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Tomorrow-Café, 1.5k

Mein Tag im BIZ

Oder: Zensur des Denkens und die ganz normalen Schrecken der Berufsvorbereitung

Sämtliche Ereignisse dieser Geschichte sind selbstverständlich frei erfunden. Mögliche exakte Übereinstimmungen mit der Realität müssen zufällig sein. *Namen wurden geändert.
Wenn man es mal genau betrachtet, war es ja nicht meine Idee, zusammen mit 25 anderen schwer erziehbaren Jugendlichen das Berufsinformationszentrum der Agentur für Arbeit zu besuchen. Es war auch nicht meine Idee, geboren zu werden, aber das Sexualleben meiner Eltern sollte hier etwas geringere Brisanz genießen. Gefragt hat MICH jedenfalls niemand. Kann ja kein Mensch wissen, dass die für jenen Bereich zuständige Frau Gabler* nicht nur dumm ist wie ein Rudel Badewannenstöpsel, sondern zusätzlich auch noch mit der Situation überfordert, wenn man in der 9. Klasse nicht unbedingt schon mit dem Gedanken Kinder zeugt, bis zum 65. Lebensjahr 8 Stunden am Tag zu schuften. Auf die Frage, was später mal aus mir werden soll, hatte ich zwar in der Grundschule genug Antworten in diversen Poesiealben hinterlassen, aber mittlerweile genoss das Wort Arbeit bei mir einen anderen Stellenwert. Ich hatte es zusammen mit Deutschland, Jesus Christus und dem Zeug, was sich gelegentlich unter den Fingernägeln ansammelt, in jenen Bereich meines Lebens verbannt, mit dem ich nie wieder etwas zu tun haben wollte. Aber wie das nun mal so ist, wenn man in einen Hundehaufen tritt und erfolglos versucht, das Zeug wieder vom Schuh zu reiben, so musste ich auch beim Thema Arbeit die Erfahrung machen, dass man mit widerlichen Dingen immer wieder aufs Neue konfrontiert wird. Ob man will oder nicht.

Adidas-Werk, 31.9k Zu diesen widerlichen Dingen gehörte also mit dem Thema Arbeit unweigerlich verknüpft auch Frau Gabler. Ihren Intelligenzquotienten erwähnte ich ja bereits. Mit der uns außerdem begleitenden GK-Lehrerin Frau Martey* hatte sie unter anderem noch gemein, dass beide so aussahen als seien sie die einzig noch atmenden Lebensformen, die das Aussterben der Dinosaurier überlebt haben. Und diese beiden – salopp gesagt – Mistviecher hatten nun zu verantworten, dass mir an einem Vormittag im Frühjahr meine von mir bis jetzt erfolgreich ignorierte berufliche Laufbahn etwas näher gebracht werden sollte. Etwas zu nah für meine Begriffe. Aber da bei solcherlei Anlässen gewöhnlich Schulstunden wegfallen, habe ich mir meinen Unmut auch hübsch fürs Arbeitsamt direkt aufgehoben. Zu Beginn unserer Kuschelstunde mit den Foltergeräten des Arbeitsmarktes stand planmäßig ein Test am Computer, bei dem mit modernsten Methoden jeder seinen Traumberuf errechnet bekam. Während die anderen, hirnlosen Klassenkameraden also vorm Rechner hingen, blieb für meine Freunde und mich noch genug Zeit, um gemütlich unser Pausenbier auszutrinken. Schließlich wussten wir, dass Grausames bevorstehen würde. Frau Gablers scheinbar kosmetisch eingebranntes Grinsen sollte seinem Sinn nach zwar beruhigend und vertrauenserweckend auf naive Jugendliche wirken, mir jedoch machte es Angst. Für gewöhnlich kenne ich so ein Grinsen von Menschen, die den Tod ihrer Opfer aus weniger humanistischen Gründen über mehrere Tage hinweg ausdehnen können. Nun würde ich das im Wesentlichen nicht allen Mitarbeitern der Arbeitsagentur zutrauen, aber als prinzipiell vorsichtiger Mensch machte ich mich schon mal darauf gefasst, in den nächsten Minuten Zeuge oder Opfer eines mittelgroßen Massakers zu werden. Und schließlich genau in diesem Kontext erlebte ich auch ihre ersten Worte. Bei „Schön dass ihr alle hier seid“ und „üblicherweise habe ich nicht mit so jungen Menschen zu tun“ begann mein Puls zu beben. Was hatte sie vor? „Dennoch werde ich versuchen, auf jeden von euch intensiv genug einzugehen. Ihr seid zwar erst in der 9. Klasse, aber machen wir uns nichts vor: so langsam kommen dann ja doch Entschlüsse auf euch zu, die über euer weiteres Leben schwerwiegend entscheiden können.“
Mein Entschluss stand augenblicklich fest. Ich würde mir einen der eher nationalistisch eingestellten Mitschüler schnappen und ihn als Schutzschild benutzen. Das ist ganz einfach. Tausende Male habe ich so was schon im Fernsehen gesehen. „Bereits in der 7. Klasse habt ihr ja mit der Wahl eures Profils schon ungefähr bestimmt, auf welche Bahn ihr euch begeben wollt. Hier und Heute könnt ihr die Perspektiven dieser Entscheidung auch noch etwas konkreter kennen lernen.“
„Moment mal!“ Hörte ich es in meinem Kopf aufschreien. „Das ist doch unfair! Ich war doch damals erst 13. Die meisten Vokabeln stehen nun mal nicht im Tafelwerk und Sprachen lagen mir nicht so besonders. Ist das denn so schlimm?! Außerdem haben den Zettel meine Eltern unterschrieben und mich sozusagen von dieser Schuld frei gesprochen. Sind denn Naturwissenschaften schon ein Grund zu sterben!?“ Frau Gabler fuhr damit fort, eher wahllos irgendwelche mathematisch orientierten Berufsgruppen aufzuzählen und so langsam fiel mir dann auch wieder ein, warum wir überhaupt hier waren. Es gab ja gar keine Äxte an den Wänden oder Löcher im Boden, damit das Blut abfließen konnte. Und so wirklich schallisoliert war der Raum auch nicht. Was allerdings nicht wirklich beruhigend auf mich wirkte. Nach Verwesung und getrocknetem Menschensaft roch es hier zwar tatsächlich nicht, aber stattdessen präsentierten sich Plakate über Lehrstellen, Studienplätze und Bewerbungsangebote an der Tapete. Was ist da nun schlimmer? In Japan bedeutet karoshi immerhin soviel wie „Tod durch Arbeit“. Und die vom Tod gezeichneten Gesichter der arbeitstätigen Menschen, die ich sehe, wenn ich morgens betrunken nach Hause komme, kannte ich zur Genüge. Frau Gabler war demnach überhaupt gar keine Psychopathin, die den Tod ihrer Opfer über Tage ausdehnt. Sie war eine Psychopathin, die den Tod ihrer Opfer über ca. 45 qualvolle Jahre ausdehnen konnte.
„Vor allem die Entwicklung des neuen Technologie-Marktes und die damit verbundene berufliche Umorientierung vieler Berufsgruppen hat uns gezeigt, dass man sich nicht mehr nur auf eine Richtung spezialisieren sollte. Die eigenen Interessen und die berufliche Entscheidung müssen heutzutage viel flexibler sein, was für euch natürlich eine viel größere Spanne an Entscheidungsfreiheit bedeutet.“
So, So…Ich stellte mir die Frage, ob das nicht eine etwas eigenwillige Interpretation des Wortes „Freiheit“ ist. Die eigenen sozialen Beziehungen zurückstellen und irgendwelchen Jobangeboten hinterher ziehen; Entscheidungen über das eigene Leben an den Entwicklungen des Marktes ausrichten und alle Nasen lang Umschulungen mitmachen klingt für mich doch viel eher nach „Zwang“.
Dann stellte ich die Frage an Frau Gabler. Ihr Grinsen sah plötzlich viel weniger nach einer missglückten kosmetischen Operation aus, sondern eher so, als ob eine Überdosis Heroin zu wirken beginnt und das menschliche Denkorgan zur Sicherheit erstmal runtergefahren wird. Man konnte förmlich sehen, was sie gerade dachte: Nämlich gar nichts. Es wurden kurz einige hilflose Blicke mit Frau Martey ausgetauscht und dann fing die nette aber in jeglicher Hinsicht inkompetente Mitarbeiterin der Arbeitsagentur doch noch an, eher unbeholfen einige Fetzen rechtfertigender Argumente zu stammeln: „Ähm… na ja…also. Das funktioniert halt heute so und…also...na ja…immerhin wird ja auch die Versorgung von Menschen über den Markt organisiert und…“
„Die Nicht-Versorgung und der Hungertod von Zehntausenden täglich auch.“ Gab ich ergänzend zu Protokoll. Das war anscheinend zuviel der aktiven Unterrichtsbeteiligung. Aus meinem rechten Augenwinkel konnte ich sehen wie die violetten Halsadern unserer GK-Diktatorin zu pulsieren anfingen. „Also wirklich!“ schrie sie beinahe. „kannst du Frau Gabler nicht erstmal zu Ende erklären lassen. Es gibt hier auch Leute, die das interessiert!“
Die gab es tatsächlich. Reihe Eins und Reihe Zwei meiner bescheuerten Mitschüler waren sogar so dämlich, die ganze Zeit mitzuschreiben. „Na, ja was soll's“ dachte ich und begnügte mich für die nächsten fünf Minuten mit kurzem Gekicher. Es folgten einige Abhandlungen über die Möglichkeiten, sich im BIZ zu informieren; über verschiede Bewerbungsfragen und über die Umstellung von Studiengängen. Nach diversen Erläuterungen der momentan angeblich attraktivsten Berufsgebiete kam dann endlich mein lang erwarteter Moment. Frau Gabler war in der unangenehmen Situation, sich dem Dialog mit der Klasse zu öffnen. Mit gebrochener Stimme und ängstlichem Blick verließen folgende Worte ihren – nennen wir es mal – Mund: „Gibt es soweit Fragen zur Berufsorientierung?“
Die gab es allerdings. Da die erneute Kritik einer auf das Prinzip des Marktes ausgerichteten Gesellschaftsform wahrscheinlich etwas kitschig und moralisch gewirkt hätte, probierte ich etwas anderes aus. Außerdem betraf es diesmal auch wirklich die Perspektiven meiner finanziellen Absicherung: „Mich würde da eine Kleinigkeit interessieren“ Ich sah bereits wieder die violetten Adern. „Es gibt da so eine Gruppe von 4 bis 5 Millionen Menschen in diesem Land, die auch ohne berufliche Perspektive ihren Lebensunterhalt gesichert bekommen und da dachte ich mir, das ist genau die Richtung, die ich einschlagen möchte. Könnten sie mir da nicht ein paar Vorschläge machen? Ich meine wie man am einfachsten die Institutionen durchschreitet und am meisten Geld herausholen kann?“ Frau Martey wurde nun merklich aggressiver und Frau Gabler setzte wieder ihr Heroin-Gesicht auf. Als ob das nur ein blöder Scherz gewesen sei, schaute sie sich nach anderen Fragenden um. „Das war eine ernste Frage!“ gab ich ihr zu verstehen. Ihre Antwort kam etwas zögernd: „Also das geht doch so nicht…ich meine…also…man kann doch nicht ohne Arbeit und so…wenn das jeder…also du weißt doch…“
„Nö, weiß ich nicht.“ konterte ich unmittelbar. „Die besagten paar Millionen können das prima. Und die meisten von denen würden sich um eine Arbeitsstelle reißen. Wieso sollte ich, der ich gerne arbeitslos wäre, ihnen eine wegschnappen? Ist doch im Endeffekt für beide Seiten scheiße. Wir brauchen doch hier nicht so zu tun, als lebten wir in Zeiten der Vollbeschäftigung.“
Frau Gabler war, wie schon zu Beginn erwähnt, mit dieser Situation überfordert. Wie ein Affe vorm Buch stand sie da und sagte eine Zeit lang gar nichts. Dann machte sie das wahrscheinlich einzige, was ihrem begrenzten Geist zur weiteren Existenz verhalf. Sie tat so, als ob in der letzten Minute einfach nichts passiert wäre. „Gibt es noch Fragen?“ sagte sie.
„Also wenn sie so fra…“ konnte ich noch zu Verstehen geben, dann platzte Frau Martey der Kragen. Während die nette Tante vom BIZ in ihrer Hilflosigkeit über jede Unterstützung glücklich war, schrie mich unsere GK-Tyrannin an und in jenem Moment wehte eine Luftwolke zu mir herüber, die so roch, als ob in der letzten Nacht ein Tier in ihren Mund gekrochen und dort verendet wäre. Ich hielt mir die Hand vor die Nase. „Musst du denn hier immer stören?!! Das ist doch unverschämt allen hier gegenüber! Wir werden hier freundlicherweise eingeladen und was machst du?!“
Wie gesagt. Gefragt hat MICH jedenfalls niemand.
„Entweder du hörst jetzt auf, solche Fragen zu stellen oder du musst gehen!!!“ drohte sie. „Genau!“ sagte Frau Gabler nun wieder etwas selbstsicherer.
Als ich 2 Minuten später in der Straßenbahn saß, war ich zwar etwas verwundert darüber, dass mir der Mund verboten wurde, obwohl ich wie aufgefordert Fragen zum Thema stellte. Aber solche rohen und autoritären Stasimethoden konnte ich still verkraften. Immerhin war es nun meine Wenigkeit, die die nächsten 1 1/2 Stunden nicht im stickigen BIZ mit Frau Gabler, sondern im Park mit einer Glasbong sitzen konnte. Nächste Woche besuchen wir dann eine Kaserne. Ich freue mich irgendwie schon ein bisschen.

Sisyphos

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last modified: 28.3.2007