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Wertkritik ohne Wertbegriff

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Anselm Jappe: Die Abenteuer der Ware. Für eine neue Wertkritik, Unrast Verlag, Münster 2005, 253 S. (16,- Euro)

Das Buch ist im Infoladen im Conne Island zur Ausleihe erhältlich.

Bücher zum Thema Ökonomiekritik haben in letzter Zeit eine gewisse Konjunktur. Veröffentlichungen wie die von Dieter Wolf (2002), Moishe Postone (2003), Michael Heinrich oder Jan Hoff (2004) können dabei als Produkte einer ‚neuen Marx-Lektüre' verstanden werden, die in den späten 1960er Jahren vor allem in der Bundesrepublik einsetzte. Auch Jappes als Einführung in die Wertkritik konzipiertes Buch steht in dieser Tradition. Doch ist der Terminus ‚Wertkritik' hier in den spezielleren Zusammenhang einer mit der Krisis-Gruppe verbundenen Marx-Rezeption einzuordnen. Der ‚politisch und intellektuell monadologisch abgeschlossene Gruppenmarxismus' (Backhaus) der Krisis wird von Jappe gar zum höchsten und letzten Stadium kritischer Theoriebildung stilisiert (61), die von „akademischen Neo-Traditionsmarxisten“ (187) abzugrenzen sei.
So breitet Jappe denn auch vornehmlich Grundannahmen der Krisis-Strömung aus, wobei eine kritische Distanz selbst in Detailfragen nicht zu erkennen ist, aber wenigstens eine Sprache vorherrscht, die sich über weite Strecken wohltuend vom feuilletonistischen Stil eines Robert Kurz mit seinen zum Teil übergeschnappten Metaphernreigen unterscheidet. Damit ist allerdings auch der zentrale – der Autor verzeihe mir meine ‚arbeitsontologische' Ausdrucksweise – Gebrauchswert dieses Buches schon benannt.
Dessen grundlegende Operation besteht in der Identifizierung eines „doppelten Marx“ (11) – eines kapitalimmanenten Modernisierungstheoretikers und eines Analytikers der Vergesellschaftung über Wert, Geld und Kapital. Der ‚esoterische' Teil in Marx' Theorie soll nun zur ‚fundamentalen Wertkritik' weiterentwickelt und gegen den Traditionsmarxismus geltend gemacht werden. Dieser habe vor dem Hintergrund einer Ungleichzeitigkeit zwischen Kommodifizierung der Arbeitskraft und rechtlich-politischer Inklusion ihrer Besitzer im 19. Jahrhundert (91) unbewusst das Programm der Integration der Arbeiterklasse in die bürgerliche Gesellschaft betrieben, dabei aber den von Beginn an nur als Binnenwiderspruch (84) existierenden Gegensatz von Lohnarbeit und Kapital als systemtranszendierenden imaginiert.
Diesem Integrationsbemühen entsprach Jappe zufolge die positive Inanspruchnahme der von Marx gerade ihrer historischen Spezifität und Abschaffbarkeit überführten Formen Wert, Geld und Staat als selbstverständliche Medien proletarischer Emanzipation. Marx' Ökonomiekritik sei dabei – wenn überhaupt – als metaphysische Spitzfindigkeit wahrgenommen und ‚Das Kapital' so auf einen linken Ricardianismus reduziert worden. Statt den konstitutiven Zusammenhang von Ware, Geld und Kapital zu begreifen, sei Marxismus lediglich als alternative Indienstnahme des überhistorisch gefassten Wertgesetzes zwecks Abschaffung der Mehrwertabpressung konzipiert worden (89f.), was ein Verständnis von Wert als Produkt von Arbeit statt als Darstellungsform einer historisch-spezifischen sozialen Organisationsform – abstrakter Arbeit – impliziert habe (38). Gerade der real abstrakte, versachlichte Charakter moderner Herrschaft sei dabei aus dem Blick geraten und durch ein ‚soziologistisches' Modell des Kapitalismus als personaler Herrschaft in sachlich verschleierter Form ersetzt worden (82, 87). Marxismus verstand sich in dieser Hinsicht als Entschleierung und Entlarvung der Klasse, die das Ruder in der Hand hält.
Jappe treibt, wie die Krisis-Gruppe, diese noch heute auf viele taube Ohren stoßende Auseinandersetzung mit der marxistischen Tradition – die allerdings den einen oder anderen Textbeleg verdient hätte – nun aber zu einer Marx-‚Rekonstruktion' fort, die dessen Ökonomiekritik bestenfalls auf Feuilleton-Tauglichkeit herunterbricht und nicht selten im Irrationalismus einer Aufklärungskritik endet, die ihren Gegenstand stets umschifft, niemals aber durchschritten hat. Man mag dabei sogar von der fragwürdigen Krisentheorie in Gestalt der von Marx selbst später revidierten ‚Wertabschmelzungsthese' (104, 125) absehen, ebenso von der unzulässigen Reduktion des Klassenbegriffs auf eine nur empirisch-soziologische Kategorie (81, 87) – als läge das ‚Geheimnis der Plusmacherei' (im werttheoretischen Sinne) auf der Hand. Nachsehen mag man Jappe auch die merkwürdige Konfundierung von gesellschaftlichem Charakter konkreter Arbeit und gesellschaftlicher Arbeitsteilung, die einen ‚Kommunismus der Sachen' bereits hier und jetzt am Werke sieht (44f., 127) sowie den Rückfall in eine substantialistische Werttheorie, die mit der Annahme der ‚Arbeitsabstraktion' vor allem Tausch einhergeht (150). Brenzlig wird es aber, wenn die selbsterklärte Wertkritik ihren Wertbegriff zu bestimmen sucht: Dann wird unter ‚Wert' nämlich nicht ein gesellschaftliches Verhältnis von Sachen verstanden, in das sie von Menschen unter bestimmten Vergesellschaftungsbedingungen der Arbeit gesetzt werden, sondern ein ‚Gedankending' als intersubjektives, unbewusstes Set von Normen.
Geradezu absurd zu nennen ist die, dem italienischen Marxisten Lucio Colletti entliehene, These von der irrationalen (i.S. von ‚logisch-widersprüchlichen') Natur des Marxschen Gegenstands als Totalität ‚verrückter Formen'. Die reale Verselbständigung des Vergesellschaftungszusammenhangs (Wert) wird hier mit deren ideologischer Reflexion (Fetisch) identifiziert, Marx' Äußerungen über die systematisch falschen Vorstellungen der Akteure über die Natur der kapitalistischen Produktionsweise als dessen positive Beschreibung eines ‚real paradoxen' Gegenstands genommen. Wo Marx z.B. den Bilanzbegriff des Kapitals (Kapital als bloße Geldsumme), demzufolge aus Geld vermittlungslos mehr Geld wird, kritisiert (denn sonst wäre 4=5), dort entdeckt Jappe Einsichten in die „reale Mystik“ (161) der modernen Gesellschaft. Wer sich soweit von der ‚Aufklärungsrationalität' emanzipiert hat, der darf auch schon mal ohne zu schmunzeln die Ware als „gleichzeitig Sein und Nichtsein“ (193), als logischen Widerspruch, deklarieren.
Jappes Buch zeigt zwar durchaus treffend, wie sehr sich traditionelle Gesellschaftskritik bisweilen im Rahmen unhinterfragter und naturalisierter Kategorien bewegt. Es offenbart aber auch, dass eine postulierte Wertkritik noch lange keinen Wertbegriff macht. Die monadologischen Zirkel werden daran freilich keinen Anstoß nehmen.

Ingo Elbe

Diese Rezension erschien erstmalig in: Utopie Kreativ 181/ 2005


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last modified: 28.3.2007