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… Die Lösung sind Wir!?

Replik auf den Text „Das Problem heißt Deutschland“ aus CEE IEH #147

Andreas Reschke beklagt an der neuen Antifa-Generation, der er bei einer Demonstration im sächsischen Mügeln genauestens auf die Finger geschaut hat, dass diese, „statt immer wieder auf die Widerwärtigkeit ostzonaler Dorfgemeinschaften und den Charakter des Staatsantifaschismus“ zu verweisen, sich „in die Gemeinschaft der guten Deutschen einordnen“ wolle. Er wittert den Rückfall hinter langjährige Erfahrungswerte autonomer Protestkultur und hält der sächsischen Antifa vor, dass „hinter den entsprechenden Interventionen heute Bekehrungsphantasien“ stehen könnten, die an die Vernunft unbedarfter Bürger und deren Gewissen appellieren. Beides aber sei in den „Wastelands“ Ostdeutschlands schlichtweg nicht existent und daher könne antifaschistische Praxis in der sächsischen Provinz auch nicht mehr als eine „Strafexpedition“ gegen eine „hässliche, archaische und unzivilisierte Horde“ sein. Vermutlich trifft eine solche Aussage sogar das Selbstverständnis vieler der nach Mügeln gereisten Antifaschisten. Daher diese kurze Replik, die nicht nur an Andreas Reschke, sondern ebenso an die neue Antifa-Generation adressiert ist. Was die folgende Antwort jedoch nicht bieten kann, ist eine ausführliche Analyse aktueller antifaschistischer Politik. Diese müsste freilich von denjenigen selbst geleistet werden, die mit Antifa nicht nur Interventionspraxis, sondern auch ein politisches Konzept verbinden. Momentan aber scheint es Standortbestimmungen aus der Binnenperspektive der Ich darf leider nicht hinein, 16.7k antifaschistischen Bewegung nicht mehr zu geben – erst recht seit sich das Leipziger „Bündnis gegen Rechts“ aufgelöst hat. Antifaschistische Praxis versteht sich quasi von selbst, könnte man aufgrund der Wortlosigkeit der Bewegung meinen.

Auch der Beitrag Andreas Reschkes weiß der Situation allgemeiner Wortlosigkeit nichts entgegenzusetzen. Statt eine inhaltliche Ausrichtung antifaschistischer Praxis zu thematisieren, fordert er eine erneute Debatte über angemessene Praxisformen. Implizit redet er einer Re-Autonomisierung der Antifa das Wort und befeuert damit eines ihrer größten Selbstmissverständnisse: das der Autonomie. Die Schwäche, den eigenen Standort jenseits dessen bestimmen zu können, wird so weiterhin im Gewand der Tugend präsentiert. Dem gemäß könnte ein alter und neuer Schlachtruf der Antifa lauten: „Ihr werdet‘s nicht vermuten. Wir sind die Guten!“.

Im Rahmen dieser Halluzination von Autonomie verpufft eine Kritik, wie Reschke sie für die Antifa reklamiert, zu bloßer Selbstreferenz. Gegenüber der sogenannten „Mehrheits-Gesellschaft“ wird die eigene Position im Mantel der Unbestechlichkeit präsentiert. Die eigene Verstrickung ins System kommt dabei gar nicht erst ins Blickfeld, auch wenn andere gesellschaftliche Akteure ansonsten gern als „systemerhaltend“ gebrandmarkt werden. Wahlweise werden diese als „die Zivilgesellschaft“, „Staatsantifa“, „Berliner Republik“ oder eben als „die Mehrheitsgesellschaft“ angesprochen und – weil im Dienst des Kapitals oder deutsch-europäischer Interessen stehend – kritisiert.

Im Hintergrund eines Interesses am Stand der Antifa, gärt natürlich ebenso die alte Frage: Volksgemeinschaft oder Zivilgesellschaft? Dabei hängen – salopp gesagt – „Standort- und Feindbestimmung“ aufs Engste zusammen. Denn woran schließlich legitimiert sich eine offenkundig linke Bewegung ohne eine Bestimmung des Gegners? Reschke attestiert der neuen Antifa-Generation, sowohl das „ostdeutsche Dorfracket“ als auch den „Staatsantifaschismus“ zu vernachlässigen, während diese andererseits noch unentschieden zu sein scheint, sich zu beiden Extremen richtig ins Verhältnis zu setzen. Es geht also um eine dritte Position, jenseits von „Dorfracket“ und „Staatsantifaschismus“, die Reschke nicht nur für sich, sondern auch für die zeitgenössische Antifa gewahrt wissen will. Diese dritte Position, die auch die antideutsche Linke bisher nicht so recht abzuschütteln vermochte und die Appelle an die Vernunft der Bürger für vergebens hält, ist das, was man gemeinhin als linksautonom bezeichnet. In ihr reproduziert sich die Konstellation Links-Mitte-Rechts in der altbekannten Weise.(1) Die Antifa steht hier nach wie vor ganz links außen, möglichst weit weg von der bürgerlichen Mitte, die man in Mügeln – so der Tenor von Reschkes Beitrag – gleich gar nicht zu suchen braucht. Dialog, Appell ans Gewissen, das hat man dort, wo man selber steht, nicht nötig. „Das Problem heißt Deutschland“ kann also nur meinen, dass man am Gemeinwesen, an dem man de facto partizipiert, unter gar keinen Umständen teilnehmen möchte. Man steht – nimmt man diese plakative Formel ernst – außerhalb der Gesellschaft, unwillens überhaupt noch Differenzierungen vorzunehmen. Daher verschwimmt auch der Unterschied von Volksgemeinschaft und Zivilgesellschaft zum doppelgesichtigen Pappkameraden.

Die Frage, mit welchem Gegner man es denn primär zu tun habe (Volksgemeinschaft oder Zivilgesellschaft)(2), scheint die Antifa gar nicht so einfach beantworten zu können. Wo immer aber interveniert wird, da war die Volksgemeinschaft am Werke: mit oder ohne Nazis, mit oder ohne Übereinstimmung bürgerlicher Akteure, die sich im Nachhinein entweder als Volksgenossen entpuppen oder als Staatsantifaschisten aufspielten. Die aufgeworfene Frage nach der Gegnerschaft verstellt den offenkundigen Zusammenhang von Zivilgesellschaft und Antifa. Letztere wähnt sich immer schon in Opposition zur ersteren. Dies gilt in Antifa-Kreisen ebenso als Selbstverständlichkeit wie die Frontstellung gegenüber dem Volksmob.(3) Dabei wäre doch einzugestehen, dass die Antifa selber ab und an zur Speerspitze der Zivilgesellschaft wird. So lässt sich dieser Zusammenhang zumindest dann schwer verleugnen, wenn es – wie für antifaschistische Interventionen üblich – darum geht, die Machenschaften von Neonazis und sympathisierenden Volksgenossen ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Demonstrationen wie die in Mügeln, bei denen sich die Antifa bemüht, möglichst als erste vor Ort zu sein, können eine Art Initialzündung öffentlicher Interessenbekundung darstellen(4) und sind damit nichts anderes als zivile Praxisformen, kommen sie auch noch so unzivilisiert daher. Dabei provozieren sie Gegenreflexe auf Seiten der verantwortlichen Volksvertreter, die deren Unverständnis demokratischer Kultur – wie im Fall des Mügelner Bürgermeisters – unversehens zur Schau stellen. Wenn man so will, könnte so eine Initialzündung zivilgesellschaftlichen Engagements durch die Antifa aussehen.

Dies einmal zugestanden, lassen sich weitere Probleme dechiffrieren. So sollte sich die Antifa zum Beispiel nicht einfach zum sogenannten „Staatsantifaschismus“ in Gegnerschaft setzen.(5) Kritik an dieser Art staatlicher Nachsorgepolitik muss möglich sein, keine Frage. Insofern liegt die Antifa nicht falsch, wenn sie auch hier ein Auge drauf hat. Was aber ist antifaschistische Intervention in der Provinz anderes als der Versuch, den letzten anschlussfähigen Staatsbürgern(6) Grundelemente von Staatsbürgerschaft beizubringen? Nichts anderes hat auch staatliche Politik im Sinn, wenn sie kommunale Projekte stützt, die auch nur annähernd das pluralistisch multikulturelle Flair deutscher Großstädte ahnen lassen. Wem es dagegen einfach nur darum geht, eine „archaische und unzivilisierte Horde“ abzustrafen, der dürfte es auch nicht mehr schwer haben, zum Flächenbombardement solcher Kreisstädte wie Mügeln, Wurzen, Borna usw. aufzufordern. Glücklicherweise fehlen solchen Vorschlägen wirklich ernstgemeinte Argumente und es bleibt zu hoffen, dass man das Konzept „Strafexpedition“ mal auf politische Realitäten abklopft. Die Alternativen sind klar: Entweder die Antifa reflektiert auf ihre zivilgesellschaftliche Funktion und weiß diese klug in Szene zu setzen oder sie verklärt ihr Dasein weiterhin als autonom. Worauf sich aber diese zweite Option in nichtrevolutionären Zeiten begründen soll, bleibt nach wie vor rätselhaft.

Roman

Nachtrag:

Auch die „ag no tears for krauts halle“, die in einem Flugblatt genau jene oben kritisierte undifferenzierte und absolute Gegnerschaft zu Deutschland reproduziert, verlangt nach einer Re-autonomisierung der Antifa. Dem offen formulierten Aufruf zur Demonstration gegen einen Leipziger Naziladen, antwortet die Hallenser AG: „Es bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten, um zu erkennen, dass mit diesen Worten diejenigen angesprochen werden sollen, die immer wieder als „Zivilgesellschaft“ bezeichnet werden: diejenigen also, die die Nazis als Avantgarde und Speerspitze der deutschen Politik abgelöst haben, die aufgrund ihres „Lernens aus der Geschichte“ mehr Verantwortung für Deutschland fordern, ganz vorn dabei waren, als Jugoslawien bombardiert wurde, die USA und Israel als Menschheitsfeinde betrachten, sich stets auf die Seite der Völker und Kulturen stellen, für jedes Selbstmordattentat in Israel Verständnis aufbringen und denen gegen Nazis nur die einschlägigen Ausmerz-Formeln einfallen.(7) Die Antwort sei hier deswegen so ausführlich zitiert, weil sie zeigt, dass hier Zivilgesellschaft nur als Personenkonstellation vorgestellt wird, der alles das aufgebürdet wird, wogegen die antideutsche Linke schon immer war. Sich in die Bürgergesellschaft einzureihen – sei es auch nur punktuell – kommt für die Verfasser des Flugblattes nicht in Frage. Denn hinter jeder gutmeinenden Bürgerinitiative lauert per definitionem der Volksmob. Eher noch ließe sich – so heißt es dann – mit dem in Vergessenheit geratenen Konzept des „revolutionären Antifaschismus der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO)“ liebäugeln, die in Aufrufen und Texten „regelmäßig — wenn auch meist nur holz-schnittartig — von Staat und Kapital, später sogar gelegentlich von der Volksgemeinschaft“ sprach. Nimmt man die obigen Aussagen hinzu, entsteht letztlich ein Bild, das der autonomen Linken immer schon entsprach: absolute Gegnerschaft zu allem und jedem. „Nazis, Staat, Kapital – zurückschlagen!“, so oder so ähnlich lautete einst ein Transparent Leipziger Antifaschisten.

Anmerkungen

(1) Innerhalb dieser Konstellation zeichnen sich die beiden Enden – also die extreme Rechte und die extreme Linke – zumeist durch Antiparlamentarismus und Antiliberalismus aus – übrigens etwas, was auch Carl Schmitt, der „Kronjurist des Dritten Reiches“, bei seiner Bestimmung des Politischen durchaus affirmativ an linken Revolutionären herausstellte.

(2) Falsch gestellt, ist die Frage schon insofern, als dass die Form der Entscheidungsfrage eine Totalitätsperspektive einbegreift, die davon ausgeht, durch die begriffliche Fixierung zugleich den Gegner wahrheitsgetreu fixieren zu können.

(3) In Magdeburg haben manche Antifas selbst diese Binsenweisheit nicht begriffen. Zuletzt fanden sich einige von ihnen nämlich in geistiger Übereinstimmung mit nationalen Kameraden und Volksdeutschen, als sie eine Veranstaltung, auf der ein Referent des Leipziger Bündnisses gegen Antisemitismus sprechen sollte, in SA-Manier aufzulösen suchten.

(4) Im Fall Mügeln kann man davon ausgehen, dass die Antifa aber eher als nachhaltiger Faktor einer Initialzündung gewirkt hat, die von den betroffenen Indern selbst in Gang gesetzt wurde, indem sie sich an die Öffentlichkeit gewandt haben.

(5) Siehe nochmals den in Note 1 angedeuteten „Schmittianismus der Linken“.

(6) Hier sind nicht unbedingt jene Deutschen gemeint, die sich an Ausschreitungen gegen Migranten beteiligen. Vielmehr geht es um Grundschullehrer, Sozialarbeiter, Pfarrer, Gemeinderäte und dergleichen – eben Leute, die Träger der Öffentlichkeit sind und nicht mit den Nazis kollaborieren. Ebenso sind natürlich auch italienische Restaurantbesitzer oder türkische Imbissbudenbetreiber gemeint.

(7) Entnommen dem Flugblatt „Ladenschluss versus Ausverkauf“, das auf der Demonstration am 3. Oktober 2007 in Leipzig verteilt wurde, siehe vorherige Dokumentation.

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last modified: 23.10.2007