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Ich fühl’ mich nicht zu Hause


Georg Kreisler: ‘Nichtarische’ Arien (1966)

Vielen dürfte Georg Kreisler, der heute weit über 70 Jahre alt ist, durch Die Kassierer bekannt sein, beziehungsweise durch böse Freunde, die diese Band hören. Das Album der Kassierer, auf dem sie ausschließlich Kreisler covern, ist ihr mit großem Abstand bestes. Hören durch Punkrock versaute Leute das erste Mal jenes originale Kreisler-Album, welches hier vorgestellt werden soll, dann stößt erst mal die Musik ab: irgendwie volkstümlich. Auch die Texte wirken beim ersten Hören altbacken. Nur der Philosemit wird von den Reminiszenzen an jüdisch Kultur und Folklore wachgerüttelt – so wenig ihn das Album auch letztlich befriedigen wird.

Kunstgewerbe Zwickau, 38.7k
"2 Beispiele der gedrechselten Räucherfiguren", kunstgewerbliche Werkstatt der JVA Zwickau


Für die erste Langeweile können weder Musik noch Texte was. Vielmehr bedarf es einer Aufmerksamkeit, der alle Formen der Pop-Musik entgegenwirken, um die Texte und die Musik Kreislers zu erschließen. Das Chanson „Lassen sie nur meine Tante“ wirkt beim ersten Hinhören wie ein Chanson über eine durchgedrehte Tante und deren Episoden. Erst beim mehrmaligen Versuch genauen Hinhörens fügen sich langsam die Teile des Chansons zu einem Sinnzusammenhang, wie es ihn im Poplied höchstens noch als einen gibt, der sich meist im Refrain erschöpfend und redundant behandeln und mitteilen lässt und dem konditionierten Hörer garantiert schon in etlichen anderen Popliedern – von denen der Sex Pistols bis zu denen Take Thats – eingeübt worden ist. Hat sich das Chanson „Lassen sie nur meine Tante“ gegen die üblichen Gewohnheiten zu einem durchgearbeiteten Ganzen zurückgefügt, dann erscheint die Verrücktheit der Tante auf einmal mit „tieferem Grund“, der nicht ausbuchstabiert wird. Das „Natürlich weiß man, warum, und sogar sie würden’s verstehn/
Aber ich glaub, die Geschicht ist zu lang“ in diesem Chanson durchzieht als Motiv weitere ‘Nichtarische’ Arien. Dass das Unmitteilbare und Unaussprechliche als eben dieses Unmitteilbare und Unaussprechliche thematisiert wird, ist trotz des glücklicherweise fehlenden Erfahrungshorizontes herauszuhören. Die Thematisierung selbst erschließt sich aber wegen des fehlenden Erfahrungshorizont nur bedingt.
Wir hingegen kennen zur Genüge die Geschichten derer, die am Unaussprechlichen und Unmitteilbaren Schuld haben. Solche Geschichten umkreisen aber nicht das Unbegreifliche und Unmitteilbare, sondern das Verleugnete und Verdrängte. Viel rauszubekommen ist nicht über die eigenen Vorfahren. Mein Großvater mütterlicherseits zum Beispiel war Wehrmachtssoldat. Darauf angesprochen, fing er immer an, Geschichten aus „Russland“ zu erzählen: Von Zigaretten, die er bei seinen Kameraden eintauschte, um den von ihn geliebten Honig zu bekommen. Über den barbarischen Krieg gegen die Sowjetunion oder den Vernichtungskrieg gegen die Juden war nichts von ihm zu hören. Seine direkte Teilnahme an der Judenvernichtungen steht nicht außer Frage. Die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht hat gezeigt, dass „einfache“ Wehrmachtssoldaten bei der Zusammentreibung von Juden und an deren Erschießungen beteiligt waren. Als mein Großvater kurz vor seinem Tod geistig immer mehr degenerierte, branden bei ihm alle Sicherungen durch, die durch den verordneten Antifaschismus und andere Verleugnungstaktiken installiert waren. Besucher wurden von meinem dahinsiechenden Großvater mit „Heil Hitler“ begrüßt. (Eine Verleugnungsstaktik wird übrigens auch im Booklet-Text der Neuauflage der ‘Nichtarischen’ Arien von 1988 kolportiert. Heinz Hansen schreibt: „Das jüdische Chanson war lange Zeit tot: Zeitbedingt durch befohlenen Haß und aufgezwungene Diskriminierung.“ Meinen Großvater eignete der verordnete Antifaschismus zur Verleugnung, Heinz Hansen verleugnet den völkischen Antisemitismus, indem er ihn auf einen staatlich erzwungenen herunterbricht. Hätte Hansen sich auf die ‘Nichtarischen Arien’ eingelassen, wäre er auf eine solche Idee nicht gekommen. Der Ich-Erzähler in dem Chanson „Ich fühl mich nicht zu Hause“ berichtet über seine Rückkehr in sein geliebtes Städtl: „Der Umgang ist mit mir zwar sehr verpönt/ Man hat sich an mein Wegsein schon gewöhnt/ Jetzt heißt es tief geduckt und mißgetraut/ Und wer nicht mitmacht, der macht mit/ Jetzt wird ich von der Seite angeschaut/ Und krieg symbolisch einen Tritt“. Nicht der Staat verordnet hier seinen armen Bürgern den Antisemitismus, sondern die Bürger sind die Scheiß-Antisemiten. Übrigens dürfte Kreisler dem Ich-Erzähler im eben zitierten Lied sehr nahe stehen. Nach dem NS ist Kreisler nach Wien zurückgekehrt. Während des Nationalsozialismus ist Kreisler in die USA geflohen. Er hat dort während des zweiten Weltkrieges in der Armee gedient, seine ersten Kompositionen fertiggestellt und nach dem Krieg beispielsweise die Musik für Charlie Chaplins Film Monsieur Verdoux geschrieben. In den fünfziger Jahren ist Kreisler nach Wien zurückgekehrt: Auf die Frage, ob er eine Heimat hätte, antwortete er einer Schweizer Zeitschrift: „Ich hab’ nichts, was man Heimat nennen könnte. Ich halte das auch nicht für einen großen Nachteil. Ich hab’ natürlich eine Heimat in der deutschen Sprache und natürlich mehr Affinität zu Österreich als zu Rumänien, auch eine gewisse Affinität zu Amerika, weil ich dort sehr viel Zeit verbracht habe. Ich bin auch immer noch amerikanischer Staatsbürger. Ich habe eine gewisse Affinität zum Staat lsrael, weil ich als Jude geboren wurde, obwohl ich religionsmäßig da nicht sehr viel mit anfange. Dadurch, dass man als Jude verfolgt wurde und wird, muss man gezwungenermaßen ein Interesse am Staat Israel entwickeln und vielleicht ein gewisses Heimatgefühl, wobei ich aber lsrael nicht als meine Heimat betrachte, überhaupt nicht.“ Im Lied „Ich fühl mich nicht zu Hause“ glaubt der Ich-Erzähler, seine „wahre Heimat“ Israel könne ihm eine Heimat sein. Da er aber keine Lust auf Ackerbau hat, verlässt er Israel schnellstens wieder.)
Dass sich die Thematisierung des Unbegreiflichen und Unmitteilbaren uns schwer erschließt, macht sich auch in der Unsicherheit bemerkbar, die beim Hören einiger Chansons bleibt. So ist nicht sicher zu sagen, welche „Fabrik“ in dem Chanson „Der Hering“ gemeint ist.
Zudem geht es in Georg Kreislers Chansons um die Qual der Ehe, um Liebe, Erotik, Lebensentwürfe und noch viel mehr. In dem Chanson „Der General“ schämen sich die Eltern für ihren Sohn, der General ist. Hingegen machen ihnen die drei Töchter viel „Ehr“: Die dritte ist noch ledig uns sie läßt sich etwas Zeit/ Ma’ sagt, sie wird es schwer haben/ weil sie kennt zu viele Leut’/ Doch muß man dabei einräumen dem Kind/ Daß es zumindest bei der Sache gut verdient/ Und nur der eine Sohn hat sich so fürchterlich verirrt/ Für ihn ist es nur wichtig, daß man schön im Takt marschiert“. Nicht nur die Texte, auch die Musik erzählt die Handlung: Sie ergänzt, bricht oder contrapunktiert die Geschichte. Beim zuletzt zitierten Chanson spielt immer wieder eine, den General symbolisierende, infantil schräg gespielte Trompete den Marsch an. So ähnlich wie die Trompete von Kreisler ironisch die Degradierung des Menschen zum Soldaten markiert, wird die Uniform, die Kreisler ebenfalls erwähnt, trocken und über mehrere Seiten hinweg in dem ersten Teil von Hermann Brochs Roman Triologie Die Schlafwandler als Kennzeichen der Verdinglichung zum Soldaten: „...(S)o mußte, da die große Ungeduldsamkeit des Glaubens verloren ward, die irdische Amtstracht an die Stelle der himmlichen gesetzt werden, und die Gesellschaft mußte sich in irdische Hierarchien und Uniformen scheiden und diese an der Stelle des Glaubens ins Absolute erheben. ... Gewiß braucht er (der Träger einer Uniform, H.) über diese Dinge nicht eigens nachdenken, denn eine richtige Uniform gibt ihrem Träger eine deutliche Abgrenzung seiner Person gegenüber der Umwelt; ... ist es ja der Uniform wahre Aufgabe, die Ordnung in der Welt zu zeigen und zu statuieren und das Verschwimmende und Verfließende des Lebens aufzuheben, so wie sie das Weichliche und Verschwimmende des Menschenkörpers verbirgt ... Abgeschlossen in seinem härteren Fural, verschlossen mit Riemen und Klammern, beginnt er sein eigenes Untergewandes zu vergessen und die Unsicherheit des Lebens, ja das Leben selbst rückt fernab. ...(U)nd keiner ... vermag dann noch anzugeben, wo die Grenze zwischen seinem Ich und der Uniform liegt.“ Während in dem Chanson „Der General“ bei der Beschreibung der Scham der Eltern nur noch das Klavier spielt und der Marsch außen vor bleibt, erklingt bei der Beschreibung des Generals ein offener von Trompeten angeführte Marsch, der ja – mit dazugehörigem Gleichschritt – mit der Entstehung des modernen Staates als dessen Werbemusik und Vertonung in die Welt trat: „Er geht umher und tut sich groß/ Mit einem Streifen auf der Hos’ / .../ Naja, er is’ a General/ Da ist der Schaden schon total/ Er näht sich Borten auf den Rock und kleine Sterne/ und wenn die andern salutiern, das hat er gerne“.
Verzweifeln Polit-Gruppen mal wieder an einer Diskussion, die keinen Konsens findet, aber unbedingt zu einem Ergebnis führen muss, wäre das Chanson „Der Beschluß“ zu empfehlen. Es zeigt eine Lösung jenseits allen Tatendranges auf, die eine größere Reminiszenz an die verwirklichte Utopie der versöhnten Gesellschaft sein kann als eine kämpferische prokommunistische Demonstration: „In das Wunschbild des ungehemmten, kraftstrotzenden, schöpferischen Menschen ist eben der Fetischismus der Ware eingesickert ... Vielleicht wird die wahre Gesellschaft der Entfaltung überdrüssig und läßt aus Freiheit Möglichkeiten ungenützt, anstatt unter ihrem Zwang auf fremde Sterne einzustürmen.“ (Theodor W. Adorno)

Hannes


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last modified: 28.3.2007