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Im Folgenden dokumentieren wir ein Flugblatt der Antikapitalistischen Aktion (AKA), das die Vorkommnisse des sogenannten Tag X in Leipzig kritisch unter die Lupe nimmt.
dokumentation, 1.1k

Antinationale Solidarität


    „Die deutsche linksradikale Szene tut sich außerordentlich schwer mit der Bevölkerung dieses Landes. Sie will und kann die Deutschen nicht so beurteilen, kritisieren oder bekämpfen, wie es dem Bewusstsein und den Handlungen der Deutschen angemessen wäre.“
    Cafe Morgenland(1)

left against the war

Als sich am Donnerstag Nachmittag am sogenannten Tag X am beworbenen Treffpunkt in Leipzig ein paar hundert mehr oder weniger linke Demonstranten zur Demonstration „Gegen Krieg, Antiamerikanismus und deutsche Wege“ versammelten, waren der Himmel noch blau und wir, eine kleine beobachtende „Abordnung“ der AKA, noch guter Dinge. Die mitgebrachten Transparente waren recht akzeptabel und nur einem Jugendlichen musste wohl nach mehrfachen Diskussionen sein „Bush=Hitler“ Plakat von BgR (Bündnis gegen Rechts) Aktivisten mehr oder weniger freundlich aus der Hand genommen werden. Da der verdutzte Träger offensichtlich die Pubertät auch geistig noch nicht ganz verlassen hatte, sei er mal noch nicht den Heerscharen der Regression zugeordnet. Mit dem Auftauchen der Antideutsch-Kommunistischen Gruppe (AKG), welche mit wehenden roten und israelischen Fahnen den Beginn der Demonstration verfolgte, wurde die Stimmung nicht merklich schlechter. Warum auch. Nur sehr leise war von einer Einzelperson die Bemerkung „Da kommen die Juden“ zu vernehmen. Die Veranstalter – oder zumindest die BgR AktivistInnen – schienen die Lage unter Kontrolle zu haben. Nach dem verständlichen Hinweis, dass das Tragen von Palitüchern unerwünscht sei, latschten die Beteiligten kurz unterbrochen von einer etwas klaustrophobischen Zwischenkundgebung zum Altmarkt. Unter anderen hielt die Leipziger Postantifa, vertreten durch das BgR, einen recht hörbaren und klugen Redebeitrag. Nachdem im Vorfeld wohl unzählige Positionspapiere verteilt wurden und diese selbst bei uns (als außerleipzigerische Gruppe) angekommen waren, hatten wir erwartet, dass die antinationale Linke in Leipzig das gut begründete Resümee des BgR: „Eine Friedensbewegung dieser Konstitution kann kein Bündnispartner sein. Eine Bewegung, die durch Ressentiment, Reflexionsarmut und Affirmation der Verhältnisse bestimmt wird, ist in ihrer momentanen Verfasstheit kein Teil der Lösung, sondern Teil des Problems(2), praktisch werden lässt. Praktisch bedeutete für uns an diesem Tag im Minimum nicht an der bürgerlichen Friedensdemonstration teilzunehmen. Unter diesen Prämissen vollständig enttäuschend war die Reaktion der anwesenden Leipziger „Linken“, welche sich nach dem Auflösen der Demonstration fast vollständig in Richtung der Friedensdemo trollten.
Unserer Meinung nach ist die Strategie der Aufklärung des BgR hier vollständig gescheitert. Am wenigsten ist dies den GenossInnen der Gruppe vorzuwerfen. Viel mehr hätte man vom BgR auch nicht an Bündnisfähigkeit oder Überzeugungsarbeit verlangen können – uns jedenfalls hätte die Vorbereitung einer Demonstration gemeinsam mit ATTAC wohl schon im Vorfeld das Frühstück wieder nach oben befördert. Anyway.

left becomes german

Mit dem erschreckenden Aufgehen der Leipziger „Linken“ in der bürgerlichen Friedensdemonstration bewahrheitete sich wieder einmal, dass Mensch, seit sich die Deutschen nicht gegen, sondern für Hitler entschieden haben, in Deutschland auf alles gefasst sein sollte.
Wer nachfolgend die friedensbegeisterten Deutschen in Aktion betrachten wollte, der konnte am „Proteststand“ des BgR, das sich vor der Deutschen Bank auf dem Weg des Friedensmobs aufgebaut hatte, die übelsten AntisemitInnen, AntiamerikanerInnen und AntizionistInnen begutachten. Wir hätten uns gern all ihre Gesichter gemerkt, wären es nur nicht so viele gewesen. Wer nicht mit der Friedensbewegung mitlief und auch nicht auf das BgR einkreischte, der wurde sofort als O-Ton: „vom Mossad“ gekennzeichnet. Eben die Welt der AntisemitInnen. Ganz deutsche Tradition. Traditionell deutsch.
Die GenossInnen von der AKG hatten sich mit einem opulenten Transparent mit der Aufschrift „Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder! Die antiamerikanisch-antizionistische Internationale stoppen!“ vor dem Reichsverwaltungsgericht aufgebaut und riefen den Friedensbewegten entgegen, was uns nach den vorangegangenen Erfahrungen mehr als brennend auf der Zunge lag: „Nie wieder Deutschland!“ Obwohl uns das Motto und der dazu gehörige Text in der Bahamas nur mittelmäßig kontextbezogen erschienen, ist zumindest ersteres doch unbestreitbar richtig und von uns im Vorfeld auch empirisch validiert worden. In jedem Fall war es aber (entgegen den Aktivitäten der Leipziger Postantifa) der an diesem Tag adäquateste Ausdruck unserer Gefühle im Bezug auf Deutschland und seine Insassen. Wir mischten uns unter die Antideutschen und unterstützten diese unter anderem akustisch. Es dauerte keine paar Minuten, da lösten sich unter diesmal recht deutlichen „Scheiß Juden“-Bemerkungen immer mehr Volksdeutsche (man entschuldige uns den Ausdruck, aber wie soll man sie anders nennen) aus der Demo und stürmten wutschäumend auf die Israel-Fahnen der AKG zu, die so unendlich provokant im kalten Abendhauch wehten. Während die erste Welle der Regression noch abgewehrt werden konnte, wurde es dann zunehmend gefährlich für uns, O-Ton: „Judenfreunde“. Recht schnell konnte die sich wohl hämisch freuende Volkgemeinschaft, die wie üblich zahlenmäßig hoffnungslos unterlegene antideutsche Fraktion davonjagen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sollte jedem, sich als links verstehenden Menschen klar geworden sein, auf welcher schrecklich falschen Seite er da in der Menge der Friedensbewegten stand. Soviel zum Massenansatz. Wir sind kein Fan von dichotomen Weltbildern, aber an diesem Tag verlief die Grenze recht deutlich – glaubt uns. Die Nazis waren wohl nicht anwesend, wären aber unter dem anstürmenden Mob aus Linksdeutschen auch nur optisch aufgefallen.

tomorrow come today

Wer sich in Deutschland gegen Antisemitismus stellen will, darf mit AntisemitInnen nicht demonstrieren, sondern muss sie angreifen. Wer sich mit Israel auch praktisch solidarisch erklären will, der muss autoritär werden, wenn Israel symbolisch attackiert wird. Die Relevanz des Antisemitismus ergibt sich nicht nur in praktisch antifaschistischer, sondern vor allem in gesellschaftskritischer Hinsicht. Antisemitismus und seine linke Spielart Antiamerikanismus darf nicht als die Erfindung einiger Herrschender für ein reaktionäres Projekt verklärt werden und ist auch kein zufälliger Denkfehler einiger Wahnsinniger. Er bezeichnet eine gedankliche Tendenz, die das kapitalistische System in seinen fundamentalen Formen als regressive Reaktion auf die abstrakte Seite des Kapitals erzeugt und ist damit als eine Basisideologie des Kapitalismus anzusehen und dementsprechend zu behandeln. Sein Ende findet das notwendig falsche Bewusstsein, das die kapitalistische Vergesellschaftung in den Köpfen der Subjekte anrichtet, erst zusammen mit dem Ende der warenproduzierenden Gesellschaft.
Wir plädieren in diesen Zeiten für eine Zusammenarbeit der antinationalen Linken. Die Probleme bei der aktionistischen Fusion von antinationaler Postantifa und Antideutschen sind offensichtlich. In Leipzig beispielsweise vertritt die AKG eine Pro-Kriegs-Position und insistiert vor allem auf dem Imperativ von Adorno. Das BgR wiederum ist gegen den Krieg und integriert in seine Position zusätzlich noch prinzipiellen Antimilitarismus und den marxschen Imperativ. Auch die AKA (also wir) vertritt eine Antikriegsposition, die den kriegsbejahenden Antideutschen allerdings in einem Punkt zustimmen muss: Die momentan einzige Perspektive auf ein real besseres Leben im Irak entsteht heute durch das Engagement der Vereinigten Staaten. Wir sind uns nicht sicher, was antihumanistischer ist: Ein Krieg mit tausenden Opfern oder die Zementierung des blutigen „Friedens“ unter Saddam Hussein im Irak. Dem Bündnis gegen Rechts müssen wir allerdings auch zustimmen: Eine so richtig tolle Perspektive ist das nicht. Anyway.
Unserer Meinung nach wäre es für jeden antinationalen Linksradikalen das Mindeste gewesen sich mit der AKG zusammen gegen den Volksmob und damit gegen Deutschland zu stellen. Wenn es dem BgR als in unserer Wahrnehmung inhaltlich einzige ernstzunehmende Gruppe im linken Demonstrationsbündnis primär um die Vermittlung einer Kritik am Antiamerikanismus und Antisemitismus (Positionspapier) gegangen wäre, dann hätten sich die GenossInnen mit der AKG zusammen den linksdeutschen IsraelhasserInnen entgegenstellen müssen.
Der inhaltliche Unterschied und damit die Bündnisfähigkeit zwischen den MassenfetischistInnen von ATTAC und dem BgR ist unserer Meinung nach wesentlich größer als der zwischen AKG und BgR. Der systemoppositionelle Ansatz eines kosmopolitischen Kommunismus sollte einigen. Wer Deutschland und den antiamerikanischen Konsens also angreifen möchte, der sollte vor Ort sein, wenn Deutschland angreift! Die antinationale Linke in Leipzig könnte dann schon einmal von der durchaus nötigen Kritik an den leicht monotonen und teilweise schon fast dumm-polemischen Flugblättern der antideutschen Kommunisten in Leipzig aufsehen und Deutschland in die hässliche Fratze schauen. Wir jedenfalls wissen, wo wir bei praktisch werdender Deutschlandkritik hingehören – neben die AKG.

Gegen Deutschland.
Solidarität mit Israel.
Für antinationale Solidarität.
Die friedensbewegte Regression angreifen!

[AKA](3)

Fußnoten:
(1) Cafe Morgenland, Fluchschrift Nummer 1, 1992, www.fluchschrift.com
(2) Positionspapier des BgR Leipzig zum Irakkrieg, www.nadir.org/bgr
(3) AKA • AG Antideutschland • [M], Sara • contact: aka-text@firemail.de • 24.März 2003

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last modified: 28.3.2007