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Leserbrief


Kurz und knapp zur Lage der Nation


Deutschland ist wieder selbstbewusst und will das in Zukunft auch ausbauen. Was wir hier in unseren kleinen Kreisen und Gruppen diskutieren, worüber wir streiten und polarisieren ist nun auch in den Medien angekommen. Bei Polylux, eine noch recht interessante Sendung, wurde über das neue Selbstbewusstsein der Nation berichtet.
Ich dachte, ich spring gleich in den Fernseher, als ich die Band Mia sah. Eine Band, die am 1. Mai auf dem Lauti der Berliner Gruppe Kritik&Praxis spielte, outete sich plötzlich in schwarz-rot-gold. In diesen Farben erscheinen die Musiker und die Musikerin in ihrem neuen Video. Aussage: Man brauch sich nicht mehr schämen deutsch zu sein. Aha. Aber es ist scheinbar wichtig diese nationale Identität nach außen zu vermitteln. Warum nur ist das so wichtig?
Noch bekloppter wurde es bei den nächsten Aushängeschildern. Zwei junge Menschen (vielleicht studieren sie Kunst oder Marketing) sagen es in die Kamera. Sie fänden es gut, dass Deutschland wieder moderner wird. Es fallen so beliebte Worte wie Toleranz, Liebe und Souveränität. Schon klar. Liebe ist gut, Toleranz ist umstritten, aber auch gut. Souverän muss man in einer kapitalistischen Gesellschaft wie dieser ja auch sein, damit man sich durchbeist, sich durchkämpft. Wie blöde kann man denn nur sein, wenn man Liebe über die Nation beschreibt. Und dann war es endlich soweit. Als neues deutsches Aushängeschild wurde die Friedensbewegung herbeigezogen. Mir wurde klar, was sich in der nächsten Zeit noch formieren sollte. Die Identifikation von Dingen und Gefühlen über die Nation. Es geht dabei gar nicht mehr darum, ob ich nun tolerant bin, was ich für Gefühle habe und was der Mensch ist. Nein, viel wichtiger scheint zu sein, dass es deutsch ist. Die Frage lautet also: Warum wird diese Identität auf einmal so sehr gehypt?
1. etwa weil in den Köpfen etwas verdrängt werden soll? So nach dem Motto: Es ist passiert, dass kann man nicht mehr rückgängig machen. Nein, die Zeit des Nationalsozialismus und des Holocaust kann man nicht einfach so aus der Geschichte streichen. Aber man kann verhindern, dass ein kollektiver Nährboden, wie deutsche Ideologie (die ja immer besteht) sich gesellschaftlich etabliert und handfest wird. Dazu gehört die ständige Reflexion und Aufarbeitung der Geschichte, also etwas, das in diesem Land nie wirklich statt gefunden hat. Noch jetzt sind sich viele Deutsche sicher, dass hinter dem Irakkrieg und hinter dem Nationalsozialismus die jüdische Lobbi steckt. Und das ist jetzt nicht übertrieben, nein so etwas habe ich schon all zu oft gehört.
Und 2. man hat in Zeiten von wirtschaftlichen Flauten und Sozialkürzungen (vielleicht ein Abbild der Krise) die Sehnsucht nach Zusammenhalt, nach Gemeinschaft. Diesen Raubtierkapitalismus der Amis will man hier gar nicht erst einziehen lassen (sehr tolerant). Man will diese Probleme gemeinsam angehen. Man will sich gemeinschaftlich in einem Kollektiv gegen den bösen auffresserischen Individualismus stellen. Wir schaffen das gemeinsam!
Da kann ich nur sagen, dass ich es gar nicht mehr schaffen will. Und das schaffe ich auch ohne euch.

Florian

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last modified: 28.3.2007