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Kultur-Report, 1.7k

Der Westen ist einsam(1)

Diffuse Anmerkungen zu Punk, Kritik und Politik

I.

Der folgende Text entstand nicht zuletzt auf Grund der Auseinandersetzung mit einem Artikel aus Bahamas Nr. 46/2005, der sich unter dem Titel „Lautsprecher der Mehrheit“ mit der „Verspießerung der deutschen Punkszene“ beschäftigt. Dessen Autor, Jan Gerber, hat sich die Mühe gemacht, einen Stapel von Ausgaben des Punk-Fanzines Plastic Bomb (PB) unter die Lupe zu nehmen und kam dabei zu einem wenig überraschenden Ergebnis: Insbesondere nach dem 11. September 2001 entwickelte sich dieses auflagenstarke Magazin zum „antiamerikanischen Kampfblatt, in dem Kolumnisten, Interviewer und Rezensenten im Vierteljahrestakt ihre Aufnahmeanträge in die Volksgemeinschaft formulierten“ (Bahamas 46, S. 38)(2). Anhand zahlreicher Textbeispiele weist er dabei nach, dass der „punkige“ Antiamerikanismus dem Gewäsch der nicht gerade unter Punkverdacht stehenden deutschen Mehrheitsgesellschaft nicht nur in nichts nachsteht, sondern dass er, und damit solche Leute wie die Schreiber des Plastic Bomb, selbst Teil der deutschen Mehrheitsgesellschaft ist. Kein Vorurteil scheint zu abgedroschen, keine Projektion zu schäbig, um nicht im PB die Seiten zu füllen. Geklagt wird über amerikanische Kulturlosigkeit und kulturelle Dominanz, der spätestens in den Köpfen der einfältigen LeserInnen immer das tiefgründige, authentisch „gewachsene“ Deutschland gegenübergestellt wird, das nichts lieber tut, als andere „Völker“ zu respektieren und mit Kapital und Staatsmacht so wenig zu tun hat wie irgendwas (deswegen beansprucht es ja auch einen Sitz im Weltsicherheitsrat). Die Politik der USA wird immer wieder zwanghaft in die Tradition des Nationalsozialismus gestellt. Da werden „amerikanische KZ’s“ (PB 38, S. 5) für Talibankämpfer gebaut und mal eben die „Vernichtung der irakischen Bevölkerung“ (PB 40, S. 5) geplant. Nur eine Randbemerkung wert ist, dass, wer solchen Unfug verzapft, auch für Israel meist nicht viel übrig hat. Dieses „wird von den USA mit Waffen vollgepumpt, um ein Bein im Nahen Osten stehen zu haben. Und mit diesen Waffen werden Palästinenser ermordet und von ihrem Land vertrieben, welches ihnen rechtmäßig zusteht.“ (PB 37, S. 57). Naja, eine wirkliche Überraschung ist das wie gesagt alles nicht. Der Artikel beschränkt sich aber leider nicht darauf, empirisch zu unterfüttern, was ohnehin klar sein dürfte: Dass auch Leute in der Punkszene oft keine KritikerInnen, sondern einfach deutsche Dumpfbacken sind; dass viele der sich an der politischen Linken orientierenden Punkbands in ihrer Ausrichtung die Irrtümer dieser Linken übernommen haben. Fragwürdig scheint mir aber nicht nur die hiesige Punkszene, sondern auch der Artikel selbst.
Im Folgenden möchte ich ihn auf seine ideologischen Implikationen hin untersuchen. Der Kritik an Antiamerikanismus, Antisemitismus und Antizionismus kommt dabei eine untergeordnete Rolle zu, vertrauend darauf, dass ihr an anderer Stelle entsprechender Platz eingeräumt wird. Es wäre auch sinnlos, einen Artikel z. B. über Antiamerikanismus speziell bei Punks zu schreiben, denn der Antiamerikanismus ist überall der Gleiche. Klar ist: Wer solchen Schrott im Kopf hat ist mindestens ein mieser Spießer/eine miese Spießerin, ganz egal, was für eine Frisur oder was für einen Musikgeschmack er/sie hat.

II.
      Der Kleinbürger ist ein Mensch, der unfähig ist, sich den anderen vorzustellen. Wenn der Andere sich seinen Blicken zeigt, wird der Kleinbürger blind, oder er ignoriert oder leugnet ihn, oder aber er verwandelt ihn in sich selbst
      Roland Barthes (3)
Die Geschichte der Punk-Bewegung wird bei Jan Gerber zur Märchenstunde. Zunächst charakterisiert er sie im Gegensatz zur Protestbewegung der 60er, wobei er den optimistischen, auf gesellschaftliche Veränderung drängenden Studenten die Punks entgegenstellt, die sich „mit der Unveränderlichkeit der Zustände zwar abgefunden (haben), sich aber nicht mit ihnen arrangieren wollen.“ (S. 37). Anstatt gegen die Verhältnisse zu kämpfen, hätten sich die Punks lieber als Ausdruck derselben stilisiert. Einher gehe dies mit einer Absage an die Politik: „Unter der Voraussetzung, sich weder rechts noch links zu verorten, bezog Punk seine Legitimation daraus, den Bürgern permanent die Sinnlosigkeit und Erbärmlichkeit ihrer eigenen Existenz vor Augen führen zu wollen.“ (ebd.). Laut Gerber änderte sich dies in der ersten Hälfte der 80er Jahre, als die Hardcoreszene mit ihrem Ideal von Härte und Stärke über die demonstrativ kaputten Punks hinwegfegte und die Verbliebenen sich angeblich in „sogenannte Politpunks“ wandelten und die „infantile Welterklärung der Hausbesetzer- und Autonomenszene“ übernahmen und mit ihr die ideologische Eintrittskarte für die Volksgemeinschaft gleich dazu. Die nicht ins Deutschtum integrierbaren Aspekte der Punkbewegung seien nach und nach weggefallen oder von der Wirklichkeit eingeholt worden und der Weg heim in den Schoß der Nation wurde zur reinen Formsache. Dies sollen dann die Ergüsse des Plastic Bomb belegen. Der losgelöst von jeder politischen Reflexion existierende Punk der 70er, in dem nur individuelles Leiden ohne Anspruch auf gesellschaftliche Veränderung ausgedrückt wird, übernimmt „plötzlich“ die politische Ausrichtung der Autonomen und verkommt.
Ein Blick in die USA führt ihn zu der Feststellung, dass zwar auch dort nicht alles zum Besten steht, im Gegensatz zur BRD, deren Punksszene ein Bild „freiwiliger kollektiver Gleichschaltung“ biete, gebe es dort aber neben zahlreichen antiamerikanisch agitierenden Punks immerhin noch ein Häufchen Anständiger: „Mit Conservative Punk existiert jedoch auch eine Initiative, die den Ressentiments und den Anti-Bush Statements der Punkvoter entgegentritt.“ (S. 40) Die Initiative, deren Name bereits verrät, wie sehr sie geeignetes Gegengift zur „Verspießerung der Punkszene“ ist, tritt mit ihrer an die amerikanischen Neocons erinnernden „Kombination aus liberalem und klassisch wertkonservativen Denken“ (S. 40) das legitime Erbe einer Subkultur an, die, wie Gerber ausnahmsweise richtig bemerkt, Negation sein will, „kein Gegenbild zu den etablierten Lebensentwürfen, Wertvorstellungen und Umgangsformen“ (S. 37), sondern vielmehr „Ablehnung und ästhetische Entlarvung des elterlichen Lebens“ und „Absage an einen positiven Gegenentwurf“. Schade nur, dass gemäß dieser Definition, die zu Beginn des Artikels geliefert wird (und an die sich zumindest anknüpfen lässt), Conservative Punk nicht mehr mit Punk zu tun hat als das erschreckend deutschtümelnde Gewäsch von Plastic Bomb und Ox. Das scheint auch Gerber zu merken und erklärt, dass sich auf der Homepage (www.conservativepunk.com) auch „jede Menge reaktionären Schunds“ finde, u.a. das in Kindersprache übersetzte ideelle Todesurteil für Faulpelze „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“ („No workie, no foodie!“). Auch antikommunistische Slogans und Klagen über Amoralität und Werteverfall wollen nicht so recht gefallen. Doch Gerber weiß um die Not der Stunde und dass sie nach klaren Fronten verlangt. Die Frage nach dem Preis an richtigem Bewusstsein, den diese Front fordert, stellt er sich dabei genau so wenig wie die nach ihrer realen Notwendigkeit. Die linken Gefühlsduseleien wie Kritik an Staat, Arbeit und Kapital, deren Autorität Gerber formell bestätigt, treten zurück und erweisen sich als Lippenbekenntnis, an dem er auch die deutschen „Politpunks“ zu ihren Ungunsten misst. Die neokonservativen Apologeten des Hungertodes nimmt er jedoch gluckenhaft unter seine Kritikerflügel, denn der „emphatische und zugleich naive Bezug auf das ‘Prinzip Amerika’ lässt die Conservative Punks die Ursachen des weltweiten Hasses auf die Vereinigten Staaten zumindest erahnen.“ (S. 40) Wenn zwei sich über Amerika streiten, und einer irrt sich, dann heißt das wohl automatisch, dass der andere mehr Recht haben muss. Wie widersprüchlich seine Argumentation dabei ist, sei hier an einem Beispiel vorgeführt. Einerseits attestiert er selbst den Conservative Punks Verbreitung „reaktionären Schunds“ und eine „Naivität“ in Bezug auf Amerika, was hier etwa „ausbaufähig, stehen zumindest schon mal auf der sicheren Seite“ bedeutet. Wenn er nur wenige Zeilen später die ganze antiamerikanische Fiesheit des Plastic Bomb gegenüber diesen respektablen Herren demonstriert, entgeht ihm wohl, dass deren Worte zugleich seine eigenen sind: „Es verwundert kaum, dass das Conservative Punk Movement zu einem der zentralen Hassobjekte einer deutschen Punkszene geworden ist, die sich dem vorherrschenden gesunden Volksempfinden nahezu vollständig unterworfen hat. (...) im Plastic Bomb wurden die Gedanken von Michael Graves auf eine ‘fast schon kindische Naivität’ (PB 48, S. 27) zurückgeführt und die Initiative als ‘Schwachsinn’ (PB 47, S. 95) bezeichnet.“ (S. 40). Schon blöd, wenn sich Bahamas und Plastic Bomb auf einmal einig sind!
Gerber möchte den Punk – oder was er dafür hält – offensichtlich nicht völlig verwerfen. Seine Behauptung, die frühen Punks seien weder rechts noch links gewesen ,ist zwar leider falsch, die Konstruktion einer „ursprünglich unpolitischen“ Punkbewegung kommt ihm aber sehr gelegen. Wo keine Politik gemacht wird, braucht man auch keinen Antiamerikanismus zu wittern. Für Leute, denen der Antiamerikanismus (oder was sie darunter verstehen, bald wird das wahrscheinlich Antiliberalismus genannt) zum neuen Hauptwiderspruch zu werden droht, ist die punktuelle Identifikation mit der historischen Punkbewegung eine feine Sache, da sie nun einmal in der bürgerlichen Gesellschaft angekommen sind. Dumm nur, dass z.B. auf der ersten LP von THE CLASH (1977) ein Lied namens „I’m so bored with the USA“ ist! (Ob dieser Song überhaupt antiamerikanisch ist, weiß ich nicht, es spielt aber auch hier keine Rolle.) Man kann Bands wie THE CLASH, GANG OF FOUR, CRASS u.v.a. alles mögliche ankreiden, an der Tatsache, dass sie dezidiert politisch auftraten, besteht wirklich kein Zweifel.(4) Die Gesamtheit der Punkszene – insofern überhaupt von ihr die Rede sein sollte – ist eine andere Frage, lässt sich zu keinem Zeitpunkt ihres Bestehens auf einen politischen Nenner bringen. Die Behauptung, die verbliebenen Punks hätten sich in den 80ern in linksradikale Politniks gewandelt und wären später verspießert ,sollte ebenso bezweifelt werden wie der pauschale Vorwurf der „infantilen Weltsicht“ an die Autonomen. Offen bleiben muss, welche politische Ausrichtung denn in den frühen 80ern die „richtige“ gewesen wäre. Hätten die Punks alle in K-Gruppen gehen sollen, um Mao und Lenin zu verschlingen, oder doch lieber Spendensammlungen für die U.S. Army in Nicaragua veranstalten?
Unter dem Vorwand, Empirie und Aufklärung zu leisten, feilt sein Artikel an einem Mythos, in dessen Ergebnis die Welt wieder ein Stückchen unbeweglicher geworden ist. Es ist Spekulation, ob die Punkszene deshalb zum Gegenstand eines solchen Artikels geworden ist, weil „die Linke“, mit der manche Antideutschen so gerne brechen möchten, sich bei näherer Betrachtung als ein nicht unter einen Hut zu bringendes Sammelsurium weniger kluger und vieler gefährlich dummer Gedanken erweist, nicht aber als der reaktionäre Monolith, mit dem man sich tatsächlich nicht mehr auseinanderzusetzen hätte. Gar nicht schwammig, sondern klar abgegrenzt präsentiert sich da die Punkszene, die plump mit der Tür ins Haus fällt und sich glatt verplappert, wo Linke erstmal „problematisieren“ oder sich ganz einfach als lernfähig erwiesen haben. Ganz en passant projiziert Gerber dabei jenes Subjekt in die Geschichte, das sich der unter Allmachtsphantasien leidende, weltflüchtige (Ex-)Kritiker wünscht, zu seinem Leidwesen aber nie gab: Absolut unzufrieden, im völligen Bruch mit seiner Umwelt lebend und ohne jede Reflexion auf politische Theorie, also absolut voraussetzungslos und durch das Genie mit dem nötigen Bewusstsein zu füllen. Diese Vorstellung gereicht selbst Dr. Frankenstein zur Ehre! Der Artikel ist eine Diskussionsbeitrag gewordene Diskussionsverweigerung, also Unfug, weil die für eine konstruktive Auseinandersetzung einzig denkbaren Leserinnen/Leser (das heißt: destruktiv in Bezug auf das falsche Bewusstsein, konstruktiv in Bezug auf dessen Träger/Trägerin) Angehörige der Zombiearmee reflexionsloser Körpergefäße sein müssten. Anstatt solcherlei bürgerliche Ideologieproduktion zu betreiben, hätte die Bahamas besser daran getan, auf diesen vier Seiten verwackelte Urlaubsfotos oder die Post-it-Klebezettel von den Kühlschranktüren der Redakteure abzudrucken: „Einkaufen: Käse, Wurst, Kaffee, Toastbrot, Ingwer“

III.
      „Mit dem Glück ist es nicht anders als mit der Wahrheit: Man hat es nicht, sondern ist darin. (...) Wer sagt, er sei glücklich, lügt, indem er es beschwört, und sündigt so an dem Glück.
      Theodor W. Adorno(5)
Mit dem „Punk sein“ ist es wie mit dem „glücklich sein“ – je mehr man sich versichert, dass man es ist, umso sicherer kann man sich sein, dass man es in genau dem Moment nicht ist. Insofern ist Punk ein Phantom. Es gibt den Begriff „Punk“ aber auch in der Realität. Wenn ich nach Platten suche, dann schaue ich in der Rubrik Punk, wenn ich gefragt werde, was für Musik ich mag, sage ich „im weitesten Sinne Punk“ und wenn ich jemanden sehe, kann ich im Allgemeinen erkennen, ob er/sie PunkerIn ist, oder eben nicht. (Wer jetzt denkt, dass das nicht stimmt, Stichwort „Mode-Iro“, sollte wissen, dass Punk als ästhetisches Konzept sehr flexibel und nicht auf eine Frisur angewiesen ist.)
Punk ist, wenn er benannt wird, vor allem eine Vermarktungsstrategie. Eine hohle Phrase, in der sich die widersprüchlichsten Konzepte in die zur Verwertung notwendige Form bringen ließen. Selbst Allgemeinplätze á la „Zieh dein Ding durch und steh dazu“ oder „Lass dir nichts gefallen“ werden einem bisweilen als Charakteristik des Punk angedreht, als wären sie nicht die allgemeinen Topoi jeder „rebellischen Jugend“. Wenn sie auf den „Punk“ reduziert werden sollten, haben viele Leute deshalb den Begriff auch immer abgelehnt oder negiert, mal, indem sie ihn für tot erklärten, mal, indem sie sich von ihm als alternativem Identitätsschwindel distanzierten, mal, indem sie zu Recht seine Überflüssigkeit für die Praxis und seine vermarktungsstrategische, letztlich also integrierende Rolle in der Gesellschaft betonten.
Aus ökonomischer Sicht muss man Punk als Demokratisierungsschub für den Musikmarkt begreifen. Es war nicht mehr nur perfektionistischen StudiomusikerInnen, sondern auch Menschen mit nur geringen Kenntnissen und Fähigkeiten möglich geworden, verwertbare Waren zu produzieren. Dies äußerte sich in der vielbeschworenen Aufhebung der Trennung von Publikum und KünstlerIn. Doch auch die Trennung zwischen MusikerInnen und UnternehmerInnen verwischte mehr und mehr und führte teilweise zu einem regelrechten Do It Yourself-Kult (DIY). Der mit Rockdinosauriern wie Pink Floyd vor sich hin versteinernde Musikmarkt flexibilisierte sich durch die Entstehung zahlreicher kleiner Labels. Diese bestanden zwar oft genug nicht auf dem Markt, wollten oder konnten also nicht kapitalistisch funktionieren, stabilisierten aber indirekt den Markt durch ihre Ausdifferenziertheit und Verbrauchernähe, von der die Branche insgesamt profitierte. Unterworfen waren sie den Gesetzen des Marktes ohnehin. Die allmähliche ökonomische Demokratisierung fällt aber mit der ästhetischen Komponente des Punk nicht in eins, sondern beginnt bereits während der 60er Jahre, als zahlreiche Garagenbands sich selbstbewusst an schepperigem Beat versuchten. Manche werten bereits dies als den Beginn des Punk.
Das mit Punk verbundene ästhetische Konzept ist jedoch ein Produkt der 70er Jahre. Hier wurde erstmals der Anspruch einer wirklich negativen subkulturellen Praxis formuliert. Man identifizierte sich mit dem Müll, dem Wertlosen und Überflüssigen. Unablässig fand die Präsentation des aus dem bürgerlichen Bewusstsein Verdrängten statt. Dabei trieb man ein entlarvendes Spiel mit politischen, sozialen und kulturellen Symbolen, indem man z.B. SM-Utensilien als Symbole der sexualisierten Erniedrigung und Versatzstücke der mythischen „Jugend im Kapitalismus“, etwa das Leopardenfell der Rock’n’Roller, als Abgesang auf bürgerliche Träume zur Schau stellte.
Sieht man heute Bilder aus den 70ern, so sticht immer wieder der bedenkenlose Umgang mit Symbolen des Nationalsozialismus ins Auge. Am bekanntesten dürfte Sid Vicious’ Hakenkreuz-Shirt sein, aber auch Bands wie SIOUXSIE AND THE BANSHEES oder die ANGELIC UPSTARTS liefen mit Ärmelbinden der NSDAP bzw. Hitlerjugend herum. Diese Bands waren aber keine Nazis, sondern trugen die Hakenkreuze zur Provokation. Dies änderte sich jedoch, als immer klarer wurde, dass diesem Spiel der Zeichen und Symbole sich auch jene Leute anschlossen, die diesen Symbolen ganz positiv gegenüberstanden, also die extreme Rechte Punk als Heimat entdeckte. Andererseits hatte auch die Ablehnung durch die britische Gesellschaft Folgen. In einem Interview berichtete Mensi von ANGELIC UPSTARTS, wie einmal eine ältere Frau, die den 2. Weltkrieg miterlebt hatte, völlig von seiner Ärmelbinde schockiert war und beschrieb, wie es ihm nicht gelang, seine „völlig anders gemeinte“ Absicht deutlich zu machen: „She set about me with her umbrella. Ah tried to tell her it doesn’t mean anything, we only do it to annoy people but she wouldn’t listen. So ah ran away“(6). Solche Erfahrungen stoßen Denkprozesse an. Der/die geneigte ProvokateurIn beginnt zu fragen, wen er aus welchem Grund mit was provozieren will – und findet sich, wenn alles gut geht, als politisch bewusste Littfasssäule wieder. Dieser offene Prozess hat sich in den 70er Jahren meist zu Gunsten einer antifaschistischen Einstellung entschieden und die (gerne mit der ungeliebten Postmoderne assoziierte) „Beliebigkeit der Symbole“ wurde in ihre Schranken verwiesen. „Zu Hitler fällt mir nichts ein“, wusste schon Karl Kraus zu sagen.
Die sogenannten Punks hierzulande sind nicht antiamerikanisch, weil sie Punks sind, sondern weil sie im Alltagsbewusstsein stecken bleiben, anstatt ihren zunächst sympathischen Skeptizismus und ihre Negativität inhaltlich zu vertiefen, d.h. sie müssen es nicht sein. Anstatt das, was man zur Vereinfachung des Sachverhaltes unter Punk versteht, aus Enttäuschung zu verteufeln und sich eine „gute alte Zeit“ der Bewegung erst zurechtzulügen, um ihr dann hinterherzuheulen bzw. sie in irgendwelchen spießigen Bürgerinitiativen wieder zu entdecken, sollte man sich lieber ins Bewusstsein rücken, dass mit „Punk“ nach wie vor auch ein kritisches ästhetisches Konzept assoziiert werden darf, und es besteht eigentlich kein Grund, warum man es jetzt reaktionären Deppen überlassen sollte. Dieser Kampf wird so lange dauern, wie es den Kapitalismus gibt und der notwendig verknöcherte Ausdruck der Rebellion, die sogenannte „Punkszene“, wird nie auf irgendeiner „sicheren Seite“ stehen. Sichere Seiten riechen ohnehin nach Schlussstrichmentalität. Auch die Conservative Punks sollen sich ruhig weiter so nennen. Dass sie von Negativität und Kritik nicht den geringsten Schimmer haben, unterstreicht nur einmal mehr, dass sich Punk zu nennen für die Kritik an Staat, Nation, Arbeit und Kapital letztlich genauso entbehrlich wie für das Punk-Sein ist. Bleiben noch zwei Fragen: 1. Welche Formen und Symbole dienen heute als Projektionsflächen des reaktionären Hasses? Manchmal sind es komische Klamotten, manchmal ist es eine Israelflagge. 2. Was hilft gegen Langeweile? Zum Beispiel, sich mit Ökonomie-, Staats- und Ideologiekritik beschäftigen.

Rotzi

Anmerkungen

(1) Zitiert nach einem Lied von Abwärts, 1982.
(2) Die PB-Zitate sind allesamt dem Bahamasartikel entnommen. Ich habe sie nicht noch einmal nachgeprüft und möchte mich bezüglich der politischen Einordnung des Plastic Bomb auch nicht zu weit vorwagen, denn ich habe das Plastic Bomb noch nicht gelesen und werde es wohl auch nicht so bald tun.
(3) Zit. n. Roland Barthes: Mythen des Alltags, Frankfurt 1964, S. 141f. Dabei bezieht sich Barthes übrigens in einer Fußnote auf Marx’“18. Brumaire des Louis Bonaparte“: „...was sie zu Kleinbürgern macht, ist, dass sie im Kopfe nicht über die Schranken hinauskommen, worüber jener nicht im Leben herauskommt.“ Wie wahr!
(4) Während THE CLASH eher als diffus links einzuordnen sind, bezogen sich GANG OF FOUR explizit auf den Marxismus und CRASS vertraten einen radikal individualistischen Anarchismus. In ihren Texten kritisierten diese Entfremdung, Zurichtung und Warenförmigkeit. Eine andere spannende Frage, die hier aber nur angedeutet werden kann, wäre, inwiefern Punk mit seiner Ausrichtung an Alltag und eigener Lebenswelt nicht immer eine (natürlich oft falsche) Gesellschaftskritik liefern muss, erinnert sei an die Kunst des Realismus im 19. Jahrhundert oder auch die Marxsche Methode der „Kritik durch Darstellung“. Dies beträfe auch die oft weniger explizit politischen Bands aus dem Oi!- oder Streetpunk-Genre und würde helfen, einmal mehr den Mythos von der „unpolitischen“ Subkultur zu hinterfragen.Versucht man, Punk politisch zu fassen, kann es natürlich nicht darum gehen, die Texte der Bands in den Rang unhinterfragbarer Wahrheiten zu heben. Es gibt aber keine Subkultur, die sich ähnlich entschieden gegen das Konzept des „Klassikers“ gewandt hätte.
(5) Zit. n. T. W. Adorno: Zweite Lese, in: Minima Moralia, Frankfurt 1951, S. 203.
(6) Mensi in Sounds 1.4.78, zit. n. www.punk77.co.uk/groups/angelicupstartshistory2.htm


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last modified: 28.3.2007