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Shrek, Tokio Hotel und der nicht-virtuelle Körper...


Hier einige Notizen unsererseits zum Text „Schneewittchen im Märtyrerland“ (CEE IEH #143).

Der Artikel diskutierte das Projekt (Anti)lookism, einen losen Zusammenhang von Gruppen, die sich mit dem Komplex Schönheit, Geschlecht und Körpernormierung auseinandersetzen. Auch wenn unserer Ansicht nach die meisten Kritikpunkte mehr oder weniger aus der Luft gegriffen sind, haben wir (Projekt L) uns zu einigen Anmerkungen entschlossen.

Ausgangspunkt des Artikels war die Verwerfung eines gängigen Schönheitsideals, da dieses spätestens in der heutigen Zeit nur als Simplifizierung verstanden werden könnte. Das sehen wir anders – hegemoniale Schönheitsnormen, die zweifelsohne je nach sozialem Kontext variieren, sind auch in der Gegenwart kaum von der Hand zu weisen.
Ein Beispiel dafür, dass zwar (fast) alles erlaubt ist, aber doch nicht frei von Normen und Normierung, ist die Band Tokio Hotel. So hat der Musikmarkt Maleranleitung, 19.6k zwar eine Band mit androgynem Frontsänger im Repertoire, allerdings ist diese der „bei der männlichen deutschen Jugend insgesamt meistgehasste Musik-Act“(1). Kommt das Thema auf Tokio Hotel, schwelgen alle im homophob-sexistischen Konsens: Tokio Hotel sehen aus wie Mädchen und schwul sind sie auch. Dem entspricht auch der Refrain der vermutlich bekanntesten TokioHotel-Parodie auf YouTube, welche die interaktive Konstruktion von Geschlecht, Schönheit und sexueller Orientierung prägnant auf den Punkt bringt:

„Wir sind Krüppel und schwul, hässlich und fett, Spermaflecken überall im Bett, Mutter auf Koks, Vater auf Crack. Wir kommen von den Drogen nicht mehr weg. Irgendwann koksen wir zusammen, sowas ist cool, wir sind Krüppel und schwul“.

Da Tokio Hotel geschlechtlich codierten Schönheitsnormen und entsprechendem Verhaltenskodex widersprechen, muss ihnen also zwangsläufig eine Abweichung von der heterosexuellen Ordnung „unterstellt“ werden.
Eine weitere Frage, die sich im Bezug auf die Versprechung zahlreicher Schönheitsideale im Zeitalter der Kulturindustrie auftut: Sieht ein pubertierendes Mädchen dies genauso, oder anders gefragt: Ist das ihrem Körper entsprechende Schönheitsideal auch Teil der Produktpalette? Ein Blick in Bravo, Brigitte oder Bild zeigt eher Auswechselbares als Diverses. Variierende Schönheitsideale und deren zunehmende Pluralität und Wandelbarkeit sollen hier nicht bestritten werden, diese sind aber nicht so durchlässig und für alle frei verfügbar, wie es der Artikel weismachen will.(2)
Als Indiz für die vermeintliche Auflösung von Schönheitsidealen erwähnt der Autor Hella von Sinnen und Dirk Bach. Da wäre die Nennung der Gossip-Frontfrau Beth Ditto brauchbarer gewesen, denn weder von Sinnen noch Bach gelten gemeinhin als Schönheits- oder Sexsymbol, sondern sind hauptsächlich aufgrund ihrer vermeintlichen Comedy-Fähigkeiten bekannt (was das Stereotyp des/der Dicken eher bestätigt als bricht). Außerdem wird der Film „Shrek“ angeführt. Doch zum einen ist Shrek mehr Kuschelmonster als menschenähnlich, zum anderen ist es nach der „Jedem Töpfchen sein Deckelchen“-Logik nur folgerichtig, dass Shrek zum Schluss die seinem Aussehen entsprechende Ogerfrau abbekommt – und eben keine Prinzessin. Davon abgesehen, nur weil im deutschen TV ein nicht-schönheitsgenormter Film läuft, bedeutet dies nicht, dass es keine vorherrschenden Schönheitsideale mehr gibt – genauso wenig, wie „L-Word“ im Nachtprogramm das Ende der Homophobie signalisiert oder von „Hebrew Hammer“ in deutschen Videotheken auf eine allgemeine Israelfreundlichkeit zu schließen ist.

Ein weiterer Kritikpunkt im Artikel war eines der Motive der Kampagne, dieses erinnere an islamistische Bildsprache und Intention. Das kritisierte Schneewittchen-Bild steht in Verbindung zu einem vorausgehenden Aufkleber („Wer ist die Schönste im ganzen Land?“) und zielte auf einen Bruch mit der Logik der Geschichte. Nämlich dass sie – obwohl als „schön“ markiert – keine Lust mehr hat, Schönheitsobjekt zu sein, reduziert aufs Aussehen und gerettet durch die männlichen Schlüsselfiguren; deswegen Schneewittchen mit Gewehr(3), anbei ein Zitat von Bikini Kill: „Mirror mirror on the wall whose the fairest of them all? I don‘t I don‘t really care y‘know“.
Uns erscheint das in dem Zusammenhang dargelegte Verständnis des Autors von Islamismus etwas albern bis problematisch. Im Allgemeinen begnügen sich politische Islamist_innen weder damit, Sticker mit bewaffneten Frauen zu drucken, noch streben sie nach gleichwertigen, von Geschlecht und „race“ dekonstruierten Körpern und eine Aufhebung von „Kleidervorschriften“ ist definitiv auch nicht ihr Ziel.

Desweiteren unterstellte der Autor der Kampagne falsche Medienkritik. Da sitzt er einem Irrtum auf, denn die Kampagne dreht sich bis dato überhaupt nicht um Medien und Werbung.(4) Der einzige Text, den es explizit zu der Thematik gibt, ist „Lookism in der Werbung – oder: Die Werbung ist an allem schuld!?“(5), entstanden im Rahmen einer Doppelausstellung „Look-ism“ und „Sexismus in der Werbung“ 2006. Darin werden Gesellschaft und Werbung als in einem Wechselverhältnis zueinander stehend beschrieben(6), Werbung müsse als Spiegelbild des gesellschaftlichen Normalzustandes gelesen werden und sei somit nicht „besser“ oder „schlechter“ als der Rest der Gesellschaft. Also nix mit „bösartige, kapitalistische Firmen“.
Stattdessen geht es uns um einen Bruch mit der antiquierten Unterteilung von künstlichen, verfälschten und durch Kosmetika und Schönheitsoperationen vermeintlich „patriarchal“ bearbeiteten Körpern und manipulierten Frauen auf der einen Seite und dem „schönen“ Naturkörper auf der anderen (der auch mit einer Naturalisierung von Geschlecht einhergeht). Erwähnt sei hierbei die Performance-Künstlerin Orlan(7), die ihren Körper als postmodernen Kunstwerk versteht, ihn in Live-Performances chirurgisch verändern lässt und somit sowohl Schönheitsnormen und als auch den „Naturkörper“ parodiert.
Schönheitshandeln (Gestaltung des Aussehens durch Kleidung etc.) ist ohnehin als ambivalent zu begreifen. Zum einen kann eine Nicht-Inszenierung nicht das Ziel sein (überdies: eine Nicht-Inszenierung ist überhaupt nicht möglich!), zum anderen ist Schönheitshandeln, wenn auch eingebunden in Normen, eine Möglichkeit selbstbestimmten Ausdrucks.

Der Fokus unserer Gruppe ist einerseits die Sichtbarmachung von verschränkten, komplexen Machtstrukturen anhand von Schönheitsnormen, andererseits geht es um die Ermächtigung zum nichtnormativen Körper: also – simpel formuliert – um queerfeministische Pornos, Riots-not-diets(-grrrl)-Kuchenbuffets und ein schönes Leben für alle. Hinter den einzelnen Aktionen mit unterschiedlichen Schwerpunkte stehen meist nicht die Gruppe(n) in der Gesamtheit, da wir nur ein loser (Gruppen-)Zusammenschluss mit verschiedenen Ansätzen und Positionen sind. Aber die „Zielgruppe“ ist oder in jedem Fall war primär nicht die „Linke Szene“(8) (daher gab‘s auch möglichst neutral geschriebene Texte und den trashigen Polylux-Auftritt). Trotzdem – und in diesem Punkt geben wir dem Autor sogar recht – wäre eine explizitere Abgrenzung von reaktionären linken Ideologien wie dem Hang zum Verschwörungstheoriedenken sinnvoll gewesen.
Im übrigen soll der Begriff Lookism in keinem Fall dominante Machtachsen wie Sexismus und Rassismus in Frage stellen. Doch lässt es sich mit dem Begriff in diesem Themenfeld gut arbeiten, außerdem ist es verkürzt, Schönheitsnormen nur unter Sexismus fassen zu wollen (da diese eben nicht nur mit Geschlecht, sondern u.a. auch mit „race“ verschränkt sind(9)). Auch die Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt spielt hierbei eine Rolle (erwähnt sei die aktuelle Debatte über dicke Deutsche(10)), welche wiederum mit dem Gesundheitsdiskurs im kapitalistischen Kontext in Verbindung steht.

Dass der Artikel die Existenz von Ableism, der (strukturellen) Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen, anzweifelt, hat uns wiederum ziemlich irritiert, ähnlich ging es uns mit der Etikettierung von Exotismus als „perfiden Taschenspielertrick“(11). Dass Fotos von Avataren der Computerwelt Second Life den Artikel illustrieren, wirkt in diesem Zusammenhang halbwegs ironisch, denn im „real life“ kann mensch sich Körper, Geschlecht und „race“ eben nicht – oder nur bedingt – aussuchen.(12) Im übrigen finden wir es seltsam, dass der Autor immer von „Antilookism-Aktivisten“, „Machern“ oder Maleranleitung, 20.9k „Autoren“ schreibt (will er als bewusst handelndes Subjekt, als das er sich laut Text ja sieht, nur den männlichen Teil der Gruppe ansprechen?). Somit wird auch hier die in der Traditionslinken/Antideutschen zu beobachtende Tendenz sichtbar, sowohl Verschränkungen von Machtachsen als auch Machtstrukturen wie Sexismus im Ganzen auszublenden.(13)

Im Differenzfeminismus war die Analyse von Schönheitsnormen oft eingebunden in eine Kritik an „böswillige Firmen“ und obendrein verbunden mit einem Verständnis der „Frau“ als passives und naives Opfer der Verhältnisse (dies wiederum passt nur zu gut ins patriarchale Denkmuster). Sicherlich kann sich reaktionärer Antikapitalismus in der Kritik an Schönheitsnormen manifestieren, genauso wie Feminismus völkisch oder Antirassismus platter Kulturrelativismus sein kann. Wir denken aber, dass dies nicht das Argument für eine grundsätzliche Verleugnung dieser Themenkomplexe sein kann.

Projekt L (Berlin)

Anmerkungen

(1) wkl.50webs.org/tokiohotel.html (treffende Tokio-Hotel-Hass-Analyse, aber mit einigen unserer Ansicht nach problematischen Textstellen)

(2) In den Worten von Sonja Eismann: „Hier stellt sich jedoch bald die Frage, inwieweit ein Schönheitsideal, das ein anderes ersetzt, den Status Quo verbessern kann und will. [...] Was ist dann aber mit den kurzbeinigen, flachbrüstigen, langnasigen, dunkelhäutigen, dickbäuchigen Mädchen? Statt Schönheitsideale abzuschaffen, wird durch eine Erfindung wie der Emme-Puppe [der Barbie nachempfundene, jedoch dicke Puppe, A.d.A.] das Spektrum nur ein wenig erweitert. Das ist aber immerhin auch schon mal was, denn vielleicht ist die Bandbreite irgendwann so weit, dass es keine verbindlichen Normen mehr gibt (and I am the queen of wishful thinking [...]).“ www.plastikmaedchen.net/stories/35/

(3) Am Rande bemerkt ein M16, welches eher von Soldat_innen der US-Armee als im islamistischen Terror gebraucht wird ;)

(4) Erst recht geht's uns nicht um Kritik an Models und um Frauen als vermeintlich „dumme“ Opfer oder gar „Verbündete des Patriarchats“. Doppelmoralisch wird Frauen aufgrund ihres Geschlecht oft nicht zugebilligt, dass sie Karriere machen; und als Frau gelingt dies eben oft besser entlang oder gerade durch die Besetzung weiblicher Klischees. Wenn dagegen Männer innerhalb oder mithilfe männlicher Rollenausübung erfolgreich sind, erscheint dies meist kaum erwähnenswert.

(5) www.lookism.info/werbung.html

(6) Klar versucht Werbung zu „manipulieren“ (da widersprechen wir dem Artikel), das ist u.a. das erklärte Ziel. Aber dabei richtet sie sich an den Normen der Gesellschaft aus.

(7) www.lookism.info/buehne.html

(8) Dass dicke Polizistinnen nicht aufgrund ihrer Körpermaße kritikwürdig sind (andere Gründe sind oft ähnlich verkürzt), der gute Grund, Nazis nicht zu mögen, nicht ihre vermeintlich „hässlichen Fressen“ sind und Frauen selber entscheiden können, ob sie sich nicht rasieren und keine Tangas tragen oder eben DOCH, muss aber auch einigen Linken noch erklärt werden.


(9) Desweiteren gibt es eine Verschränkung mit „Normkörper versus Körper mit Behinderung“, genauso wie der soziale Status („class“) eine Rolle spielt (bspw. Schönheits-OPs und Markenklamotten kann sich nicht jede_r leisten).

(10) Dabei dienen die „fetten Amis“ oft als Negativfolie: solche „amerikanisierten Zustände“ soll es in Deutschland nicht geben.


(11) „Hier gibt es noch einen perfiden Taschenspielertrick: wird dann eine Person schwarzer Hautfarbe abgebildet, so geschieht dies aus einem rassistischen „Exotismus“ heraus (vgl. lookism.info: Paralellen zu anderen Diskriminierungsformen). Hartnäckig verweigert sich die These eines Lookism der Betrachtung der Realität und formiert stattdessen lieber ein abgeschlossenes Gedankensystem, das sich nicht widerlegen lassen soll.“ (Fussnote 4 des Artikels im CEE IEH #143). Beispiele für (zwangsläufig rassistischen) Exotismus in deutschen Medien gibt es im übrigen hier: www.derbraunemob.info

(12) Wobei gerade in Second life aufgrund der Gestaltungsmöglichkeiten des virtuellen Körpers Schönheitsnormen umso sichtbarer werden – Shrek hätte daher auf dem virtuellen Second-Life-Partner_innen-Markt wohl eher schlechte Chancen.

(13) Nur am Rande bemerkt: viele, die die strukturelle und relative (!) Machtstellung bestimmter Positionen – idealerweise: der weiße, deutsche, heterosexuelle Mann ohne Behinderungen – in Frage stellen, entsprechen diesen.

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last modified: 10.7.2007