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LeserInnen-Brief, 3.9k

  Deutschland und die Antifa:

eine unheimliche Liaison auf der Höhe der Zeit. Eine Parteinahme für Andreas Reschke („Das Problem heißt Deutschland“, CEE IEH #147).

Im CEE IEH #148 sieht sich Roman genötigt, seiner Interpretation dessen, was Reschke in seinem Text völlig zu Recht jener Vorfeldorganisation für das bessere Deutschland – der Bewegungsantifa – in kritischer Absicht attestiert, eine Replik folgen zu lassen. Eine Replik, die es einerseits in sich hat und andererseits völlig am Text „Das Problem heißt Deutschland“ vorbeigeht.
Reschke geht es darum, einen Bewegungsmumpitz kritisch auf den Punkt zu bringen, der in Leipzig offenbar wieder an Konjunktur gewinnt. Befeuert durch ehemalige differenzierungswütige Antideutsche, die zu höheren Weihen des „Erkenntnisgewinns“ gelangt sind und dabei doch nur dem Wunsch nach Eindeutigkeit nachgeben. Die Reorganisierung einer linken Bewegung scheint in diesem Zusammenhang der Subtext von Leuten, die weder versacken, noch verdummen wollen, wobei die Realisierung dieses Anspruchs stark zu bezweifeln ist, wenn tatsächlich beklagt wird, durch zu rigides Postulieren antideutscher Positionen sei die linke Jugendbewegung durcheinander gebracht worden.(1)
Mit Reschke im Gepäck wäre das Postulat, dass Deutschland das Problem sei, sogar noch zu erweitern: Der Antifa selbst gehört solange auf den Nerven herumgetrampelt, bis diese endgültig als „politisches Konzept“ (Roman bzw. AAB) von der Bildfläche verschwindet! Dies hätte aus Gründen zu geschehen, die vor Jahren im CEE IEH im Zuge der Kritik der Antifa („Der große Radikalinski-Schwindel“, Ausgaben 74-76) zur Genüge expliziert wurden. Bereits damals wurde ausgiebig die Funktion des bewegungslinken Antifaschismus für die Berliner Republik (oder überhaupt der Linken für den Staat) kritisch dargestellt: nämlich Modernisierungsfaktor zu sein und Abbild dessen, was in kürzester Zeit gesellschaftlicher Mainstream wurde. Genau jene antideutsche (!) Erkenntnis des Antifasommers 2000, dass die Antifa nichts weiter als eine militante Lichterkette jenes Staatsantifaschismus ist, der, soviel sei vorweggenommen, Ausdruck der Etablierung der deutschen Volksgemeinschaft auf der Höhe der Zeit ist, wird von Roman dergestalt konterkariert, wonach man es mit dieser Binsenweißheit der Kritiker des Bewegungsspektakels nicht so genau nehmen sollte. „So sollte sich die Antifa … nicht einfach zum sogenannten (!) ‚Staatsantifaschismus’ in Gegnerschaft setzen“.
Mit diesem Vorschlag hinkt er jedoch der Realität nicht nur in Mügeln hinterher. Dass die Antifa gar nicht daran denkt, sich in Gegnerschaft zur Staatsantifa bzw. „Zivilgesellschaft“ zu setzen, sondern keine Gelegenheit auslässt, sich als authentischer Experte in Sachen Nazis anzudienen und an eben jenes konstitutive Element eines Staatsantifaschismus im Osten appelliert, der einerseits gegen Stiefelnazis zu Felde zieht, weil sie dem Standort und der Dorfgemeinschaft schaden, und der andererseits durch seinen militanten Ostpatriotismus zur „Nationalsozialisierung der Zonis“ (Sören Pünjer) eben erst den passenden Soundtrack liefert, ist mehr als bloßer Zufall.
Sich als Avantgarde der Staatsantifa in Szene zu setzen, ist Produkt des Bewegungsfetischismus und der ungebrochenen Volksfrontideologie, die Reschke bereits wunderbar darstellte. Den Wahn, unbedingt die besseren Deutschen entdecken zu wollen, gar noch als revolutionäres Subjekt, gilt es der Antifa immer wieder um die Ohren zu hauen. Wenn Roman dies als Versuch deutet, eine von innen heraus kommende Autonomisierung der Antifa anzustreben und eine gesonderte Stellung eben dieser in der Gesellschaft zu beanspruchen, so darf bezweifelt werden, ob der Inhalt von Reschkes Kritik bei ihm angekommen ist. Es geht vielmehr um die schonungslose Kritik dessen, was Antifa-Praxis ist und zwar solange, bis dieser Humbug, der mit dem Antifa-Sommer 2000 seinen konsequenten Höhepunkt erreichte, ein Ende hat!

Deutschland einig Antifa

Seit dem Sommer 2000 hat sich allerorten ein Harmoniebedürfnis von linken Antifas bis zu gemeinwohlorientierten Standortschützern etabliert, welches sich ausschließlich am Ziel orientiert, die jetzt angeblich besonders gefährlichen Nazis aus der jeweiligen Stadt zu befördern(2). Dieser Stimmungswandel zugunsten einer allgemeinen Anti-Rechts-Euphorie kam unter Rot-Grün nicht von ungefähr, wurde doch von diesem linken Staatspersonal die deutsche Vergangenheit thematisiert, um gerade wegen dieser in die Offensive gehen zu können. Die seitdem anhaltende allgemeine Mobilmachung gegen Rechts ist zugleich Teil eines neuen Staats- und Vergemeinschaftungsverständnisses. Vollzogen wird der Wandel vom klassischen deutschen Nachkriegsstaat, der noch unmittelbar auf dem NS basierte, hin zu einer Verfasstheit der Gesellschaft, die zunehmend auf Eigenverantwortung setzt, um das Gemeinwohl zu stärken.
Die Anti-Rechts-Kampagnen basieren auf einem Verfolgungs- und Strafbedürfnis, welches zur Erbmasse des Nationalsozialismus gehört und in quasi entnazifizierter Form in die Nachkriegsordnung transformiert wurde. Daher ist der Aufstand der Anständigen und jede ähnlich gelagerte Massenkampagne gegen Rechts nichts anderes, als eine volksfrontartige Erbauungs- und Modernisierungsbewegung für Deutschland.
Es würde den Rahmen dieses Textes sprengen, hier nochmals die Konstitutionsbedingungen des NS nachzuzeichnen. Einigt man sich darauf, den NS als negative Aufhebung des Kapitals auf dessen eigener Grundlage zu identifizieren, so kann man den Bogen dazu schlagen, was das post-nazistische Arrangement besonders im Westen Deutschlands auszeichnete.

Negative Aufhebung des Kapitals im NS

Die Zusammenbruchskrise der 20er Jahre war der Anlass, die negative Aufhebung des Kapitals in Bewegung zu setzen: die Liquidierung des Kapitals als Verhältnis widerstreitender Interessen und Klassen und der restlose Untergang des Bürgertums. Der Zerschlagung der bürgerlichen Öffentlichkeit und des Parlaments folgten die Zerschlagung der Organisationen der Arbeiterbewegung und die Etablierung von Massenorganisationen, die auf Volk und Staat geeicht waren. Jedoch bedeutet dies keineswegs die Schaffung einer homogenen und befriedeten Masse, sondern die Gesellschaft wird zur Selbstmordsekte; als Gesellschaft von Opfern, die, den eigenen Untergang antizipierend, nur noch ein Ziel kennt: die Vernichtung der als Schuldige an der eigenen Misere ausgemachten „Anti-Subjekte“.
Es ist der Wille zum Untergang, der die Volksgemeinschaft immer wieder neu belebt. Es ist eine Frühform direkter Demokratie, wenn das Opferkollektiv über das Recht zu leben entscheidet und selbst Hand anlegt. Der Vernichtungseifer wird durch archaisch anmutende Strukturen inmitten der technisch modernen Gesellschaft angestachelt. Die Abstraktionen bürgerlicher Herrschaft sind beseitigt, abstrakte Vermittlungen gehören der Vergangenheit an. Max Horkheimer hat für eine solche Konstellation den Begriff des Rackets eingeführt, der bandenförmige Strukturen kennzeichnet, die auf unmittelbarer Herrschaft basieren. Persönliche Abhängigkeiten werden ausgebaut und ausgespielt, jeder kann in Verdacht geraten, den Bandenkodex zu verletzen und das vorgegebene Ziel nicht effektiv genug zu verfolgen. Abtrünnigen und solchen, die dafür gehalten werden, gilt der Hass Aller.
Jeder Einzelne muss seine Unabkömmlichkeit für die Gemeinschaft unter Beweis stellen, denn es gilt, Verschwörungen aufzudecken und Drahtzieher zu entlarven. Die permanente Mobilmachung dient der Selbstvergewisserung als Gemeinschaft, die sich dadurch auszeichnet, dass in allen Lebensbereichen das Prinzip der ständigen Wachsamkeit und Wehrhaftigkeit gilt. Jeder steht unter Generalverdacht, es an Opferbereitschaft und Loyalität fehlen zu lassen. Dieser permanente Kampf aller gegen alle ist Kennzeichen einer Volksgemeinschaftsbande, bei der jeder an erster Stelle stehen will. Dabei kann es in der ersten zum Staat gewordenen Bürgerbewegung jeder zu etwas bringen, der sich andient und die künftigen Erfordernisse der Raserei antizipiert.
Genau jener Bandenkodex, der im Nachkriegsdeutschland natürlich anders funktioniert als im NS, das Aufdecken von Verschwörungen und die Brandmarkung von Volksfeinden sind Eckpfeiler dessen, was von Bewegungslinken ernsthaft als andockfähige Manövriermasse an eine „Zivilgesellschaft“ gedeutet wurde und wird, die nichts anderes ist, als die zeitgemäße Variante deutscher Befindlichkeiten unter post-nazistischen Vorzeichen.

Das post-nazistische Deutschland

Die Nachkriegsordnung der Bundesrepublik bewegt sich trotz Rückkehr zu einer reproduktiven Ökonomie, Verfassungsstaat und Mehrparteiensystem auf den Resultaten des Nationalsozialismus.
Zunächst psychologisch: Da jene Massenpanik nach dem Sieg der Alliierten ausblieb, wie sie Freud für das Zerbrechen kollektiver Identitäten diagnostizierte, lässt „nur eine Folgerung offen: dass insgeheim, unbewußt schwelend und darum besonders mächtig, jene Identifikationen und der kollektive Narzißmus gar nicht zerstört wurden, sondern fortbestehen“ (Adorno, Was heißt Aufarbeitung der Vergangenheit).
Ökonomisch: Das Wirtschaftswunder war Folge einer von den Westalliierten finanzierten und schier nie enden wollenden Wachstumsökonomie, die Vollbeschäftigung und Massenkonsum hervorbrachte. Mit Verwunderung, ja Erstaunen nahmen die Volksgenossen zur Kenntnis, dass dem Massenmord nicht etwas Strafe, sondern Wohlstand folgte. Das Bewusstsein begreift so den Massenwohlstand als logische Folge der Vernichtung. Die Wachstumsökonomie erscheint dann als die Verkörperung des alten deutschen und vom Nationalsozialismus zum Programm erhobenen Wunschtraumes eines krisenfreien Kapitalismus, der darüber hinaus produktiv und gemeinnützig ist.(3)
Jedoch ist die Nachkriegsordnung nicht einfach eine Kopie des Nazifaschismus. Die Nazis mobilisierten die Massen noch unmittelbar und getrennt vom Alltagsleben. Jetzt scheint die Gemeinschaft in die Totalität von Waren und Dienstleistungen gebannt. Der Genuss des Gemeinschaftsgefühls findet faktisch im Privaten statt und ist über die Zirkulation vermittelt. Jedoch haben sich der Konsument und sein Bedürfnis entprivatisiert. Der vergemeinschaftende Effekt bestimmt das Bedürfnis der Konsumenten und wird zum entscheidenden Merkmal des Produktes, das als Resultat des volksstaatlich gezähmten Kapitals angesehen wird. Die logische Beziehung, die das Bewusstsein zwischen Wohlstand und Massenvernichtung herstellt, erfährt seinen durchaus realen Grund darin, dass der NS tatsächlich durch Vernichtung von Sach- wie Humankapital die Krise zu bannen scheint und somit ist im Nachhinein betrachtet der Erlösungswahn der Nazis Grundlage des Wirtschaftswunders. Nicht zuletzt wird die Basis dieses Bewusstseins durch jene Art und Weise gelegt, wie die Bundesrepublik den kollektivistischen Etatismus, den der NS begründet, unter demokratischen Vorzeichen in die neue Ordnung einbaut.
Der post-nazistische Staat interveniert anders als sein Vorgänger nicht direkt in die Regulierung des Arbeitsmarktes und in die Ausgestaltung der Ökonomie (massive Staatsintervention, Auftreten des Staates als Hauptauftraggeber), sondern installiert zur Verhinderung der scheinbar gebannten Krise ein System aktiver Krisenprävention, welches als System der „sozialen Marktwirtschaft“ bekannt wurde. Die Festschreibung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes in die Verfassung, das Bundesverfassungsgericht als oberster Wächter des Gemeinwohls, die korporatistische Ordnung der Arbeitswelt, die Sozialpartnerschaft und der formierte Pluralismus des Parteiensystems sind hierfür die wichtigsten Stichpunkte. Das Prinzip Volksstaat wird auf Sparflamme und als Notstandsreserve weitergeführt. Der kleine Mann wird hofiert, indem Gemeinwohlorientierung und Interessenausgleich propagiert werden und sich das politische Personal als ehrlicher Makler präsentiert.
Der bundesdeutsche Staat beendet die nationalsozialistische Mobilmachung nicht, sondern konserviert diese für den Fall des Notstandes. Was in konsumgesättigter Apathie still gestellt scheint, ist jederzeit auf dem Sprung in panische Raserei umzuschlagen. Ein autoritärer Verordnungsstaat ist dazu nicht mehr erforderlich. Allgemeine Mobilmachung gründet sich nunmehr auf direkter Demokratie und dem Kurzschluss von Staat und Staatsvolk als Konsensdemokratie. Stichworte der Linken wie etwa „Eigenverantwortung“, „Selbstverwaltung“ oder „mehr Demokratie“, die zunächst gegen die Mehrheitsmeinung gewendet schienen, haben letztlich zu einer Modernisierung des deutschen Nachkriegsmodells beigetragen. In der Beschwörung der eigenen Opferrolle hat die Linke in der für sie spezifischen Art der Gemeinschaft der ewigen Opfer – also der Deutschen – mit jeder neuen Kampagne die Hemmung genommen und dem deutschen Massenbewusstsein neue Ausdrucksformen verliehen. Die Forderung nach mehr direkter Demokratie kann in Deutschland nur als Aufforderung zum Amoklauf und als Ermutigung zur Selbstjustiz verstanden werden. Denn das vormals bürgerliche Eigeninteresse ist beim nachbürgerlichen Subjekt, dem vom NS geprägten Sozialcharakter im Speziellen, der beispielhaften Auslöschung des Individuums und dessen freiwilliger Unterordnung für staatspolitische Notwendigkeiten gewichen.
Die Krise des demokratisierten Volksstaates zerstört die Annahme krisenfreier Akkumulation und der etatistischen Zähmung des Kapitals. Und gerade das führt dazu, dass im allgemeinen Bewusstsein die Krise nach altbewährtem Muster wahrgenommen wird. Da fast alle empirischen Juden in Auschwitz vernichtet wurden, kommt es zu einer Verschiebung des Antisemitismus auf Ersatzobjekte. „Die da oben“ werden als egoistische Eliten wahrgenommen, die sich an den ehrlichen Leuten nur bereichern. Der empirische Staat erscheint in Zeiten des Abbaus sozialstaatlicher Garantien als Verrat am „wahren Staat“, der sich wie im NS um die Sorgen der Volksgenossen kümmert. Vermeintlicher Egoismus, Unproduktivität und korrupte Politiker lassen den Ruf nach dem „starken Mann“, der mal so richtig aufräumt, immer lauter werden. Nicht zu vergessen, für diese Argumentation jedoch weniger evident, ist die Verschiebung des Antisemitismus hin zu einer so genannten „berechtigten Kritik“ am Staat Israel, zu einem besonders in der Linken als ehrbar geltenden Antizionismus.
Die unentwegte Suche nach Objekten für Feindprojektionen hat längst die Form einer Dauermobilisierung angenommen. Wer dem Gemeinwohl als nicht dienlich angesehen wird, gerät ins Visier des Volkszorns. Es kann jeden treffen und prinzipiell ist jeder verdächtig, seien es Kinderschänder, Kampfhunde, Sozialschmarotzer, Heuschrecken, sich über die Maßen bereichernde Manager oder eben die Nazis. Parlament, Verbände, Parteien und Gewerkschaften sind als vermittelnde Instanzen, die Konflikte institutionalisieren und damit den Volkswillen zügeln, in besonderem Maße verdächtig. Die Medien, die längst als Mobilisierungsagenturen fungieren, heizen den Volkszorn und die Lust am Jagen entsprechend an – wer erinnert sich nicht an die ständig aufgedeckten Skandale und an das Aufdecken von Machenschaften von Kriminellen oder sonstigen des abweichenden Verhaltens Verdächtiger. Das führt Gesellschaft und Staat wieder zusammen.
Die Rolle des Staates wandelt sich vom kollektiven Wohlfahrtsausschuss zum schlanken Staat, der scheinbar staatsferne zivilgesellschaftliche Instanzen, wie eben auch die Antifa, als Vorfeldorganisation zu rekrutieren bestrebt ist und selbst als mobilisierende Instanz wie etwa beim Aufstand der Anständigen auftritt. Die scheinbare Selbstzurücknahme des Staates ist dabei seine Erweiterung: Das staatliche Gewaltmonopol erscheint als allgemeine Mobilmachung in jedem Einzelnen zur Sicherung des Gemeinwohls. Dies beinhaltet eine vorläufige Privatisierung des Ressentiments. Das Ressentiment bleibt auf Sparflamme und entwickelt eine Art Eigendynamik, die es erlaubt, jederzeit wieder in den Bewegungszustand überzugehen und als temporäre Zusammenrottung aufzutreten. Nämlich dann, wenn sich die Rhetorik des latenten Notstandes radikalisiert und das Kollektiv sich gegen Störer der Ordnung in Stellung bringt.

Der Aufstand der Anständigen

Seit dem Sommer 2000 sind die Nazis, wahlweise Rechtsextremisten oder Rechtsradikale genannt, die Störer des deutschen Selbstfindungsprozesses. Voraussetzung war und ist, dass sie nichts zeitgemäß Deutsches mehr verkörpern und ihr Modell des ursprünglichen Volksstaates, der lückenlos in die Nachkriegsordnung transformiert werden sollte, in die Krise geraten ist.
Das System von Vollbeschäftigung, Massenkonsum und krisenfreiem Kapital entpuppt sich als Lebenslüge. Diese Situation verlangt nach einer Systemmodernisierung, die verstärkt auf die Individualisierung des Lebens setzt. Der alten Ordnung wird zwar von den Anständigen nachgetrauert, dennoch erkennen sie deren fehlende Modernität an. Die Nazis als unzeitgemäßer Verfechter des traditionellen Prinzips Volksstaat geraten in das Visier des Volkszorns, da sie ganz entscheidende Eigenschaften für die neue deutsche Staatsräson nicht mitbringen: ein Maß an Zivilisiertheit und Modernität.
Stattdessen stehen sie für ein unmodern gewordenes Modell, das durch die Aufkündigung der wohl situierten Welt regulierter Arbeits- und Sozialbeziehungen zum Anachronismus wird. Es gibt keine lebenslange Zusage mehr, aufgrund der autoritären Unterwerfung unter den Sachzwang anerkannter Part der Gemeinschaft zu sein. Gelinde gesagt, handelt es sich um einen Verteilungskonflikt: Während die Jung-Nazis genau das einfordern, was die „Alten“ nur noch mit Mühe für sich beanspruchen können, gehen die „Alten“ und „Anständigen“ gegen jene Verfechter des alten Modells vor. „Gegen die eigene Brut und ihre nationalrevolutionären Zumutungen verteidigen die Noch-Nutznießer der letzten nationalen Revolution zäh deren Errungenschaften: Pension, Rente und kündigungsgeschützter Arbeitsplatz. Sie werden verteidigt gegen die, die ebenfalls in den Genuß dieser Errungenschaften kommen wollen und mit ihrem Haß gegen ‚das Undeutsche’ überdeutlich enthüllen, worauf sich auch der Anspruch der Alten allein gründet: Aufs Deutschsein.“ (Uli Krug, Krieg der Generationen, in: Bahamas Nr. 33).
Die Systemfeindschaft zu den asozial und gewalttätig über- und damit nicht angepassten Nazis ergibt sich weiterhin, da das moderne Deutschland die Blutsbande von totalem Staat und nationaler Arbeit lockert. Das ökonomische Fortkommen oder eben Scheitern wird individualisiert. Was man im Grunde als Fortschritt begrüßen müsste, erweist sich aber im post-nazistischen Deutschland als ein Kesseltreiben, da der so genannte schlanke Staat die Systemfeindschaft der Nazis provoziert. Dieser Systemfeindschaft muss der Staat repressiv begegnen. Es wird paradoxerweise jene Gruppe zum Staatsfeind, die den totalen Staat einfordert. Repression gegen das Unzeitgemäße ist die Essenz des Staatsantifaschismus, der auf dem Verfolgungs- und Strafbedürfnis derer beruht, die das moderne Deutschland verkörpern. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um eine innerfaschistische Konkurrenz, wer das tauglichere deutsche Kollektivmodell vertritt.
In dieser Konstellation ist jedoch eines zu beachten: Die Nazis gelten dabei nicht etwa als die neuen Juden, die es zu vernichten gälte. Mir geht es lediglich darum, den Modus der Feindbestimmung anschaulich zu machen, der auf der Persistenz eines Sozialcharakters beruht, der trotz aller Modifikationen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem im NS erprobten steht. Der Unterschied zur Vernichtung der Juden besteht ganz klar darin, dass die Juden mit dem Kapitalismus an sich identifiziert wurden und als Gegenprinzip galten. Dies war völlig unabhängig davon, wie angepasst oder unangepasst sich die empirischen Juden verhielten. Das „Problem“ war nur über die Vernichtung zu lösen. Bei den Nazis verhält es sich anders. Sie gelten zwar als Volksfeind, ihnen steht jedoch jederzeit die Tür zur Rückkehr ins Kollektiv offen. Das beweisen nicht nur die Bestsellererfolge von Naziaussteigern, die reuig auf den zeitgemäßen Weg der Deutschen zurückkehren.
Was von der linken Antifa durchweg als Chance zum Mitmachen, als Möglichkeit, Stimmungen zu radikalisieren und gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen, angesehen wurde, hat damit aber rein gar nichts mit Antifaschismus zu tun, sondern ist eine faschistische Mobilmachung auf der Höhe der Zeit. Wie das Original bedient sie sich einer personifizierten Feinderklärung, macht Volksfeinde aus, die der Gemeinschaft schaden. Objektiv kommt der Linken nicht nur die Rolle eines Modernisierungsfaktors zu, was schon schlimm genug wäre. Sie ist längst die Avantgarde dieser unsäglichen Volksfront.
Der völkischen Erbauungsbewegung des „Aufstandes der Anständigen“ dienten sich die linken Antifas von Anfang an als Experten an, wollten Stimmungen radikalisieren und diskursfähig sein. Eben all die Dinge, an denen man als Massenbewegung im Wartestand nicht vorbeikommt. Als eine Art Unterabteilung des Verfassungsschutzes werden akribisch Nazis beobachtet. Zur zivilgesellschaftlichen NGO geadelt, hat man einen direkten Draht zum aufgeworfenen Problemfeld und bietet sein Expertenwissen feil. Dass es der Antifa nicht auffällt, wie sehr sie Teil eines Verschlankungsprozesses des Staates ist, bei dem bestimmte Problemlagen einfach ausgelagert und in die Eigenverantwortung der so genannten Zivilgesellschaft gegeben werden, ist Teil des Selbstmissverständnisses der Antifa. Der geläuterte Antifaschismus der Berliner Republik ist einerseits die Indienstnahme der Antifa und gleichzeitig die freiwillige Bereitschaft eben dieser, an der Konstitution des Deutschlands der Anständigen sich zu beteiligen. Die Belebung der Volksgemeinschaft vollzieht sich dabei als Selbstverwaltung des Gemeinwesens, als Übernahme von Eigenverantwortung und Eigeninitiative. Durch die Bank weg linke Essentials.

Mario Möller

Verwendete Literatur:

Justus Wertmüller: Spätheimkehrer. Autonome Antifas stehen zu ihrer Verantwortung.

Uli Krug: Krieg der Generationen. Deregulation vs. Nationaler Sozialismus

Karl Nele: Modernisierung durch Mobilisierung. Die Zivilgesellschaft entdeckt den Antifaschismus für sich.

alle: Bahamas Nr. 33, Herbst 2000.

Clemens Nachtmann: Krisenbewältigung ohne Ende. Über die negative Aufhebung des Kapitals, in: Stephan Grigat (Hrsg.): Transformation des Postnazismus. Freiburg i. Br. 2003

Uli Krug: Mobilisierte Gesellschaft und autoritärer Staat. Der nicht enden wollende NS oder: Die Aktualität Max Horkheimers, in: Grigat (Hrsg.)

Theodor W. Adorno: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, in: Eingriffe. Neun kritische Modelle. Frankfurt am Main 1963 (Sonderausgabe 1996)

Anmerkungen

(1) An anderer Stelle wäre eine grundlegende Auseinandersetzung mit Hannes Gießler („Das CEE IEH wird 150“) und seiner Abrechnung mit dem, was er für antideutsch – also für einen Sumpf von potentiell Verdummten – hält, angebracht. Wäre die linke Jugendbewegung, wie Gießler beklagt, wirklich endgültig durcheinander gebracht worden, so bräuchte man nicht alle Jahre wieder mit genau diesem linken Blödsinn ins Gericht zu gehen, der u.a. in Positionen wie denen von LeA zum Ausdruck kommt und aus den frühen 90ern abgeschrieben sein könnte. Wenn Gießler weiterhin behauptet, dass die Situation Anfang der 90er Jahre der heutigen gleicht, insbesondere im Osten, so liegt er gleich mehrfach falsch. Aber dies ist die inhaltliche Klammer, warum sich Roman für eine „Zivilgesellschaft“ ins Zeug legen kann, die im Osten eben nicht existiert; die selbst für den Westen als Halluzination gelten muss und die alles andere als eine unschuldige Veranstaltung ist, der man als guter Linker auch noch voranschreiten sollte. Doch dazu mehr im Verlauf des Textes. Der Wunsch nach Eindeutigkeit wird bei ehemaligen Antideutschen, die Differenzieren gelernt haben, wo es definitiv nichts zu differenzieren gibt, überdeutlich, wenn Hannes Gießler in besagtem Text tatsächlich den Antideutschen, die irgendwie nicht mehr peppig genug sind („erstarrt“, „ohne neuen Erkenntnisgewinn“) vorwirft, sich nicht zwischen einer Verteidigung der bürgerlichen Demokratie und der Kritik der so genannten Produktionsverhältnisse entscheiden zu können. Sieht man einmal davon ab, dass eine Kapitalkritik mehr ist, als ein bloßes Lamentieren über Produktionsverhältnisse, so ist es ja gerade die Dynamik der Verhältnisse, die erfordert, die Dialektik der Aufklärung Ernst zu nehmen. Um nicht mehr und nicht weniger geht es, wenn man einerseits die vermittelten Verhältnisse des Kapitalverhältnisses gegen seine regressiven Feinde der Gegenaufklärung verteidigt, um die Bedingung der Möglichkeit der freien Assoziation zu erhalten und man sich andererseits nicht der Tatsache verschließt, dass das Kapital eben genau jene Denkformen aus sich selbst heraus produziert, die das Schlimmste erst ermöglichen. Nichts anderes meinen Horkheimer und Adorno, wenn sie von der Dialektik des Fortschrittsdenkens reden. Und darüber hinaus sei angemerkt, dass Denkformen wie die des Antisemitismus Resultat notwendig falschen Bewusstseins in dieser Gesellschaft sind, jedoch nötigt das Kapitalverhältnis niemandem auf, auch als Antisemit zu handeln!

(2) Das ist nur einer der Gründe, warum die Situation Anfang der 90er eben nicht vergleichbar mit der heutigen Situation ist! Weiterhin: Anfang der 90er mögen die Nazis als Stichwortgeber fungiert haben und ich persönlich erinnere mich gut daran, nach Partys o.ä. besser nicht zu lange durch die Straßen zu schlendern, um als Freiwild zu fungieren. Im Unterschied zu damals sind Nazis, ob organisiert oder nicht (im Osten in der Mehrzahl ganz gewöhnliche Zonis), jedoch ein Anachronismus. Nicht mal Erzkonservativen kann man heute ernsthaft eine heimliche Sympathie mit so genannten Rechtsextremisten andichten.

(3) Für Ostdeutschland ist eine gesonderte Betrachtung nötig, so zum Beispiel die Etablierung des Betriebes als Lebenswelt, der den Gedanken der Betriebsgemeinschaft reproduzierte. Zu erinnern wäre an den proletarischen Kult um den produktiven Arbeiter. Zumindest lassen sich für die teilweise barbarischen Zustände in der Zone zwei Erklärungsmuster heranziehen: das Beharren auf antikapitalistischer Tradition und die Verteidigung des autochthonen Status der Zonenbewohner und die damit einhergehende Selbstethnisierung als Opferkollektiv. Siehe dazu meinen Text „Wir sind eine starke Gemeinschaft. Über den Zusammenhang von Ostidentität und nationalem Sozialismus“ im CEE IEH #137.


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last modified: 23.2.2008