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Die Grenzen der Aufklärung

Deutscher Sozialprotest und linke Supporter

      „Immer wieder staune ich über den Scharfsinn, den noch die Stumpfesten aufbringen, wenn es gilt, Schlechtes zu verteidigen.“
      Theodor W. Adorno (Ur-Schnösel der nichtsteuernzahlenden Kleinbürger universitärer Prägung)
Seit geraumer Zeit sind insbesondere Hartz IV und die Proteste dagegen in aller Munde. Dabei gibt es in der deutschen Debatte und logischerweise auch in der linken gleich zwei gewollte Missverständnisse: Hartz IV sei mit einer Amerikanisierung oder Neoliberalisierung der geläuterten deutschen Gesellschaft verbunden und – jetzt laufen die Bewegungshuber zur Höchstform auf: der Protest dagegen sei schon so etwas wie ein Anknüpfungspunkt, der Vorbote der „sozialen Revolution“, wie es immer so schön heißt. Selbst so genannte Wertkritiker entdecken das
Schlosserei, JVA Waldheim, 12.5k
Schlosserei, JVA Waldheim
Volk wieder für sich, etwa wenn Mausebär in CEE IEH #116 schreibt „Widerstand (muss) überall dort ermutigt werden, wo Menschen den Wahnsinn subjektloser Herrschaft direkt spüren. (Denn) jede Aktion für die Verbesserung der unmittelbaren Lebensbedingungen von Menschen (wäre) automatisch ein Sargnagel für den Kapitalismus.“ Lässt man einmal den Umstand beiseite, wonach „soziale Errungenschaften“ bislang noch nichts mit grundsätzlicher Systemkritik zu tun hatten, sondern gerade zur Stabilisierung des so genannten Wahnsinns beitrugen, so ist dieses Urteil in anderer Hinsicht sehr merkwürdig. Abgefeiert wird jeder Quatsch, der im Grunde im wahrsten Sinne des Wortes antikapitalistisch ist, nämlich antibürgerlich und somit auch nur deutsch sein kann. Sicher nimmt er den Positivbezug sogleich wieder zurück, um aber klarzustellen, wem die Sympathie gehört: auf keinen Fall „adornitische(n) Schnösel(n)“, die anstatt Steuergelder zu sparen und recht schnell ihren studentischen Abschluß hinzubiegen, sich doch erdreisten, die Steuergelder der Revolutionäre im Lesesaal zu verpulfern und diese dann auch noch zu beschimpfen. Den sehr wohl zu recht als autoritär-völkisch beschriebenen Mob muss man sich nicht zurechtlügen, sondern er existiert. Alarmierendes Zeichen für den Verlust jeglicher auf Vernunft basierenden Gesellschaftskritik ist es allerdings, wenn diese Bewegung zunächst naiv abgefeiert wird und man die Notwendigkeit entdeckt, in der Bewegung zu agitieren. Hauptsache „unzufriedene Bürger, (…) die sich nicht durch die Wertmühle drehen lassen wollen“, was gelinde gesagt zurechtgelogen ist. Denn es spielt dabei überhaupt keine Rolle, wer wo einmal ein fetziges Statement bei den Protestlern gehört hat oder wer wen kennt, der mal gehört hat, dass… – es geht darum, wofür diese Bewegung in der Sache steht!
Im Sinne des Feierabend-Kritzlers, dessen Hetze gegen Antideutsche (Feierabend! Nr. 14, „Zum antideutschen Kommunismus“) noch den Irrsinn des AIB („Wo endet der Antifaschismus? Zur Auseinandersetzung mit der antideutschen Strömung, AIB 62 [siehe auch: CEE IEH #111) übertrifft, kann man den linken Schulterschluß probieren: „Fakt ist, Kommunisten erkennen im Kapitalismus eine Ausbeuter-, sprich Klassengesellschaft. Sie sind solidarisch dem Proletariat gegenüber“ (Feierabend! Nr. 14, S. 27) – ganz egal was passiert(e), davon geht die Welt nicht unter. Und wer hätte es nicht geahnt: Folgt man dieser pro-proletarischen Logik nicht, ja spricht sogar der deutsche „Wahnsinn“ gegen ein solch voluntaristisches Geraune, so kann man folglich kein Kommunist sein. Die „Lüge von Meinung“ (Adorno) ist jeder Realität, die sich zu recht gesponnen wird, erhaben und somit wahrheitsfeindlich. Um die Unwahrheit zu verteidigen, von der man ahnt, dass man ihr aufgesessen ist, wird noch das letzte Aufgebot des Gehirns mobilisiert, und sei es die letzte Schlacht, die man gewinnen zu müssen glaubt.
In diesen Klassenkampfkanon stimmen dann auch Leute ein, die man eigentlich für klüger halten sollte. Die Rede ist von den Antideutschen Kommunisten Berlin, die in Phase 2 (Nr. 13, S. 42) noch einmal klarstellen, worum es ihnen geht und das der berühmte, von den Hardlinern „zensierte“ Abschnitt ihres Referates auf der antideutschen Konferenz im Jahre 2003 kein Ausrutscher war, sondern Programm: „(Der) Erlösungswunsch (ist) nicht aus der Welt zu verbannen, welcher vollends im Krisenfall als Tötungs- und Todeswunsch erscheint, sofern (!) der Klassenantagonismus verdrängt bleibt“. Dazu ist eigentlich nichts mehr zu sagen. Hätte man mal richtig Klassenkampf gemacht, dann wäre der deutsche Michel nicht auf den Dreh mit der Judenvernichtung gekommen.
Bei anderen Linken wundert einen dagegen fast nichts mehr. Beispielhaft sei ein Bündnis angesehener linker Gruppen aus Berlin, das im Vorfeld des 1.Mai letzten Jahres eine Aktionswoche Mai-Steine durchführte. Federführend bei dieser Schweinerei waren die Gruppe Fels (Für eine linke Strömung; Hrsg. der Zeitung arranca!) und das ganz verrückte und im Grunde undiskutable Spaltprodukt der ehemaligen Antifaschistischen Aktion Berlin: die jetzige Antifaschistische Linke Berlin.
Geworben wurde für die ganze Angelegenheit u.a. mit folgendem Statement: „Dass die zynischen Inszenierungen, die immer größere Kluft zwischen Arm und Reich dabei sogar in der Linken immer weniger thematisiert und bemerkt wird, dürfte Ergebnis eines hirnwaschenden Diskurses sein, der Gewinner und Verlierer der weltumspannenden Profitlogik nicht mehr benennen will, sondern nur noch von abstrakten Strukturen schwafelt und die Entpersonalisierung aller gesellschaftlichen Zusammenhänge als letzten, fortschrittlichen Erkenntnisgewinn verbrät.“ (www.mai-steine.de) Man fühlt sich an jene Tage der traditionellen KPD erinnert, als bereits im Jahre 1923 eine Funktionärin der anwesenden nationalen Jugendbewegung im Wartestand, bestehend aus Arbeiterjugend und studentischen Verbindungen, zurief, man solle im Zeichen des Klassenkampfes sich nicht spalten lassen und die „Judenkapitalisten“ der gerechten Strafe zuführen (vgl. Matthias Küntzel, Goldhagen und die deutsche Linke, S. 51). Die geforderte Personalisierung des Bündnisses der Mai-Aktivisten aus Berlin ist letztlich der auf links getrimmte Aufruf zum Volkssturm gegen alle, die man als „Gewinner“ und Repräsentanten dessen definiert, was letztlich Resultat eines gesellschaftlichen Prozesses namens Wertgesetz ist, das im Zeichen kapitaler Vergesellschaftung unabhängig von Wissen und Wollen der Akteure wirkt und selbst vom letzten Wagenburgler genauso reproduziert wird wie vom vermeintlichen „Bonzen.“

Den deutschen Weg verteidigen

Die Proteste gegen Hartz VI in Form der Montagsdemos sind schließlich das Herzstück deutschen Irrsinns, wo ein paar ganz Verrückte sich sofort beteiligen wollen oder wo einige Naive sich einreden, „emanzipatorisch einwirken“ zu müssen/ können(1). Es ist sicher völlig egal, welcher konkreten Gespensterparade man tatsächlich beiwohnt, denn die Argumente gleichen sich. Daher sei eine Kundgebung in Saalfeld als Beispiel ausreichend, um das deutsche Unwesen in den Hirnen des dortigen Bündnisses aus PDS, attac, Gewerkschaften, Einzelpersonen zu illustrieren: die „eigentlichen Leistungserbringer“, die „ehrlichen Menschen“ werden von „Schauspielern von VW“ und von Politikern, die „verantwortungslose Handlanger des Kapitals“ seien, an der Nase herumgeführt und erpresst. Reformen für Deutschland seien ja nötig, aber ganz in Volksstaatsmanier: gerecht verteilt. Die alte Naziparole des Gemeinnutzens vor dem Eigennutz erlebt eine Renaissance und wenn man schon so nah dran ist am Original, so muss man sich natürlich von den Nazis abgrenzen und kommt folgerichtig zu dem Schluss: „Faschisten brauchen wir in diesem Land nicht mehr (!)“ (ein Gewerkschaftsfunktionär, der 1997 maßgeblich an der Vorbereitung der Antifa-Demo beteiligt war), diese schädigen ja den Standort, der unbedingt gegen die osteuropäische Konkurrenz abgeschottet werden müsse. So der allgemeine Tenor der Redner.
Wenn man sich vor Augen führt, was bei diesen ganzen Veranstaltungen für einen Haufen antisemitischer und moralisch-antikapitalistischer Elemente zusammengeführt werden; dass hier bewusst abstrakte Herrschaftsverhältnisse, die nicht viel gutes für den Einzelnen bedeuten, das soll ja gar nicht in Abrede gestellt werden, personalisiert werden und „Lösungen“ propagiert werden, wie es im NSDAP-Programm(2) nicht besser zum Ausdruck kommt, so kann man nur froh sein, dass der Aufstand, den ein PDS-Provinzfürst sich herbeiwünscht, nicht so recht eintreten mag.
Die Proteste gegen Hartz sind von einem gewaltigen Missverständnis geprägt. Es dominiert die fälschliche Annahme, es würden „amerikanische Verhältnisse“ geschaffen. Tatsächlich versäumt es kein Akteur, sei er aus Politik oder der Wirtschaft, sich auf das deutsche Gemeinwohl und nicht etwa auf die individuellen Bedürfnisse der Einzelnen zu beziehen. Die zu verhandelnde These wäre, ob es faktisch um die Modifikation des Modells Deutschland geht, eine Modifikation, die wohl von Teilen der Gesellschaft so nicht mitgetragen wird. Vielleicht ist dies eine Art Machtkampf zwischen den Verfechtern der traditionellen
Montage, JVA Zeithain, 19.0k
Montage und Verpackung, JVA Zeithain
Staatsunmittelbarkeit, die direkt an den NS-Staat anknüpfte, und einem modifizierten Modell, das sich etwas moderner gibt und mit alten „Errungenschaften“ aus dem Interesse des Erhaltes des Geschäftsbetriebes teilweise bricht bzw. Tradition und Zeitgeist zu vereinen sucht. Für erstere Position stehen die Protestler – wenn man so will der Mob –, für zweitere Position wohl eher die bundesdeutschen Eliten. Vielleicht ist dies ja die probeweise Aufkündigung des post-faschistischen Bündnisses von Mob und Elite in Form einer Neujustierung des Modells Deutschland. Wie gesagt: Neubestimmung des deutschen Weges und keineswegs eine Abkehr hin zu Liberalismus oder gar „amerikanischen Verhältnissen“, von denen gelinde gesagt keiner eine rechte Ahnung zu haben scheint(3).
Was Hartz auf jeden Fall bedeutet, ist die Handlungsfähigkeit des Staates zu erweitern bzw. diese zu erhalten. Hartz bricht im Grunde nicht mit dem Grundsatz des deutschen Sozialstaates – der Staatsunmittelbarkeit. Gebrochen wird lediglich mit dem Luxus der prosperierenden Nachkriegsordnung, die Niveauunterschiede in der sozialstaatlichen Alimentierung vorsah. Neu ist eine Pauschalisierung, die allen klar macht, dass es kein Niveau über einem bestimmten Minimum gibt. Dieses Unterschreiten bisheriger Standards bedeutet allerdings kein „Ende der etatistischen Zwangsbewirtschaftung der Arbeitskraft“ (Uli Krug und Karl Nele in Bahamas 45), sondern nimmt eine Modifikation dergestalt vor, als dass die staatliche Zugriffsmöglichkeit extensiviert wird. Es gibt faktisch kaum mehr ein Entrinnen aus staatlicher Fürsorge wie auch Kontrolle. In diesem Sinn ist Hartz abgrundtief deutsch und hat rein gar nichts mit „amerikanischen Verhältnissen“ zu tun, wo der Einzelne – bei allen zugegebenermaßen sich einstellenden Widrigkeiten der Unmittelbarkeit des Marktes –immer noch sein eigenes Schicksal fernab staatlicher Regulierung bestimmen kann bzw. muss und: dies sogar will. Das deutsche Modell, in dessen Tradition die Reformen stehen, basiert in einem hohen Maße auf der so genannten Solidarität (die auch beständig von den Demonstranten gefordert wird), die jedoch nichts anderes bedeutet, als regressive Gleichmacherei, um jede Differenz zu tilgen. Gemeint ist einfach Verzicht, gemeinsamer Verzicht auf hohem Niveau. Zu beobachten ist, dass der Staat eben nicht nur als Garant der herrschenden Ordnung begriffen wird, sondern als Adressat all derer, die einen harmonischen Kapitalismus einfordern – eben genau jenes Phänomen, was als deutsche Ideologie zu bezeichnen ist: die Gegenüberstellung einer an sich gesunden Produktionssphäre, die gestärkt werden müsse vs. einer parasitären Finanzsphäre. Beanstandet wird von den deutschen Revolutionären nicht, dass ihre Arbeitskraft letztlich dem Staat unterstellt ist. Beanstandet wird auch nicht, dass man sich für die Gemeinschaft bereit zu halten hat. Unter moralischen Gesichtspunkten erfolgt die Anklage an den Staat, sich gefälligst wieder dem Volk zuzuwenden und nicht irgendwelchen „Abzockern“ ungerechtfertigte Vorteile zu verschaffen.

Kampf um soziale Gerechtigkeit und Antifaschismus?

Die in vielen Fällen zu beobachtende Distanzierung von Nazis bei den Protesten wird in Thüringen sogar noch als Tugend betrachtet. Beispielhaft sei Angelo Lucifero genannt, jemand, der auch gern gesehener Diskussionspartner in jungle-world-Kreisen ist. Er kann sicher als geistiger Vater jenes gesellschaftstheoretischen Schwachsinnes gelten, wonach der Kampf um soziale Gerechtigkeit zugleich der gegen Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus sei – und umgekehrt!(4) Welch fatale Fehleinschätzung.
Die Fatalität linker Ideologie besteht darin, den Nationalsozialismus damit verhindern zu wollen, was konstituierend für ebendiesen war: sozialstaatlich alimentierte Staatsunmittelbarkeit und letztlich regressive Gleichmacherei im Vernichtungskollektiv.
Die mit dem Slogan „soziale Gerechtigkeit“ verbundene Vorstellung eines harmonischen Kapitalismus ist bereits in sich barbarisch, kann dies doch
Montage, JVA Plauen, 17.3k
Montage und Verpackung, JVA Plauen
nur über den Vernichtungswahn realisiert werden. Zugespitzt: Die antisemitische Raserei der Nazi-Deutschen ist der ins Unendliche verlängerte Wille nach Harmonisierung der Gesellschaft und der Gleichheit der Volksgenossen, der ein im Juden halluziniertes Gegenprinzip entgegenstand, das es zu vernichten galt.
Die Verkehrung wird den Lucifero & Co. jedoch nicht klar, da die Massen und die soziale Gerechtigkeit als anzubetende heilige Kühe gehandelt werden. Bereits Adorno, der für linke Praxisfetischisten immer ein Querulant und so ein zu ignorierendes Hindernis war und dem daher letzthin von exponierter NPD-Stelle nicht zu Unrecht Gemeinschaftszersetzung vorgeworfen wurde, sah sich nach seinem Exil in Amerika zu der Feststellung veranlasst, wonach genau jener dort praktizierte Liberalismus wohl das Gegengift zu nazistischen Umtrieben sei, ja dass eine Lehre aus Auschwitz nicht ein Mehr an Kollektivität sein könne, sondern eine Stärkung des Individuums, der Autonomie. Die Behauptung, wonach es die Bürgerlichkeit sei, die den Nationalsozialismus oder die derzeitigen Erfolge von NPD und DVU ermöglich(t)en, ist aus der genauen Betrachtung des Charakters des deutschen Faschismus eine dreiste Lüge: Es ist der antibürgerliche Reflex der sich benachteiligt fühlenden Subjekte, der zur Raserei führt. Mit anderen Worten: Allein die Rettung der Aufklärung vor sich selbst würde einen wirksamen Schutz vor Nazismus versprechen, gegen das autoritär-kollektive Bedürfnis.
Auf der Tagesordnung wäre die Entscheidung zwischen egoistischem Eigeninteresse und kollektiver Unterordnung, letztlich zwischen der Aussicht auf Versöhnung der Differenz im Kommunismus oder aber dem Ende in der Barbarei des völkischen Kollektivs. Nach Lage der Dinge kann dies keine Frage mehr von rechts oder links sein, ist in ihrer Antwort doch bereits notwendig die Konkurrenz kollektiver Varianten enthalten.
In diesem Sinne würden die Proteste gegen die sehr wohl als Zumutung zu verstehenden „Reformen“ einen Sinn ergeben, der über das Bestehende hinausweisen könnte oder zumindest verhindert, dass sich die soziale Frage in Deutschland immer wieder zur Judenfrage mausert. Ob die „Meister der Krise“ (Scheit) für einen Protest zu begeistern wären, der sich eben nicht an dem Zusammenhalt der Gemeinschaft orientiert und sozusagen nicht von allen fordert, gleichen Verzicht zu üben, wäre die Frage – keine unbedeutende. Die Zeichen jedenfalls stehen schlecht dafür, einen Protest zu haben, der daraus seine Motivation bezieht, als Einzelner soviel wie möglich an Ressourcen zu erkämpfen, um so gut leben zu können, wie es die gesellschaftlichen Entwicklungspotentiale erlauben würden.

Gäbe es einen Protest, der das Ich zum Gegenstand hätte und nicht das Wir, der den Eliten nicht den Verrat am deutschen Modell vorwerfen würde und statt „Mehr Arbeit“ einen gemütlichen Lebensstil als Individuum und nicht als Volksgenosse zum Ziel hätte, so gebührte dem die Unterstützung. Doch dies wäre in Deutschland die Quadratur des Kreises. Warum sollten autoritäre, staatsfixierte Deutsche gerade das fordern, was sie am meisten hassen: Liberalität und Individualität, jene Bürgerlichkeit(5) aus früheren Tagen des Kapitalismus, für die man den Kampfbegriff des „jüdischen Prinzips“ ausgegeben hat? Leute, die deutsch bis in die Knochen sind, kann man kaum aufklären, sondern nur denunzieren!

Mario Möller

Fußnoten

(1) Die Antifaschistische Linke Berlin gibt in ihrem Aufruf zur LL-Demo diesen Jahres Bescheid, warum es mit der Revolution der deutschen Volksgenossen nicht so recht klappen will: „…an verschiedenen Stellen ist es Nazis gelungen sich in die Proteste einzumischen, oder sich mit ihren scheinbar antikapitalistischen Phrasen direkt an die Spitze von Demonstrationen zu setzen. Das liegt nicht nur an dem Aufwind, den die Nazis aus dem Unmut über die Regierungspolitik bekommen, sondern auch an der unzureichenden Anstrengung der Linken, entscheidend auf die Proteste einzuwirken und zumindest einen antifaschistischen Grundkonsens in der Bewegung herzustellen.“ Dabei gehören „die Bewegung“ und die Nazis in der Sache zusammen.
(2) Auszüge, die hierfür Relevanz haben, seien hiermit gegeben: „7. Wir fordern, daß sich der Staat verpflichtet, in erster Linie für die Erwerbs- und Lebensmöglichkeit der Staatsbürger zu sorgen. (..). 10. Erste Pflicht des Staatsbürgers muß sein, gesitig und körperlich zu schaffen. Die Tätigkeit des Einzelnen darf nicht gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen, sondern muß im Rahmen des Gesamten und zum Nutzen aller erfolgen. (..) 11. Abschaffung des arbeits- und mühelosen Einkommens. Brechung der Zinsknechtschaft. 16. Wir fordern die Schaffung eines gesunden Mittelstandes und seine Erhaltung, sofortige Kommunalisierung der Großwarenhäuser und ihre Vermietung zu billigen Preisen an kleine Händler, schärfste Berücksichtigung aller kleinen Gewerbetreibenden bei Lieferungen an den Staat, die Länder oder Gemeinden. … 18. Wir fordern den rücksichtslosen Kampf gegen diejenigen, die durch ihre Tätigkeit das Gemeininteresse schädigen. … 20. Um jedem fähigen und fleißigen Deutschen das Erreichen höherer Bildung und damit das Einrücken in führende Stellung zu ermöglichen, hat der Staat für einen gründlichen Ausbau unseres Volksbildungswesens Sorge zu tragen. … Wir fordern die Ausbildung besonders veranlagter Kinder armer Eltern ohne Rücksicht auf deren Stand oder Beruf auf Staatskosten.“
(3) In den USA existiert tatsächlich so etwas wie ein Sozialstaat, über dessen Güte zur Verhinderung von Armut sich streiten lässt, dessen Ausrichtung aber dergestalt ist, wonach es um die Gleichheit der individuellen Chancen geht. Es gibt keine bundesstaatliche Regelung für die verschiedenen Programme. Weiterhin ist mit dem Mißverständnis zu brechen, wonach auch in den USA ein Arbeitszwang für den Erhalt der Leistungen besteht. Richtig ist: das Wisconsin-Modell ging in diese Richtung, ist aber ein Modell (!) eines Bundesstaates. Weiterhin besteht die Verpflichtung für Leistungsempfänger verschiedener Programme, an Weiterbildungen und Qualifizierungen teilzunehmen, was wohl etwas anderes ist, als gemeinnützige Tätigkeiten zu verrichten. Der Einzelne soll für den Arbeitsmarkt fit gemacht werden, was eine andere normative Ausrichtung bedeutet, als sich für die Gemeinschaft bereit zu halten. Ob dies an sich gut ist, wäre sicher eine andere Frage, womit man eben die USA nicht als die Mustergesellschaft verklären muss. Aber Fakt bleibt, dass jenes Modell und Gesellschaftsverständnis keine nazistischen Wege befördert, ja dass sogar im Jahre 1987 82% der Amerikaner bereit waren, einen Juden als Präsidenten zu wählen. An anderer Stelle wäre diese Sozialstaatsproblematik der USA weiter zu explizieren, was den Rahmen dieses Textes sprengen würde. Einen guten Überblick gibt es in Lösche/ von Loeffelholz (Hrsg.): Länderbericht USA, 4. Auflage, Bonn 2004; hier der Aufsatz von Axel Murswieck: Gesellschaft. Erhältlich bei der BZ für politische Bildung.
(4) siehe u.a. die Ankündigung zum Antifaschistischen Ratschlag im November 2004 unter: http://www.lag-antifa.de
(5) Um es an der Stelle nochmals deutlich zu sagen: Es geht hier nicht um „das Abfeiern des global durchgesetzten Kapitalismus“, wie etwa das AIB und andere Feinde der Aufklärung meinen. Es geht nicht darum, die bürgerliche Gesellschaft an sich zu verteidigen, sondern sie gegen das antibürgerliche Ressentiment zu schützen. Dass dies ein einfaches, widerspruchsfreies Unterfangen sein würde hat niemand je behauptet. Aber das Insistieren auf die „vergangene Hoffnung“ (Horkheimer/ Adorno) dürfte der alleinige Schlüssel sein, um eine Atempause vor dem barbarischen Potential zu bekommen.

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last modified: 28.3.2007