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Wir dokumentieren im Folgenden ein Statement und Veranstaltungsankündigung des Anti-Olympischen Komitees Leipzig (AOK-L)
dokumentation, 1.1k

Olympia –
eine politische Geschichte


AOK-Veranstaltung, 49.3k
In Deutschland hält man die Olympischen Spiele gerne für etwas, das leicht, heiter und vor allem frei von Einflüssen der bösen Welt daherkomme. Wenn über die von der BRD (1980) und der DDR (1984) mit getragenen Boykotte gegen die Olympischen Spiele berichtet wird, so schwingt gerne das Bedauern mit, dass sich damals „die Politik in den Sport“ eingemischt habe. Ganz so, als habe jemand Zitronensaft in ein Glas Rotwein gespritzt.
Dabei könnte man doch, wenn man nur wollte, den Sport und die Olympischen Spiele als feines Beispiel der Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Verhältnisses zum Staat verwenden.
Grob lässt sich die Olympische Geschichte in drei Etappen unterteilen:

1. Von 1896, ihrer ersten Austragung in Athen, bis etwa Anfang der dreißiger Jahre, also bis zu den Spielen 1932 in Los Angeles und allerspätestens bis zu den Nazispielen 1936 in Berlin, waren die Olympischen Spiele nichts bedeutendes: Zunächst waren sie ein Zusammentreffen von spinnerten und sportelnden Gentleman. Nur allmählich durften Frauen dazu stoßen, und auch Arbeiter waren beinah selbstverständlich nicht gelitten. Organisatorisch waren sie eng verbunden, ja Beiwerk, der Weltausstellungen, die 1851 erstmals stattfanden und eine Leistungsschau der kapitalistischen Nationalökonomien darstellten.

2. Mit der Konstituierung des Weltmarkts, dem Aufstieg der fordistischen Massengesellschaft und dem keynesianischen Staat wurden auch die Olympischen Spiele zu Weltereignissen. Der Sport und die spezifisch olympische Inszenierung des Sports passten wunderbar zur Selbstinszenierung von Staaten. Spätestens 1936 nutzten die Nazis, die 1931 die Spiele noch als kosmopolitisch bekämpft hatten, dieses Weltereignis zu ihren Zwecken: Besondere Inszenierungen wie der olympische Eid, das olympische Feuer bis hin zur Nationenwertung wurden 1936 eingeführt.
Diese staatlich finanzierte Durchführung der Olympischen Spiele gelang in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gut: 1956 konnte etwa Australien durch die Spiele in Melbourne seinen Platz in der zusammengewachsenen Welt dokumentieren, 1960 und 1964 konnten mit Japan und Italien zwei früher faschistische Staaten ihre Normalität beweisen – ein Projekt, das die BRD 1972 auch versuchte. Und 1968 veranstaltete mit Mexiko erstmals ein Land aus dem so genannten Trikont die Spiele. Die Krise des fordistischen Akkumulationsmodells und seiner politischen Regulierung Mitte der siebziger Jahre ließ auch die Olympischen Spiele in eine Krise geraten: 1976 ritt sich das kanadische Montreal in die kommunale Pleite, und für 1980 fand sich kaum noch ein Ausrichter: Das Internationale Olympische Komitee war förmlich gezwungen, den ungeliebten Kandidaten Moskau aus der Sowjetunion zu akzeptieren. Und für 1984 fand sich in Anbetracht der weltweiten Krise der Staatsfinanzen gar niemand mehr, der zu den Bedingungen des IOC die Spiele organisiert hätte. Das IOC war gezwungen, das Modell aus Los Angeles von privatkapitalistisch finanzierten und organisierten Spielen zu akzeptieren. Die Spiele von 1984 schlossen mit Gewinn ab und markierten den Übergang weg vom Staatsspektakel hin zur kapitalistischen Veranstaltung.

3. Seit 1984 sind die Olympischen Spiele mehr oder weniger privat finanziert. Konnte man also in der langen Periode ihrer staatlichen Organisation noch davon sprechen, dass sie einer wie auch immer politisch regulierten Infrastrukturpolitik entsprächen (dass also Berlin sein S-Bahn-Netz und München sein U-Bahn-Netz den jeweiligen Olympischen Spielen verdankt oder dass etwa die Olympischen Dörfer nachher für den sozialen Wohnungsmarkt oder Studentenwohnheime verwendet würden), so herrscht seither die Anarchie des Marktes, die sich an Beispielen aufzählen lässt: für die Spiele 1992 in Barcelona wurde ein ganzes traditionelles Arbeiterwohnviertel niedergerissen, für die Spiele 1996 in Atlanta wurden sämtliche Obdachlosenheime aus der Stadt entfernt, bei den letzten Winterspielen 2002 in Salt Lake City kam es zu über tausendprozentigen Mietsteigerungen etc.
Die Olympischen Spiele sind Weltereignisse ersten Ranges, mit keinem politischen oder kulturellen Ereignis zu vergleichen. Ihre Einschaltquoten im Fernsehen liegen genauso hoch wie die bei der Berichterstattung über das eingestürzte World Trade Center und höher als die von Princess Dianas Beerdigung. Dieses Weltereignis lässt sich als Hebel für eine modernisierte und den Erfordernissen des Weltmarkts kompatible Stadtmodernisierung bestens nutzen, wobei man sich keine Illusionen über etwaige (grüne, sozialistische oder sozialdemokratische) politische Einflussnahme machen sollte.

AOK-Leipzig
Kontakt:
aok-leipzig@gmx.net
http://www.nein-zu-olympia.de/



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last modified: 28.3.2007