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Kultur-Report, 1.7k

Alte Männer tun es


...und bringen es auch


    „Knietief im Dispo“
    Fehlfarben, 28.10.02

    „Verschwindet der Dispo?“
    taz, 15.02.03

    „Es begann am 21.1. in der Gesamtschule Hagen-Haspe, es endete am 15.2. im Alten Schlachthof Dresden. What’s the message?“
    R., einer an der Endstation

Fehlfarben, 19.4k Wir waren nicht für den Frieden, sondern bei den Fehlfarben. Denn die zeigten auf der „Abschlussvernichtungsparty“ ihrer Tour zwei Tage nach dem Bombenholocaustgegenrichtigedeutsche-gedenken in Dresden, dass und wie man mit 40 immer noch oder überhaupt erst kraftvoll zubeißen kann.
Die Nachrichten am Morgen waren ganz gewöhnlich. Am Vortag hatten mehrere offiziöse Adressaten in München einen Brief erhalten, in dem behauptet wird, ein „Deutsches Anti-Jüdisches Kampf-Bündnis“ wird von einem Terror-Anschlag mit einer „schmutzigen Atombombe“ nur absehen, wenn der Bau des Jüdischen Zentrums gestoppt werde. Wenige Stunden später wird in Leipzig ein jüdischer Friedhof geschändet.
Und Peter Hein hatte das Pech beim Samstagsbummel durch das konservierte, keinerlei Regung, geschweige den Leben zulassende Dresden auf die Jungs und Mädchen von den Freien Kräften zu treffen. Cool Kids benehmen sich anders, was man am Abend sehen wird. Hier aber sah er kurz nach dem Theaterplatz und der dortigen Antibierhölle von Radeberger, der Semperoper, die restlichen 200 von den über 1000 aktiven Negationisten, welche unter Führung der antisemitischen Drecksbande namens Junge Landsmannschaft Ostpreußen zwei Tage zuvor, am 13. Februar, wieder durch Dresden gezogen waren. Dass ihnen die Stadt eine wunderbare Präsentationsroute, die diesmal vorm Landgericht endete, schenkte, musste nicht wundern. Bringen JLO und Gedenk-Nazis nur deutlicher auf den Punkt, was allenthalben im Umfeld dieses Datums von fast allen anderen deutschen Friedenstümmlern – auch in diesem Jahr bot die Sächsische Zeitung diesem Volk wieder Raum für seine Lügen – gleichfalls gesagt wird. „Gerade wir Dresdner wissen, was Krieg gegen die Zivilbevölkerung bedeutet“, mahnt es gegen die angloamerikanischen Banditen. Und sie haben Recht, die Dresdendeutschen, sie wissen wie man Angriffs- und Vernichtungskriege sowie Flächenbombardements veranstaltet, Zivilbevölkerung effektiv vernichtet, Entschuldigung: dezimiert. Coventry, Guernica, Belgrad...
Während in Berlin am 15. Februar der Marsch der 500 000 begann, hatten sich die 200 durch die Innenstadt Marschierenden („Freimaurerei und Zionismus, das ist der wahre Faschismus!“) den Kampf für eine offene, nationale, selbstbestimmte undsoweiter Jugendarbeit im örtlichen „Klub Thor“ zu eigen gemacht. Vielleicht lag es ja nicht nur am Datum, dass Peter Hein, die größtenteils als Pro-Hussein kenntliche Bewegung in Berlin von der anderen nationalen Befreiungsbewegung in Dresden während des Konzerts nicht zu trennen vermochte: „Man ist ja auch für Frieden, aber wenn man die sieht...“ So war es während des Nazi-Umzugs ein Männeken Peace namens Lutz Giesen – sorry, das nur Hardcore-Antifas die volle Schönheit des Zitierten erfassen werden, vielleicht soviel: der Mann ist eine volle Leernummer –, der sagte: „Was mit ‘Thor’ geschieht, ist das Gleiche, was die USA mit Irak macht.“ Weshalb dieser auch als Nazispelunke bekannte Klub zu einer „national befreiten Zone“ werden müsse.
„Wir haben inzwischen Häuser gebaut. Ich weiß nicht, warum das hier nicht passiert ist.“ Etwas ratlos lässt der Fehlfarben-Sänger aus Düsseldorf das Publikum im Alten Schlachthof stehen. Zuvor hatte er es schon zusammen gestaucht, was sie sich wohl einbildeten, so lieblos mit der Vorband umzugehen. „Das sind unsere Gäste.“ Und tatsächlich hatten Schwarzaufweiß super aufgespielt, Ska ins neue Jahrhundert geholt, nicht eine Sekunde wie die 728ste Auflage von Madness zu klingen. Von dieser Tanzformation wäre mehr tatsächlich mehr gewesen.
Hein kommt am letzten Abend der Tour noch mal richtig in Fahrt. Mit keinem Hauch von Peinlichkeit behaftet wie etwa die untoten Rolling Stones, die zur Versöhnung der Generationen, damit zum Stillstand, so unendlich viel beigetragen haben.
„Wir haben ja selber schuld. Es war ja eine selbstgewählte Regierung in diesem verschissenen Staat.“ Eben war auf Heins Aussage, „dass Bomber-Harris das einzig Richtige getan hat“ das passende Lied „Grauschleier“ gefolgt. Das Publikum findet zum größten Teil sich oder die Band, zumindest deren Sänger, oder irgend etwas deplaziert. Es sollte doch ein schöner Abend werden, noch mal so wie früher. Und Montag dann wieder in die Tretmühle. Jaja, gesteht Hein. „Knietief in der Realpolitik. Und wer will das schon?“
Die sächsische Heimatzeitung, die das Konzert mitveranstaltet hat ihren Szene-Klatschreporter geschickt. Der wird schreiben, dass er wieder mal nichts verstanden hat bzw. hat nichts verstehen können dürfen. „Und um eigene Botschaften war Hein auch nicht verlegen. Die steigerten sich im Verlauf des Abends allerdings bis zur schieren Unverständlichkeit. Der Stimmung machten die Tiraden nichts aus.“ Tiraden, als wüsste so ein von Verständnisvollen als Unverständlicher Bezeichneter was das ist.
„Bomber-Harris hat Recht gehabt. Und darum ist er kein Kriegsverbrecher“, schreit Hein. Im Schwesterorgan der LVZ, den Dresdner Neuesten Nachrichten, versucht man mit einer Sternstunde im Schüleraufsatzwettbewerb „Mein schönster Samstagabend“ der Aussage zu entkommen. „Von reifer Zurückhaltung war beim Sänger und ersten Kämpfer für geistige Freiflüge Peter Hein gar nichts zu merken. Großspurig und sympathisch arrogant konfrontierte er seine Gäste im Alten Schlachthof mit spitzer Zunge und exzessiven Ausflügen, sowohl verbal als auch physisch. So warf er nicht nur eigenwillige und zutreffende Aussagen zur Vorkriegsatmosphäre ins Publikum,“ nein, nicht nur das. Mit spitzer Zunge über die Vorkriegsatmosphäre nach exzessiven Ausflügen, verbal als auch physisch, konfrontierte er seine Gäste eben nicht mit seiner spitzen Zunge, sondern mit so was: „Ich liebe den Geruch von Napalm. Es riecht nach Sieg.“
Hätte man schon an diesem Abend gelesen, was man zurecht und aus Erfahrung ahnte, nämlich was sie nach ihren geistigen Frei- und exzessiven Ausflügen bis zur schieren Unverständlichkeit an Tiraden in ihren Zeitungen genannten Anzeigenblättern von sich geben würden, man hätte ihnen das so oft Gesagte, um die Vergeblichkeit des Sagens wissend, nochmals gesagt: Sie mögen wohl hier, aber sie können nicht ganz da gewesen sein.
Es war doch alles ganz anders. „Für mich Sound nach Wahl, Musik nach Geschmack/Raconteure und Flaneure trotzen dem Pack“. Freund R. und ich waren trotz der prächtigen Schwarzaufweiß aus Bremen noch etwas unsicher im Tanzschritt. Doch neben uns standen die coolen Kids. Never standing. Passend zum Anlass rausgeputzt und angehübscht pogten und schrieen sie die ganze Nacht. Nicht, dass sie all zuviel Textkenntnisse hatten, aber ihr Ganzkörpereinsatz machte das wieder wett. Und wer die Bremer lobt, kommt um Saskia von Klitzing, den Schlagzeug-Irrwisch, nicht herum. Als Hein nach dem letzten Titel so verausgabt war, dass ihm die Beine wegknickten, fragte ihre Körperhaltung, wann es denn losginge. Überhaupt waren die beiden das Traumpaar. Die korrespondierten prächtig miteinander. Wüsste man’s nicht besser, würde das Wort Choreografie nahe liegen.
Und als Hein „Was der Himmel verbietet“ sang, fast ein Vierteljahrhundert nach „Montagmorgen“ nun das Gegenlied, da mussten wir schon an uns halten. Aus anderen Tour-Städten war vorab Schlimmes zu hören. Die Kapelle kann immer noch nicht spielen, Hein kann den Text nicht, ist maulfaul, Bier wurde geworfen, Konzert abgebrochen... Nichts von alledem. Freude, dass dies „der letzte verfickte Auftritt dieser verfickten Tournee“ ist. Und da dachten wir, wie schön es doch wäre, jetzt mit in dieses extraordinäre Mikrofon zu bellen „Ich geh nicht ran – geh du ran du ran – Ist eh nicht für mich“. Um anschließend dem blöden Publikumsteil noch den Rest zu geben. „Es müsste noch mal wie 89 sein – 17 nicht 19, aber weltweit – Religionen verboten, Politiker enthirnt – Vernunft und Vertrauen, ach Janie du spinnst – Oder doch nur auf Kuba Cohibas gekauft – Karl-Marx-Stadt wieder säggsisch getauft – So viel Scheiße, unendlicher Mist – Wie schade, wie peinlich, wenn man so feige ist“.
Mit Freund R. sangen und tanzten wir noch durch die Nacht. Durch die Häuserschluchten, auf den vereisten und zugeschneiten Asphaltstraßen. Auf der Suche nach dem Club der schönen Mütter.
Es wäre zu schön gewesen, wenn es etwas länger so schön geblieben wäre. Doch der Tag endete, wie er begonnen hatte, ganz normal. Mit dem Andruck der Sonntagszeitungen. In einer wird vom deutschen Friedenswesen zu lesen sein. „Komisch fühlt sich das in diesen Tagen an, deutsch zu sein... Selten war ich so zufrieden, Deutsche zu sein... Ein gutes halbes Jahrhundert nach Auschwitz, Dresden und Stalingrad steht uns der Horror vor Kriegen zu.“ Knietief in der Scheiße.

Gunnar Schubert


Keiner kennt die Väter, die Kinder sind topfit
Die braucht man nicht belehren, die Mütter sind der Hit
Man braucht sich nicht vermehren, Rente nimmt man mit
Sich nicht gegen diese Mütter wehren, zum Himmel nur ein Schritt
(...)
Doch ists wie ein Erdbeben wenn sie mit dir gehen

Das ist der Club der schönen Mütter
Der einzige in der Stadt
Wo wunderschöne Mütter dich bedienen
Wunderschöne Mütter bis in die Nacht


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last modified: 28.3.2007