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Kritik der Antifa Teil 3

Das Verhältnis von Theorie und Praxis versus Kritik und Agitation
von Ralf

„Als man einem Studenten das Zimmer zerschlug, weil er lieber arbeitete als an Aktionen sich zu beteiligen, schmierte man ihm an die Wand: wer sich mit Theorie beschäftige, ohne praktisch zu handeln, sei ein Verräter am Sozialismus. Praxis wurde nicht ihm allein gegenüber zum ideologischen Vorwand von Gewissenszwang. Das von ihnen diffamierte Denken strengt offenbar die Praktischen ungebührlich an. Es bereitet zuviel Arbeit, ist zu praktisch.“
(Theodor W. Adorno)

„Die Wirkung der kritischen Theorie der Habermäuse, Adorniten und ihrer Apologeten auf einen großen Teil der SDSler kann nur als entpolitisierend beschrieben werden. Hier wird Theorie im wesentlichen um ihrer selbst willen betrieben und in der Diskussion als Machtmittel gebraucht.“
(Bundesvorstand des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes – SDS)

„Aus der Konfrontation mit den Cliquen und Kreisen, die aller Voraussicht nach über ihn triumphieren werden, nicht aus der Vereinigung mit ihnen, bezieht der Einzelne seine Kraft. Die Konstellation ähnelt dem Erklimmen eines Berges, das reizlos wäre ohne Anstrengung.“
(Wolfgang Pohrt)

„Offensichtlich werden Menschen, die mit bestehenden Zuständen institutionell verflochten sind, im allgemeinen zögern, an diesen Zuständen Kritik zu üben. Mehr noch als verwaltungsrechtliche Konflikte fürchten sie solche mit den Meinungen der eigenen Gruppe.“
(Theodor W. Adorno)

„Die Geschichte kennt ihre eigene Ironie – auch Dialektik genannt: das linksradikale Gespenst als Sache des Fortschritts.“
(Johannes Agnoli)

Der große Radikalinski-Schwindel namens Antifa gleicht verblüffend dem großen Rock’n’Roll-Schwindel der Sexpistols. Was einstmals rebellisch auf der Showbühne Gesellschaft rumturnte, ist ein paar Jahre später lahmarschiger und unattraktiver als Omas Motorrad-Fahrt im Hühnerstall.
Ein Verzicht auf Politik als Austreibung eines Staatsfetischismus ist also keine Frage mehr danach, ob dieser der Antifa gut zu Gesicht stünde. Er ist keine kosmetische Schmierenkomödie, sondern eine Frage nach einem radikalen Bruch auf der Höhe der Zeit. Die Frage, vor der die Antifa steht, ist dennoch so alt wie die Linke selbst. Es ist die als Endlosschleife immer wiederkehrende von Reform und Revolution, von Weg und Ziel, die sich unter jeweils veränderten Vorzeichen konkreter Niederlagen und Siege, bestimmten Scheiterns und Erfolgreichseins stellt. Was tun, so formuliert sich seit Lenin die Suche nach der Handlungs-Maxime in einer Situation des aufgeschobenen Umbruchs.
Seit der Pariser Kommune bestimmt das Überwerfen durch Kritik des Weges als einer des Organisierens die Existenz der Linken. An ihm entzündet sich seitdem nicht nur die Leidenschaftlichkeit der flammenden revolutionären Herzen, sondern führt auch gleichfalls zu ihrem Erlöschen. Wenn diese hier niedergeschriebene Kritik also eine Grundlage hat, dann das Grundverständnis, daß die Antifa historisch an ihrem Endpunkt angekommen ist und sie deshalb nur zur Disposition stehen kann, um daraus das Motiv für neues überhaupt zu formulieren. Daß dies nicht ohne Streit abgehen kann, ist eine Binsenweisheit, deren scheinbar notwendige explizite Erwähnung Trauerspiel genug ist. Banal gesagt, setzt Kritik nun mal Interesse am Gegenstand voraus. Wer das nicht unter einen Hut zu bringen vermag, dem sei hiermit auch nichts mitgeteilt als folgerichtige Interesselosigkeit an dieser vorgeführten Dummheit. Das Bewußtwerden des eigenen Scheiterns wird nur dann zur Erkenntnis, wenn es die Fähigkeit aufweist, sich ins Verhältnis zur Umwelt zu setzen. Daß dies selbst Autisten vermögen, die das ihrer Umwelt nur nicht mitteilen können, macht die Sache im Hinblick auf nicht gerade wenige Antifa-Freundinnen und -Freunde kaum besser.
Materialistische Selbstreflexion unterscheidet sich von Selbstverliebtheit dadurch, daß sie sich nicht zu sich selbst ins Verhältnis setzt, sondern dialektisch zu ihrer Umwelt. Dadurch gelangt man mitunter zu Erkentnissen, die einen vom Pfad der gelebten Harmoniesucht mit seinen Mitmenschen abbringen. Reflexion darf also kein Spiegeln von sich selbst sein, weil sie sonst nur ein narzistisches Verhältnis zum eigenen Spiegelbild zur Folge hat.
Daß ganze Heerscharen sich durch individuellen Konformismus in diesem Spiegelspiel verloren haben, ist nicht zuletzt eine traurige Geschichte der antiautoritären und libertären Bewegungssucht, mit der aufzuräumen bei der Antifa als letztes Relikt dieser ohnehin aussterbenden bewegungslinken Spezies sich entweder auf die Tagesordnung gesetzt wird oder die Tragödie als Folge der Farce muß wohl oder übel ihren Lauf nehmen. Kurz gesagt, es gibt weder hier noch sonstwo den Teufel Zufall, der sich nicht als logisch-rationalisierte Konstellation verifizieren ließe. Und zum Glück für die Spontaneität läßt er sich auch nicht vorherbestimmen. Demzufolge stand selbiger Zufall auch beim Verfassen dieser Kritik nicht Pate, wobei selbige auch nicht Resultat eines Kassandrakomplexes ist, der durch Nichterhörung der Botschaft hervorgerufen wurde.

Die materialistische Praxis
Grundsätzlich läßt sich festhalten, daß sich der Begriff von Praxis an den Gebrauch von Vernunft klammert, der im idealistischen Sinne als solcher den Willen zum Zwecke des Zusammenlebens prägt. Daß diese Vernunft nicht von außen eingeflogen wurde oder über uns kam, sondern zuallererst Resultat des Verhältnisses des Menschen zur Natur ist, bestimmt den Stoffwechsel mit ihr als Tätigkeit, die sich rationalisiert. Die Fähigkeit zur Sinnerfahrung, zur Sinnlichkeit, führt zur Erkenntnis, deren Grundlage wiederum die Praxis ist. Das heißt, menschliche Tätigkeit, nicht aber Erkenntnis gilt als Praxis. „Der Hautpmangel alles bisherigen Materialismus (...) ist, daß der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit, nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung gefaßt wird; nicht aber als menschliche sinnliche Tätigkeit, Praxis, nicht subjektiv.“(1) In dem die Trennung von Praxis und Erkenntnis bei Marx und Engels Grundlage bleibt, erklärt sich Praxis zur durchweg materiellen Tätigkeit, zu deren Basis die Arbeit als gesellschaftliche Tätigkeit wird. „In der Praxis muß der Mensch die Wahrheit, das heißt die Wirklichkeit und Macht, die Diesseitigkeit des Denkens beweisen. (...) Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“.(2) Aus der arbeitsteiligen Gesellschaft ergibt sich deren Praxis – im sozialen, privaten wie politischen. Aus dieser Abhängigkeit gibt es kein Entrinnen. Autonome Praxis, die sich der gesellschaftlichen äußerlich macht, ist demnach unmöglich.
Aus dem gesellschaflichen Sein leitet sich demzufolge jegliche Erkenntnis ab, aus der sich wiederum das Handeln als erkannte Möglich- oder Unmöglichkeit ergibt. Die Konkretion der bürgerlichen Wirklichkeit als zweite Natur gesellschaftlich abstrakter Vermitteltheit bedingt die Unterscheidung von Kopf- und Handarbeit, die darauf basiert, daß nicht etwa das Bewußtsein der Warenbesitzer als Tauschende abstrakt ist, sondern vielmehr ihre Handlung, der Tausch selbst mit verdinglichten Tauschwerten. Die Tauschhandlung ist also ein „physischer Vorgang“ und als solche ist „diese Abstraktion im wahrsten Sinne Realabstraktion. Sie ist also in der Tat die Ursprungsform der spezifischen nicht-empirischen Abstraktion, die den auf Warenproduktion beruhenden Gesellschafstformationen in allen ihren Verdinglichungsmechanismen eigentümlich ist.“(3)
Was sich damit verdeutlicht, ist schlichtweg das Fehlen einer kritischen Erkenntnistheorie bei Marx, die eine überfällige materialistische Wissenschaftskritik zum Inhalt hätte haben müssen. Daß seine Kritik der politischen Ökonomie keine Philosophie ist, mag zwar auf den ersten Blick einer Erwähnung kaum wert zu sein. Notwendig scheint es aber wohl gerade deshalb. Denn spätestens seit Engels und Lenins Marxinterpretation ist sie – wenn auch nicht in Gänze – auf eine Ontologie reduziert worden, die zur erkenntnisunkritischen Handlungsanleitung gesellschaftlicher Praxis als monopolisierte Wahrheit verkam. Wenn Marx davon sprach, daß „der Standpunkt des alten Materialismus“ die bürgerliche Gesellschaft sei, der „Standpunkt des neuen“ aber „die menschliche Gesellschaft, oder die vergesellschaftete Menschheit“, so sind diese Worte zwar erkenntnisunkritisch zu Papier gebracht und nahezu positivistisch prädestiniert, enthalten aber genau jene Trennschärfe eines Bruchs mit bürgerlichem Denken, welches sich der dialektischen Denkabstraktion zwanghaft verweigert.(4) Marx’ Erkenntniskritik endet da, wo er den Grenzen seiner kritischen Formanalyse des Wertes gewahr wird. Diese zu durchbrechen, so meinte er im Stande seiner Erkenntnis, bedürfte es letztlich einer „Wissenschaft vor der Wissenschaft“.(5)
Daß die bürgerliche Gesellschaft „ein umwandlungsfähiger und beständig im Prozeß der Umwandlung begriffener Organismus ist“, ergibt sich letztlich aus den entpersonalisierten objektiven Verhältnissen, deren Geschöpf, so Marx, der Mensch „sozial bleibt, so sehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag.“ Radikale Kritik genau dieser Verhältnisse verlangt demzufolge eine Praxis, die diese Objektivitäten abzuschaffen vermag.

Das Unbehagen der Praxis als Schwindel
Wenn in der Folge von Praxis die Rede ist, dann nicht im Sinne der grundlegenden gesellschaftlich konstitutiven, sondern im engeren Sinne politischer Praxis als verstaateter Arbeitsbegriff, der die bürgerliche Wertform – den Tauschwert – ebenso reproduziert.
Traditionell hat die Linke der bürgerlichen Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit die versuchte Einheit von Theorie und Praxis entgegensetzen wollen. Daß ihr das bisher immer mißlang, hat viel mit dem bürgerlichen Zwang zur Trennung von beidem zu tun, der die Bedürfnisse der Menschen immer in die Zange von konkreter Bedürfnisbefriedigung und abstrakter Notwendigkeit nimmt. Aus dieser Konstellation ergibt sich praktisch (!) als Zwang die Aufhebung des Anspruches einer Einheit von Theorie und Praxis, die sich der Wirklichkeit des gesellschaftlichen Bedürfnisses nach Handarbeit unterwirft, um sich nicht unvertretbar von den sozialen politischen Verhältnissen zu isolieren, deren Ensemble man ja eben selber ist. (Auf diese Endlosschleife als Falle politischer Verantwortungsübernahme für andere ist weiter oben – siehe Teil zwei der Kritik in Cee Ieh Nr.75 – ausführlich eingegangen worden.) Für das daraus resultierende Verhältnis zu Theorie und Praxis ergibt sich, daß die bürgerliche Wirklichkeit des Scheins als bare Münze genommen und zur Realität an sich verklärt wird, womit jedoch zugleich – und das wiegt sehr schwer – „die Wahrhaftigkeit des Traums“ von Befreiung (J. Agnoli) geleugnet wird. Aus dieser Ignoranz einer Option auf eine befreite Gesellschaft entspringt die Affirmation des Ganzen ohne es zu wollen und das „Reich der Notwendigkeit“ (Marx) ist so nichts weiter als die Reproduktion des bestehenden Falschen.
Das fehlende Zentrum einer Kritik der bürgerlichen Gesellschaft erzeugt ein Unbehagen in der Praxis, die sich als jene der Kultur offenbart, die Freud als Ergebnis des Verzichts auf den aggressiven Trieb analysierte, in dessen Folge unbewußte Schuldgefühle gegenüber dem Über-Ich aufkämen, die sich als Angst vor dem Verlust der sozialen Anerkennung äußerten. Genau hier wird radikale Kritik zur politischen Sublimierung – zur Ablenkung vom eigentlichen Ziel. Das Es erzwingt somit gegenüber dem Ich Handlungsbedarf.
Was früher den Sozialdemokaten oblag, übernehmen heute die Postmodernen resp. Poststrukturalisten. Ihr Budenzauber der kritischen Affirmation(6) ist der Schwindel über die befreite Gesellschaft. Er entpuppt sich als die neue Kinderkrankheit radikaler Kritik, die die bürgerliche Demokratie verschont und sich deshalb mit ihr infiziert. Hier spiegelt sich jener Zwang des Mitmachens wider, der, vom Pragmatismus unaufhörlich getrieben und von persönlicher Leidenschaft angefeuert, die Theorie zum Salz in der eigenen Praxis-Suppe verklärt: zuviel davon und es schmeckt nicht mehr.(7)
Die Trennung einer Praxis von ihrer Theorie legt die Radikalität auf die Vernunft des Rationalen, auf das gesellschaftlich immanent Mögliche fest. Genau das auferlegt die bürgerliche Ideologie ihrem Subjekt: die Trennung von Grundsatz und gelebtem Leben als eine einzigste große Konzession an die Realität und Wirklichkeit, die dem Menschen die Hirngespinste schon wie von selbst auszutreiben vermag. Gerade aber, weil jede gesellschaftsimmanente Veränderung als ein Stückchen mehr an bürgerlicher Freiheit gleichzeitig die Totalität der Vergesellschaftung noch verfeinert und noch undurchsichtiger macht, ist das Verharren in der Kritik am objektiven Konstitutionszwang der bürgerlichen Gesellschaft, dem Tausch als männliches Wertprinzip, als einzigste radikale Option auf eine befreite Gesellschaft zwingend. Das scheinbare Paradoxon von besserem immanenten Leben und gleichzeitiger Verdichtung der Totalität ist dialektisch nicht aufhebbar und es steht eben deshalb nicht zur Disposition, daß es nur gewaltsam abzuschaffen wäre. Die ganze bürgerliche Scheiße aber nur deshalb scheiße zu finden, weil sie angeblich voller realer Widersprüche sei, reitet nur immer tiefer in den Widerspruch zur freien Gesellschaft. Das Bedürfnis nach dem unendlichen Aufspüren gesellschaftlicher Widersprüche über/auf/unter die bzw. denen gedacht werden soll, vorprogrammiert immer wieder aufs neue das Scheitern jedes noch so radikalen Abschaffungsversuches. Es geht aber gerade darum, das Ganze als das Unwahre abzulehnen und sich nicht vom immanenten Widerspruch und dessen Aufhebung einlullen zu lassen, wie es die linke Geschichte noch und noch vorzuweisen hat. Sich als Katalysator von angeblichen Widersprüchen anzubiedern, endet letztlich in der Affirmation des Ganzen. Die Glückseligkeit des Theoretikers, seine größte Erfüllung, bemißt sich daran, von einer sicheren Position aus zu meinen, die Dinge verstanden zu haben. Das ist ihm Quell von gleichzeitiger Genugtuung und Harmoniebedürfnis. Der Theoretiker nämlich möchte mit der Welt in Harmonie leben, indem er sich ihrer Dissonanzen versichert und diese gar möglichst in der Praxis behebt. Ihm ist das Bedürfnis des Verstehens seiner Theorie eigen. Wer aber den Kapitalismus verstehen will, und sei es nur deskriptiv, statt ihn zu kritisieren, schafft damit die Voraussetzung für die Folge eines Verständnisses für den Kapitalismus. Verstehen und Verständnis liegen dabei ganz dicht beieinander. Analyse hat demzufolge Mittel der Kritik zu sein und nicht Mittel des Verstehens. Denn wer einen Wahnsinn verstehen will, psychologisiert ihn im Verhältnis des gesunden Arztes zum Patienten und fällt damit hinter die wichtigen Erkenntnisse der Psychoanalyse zurück. Daß dabei nur pure Ideologie einer Seins-Lehre herauskommen kann, macht die Sache zu einem klaren Fall für die Erkenntniskritik: Kritik „hat die falsche Einheit einer in unzählige Teilbereiche auseinander dividierten Welt zu reflektieren“ und fertig!(8) Die Theoretiker erheben dagegen den Anspruch, mit sich selbst identisch zu sein und operieren daher als Ideologen. Wer aber, „sei es mit oder gegen Marx, Verstehbarkeit des Unverstehbaren verlangt, sitzt den Verkehrungen auf, die das notwendig falsche Bewußtsein ausmachen.“(9) Es kann daher Moishe Postone nur zugestimmt werden, wenn er grundsätzlich feststellt: „Zur Debatte steht also das Niveau, auf dem die Kritik sich auf den Kapitalismus einläßt“, um genau dadurch „zwischen einer ‘bürgerlichen’ Gesellschaftskritik auf der einen und einer Kritik der bürgerlichen Gesellschaft auf der anderen Seite“ unterscheiden zu können.(10)

'68 und die Folgen
Um diese Niveaus steht es jedoch so schlecht, daß einem Speiübel werden kann. Und das liegt nicht so sehr an der geistigen Verblödung durch postmodern blubbernde Zumutungen, sondern vielmehr am fortschreitenden Verfall radikaler Kritik der Verhältnisse, deren folgerichtiger Ausdruck letztlich die Poststrukturalisten nur sind und deren emsigste Vertreter sich längst daran gemacht haben, sich das Terrain der zerfallenden dumpfbackigen Antifa als Rumpf einer verstorbenen Bewegungslinken unter den Nagel zu reißen und somit die vulgäre M/L-Huberei zu beerben. Den meisten verbliebenen Kadern der Antifa fällt dieser schleichende Verfall natürlich nicht auf. Sind sie doch frohgemuts, weiter ihres links-bewegenden Lebens fristen zu können, zumal ihnen ihre eigene individuelle Leidenschaft im Zweifelsfall ohnehin näher ist als der Verstand. Die persönliche Glaubwürdigkeit des Antifa-Genossen von nebenan bemißt sich an der vereinbarten Verkehrsform bürgerlichen Szene-Rechts, von der nur unter Strafe abgewichen werden darf. Wird dies eingehalten, so ist noch der größte Blödsinn unter der Knute bürgerlicher Meinungsfreiheit zulässig. Nachgewiesene rahmenvolle Leidenschaft allein reicht so als Beleg und Argument angeblicher Radikalität. Bemessen wird das Ganze normativ am Gegenüber. Auch dieses instrumentelle Verhältnis ist verpuppte Vernunft des Unbewußten, die sich zugerichtet hat für die fällige Vermittlungsarbeit des Politisierens. Denn „hinter der Allmacht des selbsterteilten Vermittlungsauftrags, die gegen theoretischen ‘Purismus’ nach praktischen ‘Anknüpfungspunkten’ fahndet, sitzt schon die Angst vor ‘Unwirksamkeit’ und ‘Sterilität’, lauert die Ohnmacht.“(11)
Daß sich das Ende der Antifa, und zwar nicht nur das, wie wir sie bisher kannten, sondern tatsächlich ihr endgültiges, als eine Tragödie der zerfallenden Linken darstellt, verwundert nur dann nicht, wenn man sich bewußt macht, daß die Linke seit 1968 letztlich ein einziger Prozeß des Verfalls war – vom Ende des SDS über die K-Gruppen, Spontis, bewaffneten Kampf zu den kleinen Tunix-Schritten der 80er bis zur übriggebliebenen Antifa, die, einst als „Teilbereich“ der autonomen Kämpfer entstanden, unfreiwillig die gesamte organisierte Linke als reine Farce beerben mußte. Sich dem bewußt zu werden, macht insofern viel her, weil sich darüber die letztlich einzigste stichhaltige historische Bestimmung der Antifa vornehmen läßt: Sie war dazu verdammt, die letzten organisierten Zuckungen und Strukturen kontinuierlich über die 90er zu retten.
Auf welchem erbärmlichen Niveau sich das Ende der Antifa bewegt, verdeutlicht sich, wenn man sich einmal die Mühe macht, die Debatten zwischen 68er Bewegung und Kritischer Theorie zu vergegenwärtigen. Weil diese Retrospektive vieles von dem preis gibt, was sich als anmaßende Lächerlichkeit in der Debatte um die Antifa wiederholt, soll es hier kurz skizziert werden.(12)
Grundlegend muß festgehalten werden, daß sich tatsächlich ohne Kritische Theorie niemals die 68er Linke hätte konstituieren können. Dieser Widerspruch ist schon deshalb augenscheinlich, weil paradoxerweise einer der Hautpvorwürfe der 68er Bewegung an die Kritische Theorie der war, daß sie „praxisfeindlich“ sei. Hans-Jürgen Krahl, Adorno-Schüler und einer der eifrigsten Verfechter der SDS-Organisierung – „(...) ohne gemeinsame Organisation wird sicherlich nicht die Totalität des Klassenbewußtseins wiederzugewinnen sein“(13) – bezichtigte insbesondere Adorno, Horkheimer und Habermas gar einer „regressiven Angst vor den Formen des Widerstandes“(14).
Für die damals omnipräsente Debatte um Theorie und Praxis bestand Krahl trotz des anerkannten Utopieverbots als falschen Vorgriff auf Befreiung darauf, daß man aus dem „Vermittlungsverhältnis von Theorie und Praxis“ in der „revolutionären Praxis die Erfahrung machen“ würde, „wieweit Herrschaft abschaffbar ist“. Man könnte das, so Krahl weiter, ruhig „dem konkreten Prozess überlassen, sofern er eben durch entsprechende theoretische Reflexionen vermittelt ist.(15) (...) Das bedeutet, die neue Qualität festzustellen, die diese System hat, das auf der Bewußtlosigkeit aller Beteiligten (...) beruht“, was dann wiederum die Anerkennung „der Erkenntnis von zweiter Natur, Verdinglichung und Fetischisierung (als) unmittelbar mit der Kritik an der Ontologie und am Positivismus verbunden“ notwendig mache.(16)
Eine der Hauptkritiken der Kritischen Theorie besteht darin, daß sich richtiges Handeln nicht einfach nur daran bemessen lassen kann, was augenscheinlich existiert, nur weil es nunmal da sei. „(...) Praxis, die sich um so wichtiger nimmt und um so emsiger gegen Theorie und Erkenntnis abdichtet, je mehr sie den Kontakt mit dem Objekt und den Sinn für Proportionen verliert, ist Produkt der objektiven gesellschaftlichen Bedingungen“, schreibt Adorno in seinen „Marginalien zu Theorie und Praxis“(17). Man sehe es dem Autor dieser Zeilen nach, daß er, getrieben von der Hoffnung, man würde aus Gründen der verzweifelten Aktualität und im Bewußtsein des Scheiterns der 68er sich besinnen, Adorno länger als – nun ja – gewöhnlich zitiert. Adorno schreibt also in seinen Marginialien resümierend über die 68er wie folgt: „Falsche Praxis ist keine.(...) Das Ziel richtiger Praxis wäre ihre eigene Abschaffung. (...) Daß dieser die Theorie sich beugen soll, löst deren Wahrheitsgehalt auf und verurteilt Praxis zum Wahnhaften; das auszusprechen ist praktisch an der Zeit. (...) Hat die autarkische Praxis seit je manische und zwangshafte Züge, so heißt diesen gegenüber Selbstbesinnung: die Unterbrechung der blind nach außen zielenden Aktion. (...) Fällige Praxis wäre allein die Anstrengung, aus der Barbarei sich herauszuarbeiten. Diese ist, mit der Beschleunigung der Geschichte zur Überschallgeschwindigkeit, so weit gediehen, daß sie alles ansteckt, was ihr widerstrebt. (...) Das Falsche des heute geübten Primats von Praxis wir deutlich an dem Vorrang von Taktik über alles andere. (...) Mit all dem fügt der Aktionismus in den Trend sich ein, dem sich entgegenzustemmen er meint oder vorgibt: dem bürgerlichen Instrumentalismus, welcher die Mittel fetischisiert, weil seiner Art Praxis die Reflexion auf die Zwecke unerträglich ist. (...) Im Verhältis zur realen Macht, die sich kaum gekitzelt fühlt, ist der Aktionismus irrational. Klügere sind seiner Aussichtslosigkeit sich bewußt, andere verhehlen sie sich mühsam. (...) Die am heftigsten protestieren, gleichen den autoritätsgebundenen Charakteren in der Abwehr von Introspektion; wo sie sich mit sich beschäftigen, geschieht es kritiklos, richtet sich ungebrochen, aggressiv nach außen. Die eigene Relevanz überschätzen sie narzistisch, ohne zureichenden Sinn für Proportionen. (...) Aktionismus ist regressiv. Im Bann jener Positivität, die längst zur Armatur der Ichschwäche rechnet, weigert er sich, die eigene Ohnmacht zu reflektieren. Die unablässig ‘zu abstrakt’ schreien, befleißigen sich des Konkretismus, einer Unmittelbarkeit, der die vorhandenen theoretischen Mittel überlegen sind. (...) Von den Argumenten, über die der Aktionismus vefügt, ist eines zwar weitab von der politischen Strategie, deren man sich rühmt, doch dafür von desto größerer Suggestivkaft: man müsse für die Protestbewegung optieren, gerade weil man ihre objektive Hoffnungslosigkeit erkenne. (...) Wie jene Verhaltensweisen von Verzweiflung ausgelöst worden seien, so müßten die an der Möglichkeit Verzweifelnden aussichtsloses Tun unterstützen. Die unabwendbare Niederlage gebiete als moralische Instanz Solidarität auch denen, welche die Katastrophe vorausgehen und dem Diktat einseitiger Solidarität nicht sich gebeugt hätten. (...) Solidarität mit einer Sache, deren unvermeidliches Scheitern man durchschaut, mag erlesenen narzißtischen Gewinn abwerfen; an sich ist sie so wahnhaft wie die Praxis. (...) Vernebelt aber Praxis durchs Opiat der Kollektivität die eigene aktuelle Unmöglichkeit, so wird sie Ideologie ihrerseits. Dafür gibt es ein untrügliches Zeichen: das automatische Einschnappen der Frage nach dem Was tun, die auf jeglichen kritischen Gedanken antwortet ehe er nur recht ausgesprochen, geschweige denn mitvollzogen ist. (...) Richtete Praxis sich einfach nach den Anweisungen der Theorie, so verhärtete sie sich doktrinär und fälschte die Theorie obendrein. (...) Das Dogma von der Einheit von Theorie und Praxis ist entgegen der Lehre, auf die es sich beruft, undialektisch: es erschleicht sich dort simple Identität, wo allein der Widerspruch die Chance hat, fruchtbar zu werden. (...) Praxis ist Kraftquell von Theorie, wird nicht von ihr empfohlen.“
Nach der Lektüre dieser Zeilen stünde gegebenfalls ihre Widerlegung an. Es wäre demnach zu beweisen, daß die Zeiten heute andere sind. „Die Frage (aber), die wir uns zu stellen haben (lautet): Was hat sich in der allgemeinen Verschiebung (im Sein und Bewußtsein) (...) gar nicht verschoben, nicht verschieben lassen; was hat sich nicht verändert. Und zwar derart, daß aus der Revolte das Gegenteil dessen enstehen konnte, was sie sich erhofft hatte: eine autonome, befreite Gesellschaft, Sturz der Herrschaft, als Mindestprogamm der Abbau (nicht der staatlichen Sozialzuwendungen, sondern) der staatlichen Macht.“(18)

Organisierung
Der Streit um Praxis und Theorie kulminierte bei den 68ern im besonderen in der berühmt-berüchtigten linken Gretchenfrage nach der richtigen Organisierung. Krahl überwarf sich an diesem Punkt selbst mit Herbert Marcuse, der, trotz seines Pessimismus („Nichts deutet darauf hin, daß es ein gutes Ende sein wird.“(19)), bekanntlich der einzige Vertreter der Kritischen Theorie war, der für die Studentenbewegung aktiv Partei ergriff. Für Krahl war „das Elend der Kritischen Theorie (...) auf einer bestimmten Ebene einfach auch das Fehlen der Organisationsfrage.“(20)
Nach Krahls Vorstellungen sollte die Organisation Theorie und Praxis vermitteln, um dadurch Theorie zu einer materiellen Gewalt zu machen, die emanzipatorische Praxis entwickeln könnte. „Wohl aber, und das sind jetzt die Fragen, die anstehen, müssen sich in den Formen der Praxis, der revolutionären Praxis, positive Elemente der künftigen Gesellschaft vorwegnehmen lassen.“(21) Die Selbstzweifel daran konnte Krahl jedoch nicht ausräumen. Sie fanden nicht zuletzt in dem Insistieren von Horkheimer und Adorno Nahrung, daß selbst revolutionäre Organsationen sich ihrer inneren Verfaßtheit und Politik gemäß dem angepaßt hätten, was sie eigentlich bekämpfen wollten. Krahl hielt zwar dagegen, daß sich die Ausrichtung des SDS als antitautoritär genau dagegen sperrte, bekannte sich aber dennoch auf Grund des niedrigen Organisationsgrades zu Autoritäten, deren Charisma den SDS zusammenhielten. Sein Problem brachte er auf den Punkt: „Wie kann das Reich der Freiheit in einer kommunistischen und durchaus autoritären Organisationsform antizipiert werden?“(22) Adorno, der auf diese Frage ebenfalls einging, betonte, daß die Organisierung praktisch nicht lösbar sei, sondern nur theoretisch. Paradoxerweise bat Krahl gar Adorno, Horkheimer und Habermas, sie solllten sich kraft ihrer Autorität der antiautoritären Bewegung zur Verfügung stellen, um „gewisssermaßen mit der Waffe der Autorität selber das Autoritätsprinzip in der Gesellschaft mit abbauen zu helfen.“(23)
Im Gegensatz zu heute, wo der anstehende Organisierungsversuch als „Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen“ (Motto des Antifa-Kongresses im April 2001) nicht offener preisgeben könnte, was man über die Jahre unter dem Etikett Antifa für ein Spiel spielte – nämlich die selbstauferlegte Kontakt-Sperre zur kritischen Linken zu den verlogenenen Konditionen der unsäglichen Bündnispolitik –, zeigt sich deutlich, daß die 68er Bewegung im Gegensatz zur Antifa vom Niveau her zumindest keine flatternde Karteileiche darstellte. Einer der Gründe dafür ist wohl der, daß man damals zur Kritik kein ausladendes, sondern ein konfrontatives Verhältnis pflegte, zu dem die Antifa heute gar nicht mehr in der Lage ist: die Angst vor dem Schicksal des Neuen läßt das Beharren auf wahnhafter Identität sich verfestigen und in reinste Krisenverwaltung flüchten. Das drückt sich nicht zuletzt darin aus, alles dafür zu tun, die schärfstens Kritiker des kollketiven Ichs, der Wir-Identität Antifa, sich vom Halse zu halten. Man gibt dafür vor, mit sich zu tun zu haben und betreibt das Lügen-Spiel des Baron Münchhausen, der bekanntlich damit hausieren ging, sich angeblich selbst aus dem Morast gezogen und damit gerettet zu haben. Eine Ich-Schwäche als Trauma geht dem voraus: „Die Stärke der mobilisierten und symphatisierenden Massen macht sie zu Siegern“ über die eigene Ohnmächtigkeit.(24) „Wer die Bewegung somit nach ihren eigenen ausformulierten Ansprüchen beurteilt, unterliegt einem Mißverständnis. (...) Diese Schwierigkeiten beginnen damit, daß solche Bewegungen sich – unvermeidlich – unter einen Selbstbegründungszwang setzen, und sie pflanzen sich fort, weil die Begründung ständig aufgeschoben wird. Die Studentenbewegung fiel daher immer wieder auf ihre Mobilisierungsanlässe zurück. Das macht ihr Pathos und ihre Verlegenheit aus. (...) Die auf generelle Manifestation angewiesene Bewegung blieb auf die empörenden Anlässe angewiesen. Sie sammelte und erprobte sich im Äther der Öffentlichkeit (...) und damit in der Sphäre der Selbstgerechtigkeit von Demokratie und Rechtsstaat. Durch ritualisierte Bewegungsabläufe, persiflierende Gestik und Geschrei und ‘symbolisch’ agierte man aus, daß es einem tödlich ernst und gar nicht ernst zugleich war.“(25)
Um des Verständnis wegen Verwechslungen vorzubeuen: das obige Zitat bezieht sich auf die 68er und nicht auf die Antifa. Die erschreckenden Parellelen jedoch zeugen von einem jämmerlichen Dasein, dem ein Ende zu bereiten nur so oder so erfolgen kann: der endgültige Untergang als Endpunkt oder die Transformation als Bruch mit dem alten. Zwischen diesen beiden Polen gibt es nichts zu vermitteln und jedes Lamentieren schlägt sich demnach auf die Seite des fröhlichen Untergangs. „Es offenbart sich hier die Vollendung einer Perversion, die allerdings den Einbau der Opposition in die Herrschaft zur Voraussetzung hat: Die Öffentlichkeit (...) dient heute dazu, Aktionen gegen die Machthaber rechtzeitig zu erkennen und einzudämmen. (...) Damit ist die Grenze angegeben, an der die nicht-parlamentarische Opposition Halt zu machen hat. Die Grenze wird weder von der Schärfe noch von der Richtigkeit der Kritik bestimmt, sondern von der politischen Zielsetzung und von dem Ausmaß der öffentlichen Wirksamkeit.“(26)
Es geht bei der unabwendbaren Zuspitzung in Hopp oder Topp letztlich nicht darum, ob irgendetwas weiter unter dem altruistischen Etikett Antifa dahindümpelt – schließlich braucht dieser Staat auch eine innenpolitische NGO zum Schutze der Menschenrechte, und dieser Platz ist noch zu haben, da ist die sachkompetente dynamische Antifa Top-Favorit –, sondern schlicht und ergreifend um die Rückbesinnung auf das Ziel einer befreiten Gesellschaft, deren Implikationen sich durch Neuaneignung von materialistischer Dialektik, Kritik der Politischen Ökonomie, Psychoanalyse und Kritischer Theorie einer erkenntnis- und ideologiekritischen Herausforderung neuen Typs stellen will. Die Antifa hat nicht etwa ein falsches Verhältnis zur radikalen Praxis, sie kennt letztlich gar keine, denn sie verkörpert nichts weiter als die bürgerliche Praxis des Scheins, der zweiten Natur. Übertüncht durch Feindschaft als Absage an radikale Praxis erweist sich die jetzige Bewegungs-Praxis als „Pseudo-Aktivität“ (Adorno) und damit als jene Praxisfeindschaft: wer vor einer Praxis der Abschaffung zurückschreckt, in dem er Befriedigung im opponierenden Mitmachen und Mitgestalten sich sucht, handelt entweder bewußtlos oder wider besseren Wissens. Ersteres ist bürgerliches Schicksal(27), zweiteres Überzeugungstäterschaft. Der Standort dieser wie aller Erkenntnis ist kein gesicherter der Theorie. Eine Sicherheit gibt es nicht.
Dialektisches Denken muß sich demzufolge vor der Axiomatiserung hüten, davor also, daß sie zum Grundsatz oder zur Methode verkommt und so zum sicheren Stand für Kritik wird. Letztlich kann erkenntniskritisch nur vermutet werden, inwieweit das Denken als eigenes Urteil sich der Wertförmigkeit desselben entziehen, diese überwinden kann. Das ist der entscheidende Punkt dafür, wie weit die Immanenz der Totalität reicht und wann ihr das Denken transzendental sich entgegenstellt. „Wenn sich die wahren von den falschen Theorien durch viele Zeichen unterscheiden, so ist doch die theoretische Sicherheit so wenig wie die praktische vorausgesetzt, sondern einem historischen Prozeß anheimgegeben, zu dem sowohl Schärfe des Verstandes wie unter Umständen der Einsatz des Lebens gehört.“(28) Dialektik ist „unabgeschlossen“ (Horkheimer) und daher einer ständigen Prüfung zu unterziehen. Das Mittel dafür aber ist die Dialektik selbst und nicht ihre Entledigung, wie es die postmodern blökenden Lämmer uns kund tun wollen. Das Verharren in der Negativität ist die Konsequenz der Totalität. „Nur in der Negation des existierenden Falschen erweist die Theorie ihre Wahrheit als Praxis.“(29)
Kritik und Agitation
Die Antifa als kollektive Ideologin und Propagandistin imitiert die Gebährden von Managern und hat sich längst mit diesen in der Praxis versöhnt. Sie ist dabei Teil der Modernisierung des Kapitalismus, Teil der New Economy. Ihre Corporate Identity ist ausgefeilter als das Angebot so mancher Werbeagentur, sie ist distinktiv und chic. So werden in der Antifa tagein-tagaus kritische Saatsbürger herangezüchtet, die sich ihr konstruktives Mitmachen als destruktive Verweigerung halluzinieren. Der destruktive Charakter aber, so wußte Walter Benjamin, kennt nur eines: „Die Einsicht, wie ungeheuer sich die Welt vereinfacht, wenn sie auf ihre Zerstörungswürdigkeit geprüft wird.“ Und dazu ist er „gar nicht daran interessiert, verstanden zu werden.“(30)
Verständnis ist also ambivalent zu deuten, als Verständnis davon, daß die bürgerliche Scheiße nicht verstanden werden soll und linke Expertisen – egal über was – sich verbieten. Destruktivität verharrt deshalb selbstredend in der Kritik. Sie soll nicht eingelullt werden und vermeidet deshalb jede öffentliche Bittstellerei als Experte für dies oder das. Ihr geht es nicht um Vernunft als rationalisierte Vermittlung, auch Praxis genannt, weil sie nicht in Widerspruch zur Unvernunft der Kritik geraten möchte. Vernünftige Kritik ist Ideologie, wird mit Identität belohnt. Identität aber neigt immer dazu, die Fähigkeit zur Kritik überhaupt zu verlieren: sie fährt sich selbst in der bürgerlichen Scheiße fest.
Es geht hier nicht darum, in Abrede zu stellen, daß sich konkrete Erscheinungen wie Sexismus, Rassismus, Nazis oder Antisemitismus auch anders bekämpfen ließen. Es geht hier um das Rekurrieren auf radikale Kritik als Unterschied zum bürgerlichen Denken, deren Kritik eine Kritik der Verhältnisse, dem es entspringt, sein muß. Nur so lassen sich deren wahre objektive Ursachen in der Erkenntnis hintergehen. Nur so lassen sich die bürgerlichen Verhältnisse demaskieren, welche die objektiven Ursachen für alle Erscheinungen darstellen. Das mephistophelessche Gesetz, daß, wer das Gute will, stets das Böse schafft – es reproduziert –, ist ein bürgerlicher Automatismus, dem verfällt, wer sich einer dialektischen Kritik entledigt oder verweigert. Grau ist alle Theorie, so heißt es ebenfalls im Faust. Und fürwahr, sie muß es sein. „Denn ob die Gesellschaft anders als kapitalistisch organisiert werden kann, das war immer eine praktische Frage.“(31)
Das konstitutive der Antifa ist die Abwesenheit einer Fundamentalkritik der Gesellschaft. Man bastelt sich zwar so allerhand zusammen, was wie wohl mit was zusammengehören könnte. Für ein radikale Kritik der Verhältnisse aber reicht das Rüstzeug nicht hin und nicht her. Einer der Gründe dafür ist der Begriff des Antifaschismus als Brücke in die politische Landschaft des Gemeinwesens. Es ist eine der unverfrorenen Lebenslügen zu behaupten, man könnte diesen bequemen Übergang von der pseudorebellischen Jugendlichkeit zur politischen Verantwortungsübernahme jederzeit sprengen. Daß man es bisher nicht getan hat, ist nach dem eigenen Selbstverständnis nie eine Frage der fehlenden Notwendigkeit gewesen, sondern für die Antifa eine rein konstitutive Voraussetzung für die gesamte Existenz. „Ihre Überheblichkeit rührt daher, daß, in den Formen der Konkurrenzgesellschaft, in denen alles Sein bloß eines für anderes ist, auch der Kritiker selbst nur nach seinem marktmäßigen Erfolg gemessen wird, also daran, daß er es ist.“(32)Daraus läßt sich schlußfolgern, daß die Vorbedingung einer radikalen Kritik von deren Seite die Loslösung vom Begriff des Antifaschismus überhaupt ist. Ihn beizubehalten verlängert das Elend des zwanghaften Mitmachens für sich und andere. „Die von der theoretischen Einsicht in mißachtete historische Chancen getragene Systemkritik bedarf zu ihrer Selbstvergewisserung einer zusätzlichen Evidenz. Sie schafft sich diese in Form einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: in der auf empörende Anlässe hin einsetzenden Bewegung. Hier wird der jeweilige Anlaß – ein Widerspruch im System von zunächst ungeklärter Tragweite und Stringenz – mit dem Gegensatz, den die konkrete Utopie aufreißt, identifiziert. Erst wenn das System entgleist, kann es als das Gesamtübel, das es ist, diskreditiert werden: als System, das gar nicht engleist ist, sondern seinem Wesen entsprechend gehandelt hat. Die Folgen eines solchen Fundamentalopportunismus liegen auf der Hand. Solange das System nicht entgleist bzw. die auftretenden Mißstände nicht ideologiekritisch nach vertrautem Muster zu deuten sind, erscheint es als hinnehmbar.“(33)
Adorno war das Primat der Praxis suspekt. Gegen deren gesellschafstkritische Aufhebung als Einheit von Theorie und Praxis, dieser „klappernden und mechanischen Weise“, wandte er unter dem Eindruck der 68er ein, daß diese Einheit keine sei, sondern eine Vorherrschaft des Aktionismus. Dagegen verteidigte er gar die bürgerliche Trennung von Theorie und Praxis als „Humanität“, deren versuchte Vereinheitlichung ja dieselbe Trennung als Arbeits- und Denkleistung voraussetzt.
Ein Bedürfnis nach Aufhebung von Theorie und Praxis in der Kritik als einer der Scheidung von Aktivität und Inaktivität, von anerkannt und nichtanerkannt, garantiert derselben die Beweglichkeit, die sie braucht, um nicht zur Ideologie zu verkommen. Eine vollendete Aufhebung der bürgerlich erzeugten Dichotomie von Theorie und Praxis ist das Ergebnis einer freien Gesellschaft und so alleinig dieser vorbehalten. Die Bestrebung als Negation ist aber nicht nur ein erlaubter Vorgriff, sondern gar eine Vorleistung: „Kritik ist so die Denunziation all dessen, was in Gestalt von Ideologie, die Selbstbesinnung des Einzelnen oder der Gattung torpediert, ist die vermittlungslose Feindschaft.“(34)
Ihr Mittel ist die Agitation. „Die leicht angeschauerte Verabschiedung“ der Antifa von dieser „verweist darauf, daß man nichts mehr will“(35), außer öffentlich Schwätzchen zu halten über dies und das, was einen so kollektiv bekümmert oder denkt, bekümmern zu müssen: gestern Nazis, heute Rassismus und übermorgen der Königin ihr Kind (frei nach Rumpelstilzchen). Agitation ist verharrende Konfrontation statt Vermittlungsarbeit. Sie hat sich der Propaganda entledigt, weil diese die Menschen manipuliert. „Wo sie Freiheit schreit, widerspricht sie sich selbst. Verlogenheit ist unabtrennbar von ihr. (...) Noch die Wahrheit wird ihr ein bloßes Mittel zum Zweck, Anhänger zu gewinnen, sie fälscht sie schon, indem sie sie in den Mund nimmt. Deshalb kennt wahre Resistenz keine Propaganda.“(36)
Agitation ist auch Erklären, aber kein Dummenfang. Sie kann sich wiederum unzähliger Mittel bedienen, denn auf den Inhalt kommt es an: das Flugblattverfassen und -verteilen, die Veranstaltung, der Kongress, die Demonstration, die Zeitschrift, das Organisieren – der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, außer die des bürgerlichen Staates und der objektiven Zwangsbedingungen des Kapitals. Konstruktive Agtiation aber ist keine: „Stets findet man dem Wort Kritik, wenn es denn durchaus toleriert werden soll, oder wenn man gar selber kritisch agiert, das Wort konstruktiv beigestellt. (...) Durch die Auflage des Positiven wird Kritik von vornherein gezähmt und um ihre Vehemenz gebracht.“(37)
Wer Reklame macht für seine Sache ohne agitatorisch zu konfrontieren, ist Propagandist und als solcher Träger von Ideologie. Er verkommt mit dem Rüstzeug der Theorie zum Dresseur der Wirklichkeit, um sich die Menschen zu erobern, derer er sich bedient anstatt sie mit ihrem Stande der Unfreiheit zu konfrontieren. Bei der Antifa nennt sich dies Bündnispolitik und deren Vorleistung ist seit Generationen von Linken immer schon die Selbstaustreibung agitatorischer Züge gewesen.

Schluß (mit Antifa)
Die Antifa pflegt ein unauflösbares ambivalentes Verhältnis zu ihren Nazis und deren Faschimus bzw. Nationalsozialismus – ob sie nun real exisitieren oder nicht, ob sie nun gesellschaftliche Relevanz besitzen oder nicht, ist dabei zweitrangig. Das strukturelle Gefüge nötigt die Gedanken in jene Form einer Art Zwangskorsett des historischen Antifaschismus, in der die Identität sicher und geborgen sich vor radikalen Einflüssen abgeschottet hat und einrichten konnte. Aus dieser Konstellation erwächst jene hartnäckige Faktenresistenz, die über permanente Augenwischerei der letzten Jahre alles Handeln zur aktionistischen Blindheit führte. Das verleugnete Fehlen von Radikalität gerät so zur Selbstvergewisserung der eigenen Handlungsfähigkeit. Der Popanz aktionistischer Sinnlosigkeit ist im Unbewußten allgegenwärtig. Nach dem Prinzip des Waldes, den man vor lauter Bäumen nicht gewahr wird, will man die Krise therapeutisch aussitzen. Man will Kontakt aufnehmen, wo der Saft längst abgedreht ist, weil der Stromgigant namens Staat entgegen der Prinzipien des Postfordismus das Monopol an sich gerissen hat. Der verordnete staatliche Antifaschismus der Berliner Republik war der Lackmustest, der die Antifa ihres Pseudonyms des Linksradikalismus überführte. Ihres eigenen Anspruchs entkleidet, klammert man sich um so fester an das Gewohnte: der Antifaschismus als Rettungsanker eines erlittenen Schiffbruchs – welch Irrsinn!
Wenn der Begriff des Antifaschismus als „Konzept“ beibehalten wird, so soll noch einmal betont werden, dann gibt es kein Entrinnen aus der gesellschaftlich zugewiesenen Ecke des Expertentums, das sich bei näherer Betrachtung eben als getarntes Mitmachen enpuppt.
Die Bestimmung als Bewegungs-Melder faschistischer und rassistischer Tendenzen in der bürgerlichen Gesellschaft ist folgerichtig und seitens des bürgerlichen Staates konsequent. „Der kollektive Zwang zu einer Positivität, welche unmittelbare Umsetzung in Praxis erlaubt, hat mittlerweile gerade die erfaßt, die sich in schroffstem Gegensatz zur Gesellschaft meinen. Nicht zuletzt dadurch ordnet ihr Aktionismus dem herrschenden gesellschaftlichen Trend so sehr sich ein. Dem entgegenzusetzen wäre (...), daß das Falsche, einmal bestimmt erkannt, und präzisiert, bereits Index des Richtigen, Besseren ist.“(38)
Das schrieb nicht etwa ein profunder Kenner der Antifa von heute, sondern Adorno 1969. Dessen anzumahnende verzweifelte Aktualität – gerade angesichts des Scheiterns der 68er und deren Folgen, denen seine Zeilen in erster Linie galten – legt in Gänze das Desaster Antifa offen.

(Teil EINS und ZWEI erschienen in den Februar- und März-Ausgaben des Cee Ieh, Teil drei ist die letzte Folge.)

Fussnoten:
(1) Karl Marx, Thesen über Feuerbach, in: Marx/Engels, Ausgewählte Schriften II, Berlin 1966, S.370
(2) ebenda S.371
(3) vgl. Alfred Sohn-Rethel, Geistige und körperliche Arbeit: Zur Epistemologie der abendländischen Geschichte, Weinheim 1989, S.14-19 und derselbe, Das Geld, die bare Münze des Apriori, Berlin 1990, S.30
(4) vgl. Karl Marx a.a.O., S.372
(5) vgl. Marx’ Brief an Ludwig Kugelmann a.a.O. S.431
(6) Die schlaueren unter den Vertretern dieser Philosophie wissen, daß man dies nicht leugnen sollte, weil man sich sonst gleich der Lächerlichkeit preisgäbe. So heißt es dann auch anmaßend: „Mit dem traditionellen Marxismus teilt der Poststrukturalismus den Umschlag von Kritik in Affirmation.“ (vgl. Kornelia Hafner, Liquidation der Ökonomie oder ihre Kritik?, in: jour-fixe-initiative berlin (Hg.), Kritische Theorie und Poststrukturalismus, Hamburg, 1999 S.121
(7) So erklärte ein offizieller Vertreter des Leipziger Bündnis gegen Rechts auf einer Veranstaltung mit dem Titel „Politik oder Kritik?“ allen Ernstes, daß eine Theorie, die nicht „praktisch“ werden könne, „wertlos“ sei. Damit sind dem Denken verheerende Grenzen gesetzt.
(8) Initiative Sozialistisches Forum, Der Theoretiker ist der Wert, Freiburg 2000, S.47
(9) ebenda S.95
(10) in: Jungle World Nr.29 vom 12. Juli 2000
(11) Initiative Sozialistisches Forum a.a.O. S.17
(12) Wer sich tatsächlich der lohnenden Mühe unterziehen möchte, einen umfassenden Einblick zu erhalten, dem seien die drei von Wolfgang Kraushaar herausgegebenen Bände „Frankfurter Schule und Studentenbewegung“, Hamburg 1998, wärmstens empfohlen.
(13) ebenda, Bd.2, Hans-Jürgen Krahl, Kritische Theorie und Praxis, S.695
(14) ebenda S.696
(15) ebenda, Bd.3., Alex Demirovic’, Bodenlose Politik – Dialoge über Theorie und Praxis, S.82
(16) ebenda, Bd.2, Hans-Jürgen Krahl, S.693
(17) in: Stichworte, Kritische Modelle 2, Frankfurt am Main 1969, S.181
(18) Johannes Agnoli, Die Transformation der Demokratie, Freiburg 1990, S.183
(19) Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch, München, 1994, S.267
(20) Hans-Jürgen Krahl a.a.O. S.694
(21) zitiert nach Alex Demirovic’ a.a.O. S.83
(22) ebenda
(23) ebenda S.84
(24) Frank Böckelmann, Bewegung, in: Wolfgang Kraushaar (Hg), a.a.O., Bd 3, S.204
(25) ebenda S.216, 219, 220, 225
(26) Johannes Agnoli, die Transformation der Demokratie, Feiburg 1990, S.93
(27) „Sie wissen das nicht, aber sie tun es.“ (Karl Marx, Das Kapital, Band I, Berlin 1955, S.79
(28) Max Horkheimer, Gesammelte Schriften Bd.4, S.292; hier zitiert aus: Rolf Wiggershaus, Max Horkheimer, Hamburg 1998 S.66
(29) Manfed Dahlmann, Kritische Theorie am Ende?, www.isf-freiburg.org
(30) Walter Benjamin, Der destruktive Charakter, in: ak kassiber, Aneignung 2, Berlin 1996, S.07 und 08
(31) Manfred Dahlmann a.a.O.
(32) Theodor W. Adorno, Kulturkritik und Gesellschaft, in: ders. Gesellschaftstheorie und Kulturkritik, Frankfurt am Main 1975 S.47
(33) Frank Böckelmann a.a.O. S.222
(34) Initiative Sozialistisches Forum a.a.O. S.112
(35) vgl. Bahamas Nr.26, 1998, Editorial S.04
(36) Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt am Main 1969 S.272
(37) Theodor W. Adorno, Kritik, in: Wolfgang Kraushaar Bd.2 a.a.O. S.635
(38) ebenda S.639


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last modified: 28.3.2007