste lässt erahnen, dass es um die (Bildende) Kunst in Cuba im Vergleich zu anderen sozialistischen Staaten immer schon ein bisschen besser stand. Natürlich sind die ausgestellten Werke der 60er und 70er durchweg der Propagandakunst zuzurechnen, die Formsprache allerdings bleibt nicht auf sozialistischen Realismus beschränkt. Seit den 90ern wird vermehrt die Auswanderung generell und speziell nach den USA thematisiert.

E. Thid


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last modified: 24.8.2008