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Antideutsches Reinheitsgebot.


    „Man darf nicht zur Verteidigung der westlichen Welt aufrufen.“ T.W. Adorno(1)
War Adorno Faschist? Diese Frage stellt sich nach jener Veranstaltung „Für den Kommunismus – Über den Widerspruch von Antikapitalismus und kommunistischer Gesellschaftskritik“ am 27.5.03 vielleicht erstmals in aller Schärfe. Die AKG hatte einen Redakteur ihrer große Schwester aus Berlin eingeladen, um über den Begriff des moralisch-unmoralischen Antikapitalismus zu resümieren. Dies geschah dann auch tatsächlich, wenn auch erst in den letzten fünf Minuten des großen Rundumschlages, den Herr Wertmüller über seine teils verstörte, teils belustigte ZuhörerInnenschaft herniederprasseln ließ. Mag sein, dass er das betretene Schweigen im Raum danach als Zeichen seines triumphalen und totalen Sieges über die Leipziger Verhältnisse nahm, in der Annahme, es den hiesigen WohlfühlfetischistInnen endlich einmal gezeigt zu haben. Dass er es endlich einmal geschafft habe, eine klare Grenze zu ziehen zwischen sich und dem Rest der Welt, sich und all den Nazis um ihn herum. Vielleicht war der Nazivorwurf(2) aber auch gar nicht ernst gemeint. Geschuldet einzig und allein der Hitze des Gefechts, oder auch als jene polemische Würze, die nun einmal dazugehört, wenn man bestehen will, auf der Bühne der linken Öffentlichkeit? Wohl kaum, denn Herr Wertmüller sah sich genötigt, auf dem antideutschen Kongress „Gegen die antisemitische Internationale“ am 7.6.03 – der sich damit nicht im Ganzen diskreditiert hat – nachzulegen. Und in Berlin war er nicht umgeben von „Mitmachern“, „Kurzianern“, „Antikapitalisten“ und dem, was zur „faschistischen Pest“ sonst noch so dazugehört.
Trotzdem sprach er im protestantischen Gemeindesaal in bester lutherischer Diktion von „unmenschlichem Abschaum“ und gemeint waren jene, die sich positiv auf den Wertabspaltungsansatz von Roswitha Scholz berufen. Was bricht sich da anderes Bahn als lange zurückgehaltener Vernichtungswille? Wie verfährt man anderes mit „unmenschlichem Abschaum“ als ihn auszurotten, ihn zu zertreten? Niemand von den rund 250 Anwesenden sah sich genötigt, gegen diese Äußerung zu intervenieren – wozu auch, den einzig interessierenden Persilschein besitzt Herr Wertmüller ja, er war schließlich für den Irakkrieg und damit Antifaschist. Und das Wort Kommunismus führt er auch stets und ständig im Munde, doch ausmalen will ich mir einen solchen Kommunismus lieber nicht.
Die Ausrede, das sei doch bloß die Form, die es ja vielleicht auch zu kritisieren gelte, der Inhalt bliebe jedoch davon letztendlich unberührt, zieht an dieser Stelle schon lange nicht mehr. Der Unterschied zwischen Barbarei und Polemik besteht im Gegenstand der Kritik. Vernichte ich den Text oder will ich den Menschen vernichten, der ihn schrieb. Dieser Unterschied will gelernt und angewandt sein, Herr Wertmüller jedoch kennt ihn nicht. Die richtige Kritik an der Friedensbewegung gerät zum puren Distinktionsgewinn, wenn alle diejenigen die sich im Vorfeld gegen den Irakkrieg aussprachen, als deutsche Friedensengel apostrophiert werden. Um dies zu erreichen muss, auch schon mal zur Lüge gegriffen werden, ein Vorwurf, der diesmal die gesamte Bahamas-Redaktion trifft, wenn sie schreibt: „Das Leipziger Bündnis gegen Rechts, Mitglied der bundesweiten Plattform „antideutsch light“, wollte mit dem Transparent „Kein Frieden mit Deutschland – Den antiamerikanischen Konsens angreifen“ die Friedensbewegung einem Gesinnungstest unterziehen, um für sich den echten Willen zum totalen Frieden reklamieren zu können.“(3) Die auf dem Transparent ebenfalls abgebildete zerschlagene Friedenstaube ist der Bahamas-Redaktion keine Zeile wert, und sieh da: der passend gemachte Gegenstand passt tatsächlich (irgendwie) in dieses Zerrbild von Kritik. Wer mit derlei Unterstellungen arbeitet, ist weit von kommunistischer Gesellschaftskritik entfernt und macht es all denjenigen zu leicht, die die Antideutschen immer schon als „Wahnsinnige“ und „Verrückte“ abstempeln wollten.
Herr Wertmüller fordert eine Lehre ein, die in dieser Konsequenz nur im Grab zu haben ist. Niemand hält diesen Reinheitswahn durch, am wenigsten Herr Wertmüller selber, wie seine bewußt-unbewußten Vernichtungsphantasien zeigen. Wie können sich Redakteure der Bahamas noch positiv auf Walter Benjamin berufen(4), der nicht nur Ursprungsmetaphysiker war(5) und die Frechheit besaß, Carl Schmitt zu huldigen, indem er diesem brieflich mitteilte: „Vielleicht darf ich Ihnen (...) sagen, dass ich auch ihren späteren Werken (...) eine Bestätigung meiner kunstphilosophischen Forschungsweisen durch Ihre staatsphilosophischen entnommen habe“(6), nein, der auch als Vorläufer der heutzutage um sich greifenden islamistisch-deutschen Todessehnsucht begriffen werden muss, da er der Arbeiterklasse „den Hass, wie den Opferwillen“ auf ihre Fahnen schreiben wollte?(7) Auch Adorno macht sich zum Feind Israels, wenn man nur das oben zitierte Diktum ernst nimmt und die jüdische Heimstätte auf diese Art und Weise ans Messer liefert. Max Horkheimer steht paradigmatisch für ein „Herbeiwünschen des islamistischen Terrors“, weil „er die Befreiung durch die US-Army nicht für möglich denken kann“(8), schrieb er doch schon am Vorabend der Shoa, dass die „Hoffnung der Juden, die sich an den zweiten Weltkrieg heftet (...) armselig“(9) sei, im selben Aufsatz ihre „Milde gegenüber den Schäden der bürgerlichen Demokratie“(10) angriff und sie gar in gut marxscher Tradition als „Agenten der Zirkulation“(11) firmieren ließ.
Damit ist über die inhaltliche Richtigkeit dieser hier zitierten Aussagen und Positionen nichts gesagt, ebenso ist nichts über die Wahrheit einer Position jenseits von Krieg und Frieden gesagt, wie sie beispielsweise das BgR oder die AKA vertreten. Genug ist aber über die Logik eines Herrn Wertmüller gesagt, der alles, aber auch alles, was nicht haargenau mit seiner Position übereinstimmt, nur noch als antisemitisch denunzieren kann und sich damit jegliche Möglichkeit von Kritik vergibt.
Die Frage steht, wieso sich Herr Wertmüller und auch die Bahamas – sie distanziert sich bis jetzt nicht von ihm – noch positiv auf die genannten Autoren berufen kann, wird sie doch damit – in seiner Logik – selber Teil jener antisemitischen Wahngemeinschaft, die es ja eigentlich zu bekämpfen gälte. Wäre die Bahamas so konsequent, wie es Herr Wertmüller fordert, so muss ihr nächster Titel lauten: „Benjamin und Möllemann – endlich vereint im gemeinsamen Todeswunsch.“
Walter Benjamin hat recht behalten, mit dem, was er vor über sechzig Jahren schrieb: „Auch die Toten werden vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein.“(12)

Clara Schuhmann, ehemals BgR Leipzig


Fußnoten:

(1) M. Horkheimer und T.W. Adorno: Diskussion über Theorie und Praxis. In: M. Horkheimer: Gesammelte Schriften. Band 19, Frankfurt 1996, S. 46
(2) Herr Wertmüller sprach von „wertkritischen oder sonstwie nationalsozialistischen Open Postings.“
(3) Bahamas Nr. 41, S. 32
(4) So geschehen im Vortrag von Uli Krug auf dem schon erwähnten Kongress.
(5) vgl. M. Löwy: Erlösung und Utopie, Berlin 1997, S. 136f
(6) Zitiert nach: S. Heil: Gefährliche Beziehungen. W. Benjamin und C. Schmitt, Stuttgart 1996, S. 3
(7) W. Benjamin: Gesammelte Schriften. Band I/2, Frankfurt 1991, S. 700
(8) So die Logik des Herrn Wertmüller auf der Veranstaltung in Leipzig.
(9) M. Horkheimer: Die Juden und Europa. In: M. Horkheimer et al.: Wirtschaft, Recht und Staat im Nationalsozialismus, Frankfurt 1981, S. 50
(10) ebd. S.52
(11) ebd. S.48
(12)W. Benjamin: ebd., S. 695

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last modified: 28.3.2007