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Kultur-Report, 1.7k

How to exit from Guyville?


Männer, Frauen, die Gesellschaft und was Popkultur damit zu tun hat


Das Idealbild von Popkultur wäre ein Spiegel idealer gesellschaftlicher Zustände. Nun ist Popkultur leider vielmehr das Gegenteil, ein Spiegel der kapitalistischen Gesellschaft, wie das nur kommt? Nur mit einer gehörigen Portion Selbstbetrug kann das Bild von der kleinen „richtigen“ Popwelt in der großen „falschen“ Welt aufrecht erhalten werden. Am deutlichsten tritt diese Feststellung am vorliegenden Thema zu Tage. Ist es doch in der Frage „Geschlechterrollen und Pop“ nicht so einfach möglich, sich als subkulturelle Minorität auf die richtige Seite zu stellen, da die hierarchische Ungleichheit – abgesehen vielleicht von reinen Frauenprojekten oder homosexuellen Gruppen – doch quer durch die meisten Zusammenhänge verläuft. Es ist also kein Zufall, dass Männer im Popgeschäft die erste Geige spielen und trotz gegenteiliger Selbstvergewisserung davon nicht runter kommen. Frauen werden dabei nicht grundsätzlich ausgeschlossen, ergänzen jedoch oft nur die Show, sei’s als Blickfang auf der Bühne für ein überwiegend männliches Publikum, hinter dem Tresen oder an der Kasse. In der ihnen zugewiesenen Rolle sind Frauen gar unerlässlich für den popkulturellen Betrieb. Und das nicht nur zur toleranten Selbstvergewisserung. Zugeschriebenen Rollen widersprechende Aufgaben sind für Frauen oft nur unter erschwerten Bedingungen zu erfüllen und oft genug vom Gutdünken eines Mannes abhängig, nach dem Motto, „wenn du nicht so zickig bist, kommst du schon hinter die Desks“(1).

Wie kommt das? Fetzige Theorie!

Nun es ist eine banale Feststellung zu sagen, „Popkultur gleicht dem da draußen“. Popkulturelle Konzepte als in Reaktion auf Missstände konstituierte Gegnerschaft sehen sich in diesem Punkt vor der schwierigen Aufgabe, die eigenen Spielregeln bis hin zum individuellen Umgang miteinander neu zu bestimmen und, wollen sie dem Prädikat kritisch entsprechen, die Auseinandersetzung nicht bloß in den Bereich kultureller Auseinandersetzungen abzuschieben. Letztlich geht es darum, die eigene individuelle gesellschaftliche Verbindung theoretisch wie praktisch in Frage zu stellen und diesen Prozess im Kulturellen lediglich sicht-, verhandel- und vermittelbar zu machen. Was also sind die Voraussetzungen, die wir alle aufgeladen bekommen und weshalb ist unser Verhältnis zueinander bereits ungleich bestimmt, obwohl wir uns noch nie im Leben gesehen haben? An dieser Stelle kommt die angebliche Verbindung sozialer Eigenschaften mit dem biologischen Geschlecht ins Spiel, die Verbindung von „sex and gender“, die als quasi naturgegeben argumentiert werden.
Ob Mann oder Frau, wir alle fügen uns oder werden in die jeweilige Rolle gefügt. „Männlichkeit“ und die ihr quasi als notwendiger Schatten zugeordnete „Weiblichkeit“ samt den daran geknüpften Handlungsweisen sind – im zunehmenden Maße auch unabhängig vom biologischen Geschlecht (sex) – historisch gewordene ideelle Geschlechtsrollen; sind Gesellschaft deren Entstehung in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft nach Roswitha Scholz nur folgerichtig und mit deren Durchsetzung notwendig verwoben sind.(2) Also nicht „nur“ die ungleiche Behandlung von Frauen ist das grundlegende Problem und sollte Gegenstand kritischer Popkultur sein, sondern der zugrunde liegende hierarchisch geordnete Geschlechterdualismus. Dieser strukturiert die sich stetig aufs Neue reproduzierende Form unseres Zusammenlebens entlang den Kategorien abstrakte Arbeit und Wert. Dabei wird abstrakte Arbeit, Wertproduktion, Politik, Wissenschaft und Rationalität als eine Sphäre der Gesellschaft benannt, von der alles andere, „was in der abstrakten Wertform an sinnlichem Inhalt nicht aufgeht [...] an die Frau delegiert“(3) wird. Diese Abspaltung des „Weiblichen“ (Privatheit, Sinnlichkeit, Sexualität, Familie etc.), auch Reproduktionssphäre genannt, ist somit Vorraussetzung der „männlichen“ Produktionssphäre, quasi ihr Ruhekissen, wenngleich sie ihr äußerlich gegenübersteht. Dieser angeblich im Biologischen angelegten geschlechtsspezifischen Struktur entspringen letztlich bereits einleitend benannte Geschlechtsrollen, die als historisch entstanden sich dem individuellen Bewusstsein vortrefflich zu entziehen vermögen bzw. als naturgegeben angenommen werden. Schmerzlich zutage treten sie jedoch bei bewusster oder unbewusster Übertretung, etwa wenn sich Frauen gegen die Reduzierung ihres Wesens auf Sinnlichkeit wehren oder wenn Männer beispielsweise die ihnen gesetzte sexuelle Norm übertreten. Wenngleich Frauen und Männer innerhalb dieser Rollenbilder als „unvollständige“ Wesen zu benennen sind, soll an dieser Stelle nicht der Eindruck vermittelt werden, beide Geschlechter erführen den gleichen Leidensdruck. Wenngleich alle Menschen der subjektlosen Macht der bürgerlich-kapitalistischen Vergesellschaftung gegenüberstehen, stellt sich die Zurichtung der in die weibliche Rolle Gepressten wesentlich drastischer dar, bedeutet es doch ausgeliefert, abhängig zu sein. Für Frauen bedeutet die Reduzierung auf Reproduktion den Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben, sie sind das Ruhekissen für männlich-rationale Weltgestaltung. Männern hingegen kann es viel leichter fallen, sich in vorgegebene role models ergeben, bedeuten sie doch Einfluss- und Entfaltungsmöglichkeiten. Außerdem obliegt ihnen der Zugriff auf beide Sphären, der öffentlichen wie der privaten.
Auch wenn dieses sehr pauschale Bild im zunehmenden Maße aufgebrochen wird, geschieht das jedoch nicht im Sinne grundlegender Infragestellung der Geschlechtsrollen als vielmehr in der zunehmenden Tendenz, Geschlechtsrollen anzunehmen unabhängig vom biologischen Geschlecht. Frauen wird es, wenngleich nicht ohne Kampf, in zunehmendem Maße möglich, zumindest teilweise selber Trägerinnen des Patriarchats zu werden, beispielsweise über die Teilhabe an abstrakter Arbeit bzw. der öffentlichen Sphäre, obwohl jene „für Frauen bis heute nicht dieselbe identitätsstiftende Macht [hat] wie für Männer“ (Scholz). Es kommt also nicht von ungefähr, dass die Tätigkeitsfelder auch in pop-subkulturellen Kreisen doch recht klar verteilt sind, trotz der ständigen scheinbaren und tatsächlichen Auseinandersetzung mit dem fälschlicherweise als „Frauenthema“ benannten Geschlechterverhältnis.

Plädoyer für ein richtiges Leben im Falschen!

Halten wir also fest, die Sphärentrennung beschränkt sich nicht auf bloße Teilbereiche unseres Lebens, sie strukturiert es grundlegend. Obwohl Frauen und Männer auf die ihnen zugeschriebenen Geschlechtsrollen reduziert werden und sich selber reduzieren, ist das Verhältnis doch ein hierarchisches zu Ungunsten des weiblichen Geschlechts (sozial wie biologisch), werden doch beide als naturgegeben verbunden verstanden. Versteht sich kritische Popkultur in ihren Aussagen und Strukturen (Act’s, Labels, Vertriebe, Clubs, Magazine etc.) als eine Form des emanzipatorischeren Umgangs auch mit dem Thema „Geschlechterverhältnis“, so muss die Vermeidung von Diskriminierung ein wichtiges Motiv sein. Denn auch die umfassende Wertvergesellschaftung, der wir alle gegenüber stehen und die wir alle „in uns tragen“, entbindet uns nicht vom verantwortungsvollen Umgang mit den direkt daraus resultierenden Problemen.
Ebenso muss „kritische oder politische Popkultur [...], wenn sie diesem Impetus tatsächlich vertreten will, ihr eigenes Scheitern und ihre unabänderliche Eingebundenheit in die kapitalistische Popkulturindustrie stets mitdenken und tatsächlich auch thematisieren.“(4) Der einmal mehr hier von uns zitierte Leitfaden von Tine Plech bedeutet in diesem Falle also auch, dass das eigene zwangsläufige Reproduzieren von Geschlechterrollen Gegenstand tatsächlicher Auseinandersetzungen sein muss, dass er sich inhaltlich als auch strukturell niederschlagen muss.
Unter den Vorzeichen der Vergegenwärtigung der individuellen Verantwortung und Eingebundenheit ist es beispielsweise sinnvoll, das „Weibliche“ oder das „Männliche“ hervorzuheben und zu ergründen, jedoch immer vor dem Hintergrund, damit die Unterstützung benannter Rollenbilder nach Möglichkeit zu vermeiden oder am Ende gar noch Argumentationshilfen für deren Erhaltung zu ersinnen. Dabei sind inhaltlich-analytische (Relativierung dekonstruktivistischer Ansätze, der Bruch mit dem männlichen Theorieuniversalismus „der Mensch sagt und Mann meint“ etc.), symbolische (Gendertrouble, symbolische Übertretung der gesetzten Rollenbilder etc.) oder strukturelle Vorgaben (Frauennetzwerke, Förderung weiblicher Act’s und Produzentinnen, Männergruppen etc.) geeignete Wege(5).
Das Feld kultureller Verwirklichung, sei es Musik, Literatur, Entertainment, Film etc., ist – wenngleich kulturindustriell vermittelt – Podium für die Verbreitung von Auseinandersetzungen, Werten und Ansichten. Dabei ist, bei aller berechtigten Kritik, der dekonstruktivistische Ansatz insofern nicht außer acht zu lassen, als er die Entstehung von Denken und Sprache als historisch geprägt und veränderbar und somit auch dem individuellen Einfluss unterlegen erkannt hat. Wird also das heutige Denksystem als Grundlage zur Erfassung und Verarbeitung der Realität begriffen, ist es sinnvoll, dieses in Frage zu stellen und soweit wie möglich zu beeinflussen. Das wiederum bedeutet, nicht alleinig im Denken und Kommunizieren die Aufrechterhaltung der uns umgebenden Zuständen zu sehen und mit deren Infragestellung die bürgerlich-kapitalistische Ordnung zu gefährden.
Kann kritische Popkultur schon nicht Spiegel idealer gesellschaftlicher Zustände sein so kann Ihr dennoch die Rolle zukommen einen süßen Vorgeschmack auf den gerechteren Umgang miteinander zu bereiten. Cheers!

Für Beiträge und Kritik sind wir dankbar.
pop@island.free.de

Fußnoten:
(1) Mercedes Bunz ...
(2) Vgl. den immer noch lesenswerten Artikel von Roswitha Scholz, Der Wert ist der Mann, in: Krisis 12/1992 Verweisen möchten wir auch auf den Artikel „Den Pelz gehörig gegen den Strich bürsten“ in Phase 2 4/02
(3) ebd.
(4) Vgl. Tine Plech, „VON OLDSCHOOL ZU NEO ... UND DANN?“
(5) Wir möchten es an dieser Stelle bei der sehr verkürzten Aufzählung belassen und auf Texte verweisen, die etwas detaillierter an diesen Punkt anschließen werden und in den nächsten Ausgaben erscheinen. (Vgl. Interview mit Hanin Elias)

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last modified: 28.3.2007