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Wie in "How to exit from Guyville" (CEE IEH 97) angekündigt, sollte eine Auseinandersetzung zum Thema Geschlechterrollen und Pop unter den Vorzeichen der popkulturellen Umsetzung fortgesetzt werden. Daher soll an dieser Stelle ein e-mail Austausch von Musikerinnen und Produzentinnen, die ihre praktisch und theoretisch unterschiedlichen Ansätze und Auffassungen zum Thema Feminismus und Selbstverständniss diskutieren, dokumentiert werden. An dem von Bernadette LaHengst (Die Braut haut ins Auge) aufgezeichneten Gespräch beteiligten sich ausserdem Sandra Grether (Parole Trixi), Katrin Achinger (Kastrierte Philosophen), Melissa Logan und Alex Murray-Leslie (Chicks on Speed). Dieser recht praktische und lockere Gedankenaustausch schließt gut an benannten Text an und passt zur geführten Auseinandersetzung, weil er sich nicht in Theorie verliert, sondern auf der Hand liegende Zustände beim praktischen Namen nennt.
pop@island.free.de
dokumentation, 1.1k

Guyville-Talk.


Sandra: Wenn Musikerinnen ihre Aggression, aber auch ihre Gebrochenheit rauslassen und dazu noch inhaltlich stark und klug sind, werden sie als kontroverser wahrgenommen, als wenn Musiker das Gleiche tun. Ich denke, dass Frauen diejenigen sin d, die der Rockmusik die verlorene, „subversive“ Kraft zurückgeben können/sollen.

Bernadette: Wenn sich Frauen herausnehmen, sich in einer Männer-dominierten Welt lautstark zu Wort zu melden, ist das an sich schon eine Konfrontation mit den Gegebenheiten. Es wäre nur furchtbar, wenn das Einzige, was übrig bleibt, diese weibliche Provokation wäre. Das reicht nicht und bringt den Feminismus auch nicht weiter.

We dont play guitars, 19.2k Katrin: Dem Opfersein verhaftet, das fände ich mittlerweile auch zu bequem. Wir müssen schon auch was bringen, was über das Thema hinausgeht, sonst wird’s langweilig. Ausserdem führen weibliche Künstlerinnen die Charts an, also den Mainstream. Wo bleibt da die Konfrontation?

Alex: Ich finde es erfrischend, eine Frau auf der Bühne zu sehen, weil wir alle Rolemodels und Idole brauchen. Manche Leute nennen es konfrontativ, wenn sie eine Frau auf der Bühne sehen, mit Kostüm und Make-up, die sich die Seele aus dem Leib brüllt. Ich verstehe nicht, was daran konfrontativ sein soll, es geht doch um Spaßhaben auf der Bühne.

Melissa: In den frühen Siebzigern schien es für eine Menge Künstlerinnen notwendig zu sein, sich in einer sehr radikalen Weise auszudrücken, weil sie dachten, wenn sie es nicht täten, würde ihnen niemand zuhören. Natürlich profitieren wir alle von ihrer harten Arbeit.

Bernadette: Ich merke gerade, dass auch Schönheit, sowohl äußerliche als auch gesangliche und musikalische, sehr subversiv sein kann, weil es zu Missverständnissen führt. Es gibt immer noch eine Menge Leute, die meinen, Subversivität müsste nur depressiv oder zerstörerisch daherkommen. Dass Rebellion und die Kritik an den Verhältnissen auch Spaß machen kann und sogar muss, damit es Menschen bewegt, halte ich für sehr wichtig und insofern auch für subversiv.

Alex: Ich will, dass das, was wir machen, akzeptiert und zum Mainstream wird. Wir sind hier, um Konkurrenz zu machen im „Big Business of Music“.

Melissa: Das, was wir machen, ist sehr subversiv, aber es funktioniert auf verschiedenen Ebenen. Wir möchten eine glatte Oberfläche schaffen, und für die, die sich weiter wagen, gibt es die Tiefen des Drecks, der Seltsamkeit, die immer vorausläuft und dich einsaugt wie Treibsand.

Sandra: Ich bin unendlich und untröstlich fasziniert von mädchenhaftem Kindheitskram wie Blümchen-Shirts, Herzchen-Accessoires, Puppen, rosa, rosa, rosa. Und kann nicht anders, als das in Kleidung und Bandästhetik einfliessen zu lassen. Für mich persönlich bedeutet das die Rückaneignung meiner eigenen Kindheit, allgemein signalisiert es vielleicht, dass die Sozialisation von Mädchen nicht kulturell wertlos ist, wie uns oft weisgemacht werden soll.

Bernadette: Als einziges Mädchen neben zwei älteren Brüdern spielte ich immer eine Doppelrolle, zwischen mädchenhaftem Kleidungsstil und jungenhaftem Gehabe. Ich wollte immer besser, schneller, stärker sein als die Jungs, und das drückte sich natürlich auch in Kleidung, Körperhaltung, Musik, Freiheitsdrang aus. Ich bin immer noch hin- und hergerissen zwischen den weiblichen und männlichen Polen in mir, und das fließt natürlich in meine Arbeit ein.
Alex: Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich wirklich über Mode nachdachte, am Tag, als meine Mutter mir ein weisses T-Shirt mit der Aufschrift „Vogue“ gab. Dadurch dachte ich über „Logo“, „Brand“, „Style“, „cool“ und über all die Dinge nach, die fremd für mich 7-jähriges Mädchen waren. Und später überlegte ich, wie ich mir mein eigenes wichtiges Logo mache, ohne mich darauf zu verlassen, dass irgendeine Firma mir meine Identität gibt.

Melissa: Ich denke, dass eine Menge an Feminismus bedrückend ist und upgedatet werden sollte, weil es um Freiheit geht und nicht darum, so smart zu sein, dass keiner dich versteht, oder so tief zu sein, dass man in sein eigenes schwarzes Loch fällt. Ich glaube, „the beauty myth“ (Naomi Wolf) kann man auf viele Teile der Gesellschaft beziehen, aber: Nehmt diese „fashion victim paris shoes“ und geht damit durch die Tür, als gehörte euch die Stadt!

Sandra: Es erfordert nach wie vor viel (Pionier-) Arbeit und Kraft, wütenden weiblichen Rockgesang mit deutschen Texten als etwas „Alltägliches“ undFacettenreiches etablieren zu wollen.

Bernadette: Ich bin als Sängerin kein anderer Mensch als im normalen Leben. Singen ist für mich das normale Leben. Das heisst, ich kann klar sein, wütend, sentimental, gebrochen, durchgedreht und auch sehr witzig.

Melissa: Ich würde es nicht Gesang nennen, es geht eher darum, die Bühne zu benutzen, den Raum zu füllen, mit dieser seltsamen Spannung zu arbeiten, die zwischen Bühne und Publikum besteht, es ist ähnlich, wie wenn jemand einen Vortrag hält, Kommunikation ist nicht so straight, dass jemand nur Informationen präsentiert, es sollte genauso gezeigt werden, dass die Informationswelten sich an andere Orte bewegen.

Sandra: Es wäre für mich ohne weibliche Vorbilder absolut undenkbar gewesen, selber eine Band zu gründen. Im Endeffekt orientiere ich mich aber, wenn es um Gesang, Texte, Gitarre geht – bis auf wenige, mir aber sehr wichtige Musikerinnen –, doch eher an Männern. God knows why.

Bernadette: Mein erstes Gesangsvorbild mit fünf Jahren war das geschlechtslose Hündchen Friedolin aus einem Musical für Kinder. Drei Jahre später kam der Vorsänger unserer Kirche in den Stimmbruch, und ich mußte von da an drei Jahre das Vaterunser alleine in der Kirche singen. Als ich damit durch war, wollte ich so singen wie Rio Reiser, so Gitarre spielen wie Chuck Berry und so rocken wie L7.

Katrin: Meine Gesangsvorbilder sind fast ausschließlich Frauen. Ist kein Konzept, sondern näher an meinem Leben dran. Ich höre nicht mit dem Kopf.

Alex: Ich bin sowohl von Männern als auch von Frauen geprägt: Nick Cave, Nico, Blondie, Mark E. Smith, Gudrun Gut, Miss Kittin, Nicola from Adult.

Melissa: Ich bin sehr inspiriert von Virginia Woolf, Banana Yoshimoto, Stewart Home, Mimiyo Tomozawa, Sam & Valley, Mark Stewart, Lydia Lunch (sie hat mich mal geküsst), Pan-Sonic und Super-Collider.

Sandra: Es ist natürlich schwierig, zu sagen, was „weiblich“ ist. Ich empfinde es als feministisch, das, was ich als „Weiblichkeit“ definiere, nicht zu verleugnen, sondern bis zu einem gewissen Grad offen auszuleben. Finde es dann aber auch wieder wichtig, mit den Klischees von „Weiblichkeit“ zu brechen. Das ist ein Balanceakt, der Spaß macht.

Bernadette: Als ich mit meiner Band angefangen habe, wollte ich alles andere als weiblich sein, ich trug Fussball-T-Shirts ohne BH, es war mir scheißegal, ob mich jemand attraktiv fand oder nicht. Seitdem ein männlicher Journalist über mich schrieb, dass ich ohne BH über die Bühne springe, sodass die Frauen im Publikum Phantomschmerzen haben (wobei ich denke, dass er derjenige mit den Schmerzen war), kaufte ich meinen ersten BH. Musik ist für mich sehr körperlich, und ich gehe sehr offensiv damit um, weil ich sonst innerlich vertrockne.

Katrin: Remember: „Freiheit ist ein junger Mann!“ (Zitat Achinger 1993). Jung, ungebunden und liquide, haha. Und very busy. Und very cool. Und schnell. Wenn ich mir das neue Frauenbild angucke, dann gehöre ich lieber zu den Schwachen und Häßlichen, den Langsamen, den Langweiligen, den Einsamen, den Unfitten, den Versagern. Es gehört mehr Mut dazu, eigene Wege zu gehen. Und ich bin schon ‘ne Weile nicht mehr jung, habe mich bewusst entschieden, mich an meine Kinder zu binden, und die sind nicht schnell, sondern zeitaufwendig.

Alex: Wenn ich mein Bühnen-Outfit mache, möchte ich mich sexy fühlen und für das Publikum sexy aussehen. Ich fühle mich gut dabei, und man kann wirklich Spass haben mit der Idee von Sex auf der Bühne. Seht euch Peaches an!

Sandra: Es gibt für unsere Arbeit als Band nichts Wichtigeres als die Freundschaft untereinander. Und ich finde es auch unerläßlich, mit anderen Künstlerinnen befreundet zu sein und gemeinsame Sachen zu machen.

Bernadette: Weibliche Solidarität, sich aneinander messen und sich gegenseitig unterstützen zählt zu den wichtigsten Sachen in meinem Leben. Und trotzdem ist es gut, auch mit Männern zu arbeiten, um zu merken, dass das auch nicht alle machistische Aliens sind. Ich möchte inspirieren und inspiriert werden, letztlich spielt das Geschlecht dabei keine Rolle, nur, Männer leben ja schon seit Jahrhunderten in männlichen Netzwerken, dem sollte man etwas entgegensetzen.

Melissa: Wir sind nicht schüchtern, und wir sind nicht „anti-boy“, und wir lieben es, mit anderen Frauen zu arbeiten, it’s great to spin at Le Pulp in Paris with Doki Doki Group, Killer in N.Y., Le Tigre in Europa zu präsentieren (auf dem Chicks-on-Speed-Label) und auf unserer nächsten Platte ...

Alex: Wir haben beschlossen, uns auf unserer neuen Platte mit Freundinnen und unseren weiblichen Helden der Musikwelt zusammenzutun. Wir arbeiten an der Cover-Version eines Stückes von Tom Tom Club, also haben wir Frauen aus der ganzen Welt eingeladen, sich ihre Lieblingszeilen auszusuchen und uns ihre Vocal Takes zu senden. Wir werden einen riesengrossen Chor aus „freaking-out women“ aufnehmen, die singen: „Ah yiah yeah, yipee yaih yiah yeah, ah oooh ahhh ohhh ahh iii kii chi!“ Wir sehen in den Chicks on Speed mehr als nur uns drei, wir sehen es als „the modern day definition of feminism!“
Yes, it’s a women’s movement!


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last modified: 28.3.2007