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Aktuelle Termine

CEE IEH-ARCHIV

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#162, Februar 2009
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#164, April 2009
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#167, Juli 2009
#168, September 2009
#169, Oktober 2009
#170, November 2009
#171, Dezember 2009

Aktuelles Heft

INHALT #171

Titelbild
Editorial
• das erste: K.I.Z. zum Ersten
• das erste: K.I.Z. zum Zweiten
Masta Ace & Edo G: Der Tag-Team Abend!
A MOUNTAIN OF ONE
THE GIFT
Oi! The Meeting 2010 – warm up show
Oh my „SIR“ Rodigan – can't wait to see you rock again ...
Ohrbooten
When the bass gets connected...
Hot Christmas Hip Hop Lounge
Edge - the movie
Mr. Symarip (aka Roy Ellis)
New Moon over Europe Tour 2009
Muff Potter
The Adicts
Trip Fontaine, Patsy o' Hara
MITTE02: Dixon, Sevensol
Snowshower
Conne Island NYE clash
Veranstaltungsanzeigen
• review-corner buch: Den Deutschen ins Stammbuch geschrieben...
• review-corner buch: „Nur nicht heute Abend lass uns die Worte finden“
• review-corner film: Über den Pfad der Tugend und sein Ergebnis
• cyber-report: Offene Springquellen des Reichtums
• interview: „Revolutionen haben den Vorteil, daß man sie nicht prognostizieren kann“
• ABC: K wie Klassenkampf
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• das letzte: Wer hat uns verraten?

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Über den Pfad der Tugend und sein Ergebnis

Der Film „Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte“

Psychogramm eines Dorfes

Es ist der Vorabend des 1. Weltkrieges, der den zeitlichen und gesellschaftlichen Rahmen für den Film „Das weiße Band“ absteckt. Der Handlungsplatz, das fiktive und zugleich doch so reelle Dorf Eichwald, liegt irgendwo im von Kornfeldern und Birkenwäldern gezeichneten norddeutschen Flachland. Die typisch pommerschen Backsteinhäuser, deren rote Farbe durch den Schwarz-Weiß-Charakter des Films nur zu erahnen ist, kennzeichnen das Dorf, in dessen Mitte die Kirche steht – räumlich wie auch gesellschaftlich. Ergänzt wird die Dorfstruktur durch das etwas abseits gelegene Adelsgut, dessen Gutsherr der politische und wirtschaftliche Protektor der ganzen Gemeinde ist. Baron und Pfarrer bestimmen das gesellschaftliche Klima des Dorfes wie selbstverständlich. Seinen Ausdruck erfährt dieses Klima in Autoritarismus, häuslicher Gewalt, protestantischer Disziplin und der starken Hand des Vaters, welche die Kinder des Dorfes sowohl psychisch als auch körperlich zu spüren bekommen. Besonders der Pfarrer wird in seiner Rolle als Familien- und Kirchenoberhaupt zur Exekutive einer gottgewollten Moral von Sitte, Anstand und Reinheit. Als die Pfarrerskinder eines abends verspätet zu Hause eintreffen, sieht er sich durch den Auftrag Gottes zu drakonischen Strafen gezwungen und wendet sich mit folgenden Worten an seine Kinder: „Eure Mutter und ich werden heute eine schlechte Nacht haben, weil wir wissen, dass ich euch morgen weh tun muss und weil uns das mehr schmerzen wird als euch die Schläge.“ Um diesen Schlägen mehr Kraft zu verleihen und die Demütigung der Kinder auch nachdrücklich wirken zu lassen, erinnert der Vater die Kinder an das weiße Band, welches ihnen die Mutter früher ins Haar geknüpft hat und das sie auf dem Pfad der Tugend halten sollte. Der Vater beendet die angespannte Atmosphäre: „Morgen sobald ihr durch die Züchtigung gereinigt sein werdet, wird eure Mutter euch erneut dieses Band umbinden und ihr werdet es tragen – bis wir durch euer Verhalten erneut Vertrauen gewinnen in euch.“ Die geschilderte Schlüsselszene des Films ist lediglich eine von vielen Situationen, aus denen hervorgeht wie brutale körperliche Gewalt und psychische Demütigung im wilhelminischen Deutschland als Mittel der Erziehung genutzt wurden. Opfer sind mal die Kinder, mal ist es die Frau. Gepaart mit den künstlerischen Mitteln des Films – Schwarz-Weiß-Charakter, lange Standbilder, Dunkelheit, fehlende Filmmusik – ergeben die Bilder aus dem Inneren der Dorfamilien – allen voran der Pfarrersfamilie – eine düstere Gesamtstimmung.

Filmszene

Nach und nach gehen im Dorf mysteriöse Dinge vor sich. Der Dorfdoktor muss nach einem ungeklärten Reitunfall ins Krankenhaus, der Sohn der Adelsfamilie wird misshandelt, die große Getreidescheune des Adelsgut geht in Flammen auf und das behinderte Kind der Hebamme wird beinahe bis zur Bewusstlosigkeit malträtiert. Alle Taten bleiben mangels auszumachender TäterInnen ungesühnt. Bäuerliches Misstrauen macht sich unter der Dorfbevölkerung breit und führt zu Verdächtigungen und Denunziationsversuchen untereinander. Das unwohnliche Dorf wird so noch düsterer als es die gesellschaftlichen Umstände ohnehin schon machen.
Dem autoritären und gewaltvollen Charakter der Dorfgemeinschaft stehen die Person des Dorflehrers und seine Liebe zum Kindermädchen der Adelsfamilie gegenüber. Der junge und allein stehende Dorflehrer, welcher zugleich die temporär auftretende Rolle des retrospektiven Erzählers übernimmt, ist freundlich, aufgeschlossen, umgänglich und musikalisch. Sein Haar trägt er etwas länger und seinen Anzug auch eher locker. Im Gegensatz zu den anderen Protagonisten der Dorfgemeinschaft ist seine Art der Kommunikation eher durch Vernunft und das Wort geprägt. Er steht im Film für Bildung, Empathievermögen und schlussendlich wohl für Humanismus – zumindest im Ansatz. Um den Lehrer in seiner Position als Gegengewicht zur düsteren Dorfgemeinschaft nicht gänzlich allein zu lassen, stellt das Drehbuch ihm die Baronin zur Seite. Obwohl beide nichts miteinander zu tun haben, eint sie doch die offene Art und die Liebe zur Musik. Die Baronin beherrscht die Tasten des Klaviers ausgezeichnet, ihren Sohn lässt sie in Italienisch unterrichten und als sich die Situation im Dorf zuspitzt, verlässt sie längst überfällig den grauenhaften Ort und damit auch ihren Mann, den Gutsherren, in Richtung italiensche Mittelmeerküste.
Lichtblick bleibt die arg verklemmte, aber behutsame Liebesgeschichte zwischen dem Dorflehrer und der erst 17jährigen Eva. Es ist die Sensibilität des Lehrers, die ihm nicht nur in der Beziehung zu Eva auszeichnet, sondern auch dazu bringt, die mysteriösen „Unglücksfälle“ des Dorfes zu enträtseln. Was dem Zuschauer und der Zuschauerin schon länger auffällt, wird nun auch dem Lehrer klar. Als der Doktor seinen Unfall hatte, waren die Kinder plötzlich in seinem Garten, als der Sohn der Adelsfamilie misshandelt wurde, ward er zuletzt mit den Kindern gesehen und auch sonst ist das kollektive Verhalten der Kinder, deren Anführerin die Pfarrerstochter ist, äußerst seltsam. Der Vermutung des Lehrers schenkt im Dorf allerdings niemand Glauben. Der Film endet mit dem Eintreten des 1. Weltkrieges und mit dem eingangs zitierten Epilog des Erzählers. Die Kinder bleiben Kinder und die Unbekannten bleiben unbekannt.
Es mag überspitzt formuliert klingen, aber zum Teil deckt sich das exemplarische Dorf Eichwald aus dem Jahr 1913 in seinen gesellschaftlichen Grundelementen mit heute existierenden Dorfstrukturen.(1) Damit sind weniger die geistigen und materiellen Abhängigkeiten der DorfberwohnerInnen von Kirche und Adel gemeint, sondern die stark ausgeprägte Bereitschaft zu gegenseitiger Denunziation, die auf wenige Personen oder Familien fixierte Dorfhierarchie und das Fehlen von Anonymität. Besonders das Fehlen von Anonymität wird natürlich nur den Personen zum Verhängnis, die im Sinne der Dorfgemeinschaft nicht zu ihr passen. Dass im Film nicht die Tochter des Bauern oder des Pfarrers gequält wird, sondern das körperlich benachteiligte Kind der Hebamme und der materiell besser ausgestattete Sohn der Adelsfamilie ist auf die Abwehr des Fremden bzw. des Anderen und auf Neid zurückzuführen. Ein Vorgehen, welches sich heute sicher nicht mehr in körperlicher Gewalt niederschlägt, dafür aber in getuschelten Worten in der Dorfkneipe, in Blicken an der Bushaltestelle und in Gesprächen über den Gartenzaun, die alle ebenso brutal sein können wie physische Gewalt.

Eichwald liegt irgendwo in Europa

Im Mai erhielt der österreichische Regisseur Michael Haneke auf den Filmfestspielen von Cannes die Goldene Palme für „Das weiße Band“. Schenkt man den Feuilletons und Cineasten Glauben, so stehen seine Chancen bei der Oscarverleihung 2010 den Auslands-Oscar einzuheimsen wohl auch nicht all zu schlecht. Der Film gehört zu den meist diskutierten deutschsprachigen Produktionen des Jahres, dies sicherlich auch wegen seiner gesellschaftspolitischen Botschaft. „Die Welt“ beispielsweise betitelte ihre Leitrezension zum Film mit „Die schmerzhafte Kinderstube der Nazi-Generation“(2) und trifft damit die Botschaft des Regisseurs recht gut, könnte man zumindest meinen. Schließlich lässt der Regisseur über den Erzähler des Films im Prolog mitteilen: „Ich weiß nicht, ob die Geschichte, die ich ihnen erzählen will, in allen Details der Wahrheit entspricht. […] Aber dennoch glaube ich, dass ich die seltsamen Ereignisse, die sich in unserem Dorf zugetragen haben erzählen muss, weil sie möglicherweise auf manche Vorgänge in diesem Land ein erhellendes Licht werfen können“ und meint damit die nationalsozialistischen Verbrechen und deren gesellschaftliches Fundament. Ist „Das Weiße Band“ also ein Ansatz den Nationalsozialismus und seine tragende Generation durch die wilhelminische Erziehung, häusliche Gewalt, Disziplin und Neid und durch autoritäre Familienstrukturen zu erklären? Man könnte es vermuten, liegt aber nur teilweise richtig, betrachtet man die Äußerungen Michael Hanekes zur Entstehung des Films. Im Interview mit der „TAZ“ spricht Haneke über das Böse in jedem Menschen – auch in Kindern: „In jedem Menschen ist alles angelegt, es hängt von den Umständen ab, was sich daraus entwickeln kann.“(3) Zwei wesentliche Punkte, die Haneke mit seinem Film offensichtlich ansprechen will, werden deutlich. Zum einen, das zeigt der Film auf gelungene Art und Weise, können auch Kinder gewalttätig und brutal sein und die Projektion von Unschuld in Kindlichkeit ist mehr als naiv, was einer Anlehnung an Freud gleichkommt und weniger in Frage zu stellen ist. Zum anderen sei in allen Menschen „alles angelegt“ und die „Umstände“ entscheiden über Ausbruch oder Unterdrückung von positiven und negativen Charakterzügen eines jeden. Die Aussage ist klar und deutlich: Nazi-Deutschland entstand nicht 1933, 1929 oder mit dem Ende des 1. WK und der „Schmach von Versailles“ – nein der Faschismus ist schon im wilhelminischen Deutschland und besonders in dessen brutaler autoritärer Pädagogik zu suchen und auszumachen. Aber zielt der Film in seiner spielerischen Analyse überhaupt darauf ab, den Faschismus auch als Ergebnis der gesellschaftlichen Umstände des Kaiserreichs zu betrachten? Ist das die Hauptaussage der Geschichte von Eichwald und seinen BewohnerInnen? Dazu der Regisseur: „Das Beispiel des deutschen Faschismus ist natürlich das Naheliegendste, aber in dem Film geht es letztendlich darum, zu zeigen, unter welchen Bedingungen der Mensch bereit wird, Ideologien zu folgen. Und das ist er immer dort, wo es Unbehagen, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung gibt. Da greift jeder den erstbesten Strohhalm, der ihm gereicht wird.“(4) Die Entstehung des deutschen Faschismus steht im Film nach Hanekes Selbstinterpretation also als Beispiel für die universelle Fehlbarkeit der Menschen, in denen immer „alles angelegt“ ist und nur die „Umstände“ über die Ausprägung der Individuen entscheiden. Damit wird Michael Haneke zum Protagonisten der aktuellen europäischen Geschichtsdeutung, in der die Spezifik und die Einzigartigkeit des deutschen Faschismus nach und nach verloren gehen und zu Gunsten einer universalistischen Deutung menschlicher Fehltritte weichen. Und noch etwas bleibt als fader Beigeschmack zum an sich sehr guten Film: Die Metapher von „Unbehagen, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung“ und vom „erstbesten Strohalm“ kommt bekannt vor und ähnelt der des „Demagogen und Verführers“, dem sich die Massen in ihrer aussichtslosen Situation anschließen, doch sehr.
Hätte Michael Haneke doch besser seine Klappe gehalten und von mir aus auch den Oscar abgegrast. Meine Empfehlung: Film unbedingt ansehen, Interviews mit dem Regisseur besser nicht!

Bruno

Anmerkungen

(1) Bezogen auf die gesellschaftliche Grundstruktur heutiger Döfer, nicht auf den Grad der Brutalität und das Auftreten dieser Strukturen.

(2) „Die schmerzhafte Kinderstube der Nazi-Generation“, Rezension über „Das weiß Band“, Die Welt 15.10.2009

(3) „Liebe ist zu wenig“, Interview mit Michael Haneke, TAZ 10.10.2009

(4) ebd.

23.11.2009
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