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sports, 1.2k

Knock out Olympiawahn und Leistungskult


Keine Olympiade und keine Leistung – in Leipzig nicht und nirgendwo


Knock out Olympia, 27.2k Leipzig fiebert im Olympiawahn. In einem Leserbrief in der Leipziger Volkszeitung LVZ überschlägt er sich: Wenn es um Olympia ginge, sei alles erlaubt. Im Angesicht von Olympia könne man auf ökologische, denkmalschützende oder vielleicht auch finanzielle Probleme (???) keine Rücksicht nehmen. Es gelte alles dafür zu tun, nur damit „wir“ Olympia kriegen. Solche Art von Blödheit kennt leider keine Grenzen mehr. Läuft man durch die Stadt, so wird man unablässig mit Sprüchen zu gebrettert frei nach dem Motto: wir alle sind dafür. Daher gibt es jetzt in Leipzig das AOK – das Anti-Olympische Komitee in Leipzig als Vertreter des anti-olympischen Gedankens. Es gilt daher aufzudecken, was Olympia tatsächlich für die Menschen bedeutet.
Jegliche Ansätze eines kritischen Bewusstseins verschwinden, gehen im Pro-Olympia-Gerede unter oder werden mundtot gemacht. Schließlich geht es ja auch noch um Arbeitsplätze, um den „Standort Leipzig“ und um die Entwicklung der Region. Schließlich könnte Leipzig einen großen Vorsprung in der städtischen Entwicklung erzielen.
Die Warnungen anderer Städten die den Irrsinn Olympia bereits über sich ergehen lassen mussten, werden dabei in den Wind geschlagen. In München stiegen die Mietpreise und Lebenshaltungskosten nach 1976 ins Horrende. Auch für die einst geplante Olympiade in Berlin 2000 erwies sich das Finanzierungskonzept mehr als löchrig – schlicht und einfach weil nichts da war –, und ohne Moos ist bekanntlich nichts los. Und was die Stadtentwicklung betrifft, so ist der angekündigte Vorsprung, den Leipzig erreichen soll, als eine Drohung zu verstehen. In wenigen deutschen Großstädten sind die Mietpreise noch so niedrig wie in Leipzig. „Entwicklung“ heißt heute eine negative, nach hinten gerichtete Entwicklung. Wohnhäuser und Reste von Wiesen und Wäldern werden gigantischen Sport- und Verkehrsprojekten geopfert. Schon jetzt tauchen Fragen nach dem Wohin der ganzen unbenutzten Wohnsubstanz aus ‘Gründerzeiten’ auf.
Die Olympische Spiele werden übrigens in der nächsten Zeit keine Arbeitsplätze herbeischaffen. Die Ursachen für den Arbeitsplatzmangel resultieren aus zunehmender Abschaffung von Arbeitsplätzen infolge mikroelektronischer Rationalisierungsmassnahmen. Dies umzukehren ist weder zu wünschen, noch würden wir es tun, wenn es möglich wäre. Sieht man von den Fehlinvestitionen, die für Olympia veranschlagt werden einmal ab, dann könnte es bestenfalls kurzfristigen Aufschwung geben. Dafür aber müssten andererseits und anderswo (vorzugsweise im Bildungs- und Sozialsektor) immense Sparmaßnahmen durchgesetzt werden, um den olympischen Wahn bezahlen zu können.
Allerdings bietet sich das olympische Großprojekt trefflich dafür an, von den aktuellen gesellschaftlichen Problemen abzulenken. Sport ist Opium des Volkes, könnte man in Anlehnung an Karl Marx heute sagen. War es einst religiöser Unfug, mit dem sich Menschen selbst ihr Denken vernebelten, so werden jetzt in derartigen Großveranstaltungen die nationale Einheit und ein niemals Wirklichkeit werdender Aufschwung halluziniert. Hier wird eine Leistung abgefeiert, die real nie wieder abgerufen werden wird. Einer der Vorschläge fürs Leipziger Olympiastadion stellt eine spiralig gewundene Konstruktion dar. Sie soll den „Aufschwung Ost“ symbolisieren. Wenn schon Symbolik, dann wäre es wohl treffender, eine Spirale in ein unterirdisch angelegtes Stadion verlaufen zu lassen.
„Sport tut Deutschland gut“, lautete eine Kampagne in der letzten Zeit. Sie bringt die Gedanken des Leistungssports treffend zum Ausdruck. Es geht um das ständige Fitbleiben und Schuften für „unser Land“ – worauf WIR keinen Bock haben. Derartige Kampagnen dienen dem Zweck, einen Leistungswahn durchzudrücken, der real keine Entsprechungen mehr vorweisen kann. Man verdeutliche sich den Widerspruch: Millionen Menschen sind arbeitslos, weil einfach keine Menschen mehr für so was gebraucht werden. Aber durch Deutschland soll bitteschön ein Ruck gehen bzw. alle sollen sich stählen und eifrig turnen damit sie nicht drogenabhängig werden, wie Plakate allenthalben verkünden. Da real nichts mehr läuft, sollen wir umso verbitterter und verbissener und dabei auch noch freudestrahlend schuften wie Hamsterchen im Laufrad und dran glauben, dass das alles schon seinen Sinn hat – wir sagen „Nein“ zu solchem und allem anderen „positiven Denken“.
Gegen derartige und ähnliche Wahnideen wollen wir den anti-olympischen Gedanken hochhalten und entwickeln. Faulheit und Müßiggang statt Arbeit und Leistungswahn sind seine Hauptinhalte. Es kommt uns auf die weitere Verbreitung des anti-olympischen Gedankens an. Die in ihm enthaltene Kritik an der kapitalistischen Arbeits- und Leistungsgesellschaft wollen wir zum Ansatzpunkt einer tiefgehenden Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus erklären. Die olympischen Spiele sind uns dabei kein Vorwand, um eigentlich was ganz anderes, nämlich Kapitalismuskritik zu betreiben. Vielmehr drückt sich hier, wie im Leistungssport im allgemeinen die Brutalität und Unzumutbarkeit dieser Gesellschaftsordnung auf treffliche Weise aus. Leistungssport und der damit verbundene Gesundheits- und Hygienekult – von dem nicht mal klar ist, ob er wenigstens gesund oder ob er nicht viel eher krank macht – gehört von Anbeginn zur Entwicklung dieser Gesellschaft hinzu. Wir erachten es als notwendig, den Körper von seiner christlich-religiösen sowie kapitalistischen Verstümmelung, Quälung und Zurechtquetschung zu befreien. Sport und Turnen sind als Ausdruck, Ergebnis und Mittel dieser Unterdrückung zu ächten – so wie der olympische Gedanke – unser Gegenpol und Feindbild, genau diese Unterdrückung von Menschen seit seinen Anfängen auf den Punkt brachte – weshalb wir uns explizit als anti-olympisch begreifen. Wir wollen nichts wissen von Sprüchen wie „Von der Wiege bis zur Urne – turne, turne, turne.“ Wie wäre es stattdessen, mit palavern, rumlungern, saufen und vögeln?
Wir werden hier in Leipzig klarstellen, dass im Namen von Olympia sehr wohl NICHT alles erlaubt ist, sondern dass WIR Olympia in Leipzig nicht erlauben werden. Wir setzen darauf, dass es in anderen Städten, in Frankfurt, Hamburg und Düsseldorf ebenso wie beispielsweise in New York Menschen gibt, die den anti-olympischen Gedanken ebenfalls formulieren und dem Sport- und Leistungswahn entgegenhalten. Wir werden klarstellen, dass eben nicht alle für solch einen Irrsinn sind und dass wir ihn zu verhindern wissen.

Martin D.


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last modified: 28.3.2007